European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2002:0060OB00267.02M.1212.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Das die Klage abweisende Ersturteil wird wiederhergestellt.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 982,70 EUR (darin 163,78 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der am 3. 8. 1966 geborene Kläger ist nebenberuflich als Rettungswagenfahrer beim Arbeiter‑Samariter‑Bund tätig. Nachdem er am 25. 9. 1999 gegen 4 Uhr früh bewusstlos in einem Lokal zusammengebrochen war, wurde er in die von der beklagten Partei betriebene Krankenanstalt eingeliefert. Die Untersuchung ergab einen Restalkoholwert von 1,3 %o, die Ursache der anfallsartigen Bewusstlosigkeit konnte nicht festgestellt werden. Nach Entlassung des Klägers gegen Revers übermittelte die Krankenanstalt den Befund an den Amtsarzt der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft zur Überprüfung der Kfz‑Tauglichkeit. Nach einer amtsärztlichen Untersuchung wurde dem Kläger am 27. 1. 2000 die Lenkerberechtigung entzogen. Sie wurde ihm nach Vorlage eines psychiatrisch‑neurologischen Gegengutachtens am 2. 3. 2000 befristet auf ein Jahr unter Bedingung regelmäßiger nervenärztlicher Kontrollen wieder ausgefolgt.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Schadenersatz. Die gegen die ärztliche Verschwiegenheitspflicht verstoßende Mitteilung an die Bezirkshauptmannschaft habe zum Entzug der Lenkerberechtigung geführt und sei kausal für die dem Kläger zu ihrer Wiedererlangung entstandenen Kosten und den während des Entzugs der Lenkerberechtigung eingetretenen Verdienstentgang. Die Meldung hätte - weil nur auf vagen Vermutungen beruhend - nicht erfolgen dürfen. Die eingetretene Bewusstlosigkeit habe keineswegs gesichert auf das Vorliegen chronischen Alkoholmissbrauchs gestützt werden können. Es hätten zu keinem Zeitpunkt Hinweise darauf bestanden.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Kläger habe einen Restalkoholgehalt von 1,3 %o aufgewiesen. Auf Grund der erhobenen Befunde und der durchgeführten Untersuchungen hätten Hinweise auf chronischen Alkoholübergebrauch bestanden. Die Rückfrage bei einem Kollegen des Klägers beim Arbeiter‑Samariter‑Bund habe ergeben, dass der Kläger chronisch Alkoholüberkonsum betreibe und die Problematik verharmlose. Er habe sich anlässlich der Aufklärung aggressiv verhalten und entgegen der dringenden Empfehlung, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, jegliche ärztliche Behandlung abgelehnt. Für die behandelnden Ärzte habe sich der dringende Verdacht der mangelnden Verkehrszuverlässigkeit aufgedrängt. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als Rettungswagenfahrer und die völlig fehlende Krankheitseinsicht sei es zum Schutz höherwertiger öffentlicher Interessen unbedingt erforderlich gewesen, eine Abklärung der Verkehrszuverlässigkeit zu veranlassen. In Ermangelung eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens der behandelnden Ärzte bestehe daher der Schadenersatzanspruch nicht zu Recht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, der Kläger besitze den Führerschein der Gruppe B seit 1984. 1985 habe er einen Autounfall unter Alkoholeinfluss verursacht, weshalb ihm der Führerschein entzogen worden sei. Er habe, in der Folge noch zwei weitere Alkoholdelikte begangen. Er habe bevor er gegen 4 Uhr früh im Lokal zusammengebrochen sei, ungefähr fünf bis sechs Bier getrunken. Nachdem die Ursache der anfallsartigen Bewusstlosigkeit nicht habe eruiert werden können, habe der behandelnde Arzt dringend eine stationäre Aufnahme empfohlen, um - unabhängig von einem allfälligen Alkoholproblem - Anfallskrankheiten ausschließen zu können. Der Kläger habe dies - trotz Aufklärung über die bestehenden Risken - vehement abgelehnt und verlangt, entlassen, von seinen Kollegen des Arbeiter‑Samariter‑Bundes abgeholt und in deren Zentrale gebracht zu werden. Der behandelnde Arzt habe daraufhin mit dem diensthabenden Sanitäter in der Leitstelle des Arbeiter‑Samariter‑Bundes telefoniert, der ihm einen übermäßigen Alkoholkonsum des Klägers mitgeteilt habe (wörtlich "er könne es mit dem Alkohol gut"). In der Folge sei es zu heftigen Diskussionen mit dem Kläger gekommen, der sich wenig kooperativ gezeigt habe. Er habe aufgebracht reagiert, sei zunehmend aggressiver geworden und habe den behandelnden Arzt wie auch das anwesende Pflegepersonal beschimpft und lautstark mit rechtlichen Schritten gedroht. Dabei sei er einmal bereit gewesen, den Entlassungsrevers zu unterschreiben, daraufhin aber wieder nicht. Der behandelnde Arzt habe daraufhin die diensthabende Oberärztin der Neurologie zugezogen und auf Grund des anhaltenden aggressiven Verhaltens und der psychosomatischen Agitation zusätzlich die diensthabende Psychiatrieärztin verständigt. Gemeinsam mit den Kollegen des Klägers vom Arbeiter‑Samariter‑Bund sei es dann gelungen, den Kläger einigermaßen zu beruhigen. Er habe letztlich auch den Entlassungsrevers unterfertigt. Die anwesenden Ärzte hätten nochmals unter Hinweis auf die mangelnde Kfz‑Tauglichkeit auf die momentane körperliche Verfassung des Klägers hingewiesen und eine weiterführende Abklärung (EEG) durch einen Neurologen empfohlen. Sie hätten versucht, mit dem Kläger eine mögliche Alkoholabhängigkeit zu erörtern, dieser habe jedoch keinerlei Krankheitseinsicht gezeigt, die angebotene fachärztliche Hilfe abgelehnt und sich in jeglicher Hinsicht inkooperativ verhalten. Am nächsten Morgen sei der Vorfall in der üblichen Nachbesprechung der Ärzte diskutiert und analysiert worden, man habe die ärztliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem öffentlichen Interesse sorgfältig abgewogen. Unter Berücksichtigung dieses Umstands, dass der Kläger nach Ansicht der Ärzte als Risikofall einzustufen sei, sich uneinsichtig und wenig kooperativ verhalten habe und er als Führerscheinbesitzer und nebenberuflicher Rettungswagenfahrer eine potentielle Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstelle, habe man einstimmig den Beschluss gefasst, den Befund an den Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft zur Überprüfung der Kfz‑Tauglichkeit zu übermitteln. Grund für diese Vorgangsweise sei auch das mangelnde Vertrauen in die Erklärung des Klägers gewesen, er werde eine Abklärung der unklaren anfallsartigen Bewusstlosigkeit bei seiner Hausärztin durchführen lassen. Nach sorgfältiger Abwägung aller Für und Wider sei den Ärzten eine Meldung an die zuständige Bezirkshauptmannschaft als einziger Ausweg erschienen, um einem etwaigen Risiko entgegenzutreten. Der Kläger habe nach dem Vorfall seine Hausärztin konsultiert, die ihn zur Abklärung der erhöhten Leberwerte in das Krankenhaus Bludenz eingewiesen habe. Dort habe man eine Leberpunktion durchgeführt und eine geringe Leberverfettung ohne Zeichen einer Hepatitis festgestellt. Ob die Ursache der erhöhten Leberwerte auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführen sei, habe weder nachgewiesen noch ausgeschlossen werden können. Der Kläger habe auch einen Orthopäden aufgesucht, der ihn vor Jahren an den Bandscheiben operiert habe. Der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Entzug und der Wiedererlangung der Lenkerberechtigung einen beträchtlichen Schaden an Anwaltskosten und Verdienstentgang erlitten.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Beklagte habe für etwaiges schuldhaftes Verhalten der in dem von ihr betriebenen Krankenhaus tätigen Ärzte als ihre Erfüllungsgehilfen einzustehen. Den Ärzten sei jedoch kein rechtswidriges Verhalten vorzuwerfen, weil § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbinde, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich sei. Eine vergleichbare Regelung enthalte auch § 25 Abs 2 Vorarlberger Spitalgesetz. Überdies dürfe nach § 12 Abs 3 der Führerscheingesetz‑Gesund- heitsverordnung (BGBl 1997/322) die Lenkerberechtigung Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen leiden, nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden. Der Kläger sei mit einer unklaren anfallsartigen Bewusstlosigkeit, deren Ursache nicht habe festgestellt werden können, ins Krankenhaus eingeliefert worden, habe die stationäre Behandlung abgelehnt und sich alles andere als kooperativ verhalten. Für die Ärzte habe daher keine Gewissheit bestanden, dass er sich anderweitig um die Abklärung der Ursachen bemühen würde. Im Übrigen sei der Verdacht chronischen Alkoholmissbrauchs nahegelegen, wobei der Kläger auch diesbezüglich nicht gesprächsbereit gewesen sei. Es hätte auch ein internistisches Problem (Anfallsleiden) vorliegen können. All dies hätte jedoch durch stationäre Überwachung geklärt werden können und auch müssen, die jedoch wegen der nicht kooperativen Haltung des Klägers unterblieben sei. Beurteile man das Vorgefallene vor dem Hintergrund, dass der Kläger auf Grund seiner Tätigkeit als Versicherungsvertreter auf sein Auto angewiesen sei und nebenberuflich als Rettungsfahrer Krankentransporte durchführe, so sei die Vorgangsweise der behandelnden Ärzte nicht rechtswidrig. Die Meldung sei vielmehr rechtmäßig und gemäß § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG im öffentlichen Interesse sogar geboten gewesen. Sie sei auch nicht leichtfertig sondern erst nach eingehender Beratung, umfassender Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber öffentlichen Interessen und höherwertigen Rechtsgütern, wie zB der Gesundheit und dem Leben anderer Patienten erfolgt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, wobei es die Feststellung, dass der diensthabende Sanitäter des Arbeiter‑Samariter‑Bundes dem behandelnden Arzt "einen übermäßigen Alkoholkonsum des Klägers mitteilte" dahin verstand, der behandelnde Arzt habe die Aussage des Zeugen, der Kläger "könne es mit dem Alkohol gut" so interpretiert, dass der Kläger einen übermäßigen Alkoholkonsum betreibe. In rechtlicher Hinsicht bejahte das Berufungsgericht einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. Es nahm eine Abwägung der Interessen des Klägers an der Geheimhaltung und jener dritter Personen, als Verkehrsteilnehmer nicht durch die Fahruntauglichkeit geschädigt zu werden, vor und gelangte zu einem Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses. Eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit des Klägers habe nicht festgestellt werden können, er habe überdies in Aussicht gestellt, die unklare anfallsartige Bewusstlosigkeit durch seine Hausärztin abklären zu lassen, sodass die Gefahr eines krankheitsbedingten Unfalls gering gewesen sei. Da das allgemeine Risiko des Straßenverkehrs von der Rechtsordnung grundsätzlich toleriert werde, sei hier dem Geheimhaltungsinteresse des Klägers als Patienten der Vorrang vor der Durchbrechung der Schweigepflicht einzuräumen. Der Schade, der der Gemeinschaft daraus entstehen könnte, dass Ärzten in zu weitem Ausmaß die Offenbarung von Patientengeheimnissen (insbesondere an Behörden) gestattet werde, wäre größer als jener, der daraus entstehen könne, dass vielleicht im Einzelfall jemandem, der nicht mehr voll fahrtauglich erscheine, nicht sofort der Führerschein entzogen werde. Die Mitteilung an die Bezirkshauptmannschaft stelle daher im hier zu beurteilenden Fall einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 25 Vorarlberger Spitalgesetz und § 54 ÄrzteG dar. Diese Gesetzesbestimmungen seien Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB, deren Verletzung zum Schadenersatz verpflichte. Von einem Verschulden der behandelnden Ärzte sei auszugehen. Es mangle auch nicht an der Vorhersehbarkeit des dem Kläger durch die Verletzung der Schweigepflicht entstandenen Schadens. Die Übermittlung des Befundes an den Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft zu Zwecken der Überprüfung der Fahrtauglichkeit habe den durch Entzug der Lenkerberechtigung entstandenen Schaden adäquat herbeigeführt, ohne dass es darauf ankomme, ob die Lenkerberechtigung zu Recht entzogen worden sei. Die Beklagte habe auch nicht geltend gemacht, dass die Behörde ohne Meldung aktiv geworden und den Führerschein entzogen hätte. Die Beklagte habe daher für das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten der behandelnden Ärzte einzustehen. Zur Schadenshöhe habe das Erstgericht keine Feststellungen getroffen. Es werde diese - von der Haftung der Beklagten ausgehend - im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO), weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob und unter welchen Umständen die Meldung eines fahruntauglichen Fahrzeuglenkers einen Verstoß gegen die ärztliche Verschwiegenheitspflicht darstelle und ob eine derartige Verletzung einen Schadenersatzanspruch begründe.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Beklagten ist aus den genannten Gründen zulässig und berechtigt.
Das Institut der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht trägt dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Geheimsphäre des Einzelnen Rechnung. Regelungen dazu finden sich sowohl im Strafrecht (§ 121 StGB) als auch in berufsrechtlichen Vorschriften, die - wie etwa § 54 ÄrzteG 1998 - Angehörige bestimmter Berufsgruppen zur Verschwiegenheit verpflichten. Nach § 54 Abs 1 ÄrzteG 1998 ist der Arzt zur Verschwiegenheit über alle ihm in Ausübung seines Berufs anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Auch § 25 Abs 1 Vbg Spitalgesetz LGBl 1990/1 ordnet eine solche Verschwiegenheitspflicht an. Unter den Begriff des Geheimnisses fallen alle Umstände, die nur dem Patienten selbst oder einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und die nach dem Willen des Betroffenen anderen nicht bekannt werden sollen. Das Berufsgeheimnis des Arztes erstreckt sich somit auf alle für andere Personen nicht wahrnehmbare Tatsachen, die dem Arzt bei Ausübung seines Berufes über jemanden bekannt werden und an deren Geheimhaltung der Betroffene ein berechtigtes Interesse hat (Aigner/Kierein/Kopetzki, ÄrzteG 19982 § 54 Anm 3; Stellamor/Steiner, Handbuch des österreichischen Arztrechts I, 167; Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, ÄrzteG 19883 § 26 Anm 2).
Nach § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 besteht die Verschwiegenheitspflicht des Arztes nicht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist. Auch nach § 25 Abs 2 Vbg Spitalgesetz besteht die Verschwiegenheitspflicht nicht, wenn die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt durch ein öffentliches Interesse, insbesondere durch Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege, gerechtfertigt ist. Die Beurteilung, ob das Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege an der Preisgabe des Geheimnisses höherwertig ist als jenes des betroffenen Patienten an der Geheimhaltung, setzt eine Interessenabwägung voraus (Stellamor/Steiner aaO 168). Dazu vertreten Stellamor/Steiner (aaO 173) die Auffassung, das Handeln des Arztes sei immer dann gerechtfertigt, wenn er durch seine Mitteilung höhere Interessen schützt, als es das Recht des Betroffenen auf Geheimhaltung darstelle. Ein Durchbrechen der Schweigepflicht sei dann gerechtfertigt, wenn dadurch andere vor Schäden bewahrt werden. Ein derartiger Sachverhalt unterliege dem Rechtfertigungsgrund der Pflichtenkollision. Als Beispiel dafür verweisen die Autoren auf jene Fälle, in denen der Arzt erkennt, dass der Gesundheitszustand eines Patienten eine ernste Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer (und auch des Patienten selbst) darstellt. Sie meinen, in einem solchen Fall rechtfertige bereits die aus dem Behandlungsvertrag resultierende Pflicht des Arztes zum Schutz des höherwertigen Rechtsgutes Leben (Gesundheit) des eigenen Patienten eine Durchbrechung der Schweigepflicht (durch Mitteilung an die zuständige Behörde).
Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn (§ 26 ÄrzteG 1988 Anm 5d) weisen auf die in diesen Fällen mögliche Kollision der Interessen an der Sicherheit des Straßenverkehrs mit dem ärztlichen Berufsgeheimnis hin. Gleichzeitig räumen sie ein, dass sich schwerwiegende Fälle ergeben könnten, in denen nach gewissenhafter Interessenabwägung eine Mitteilung des Arztes im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege vertretbar und daher geboten sei.
Demgegenüber vertritt Tippel (Die Ärztliche Schweigepflicht und das Kraftfahrrecht, ZVR 1989, 357) die Auffassung, die Meldung eines offensichtlich nicht mehr verkehrstauglichen Lenkers an die Führerscheinbehörde sei - weil weder durch die Interessen der Rechtspflege noch durch jene der öffentlichen Gesundheitspflege gerechtfertigt - jedenfalls gesetzwidrig.
Dieser Meinung ist Klaus (Ärztliche Schweigepflicht. Ihr Inhalt und ihre Grenzen [1991], 141) entgegengetreten, der sich - von § 121 Abs 5 StGB ausgehend - mit den Rechtfertigungsgründen einer Durchbrechung der Schweigepflicht eingehend befasst. Trotz unterschiedlicher inhaltlicher Ausgestaltung der Regelungen über die ärztliche Schweigepflicht in § 121 StGB und § 54 ÄrzteG 1998 (damals § 26 ÄrzteG 1988) spricht er sich gerade für den Bereich der Rechtfertigungsgründe für eine Abstimmung der einzelnen Normen aus, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Sei nämlich die Durchbrechung der Schweigepflicht strafrechtlich gerechtfertigt, so müsse sie auch verwaltungsrechtlich zulässig sein und umgekehrt (Klaus aaO 11). Derjenige, der ein gesundheitsbezogenes Geheimnis offenbare oder verwerte, sei nach § 121 Abs 5 StGB nicht zu bestrafen, wenn die Offenbarung oder Verwertung nach Inhalt und Form durch ein öffentliches oder berechtigtes privates Interesse gerechtfertigt sei. Allerdings könne nur ein überwiegendes öffentliches Interesse die Durchbrechung des Berufsgeheimnisses rechtfertigen (aaO 96, 132). Das Interesse an der Verkehrssicherheit stelle unzweifelhaft ein öffentliches Interesse in diesem Sinn dar (aaO 142). Der Rechtfertigungsgrund setze eine unmittelbar drohende bedeutsame Gefahr voraus, die (nur) durch die Offenbarung des gesundheitsbezogenen Geheimnisses abgewendet werden könne (aaO 133 ff). Dabei komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Es bedürfe einer Gesamtabwägung der beteiligten Interessen, des Ausmaßes der drohenden Beeinträchtigung und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts (aaO 134). Dieser Rechtfertigungsgrund könne auch dann verwirklicht sein, wenn der Arzt feststelle, dass sein Patient aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr fahrtauglich sei, sich aber völlig uneinsichtig zeige und durch seine weitere Teilnahme am Verkehrsgeschehen eine dauernde Gefahr für Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer hervorrufe (aaO 138 f). Bei der zur Beurteilung erforderlichen Güterabwägung müsse aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung berücksichtigt werden. Sei die Gefahr, dass es krankheitsbedingt zu einem Unfall komme, gering, überwiege das Interesse an der Geheimhaltung.
Schmoller (Zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht von Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten, RdM 1996, 131) bejaht Einschränkungen der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht aus der Notwendigkeit der Abwendung einer umittelbar drohenden Gefahrensituation im Einzelfall, die auch in einer "allgegenwärtigen Dauergefahr" bestehen könne. Er meint, § 121 Abs 5 StGB unterstreiche, dass eine Mitteilung ärztlicher Geheimnisse über §§ 26, 27 ÄrzteG 1988 hinaus auch gegen Individualinteressen gerechtfertigt sein könne und fordert diesbezüglich eine Güterabwägung.
Eine Güterabwägung zwischen dem Individualinteresse des Patienten an der Geheimhaltung und öffentlichen Interessen an der Offenbarung von gesundheitsbezogenen Geheimnissen verlangt auch Stolzlechner (Überlegungen zur ärztlichen Verschwiegenheits‑, Anzeige- und Meldepflicht, RdM 2000, 67), der betont, dass die Offenbarung des Geheimnisses nur dann erlaubt sei, "wenn sie nach Art und Inhalt zum Schutz der angeführten höherwertigen Interessen unbedingt erforderlich" sei.
Der 6. Senat schließt sich der von Stellamor/Steiner (aaO 172) vertretenen Auffassung an, wonach die im § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 vorgenommene Betonung höherwertiger Interessen dahingehend zu verstehen ist, dass das Vorliegen höherwertiger Interessen eine Durchbrechung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht im Einzelfall rechtfertigen kann. Die Erwähnung der Bereiche "öffentliche Gesundheitspflege" und "Rechtspflege" darf demgegenüber zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu § 121 Abs 5 StGB nicht dahin interpretiert werden, dass es außerhalb dieser Bereiche keine anderen Interessen gebe, die als höherwertig angesehen werden dürften (vgl § 25 Abs 2 Vbg Spitalgesetz: "insbesondere"). Auch das Interesse dritter Personen an ihrer eigenen Gesundheit muss den von § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 genannten Bereichen zumindest gleichgesetzt werden, zumal es dabei um Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege im weiteren Sinn geht. Dieses Verständnis trägt auch der im Schrifttum (Klaus aaO 11) geforderten Abstimmung zwischen den Rechtfertigungsgründen des § 121 Abs 5 StGB und § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG 1998 Rechnung, zumal die Offenbarung eines gesundheitsbezogenen Geheimnisses nach § 121 Abs 5 StGB schon dann gerechtfertigt ist, wenn (irgendein) öffentliches oder berechtigtes privates Interesse die Offenlegung rechtfertigen (Lewisch, WK zum Strafgesetzbuch2 § 121 StGB Rz 31 f).
Allerdings setzt die Beurteilung eine nach den Umständen des Einzelfalles vorzunehmende umfassende Interessenabwägung voraus. Im hier zu beurteilenden Fall ist das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung des Befunds und jenes dritter Personen (aber auch des Klägers selbst), als Verkehrsteilnehmer nicht durch die Fahruntauglichkeit geschädigt zu werden, einander gegenüberzustellen. Dem Berufungsgericht ist zwar darin zuzustimmen, dass der behandelnde Arzt nicht generell bei jedem Verdacht auf eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit die Führerscheinbehörde informieren darf und dass es auch darauf ankommt, wie groß die Gefahr ist, dass es krankheitsbedingt zu einem Unfall kommt. Im vorliegenden Fall bestanden aus der Sicht der behandelnden Ärzte schwerwiegende Hinweise auf eine krankheitsbedingte Bewusstseinsstörung, sei es in Form einer Anfallskrankheit oder des Alkoholismus. Die Auskunft eines Arbeitskollegen des Klägers, dieser "könne es mit dem Alkohol gut", konnte die nach der Anamnese bestehenden Hinweise ebensowenig entkräften wie das uneinsichtige und aufbrausende Verhalten des Klägers, sondern musste den Eindruck, er könnte als Alkoholiker in seiner Fahrtauglichkeit beeinträchtigt sein, noch verstärken. Im Übrigen hatte der Kläger bereits einmal einen Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss verursacht und es war ihm der Führerschein schon damals entzogen worden. Er hatte danach noch zwei weitere Alkoholdelikte begangen. Dem Berufungsgericht ist daher nicht darin zu folgen, dass die Gefahr eines Unfalls gering gewesen wäre.
Dass die im Anlassfall zur Bewusstlosigkeit führenden Ursachen nicht festgestellt wurden, ist nicht darauf zurückzuführen, dass es keine die Fahrtauglichkeit beeinträchtigenden Umstände gegeben hätte, sondern vielmehr darauf, dass der Kläger auf seiner Entlassung bestand und sich weigerte, weiterführende Untersuchungen vornehmen zu lassen. Seine Weigerung machte die von einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung ausgehende Gefahr unkalkulierbar und schlägt somit zugunsten des Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs aus. Sein insgesamt uneinsichtiges Verhalten war auch nicht dazu geeignet, bei den Ärzten den Eindruck zu hinterlassen, er werde die Ursachen seiner Bewusstlosigkeit tatsächlich von der Hausärztin abklären lassen. Sie mussten daher nicht davon ausgehen, dass er die angekündigte Untersuchung tatsächlich werde vornehmen lassen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann dem Geheimhaltungsinteresse des Klägers auch nicht deshalb der Vorrang eingeräumt werden, weil die Rechtsordnung das normale Risiko des Straßenverkehrs toleriere. Dieses auch von Klaus (aaO 140) im Rahmen der Interessenabwägung gebrauchte Argument versagt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil der Kläger durch seine Tätigkeit als Rettungswagenfahrer ein höheres Risiko für die Beeinträchtigung des Lebens und der Gesundheit anderer verwirklicht. Die möglichen Folgen für Dritte, die durch seine Fahruntüchtigkeit drohen, sind daher höher einzuschätzen als bei privaten Autolenkern (siehe auch Klaus aaO 142). Die Interessenabwägung führt somit zusammenfassend zu einem Überwiegen der Interessen an der Bekanntgabe des Befundes an die Führerscheinbehörde, um eine Verletzung Dritter als Verkehrsteilnehmer durch die Fahruntauglichkeit des Klägers zu vermeiden, gegenüber dem Interesse des Klägers an der Geheimhaltung. Die von den Spitalsärzten der Beklagten verfasste Meldung an die zuständige Bezirkshauptmannschaft war daher - wie das Erstgericht richtig erkannte - nicht gesetzwidrig.
Dass die Gewichtigkeit eines Themas für die Allgemeinheit Beurteilungskriterium bei der Interessenabwägung sein kann, hat der Senat aus Anlass der Prüfung von Rechtfertigungsgründen im Konflikt zwischen dem Recht der freien Meinungsäußerung und dem absolut geschützten Gut der Ehre im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen § 1330 ABGB bereits bejaht. Dabei hat der Senat auch die Sensibilisierung der Bevölkerung gegenüber dem Thema "Alkohol am Steuer" herausgestrichen (6 Ob 109/00y = MR 2001, 26 - Alkoholsünder). Das Ergebnis der im vorliegenden Fall vorgenommenen Interessenabwägung steht damit im Einklang.
Der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung zur Höhe des Klagebegehrens bedarf es also nicht. Dem dagegen erhobenen Rekurs der Beklagten wird Folge gegeben und in der Sache selbst (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO) die das Klagebegehren abweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
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