OGH 2Ob196/02s

OGH2Ob196/02s5.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 8. Jänner 1983 geborenen Johanna M***** und des am 21. August 1984 geborenen Ulrich M*****, über den Revisionsrekurs der Mutter Gerlinde B*****, Lehrerin, ***** gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 8. Februar 2002, GZ 14 R 330/01z-331, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 18. Juli 2001, GZ 1 P 1290/95f-296, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Bezüglich der pflegebefohlenen Johanna war die Mutter auf Grund des Beschlusses vom 11. 2. 1998 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 3.800 S verpflichtet. Johanna beantragte eine Erhöhung dieses Unterhaltsbeitrages ab 1. 9. 2000 auf 4.800 S monatlich sowie ab 1. 1. 2001 auf 5.400 S monatlich.

Ulrich beantragte im Zusammenhang mit seinem Umzug zum Vater und dem Obsorgewechsel die Festsetzung einer Unterhaltsverpflichtung seiner Mutter ab 3. 9. 2000 im Betrag von 4.800 S, sowie ab 1. 1. 2001 im Betrag von 5.400 S.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung der Mutter wie

folgt fest:

Johanna:

vom 1. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 S 4.500,--

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 S 5.100,--

Ulrich:

vom 3. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 S 4.500,--

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 S 5.100,--

ab 1. 7. 2001 S 5.400,--.

Das Erstgericht traf dabei folgende Feststellungen:

Das monatliche Nettoeinkommen der Mutter betrug im Zeitraum 1. 1. 2000 bis 31. 12. 2000 S 28.330 inklusive anteiliger Sonderzahlungen und unter Berücksichtigung von abgezogenen Vorschussrückzahlungen, Wohnbauförderungsbeiträgen, Sterbefürsorge, freiwillige Pensionsbeiträge und Vereinsabzüge. Die Mutter war noch für zwei weitere Kinder sorgepflichtig. Wegen Selbsterhaltungsfähigkeit ist eine dieser weiteren Sorgepflichten mit 1. 1. 2001 weggefallen, für Johanna fiel sie mit 1. 7. 2001 weg.

Johanna bewohnt seit 10. 9. 2000 eine eigene Wohnung; sie wird jedoch zur Gänze vom Vater betreut. Nachdem Johanna ein BRG und eine HBLA abgebrochen hatte, absolvierte sie das BG für Berufstätige und ist seit 26. 6. 2001 bei einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt, weshalb sie ab 1. 7. 2001 selbsterhaltungsfähig ist.

Mit Beschluss vom 8. 11. 2000 wurde die Obsorge für Ulrich dem Vater übertragen. Ulrich wohnt seit 3. 9. 2000 im Haushalt des Vaters und wird zur Gänze von diesem betreut.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Unterhaltsverpflichtung der Mutter sei, ausgehend von einem monatlichen Nettoeinkommen von rund 28.330 S unter Anwendung der Prozentmethode, zu ermitteln. Dabei seien die weiteren Sorgepflichten sowie die Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit zu berücksichtigen. Das von der Mutter angerufene Rekursgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass es die Unterhaltsverpflichtung wie folgt festlegte:

Für Johanna:

vom 1. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 EUR 320,--,

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 EUR 360,--.

Für Ulrich:

Vom 3. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 EUR 320,--,

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 EUR 360,--,

ab 1. 7. 2001 EUR 390,--.

Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wies es ab.

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, der ordentliche

Revisionsrekurs sei nicht zulässig.

Es stellte nach Einholung weiterer Lohnauskünfte ein Jahresnettoeinkommen der Mutter in der Höhe von monatlich 27.681 fest. Infolgedessen reduziere sich die Unterhaltsverpflichtung wie folgt:

Johanna:

Vom 1. 9. 2000 bis 31. 12. 2002 S 4.400,--,

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 S 5.000,--.

Ulrich:

Vom 3. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 S 4.400,--,

vom 1. 1. 2001 bis 30. 6. 2001 S 5.000,--,

ab 1. 7. 2001 S 5.400,--.

Im Übrigen führte das Rekursgericht aus, die Feststellung des Erstgerichtes, dass der Vater die Tochter Johanna nach wie vor zur Gänze betreue, sei vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zur studentischen Selbstversorgung bereits annähernd Erwachsener oder erwachsener Kinder zu sehen. Die zur Verfügungstellung einer eigenen Wohnung habe den Hintergrund, dass Johanna aus dem Konflikt zwischen den Eltern herausgehalten werden wollte.

Unabhängig davon, ob die Mutter der Übertragung der Obsorge für Ulrich an den Vater zugestimmt habe, sei jedenfalls auf Grund des Beschlusses vom 8. 11. 2000 davon auszugehen, dass die Obsorge für diesen mit Wirkung vom 4. 9. 2000 dem Vater übertragen worden sei. Der Ansicht der Mutter, dass sie eine Unterhaltsverpflichtung erst ab Rechtskraft der Obsorgeübertragung treffen könne, sei im vorliegenden Fall nicht zutreffend. Grundsätzlich leiste nur der obsorgeberechtigte Elternteil seinen Unterhalt durch Betreuung, weshalb er durch eine gegen seinen Willen erfolgte Betreuung durch den anderen Elternteil in der Regel nicht geldunterhaltspflichtig werde, außer es bestehe ein gerechtfertigter Grund für den Aufenthalt des Kindes beim anderen Elternteil wie zB während des Obsorgestreites. Im vorliegenden Fall sei die Rechtfertigung im Zusammenhang mit dem Obsorgestreit zu sehen, weshalb die Unterhaltsverpflichtung der Mutter mit dem Zeitpunkt des tatsächlichen Umzuges gegeben sei.

Über Antrag der Mutter änderte das Rekursgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit des ordentlichen Revisionsrekurses dahin ab, dass dieser für zulässig erklärt wurde. Es begründete diese Entscheidung damit, es bedürfe einer Klärung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00, zu berücksichtigen sei. Gegen die Unterhaltsfestsetzung durch das Rekursgericht richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die Unterhaltspflicht für Ulrich im Zeitraum 3. 9. 2000 bis 31. 12. 2000 auf monatlich EUR 247 und ab 1. 1. 2001 auf monatlich EUR 290 zu reduzieren; hinsichtlich Johanna wird beantragt, die Entscheidung aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen; hilfsweise wird Herabsetzung beantragt. Die Pflegebefohlenen haben dazu Stellungnahme erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Mutter nicht Folge zu geben. Der Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Die Mutter macht in ihrem Rechtsmittel geltend, im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001 sei bei der Unterhaltsbemessung eine entsprechende steuerliche Entlastung herbeizuführen. Dies wäre amtswegig zu berücksichtigen gewesen. Weiters habe für Ulrich kein gerechtfertigter Grund bestanden, aus ihrem Haushalt auszuziehen, er habe durch seinen unberechtigten Auszug den Unterhaltsanspruch verwirkt, weshalb sie nicht geldunterhaltspflichtig geworden sei. Der Antrag auf Übertragung der Obsorge sei deshalb vom Vater gestellt worden, weil sich Ulrich nicht an ihre erzieherischen und pädagogisch notwendigen Maßnahmen halten habe wollen.

Das Rekursgericht habe auch die Selbsterhaltungsfähigkeit der Johanna unrichtig beurteilt. Diese sei auch dann anzunehmen, wenn es ein Kind unterlasse, zielstrebig einer Ausbildung nachzugehen und auch bereits mehrmals eine Schulausbildung abgebrochen habe.

Schließlich erbringe der Vater für Johanna keine Betreuungsleistungen im Sinne des § 140 Abs 2 ABGB. Gelegentliche Besuche des getrennt lebenden Kindes beim Vater ersetzten nicht den Tatbestand des § 140 Abs 2 ABGB.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Mit der Frage, wie die Bemessung des Unterhaltes nach Aufhebung der im § 12a FLAG enthaltenen Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig (Erkenntnis vom 19. 6. 2002, G 7/02) zu erfolgen hat, hat sich der Oberste Gerichtshof nunmehr schon mehrere Male auseinandergesetzt (4 Ob 52/02d ua). Auf eine einfache Formel gebracht lässt sich diese Berechnung wie folgt darstellen:

Der (wie bisher nach der Prozentwertmethode berechnete) zu leistende

Geldunterhalt dividiert durch 2, mal verminderter Grenzsteuersatz des

Geldunterhaltspflichtigen (höchstens 40 %), minus

Unterhaltabsetzbetrag, ergibt jenen (Teil-)Betrag der

Transferleistungen, der auf die Geldunterhaltspflicht anzurechnen ist

(es macht dabei keinen Unterschied, wenn die Halbierung statt beim

Unterhalt erst beim abgesenkten Grenzsteuersatz vorgenommen, also

zunächst der [ganze] Geldunterhalt mit dem halben abgesenkten

Grenzsteuersatz [höchstens 20 %] multipliziert wird).

Der jeweilige Grenzsteuersatz ist jeweils um etwa 20 % abzusenken,

weil das Einkommen typischerweise auch steuerlich begünstigte oder

steuerfreie Einkünfte umfasst und auch die steuerliche Entlastung die Leistungsfähigkeit des Geldunterhaltspflichtigen erhöht. Bei einem Grenzsteuersatz von 50 % gelangt man damit zu einem Steuersatz von 40 %; bei einem Grenzsteuersatz von 41 % zu einem solchen von 33 % und bei einem Grenzsteuersatz von 31 % zu einem solchen von 25 % (4 Ob 52/02d).

Im vorliegenden Fall erzielte die Mutter ein monatliches Nettoeinkommen von 27.681 S, ihr Bruttoeinkommen ist nicht festgestellt. Von diesem aber (ohne 13. und 14. Gehalt; siehe Zorn, Kindesunterhalt und Verfassungsrecht, SWK 2001, 1289 [1294]) hängt aber ab, wie hoch der auf das Einkommen der Mutter angewandte Grenzsteuersatz ist. Da der Kindesunterhalt jeweils den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zuzuordnen ist (siehe Zorn, aaO, 1294), muss bei der Berechnung der notwendigen steuerlichen Entlastung darauf Bedacht genommen werden, ob der Unterhaltsbeitrag im Wesentlichen zur Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet, oder für einen Teilbetrag der nächst niedrigere Grenzsteuersatz maßgebend ist (4 Ob 46/02x). Im Interesse der Gleichbehandlung mehrerer Kinder ist der gesamte Unterhaltsabsetzbetrag pro Kind jeweils anteilig zu berücksichtigen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat auch im vorliegenden Fall die

Festsetzung des Unterhalts im Wege einer (teilweisen) Anrechnung der

Familienbeihilfe zu erfolgen. In welchem Ausmaße dies zu geschehen

hat, kann aber auf Grund der Feststellungen noch nicht abschließend

beurteilt werden, weil lediglich das monatliche Nettoeinkommen

festgestellt wurde. Nur in den Fällen, in denen schon auf Grund der

bekannten Höhe des Nettoeinkommens die Höhe des Grenzsteuersatzes des

Unterhaltspflichtigen und der Umstand, dass der Unterhaltsbeitrag zur

Gänze im höchsten Einkommensteil Deckung findet, evident ist, kann

eine ausdrückliche Feststellung betreffend die Tatsache des

anzuwendenden Grenzsteuersatzes entbehrlich sein; ansonsten ist es

dem Obersten Gerichtshof aber verwehrt, diesen Umstand zu erforschen

und dementsprechende Feststellungen zu treffen. Dies ist dem Erstgericht aufzutragen. Dieses wird das Verfahren durch Feststellung des Jahresbruttoeinkommens der Mutter ohne 13. und 14. Gehalt zu ergänzen haben, um die notwendige steuerliche Entlastung nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen berechnen zu können. Die auf diese Weise ermittelte Entlastung ist proportional jedem der Kinder zuzurechnen (3 Ob 141/02k).

Im Übrigen aber sind die Ausführungen im Revisionsrekurs der Mutter nicht zutreffend.

Entgegen ihrer Ansicht gibt es keine Verwirkung des

Unterhaltsanspruches des Kindes (Stabentheiner in Rummel2, ABGB, §

140 Rz 15 mwN). Der Auszug des Kindes aus dem elterlichen Haushalt

vernichtet daher seinen Unterhaltsanspruch grundsätzlich nicht

(Stabentheiner, aaO, Rz 15 zu § 140; RIS-Justiz RS0079242).

Jedenfalls kann, solange über die Zuteilung der Obsorge noch nicht entschieden ist, kein Elternteil unter Hinweis, das Kind befinde sich gegen seinen Willen beim anderen Elternteil, Unterhaltsleistungen verweigern (EFSlg 67.706).

Was die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit von Johanna betrifft, so ist nicht nur bei einem Hochschulstudium, sondern auch bei anderen beruflichen Ausbildungen zumindest ein einmaliger Wechsel zu tolerieren (EFSlg 89.512). Im vorliegenden Fall bestehen keine Bedenken, die Selbsterhaltungsfähigkeit von Johanna erst mit Aufnahme der Berufstätigkeit anzunehmen, sind doch ihre schulischen Probleme jedenfalls auch auf die aus dem vorliegenden Pflegschaftsakt ohne Zweifel ersichtliche problematische familiäre Situation zurückzuführen (vgl RIS-Justiz RS0047629).

Was nun die Frage der Betreuung von Johanna durch den Vater betrifft, so wohnt diese nach den Feststellungen des Erstgerichtes seit 10. 9. 2000 in einer eigenen Wohnung, wird aber vom Vater betreut. Nach ständiger Rechtsprechung hindert die teilweise Fremdunterbringung die Anwendung des § 140 Abs 2 Satz 1 ABGB nicht, soferne die betreuende Elternteil in den Restzeiten tatsächlich Betreuungsleistungen in seinem Haushalt erbringt (Stabentheiner, aaO, § 140 Rz 9 mwN). Im Hinblick auf den oben aufgezeigten Feststellungsmangel waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und wird das Erstgericht das Verfahren zu ergänzen haben.

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