OGH 15Os143/02-8 (15Os144/02)

OGH15Os143/02-8 (15Os144/02)12.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weiser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen DI Gernot M***** wegen des Vergehens des Kartellmissbrauchs nach § 129 Abs 1 KartG 1988 aF, AZ 5 E Vr 1494/99, Hv 316/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, über die vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetztes gegen einen Vorgang des Einzelrichters und gegen das Urteils des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 13. September 2000, AZ 10 Bs 353/00 (= ON 23), nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, in Abwesenheit des Verurteilten jedoch in Gegenwart seines Verteidigers und Vertreters des haftungsbeteiligten Unternehmens U***** Aktiengesellschaft, Dr. Amhof, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen DI Gernot M***** wegen des Vergehens des Kartellmissbrauchs nach § 129 Abs 1 KartG 1988 aF, AZ 5 E Vr 1494/99, Hv 316/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, verletzen

1. der Vorgang, dass der Einzelrichter des genannten Gerichtes trotz Unterbleibens der Vorladung des haftungsbeteiligten Unternehmens U***** Aktiengesellschaft am 25. Jänner 2000 in Abwesenheit einer zu dessen Vertretung einschreitenden Person die Hauptverhandlung durchführte (ON 14) und im daran anschließend verkündeten Urteil gemäß § 136 Abs 1 KartG 1988 aF auch die Solidarhaftung der U***** Aktiengesellschaft für die über den Beschuldigten verhängte Geldstrafe aussprach (ON 15), sowie

2. die Begründung des Urteils des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 13. September 2000, AZ 10 Bs 353/00 (= ON 23), soweit sie auf der Rechtsansicht beruht, der vorgeladen gewesene DI Gernot M***** habe allein schon auf Grund seiner Stellung als Organ des haftungsbeteiligten Unternehmens auch dieses in der Hauptverhandlung am 25. Jänner 2000 vertreten, § 136 Abs 2 zweiter Satz KartG 1988 aF und § 444 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Mit Urteil vom 25. Jänner 2000, GZ 5 E Vr 1494/99-15, sprach das Landesgericht für Strafsachen Graz DI Gernot M***** (Leiter der Niederlassung Graz, der U***** Aktiengesellschaft; kurz: U*****) wegen des Vergehens des Kartellmissbrauchs nach § 129 Abs 1 KartG 1988 aF schuldig, verhängte über ihn eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, von der gemäß § 43a Abs 1 StGB einen Strafteil von 45 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, und sprach aus, dass die U***** gemäß § 136 Abs 1 KartG 1988 für die verhängte Geldstrafe zur ungeteilten Hand hafte, weil sich deren Haftung zur ungeteilten Hand aus dem Gesetz ergäbe und eine Folge der Verurteilung sei (US 6). Gegen den Schuldspruch führten der Beschuldigte und die U***** durch den gemeinsamen Rechtsvertreter (in getrennten Rechtsmittelschriften) Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld aus (ON 17 und 19). Die U***** bekämpfte sowohl den Schuldspruch als auch den Ausspruch über ihre Solidarhaftung. Unter der Z 3 des § 281 Abs 1 (iVm § 489 Abs 1) StPO rügte sie, dass entgegen § 136 Abs 2 KartG 1988 eine zur Vertretung nach Außen befugte Person des haftungsbeteiligten Unternehmens, der die Rechte eines Beschuldigten zukommen, nicht zur Hauptverhandlung geladen worden sei, weshalb es an einer der Voraussetzungen des § 427 Abs 1 StPO für die Vornahme der Hauptverhandlung in Abwesenheit gemangelt habe. Im Übrigen verwies die Berufungswerberin auf die vom Beschuldigten erstattete Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld (ON 17), deren Ausführungen sie zum Inhalt der eigenen Berufung erhob (ON 19).

Mit Urteil vom 13. Dezember 2000, AZ 10 Bs 353/00 (= ON 23), gab das Oberlandesgericht Graz beiden Berufungen nicht Folge, hob aber aus deren Anlass gemäß §§ 477, 489 StPO den Strafausspruch auf und verhängte über den Angeklagten (auch in teilweiser Stattgebung seiner Strafberufung) nach § 129 Abs 1 KartG abermals eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, wobei es einen Strafteil von 50 Tagessätzen unter Bestimmung einer 3-jährigen Probezeit bedingt nachsah (ON 23). Zum Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO führte das Berufungsgericht im Wesentlichen aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 427 StPO auch für den Haftungsbeteiligten gelte und ob im konkreten Fall nicht überhaupt ein nachteiliger Einfluss im Sinn des § 281 Abs 3 erster Satz StPO auszuschließen sei. Entscheidend sei vielmehr, dass der (gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied oder einem weiteren Gesamtprokuristen für die Zweigniederlassung Graz vertretungsbefugte) Angeklagte zwischen 16. Februar 1995 und 31. Mai 2000 Prokurist des haftungsbeteiligten Unternehmens gewesen sei. Gemäß § 49 Abs 1 HGB ermächtige die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, welche der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringe, wobei die Empfangnahme von Zustellungen im Prozess wirksam durch jeden einzelnen Gesamtprokuristen erfolgen könne. Dem entspreche auch § 13 ZustG, wonach bei juristischen Personen die Behörde diese selbst oder deren Organ als Empfänger bezeichnen könne. Die nach der Organisation der juristischen Person befugten Organe seien im Rahmen ihrer Ermächtigung zur Empfangnahme von Zustellungen auch an ihrer Wohnadresse berechtigt. Demnach habe sich die ordnungsgemäße Vorladung des Angeklagten DI M***** nicht nur auf dessen Person allein, sondern auch auf seine Organfunktion im haftungsbeteiligten Unternehmen bezogen, weshalb es diesem auch faktisch möglich gewesen sei, von den in § 136 Abs 2 KartG normierten Rechten Gebrauch zu machen (US 21 f).

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend weist der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes darauf hin, dass der Vorgang des Einzelrichters und ein Teil der Begründung des Berufungsurteils mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen. Entgegen der Ansicht des Gerichtshofs zweiter Instanz wurde durch die (wenn auch zu eigenen Handen erfolgte) Zustellung der Beschuldigtenvorladung an DI Gernot M***** keineswegs rechtswirksam auch die U***** zur Hauptverhandlung vorgeladen. Die in Form des StPO-Formulars 7 an die Privatadresse des Beschuldigten gerichtete Vorladung bezog sich nämlich allein auf DI M***** als Beschuldigten, nicht aber auch auf das haftungsbeteiligte Unternehmen (vgl S 3d). Dass im Fall eines Schulspruchs die U***** allenfalls auch zur Mithaftung für eine über den Beschuldigten verhängte Geldstrafe herangezogen werden könnte, war weder dieser Vorladung noch dem Strafantrag (ON 6) zu entnehmen.

Zwar trifft es zu, dass Willenserklärungen Dritter (auch Zustellungen im Prozess) rechtswirksam von jedem einzelnen Gesamtprokuristen (§ 48 Abs 2 HGB) in Empfang genommen werden können (vgl Holzhammer, Allgemeines Handelsrecht und Wertpapierrecht8 S 76). Damit in solchen Fällen die Erklärung gegenüber dem vom Gesamtprokuristen Vertretenen auch tatsächlich rechtswirksam wird, muss sie sich allerdings zweifelsfrei auf den Vertretenen (und nicht auf den Gesamtprokuristen persönlich) beziehen. Diese Voraussetzung fehlte - wie dargelegt - jedoch im vorliegenden Fall.

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung eines das haftungsbeteiligte Unternehmen verpflichtenden Erkenntnisses erster Instanz war unter den gegebenen Umständen daher nicht zulässig. Gemäß dem auf den vorliegenden Fall anzuwendenden (Art V Abs 1 und6 WettbG, BGBl I Nr 62/2002) § 136 Abs 2 KartG aF sind an einem Kartell beteiligte Unternehmer, zu deren Vorteil die mit Strafe bedrohte Tat gereichte oder gereichen sollte und die daher zur ungeteilten Hand für Geldstrafen mit dem Verurteilten haften (§ 136 Abs 1 aF), wenn diese jedoch keine natürlichen Personen sind, die zu ihrer Vertretung nach außen befugten Personen, zur Verhandlung zu laden. Ferner ist über die Haftung des Unternehmers in dem in der Hauptsache ergehenden Urteil zu erkennen. Im Verfahren haben die haftungsbeteiligten Unternehmen (bzw ihre Vertreter) die Rechte des Beschuldigten; insbesondere steht ihnen das Recht zu, alle Verteidigungsmittel wie der Beschuldigte vorzubringen und das Urteil in der Hauptsache anzufechten. Das Verfahren und die Urteilsfällung in Abwesenheit dieser Beteiligten sind gemäß der die Vorschrift des § 136 Abs 2 KartG aF ergänzenden Bestimmung des letzten Satzes des § 444 Abs 1 StPO nur zulässig, wenn ihnen die Vorladung zur Hauptverhandlung zugestellt wurde.

Dem Oberlandesgericht Graz war es verwehrt, diesen dem Erstgericht unterlaufenen, aus Z 3 des § 281 Abs 1 (489 Abs 1) StPO gerügten Verfahrensfehler im Rahmen der erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit zu beseitigen, weil die dort angeführten Vorschriften, deren Verletzung Nichtigkeit begründet, eine streng taxative ist. Eine analoge Anwendung auf die Verletzung anderer Bestimmungen der Strafprozessordnung ist ausgeschlossen. Auf Nebengesetze, die nach dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung erlassen worden sind, lässt sich dieser Nichtigkeitsgrund nur dann anzuwenden, wenn in diesen Nebengesetzen die Verletzung bestimmter Vorschriften ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht ist (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 3 E II ff). Die in § 281 Abs 1 Z 3 StPO genannten §§ 221 Abs 1 und 427 Abs 1 StPO sind hier unanwendbar, weil sie ausdrücklich nur auf die Person des Angeklagten abstellen. § 136 Abs 2 KartG wiederum enthält ebenso wie § 444 StPO keine Nichtigkeitssanktion.

Die vom Generalprokurator aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren daher festzustellen. Eine konkrete Maßnahme im Sinne des letzten Satzes des § 292 StPO war jedoch - entgegen einer gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - nicht geboten, weil das haftungsbeteiligte Unternehmen die Möglichkeit hatte, im Rahmen der ohnedies erhobenen Schuldberufung (über das Rechtsmittel des Angeklagten hinausgehende) Neuerungen gegen den Schuldspruch des Angeklagten und im Besonderen auch gegen den Ausspruch über seine Haftungsbeteiligung vorzubringen.

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