OGH 5Ob243/02z

OGH5Ob243/02z3.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Manuela P*****, geboren 24. November 2001, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Eltern 1.) Martin P*****, 2.) Franica P*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Walter Brugger, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer gegen den Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgericht vom 2. August 2002, GZ 1 RM 23/02a-9, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben, die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die mj. Manuela P***** ist seit Dezember 2001 im Rahmen einer Maßnahme bei Pflegeeltern in *****, untergebracht. Eine Entscheidung über den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers, ihn mit der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung über die Minderjährige zu betrauen, weil die Eltern auf Grund körperlicher und psychischer Behinderung dazu nicht in der Lage seien, steht noch aus. Die Eltern üben derzeit in 14-tägigen Abständen im Besuchscafe O***** ihr Besuchsrecht aus (ON 23).

Die Pflegeeltern, die bisher das Kind von T***** nach W***** gebracht haben, um den Kontakt zu ermöglichen, streben eine Änderung der Art der Besuchsrechtsausübung an und zwar wollen sie, dass das Besuchsrecht in T***** im Besuchscafe *****, ausgeübt wird (ON 21). Nach Auskunft der MA 11 ist es bisher nicht gelungen, für die Eltern (der Vater ist erheblich gehbehindert) einen finanzierbaren Fahrtendienst zu organisieren, um die Besuchskontakte in T***** stattfinden zu lassen.

Die Eltern beantragten am 11. 5. 2002 die Festsetzung eines einstweiligen Besuchsrechtes zu ihrem Kind - bis zur endgültigen Entscheidung darüber, wem in Hinkunft das Recht auf Pflege und Erziehung zustehen solle, und zwar dergestalt, dass sie ihr Kind täglich unter Aufsicht sehen können.

Im Revisionsrekursverfahren wird das Begehren dahin eingeschränkt, dass den Eltern zumindest wöchentlich ein Besuchsrecht zu ihrem Kleinkind eingeräumt werden solle. Der Jugendwohlfahrtsträger hat sich dagegen ausgesprochen, weil ohnedies auf Grund der phyischen und psychischen Beeinträchtigungen der Eltern an eine Rückführung des Kindes in deren Pflege und Erziehung nicht gedacht sei. Tägliche Besuchskontakte entsprächen damit nicht dem Kindeswohl. Die Eltern hätten ohnedies die Möglichkeit, ihr Kind 14-tägig zu sehen. Die Antragsteller, die ihre mangelnde Erziehungsfähigkeit vehement bestreiten und unbedingt das Kind wieder in ihre Pflege und Erziehung übernehmen wollen, stehen auf dem Standpunkt, durch die Kindesabnahme sei ein glücklicher Familienverband zerrissen worden, die Entfernung von den Eltern diene nicht dem Wohl des Kindes.

Das Erstgericht ging von folgenden Feststellungen aus:

Die am 24. 11. 2001 geborene mj. Manuela P***** wurde am 21. 12. 2001 wegen drohender Gefährdung des Kindeswohles den Eltern abgenommen und zunächst bei einer passageren Pflegefamilie untergebracht. Gleichzeitig wurde der Mutter das Angebot gemacht, sie im Mutter-Kind-Heim gemeinsam mit ihrem Baby unterzubringen und dem Vater einen täglichen Kontakt einzuräumen. Dieses Angebot wurde von der Mutter nicht angenommen, weshalb die Maßnahme der Abnahme des Kindes gesetzt wurde. Mittlerweile wurde eine Pflegefamilie gefunden und das Kind am 28. 2. 2002 zur Pflegefamilie K***** in T***** gebracht. Es ist für die mj. Manuela wichtig, dass sie sich bei der neuen Pflegefamilie eingewöhnt und dort gut entwickelt. Vom Jugendwohlfahrtsträger wird den Eltern derzeit ein 14-tägiges Besuchsrecht zu ihrem Kind eingeräumt.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt wie folgt:

Gemäß §§ 148 und 178 ABGB haben Eltern das Recht auf einen persönlichen Verkehr mit ihrem Kind, wenn sie die Obsorge derzeit nicht ausüben. Dieses Recht auf persönlichen Verkehr ist allerdings gemäß § 178a den Bedürfnissen und Lebensverhältnissen des Kindes und der Pflegeeltern anzupassen. Es bedarf keiner näheren rechtlichen Erörterung, dass ein tägliches Besuchsrecht eine unzumutbare Beeinträchtigung sowohl des Kindeswohles, als auch der berechtigten Interessen der Pflegeeltern darstellt. Auch stehe nicht fest, ob angesichts des Pflegeortes eine tägliche Ausübung des Besuchsrechtes überhaupt sinnvoll bewerkstelligt werden könne. Der vom Jugendwohlfahrtsträger vorgeschlagene Besuch im vierzehn-Tage-Rythmus entspreche der herrschenden Rechtsprechung und auch dem Wohl des (damals) vier Monate alten Kindes.

Das Erstgericht wies daher den Antrag auf Festsetzung eines einstweiligen Besuchsrechtes in der Form, dass die Eltern ihr Kind jeden Tag unter Aufsicht sehen könnten und es lediglich die Nacht bei der Pflegefamilie verbringe, ab. Im Übrigen verwies das Erstgericht die Antragsteller auf das 14-tägige Besuchsrecht bei den Pflegeeltern K***** in T*****.

Einem dagegen erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz nicht Folge.

Unter Wiedergabe der Materialien zum KindRÄG 2001 führte das Rekursgericht aus, dass es entgegen der Ansicht der Antragsteller durch die Regelungen des KindRÄG 2001 nicht explizit zu einer deutlichen Ausweitung der Besuchsrechte nicht obsorgetragender Eltern gekommen sei. Den Materialien könne allerdings der Wille des Gesetzgebers entnommen werden, die Gerichte dazu zu veranlassen, Besuchsrechtsregelungen großzügiger als bisher zu gestalten. Vor diesem Hintergrund verliere die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frequenz von Besuchskontakten zwar nicht ihre Gültigkeit, sei aber jedenfalls einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Die Bedachtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche eines Kindes sei nunmehr in § 148 ABGB nF in das Gesetz aufgenommen worden. Gerade unter Bedachtnahme auf diese Bestimmung verbiete sich aber die Gewährung eines Besuchsrechtes in dem von den Antragstellern begehrten Ausmaß. Die (nunmehr) acht Monate alte Manuela befinde sich seit Dezember 2001 nicht mehr in Pflege und Erziehung ihrer Eltern. Ein tägliches, ganztägiges Besuchsrecht der Eltern würde einer Rückführung der Minderjährigen in den elterlichen Haushalt gleichkommen und damit der Entscheidung des Erstgerichtes über den Antrag des Amtes für Jugend und Familie auf Übernahme der Pflege und Erziehung und Genehmigung der vollen Entziehung vorgreifen. Das angestrebte Besuchsrecht sei auch so offenkundig nicht praktikabel, dass es weiterer Ausführungen nicht bedürfe.

Vor allem entspreche das angestrebte Besuchsrecht aber auch nicht dem Wohl des Kindes. Jedes Kind bedürfe eines persönlichen Bezugssystems, in dem es sich sicher und geborgen wisse. Das sei für das acht Monate alte Kleinkind derzeit und soweit absehbar auch noch auf längere Zeit die Pflegefamilie. Ein tägliches Besuchsrecht der Eltern würde eine unvertretbare Verunsicherung des Kindes nach sich ziehen. Auch aus § 145b ABGB sei die von den Antragstellern begehrte Frequenz der Besuchsrechtsausübung nicht zu rechtfertigen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in der entscheidenden Frage der Besuchsfrequenz einhellig sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Eltern mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne einer antragsgemäßen Entscheidung. Hilfsweise wird beantragt, den Antragstellern ein wöchentliches ganztägiges Besuchsrecht einzuräumen.

Die Revisionsrekurswerber werfen der zweitinstanzlichen Entscheidung vor, sich mit den Besonderheiten des Einzelfalles unter der lapidaren Aussage, das eingeräumte Besuchsrecht sei ausreichend, ein 14-tägiges Besuchsrecht entspreche der ständigen Judikatur, nicht ausreichend auseinandergesetzt zu haben. Wenn schon das angestrebte Besuchsrecht als überzogen angesehen werde, hätten die Vorinstanzen ein, wenn auch zeitlich weniger umfangreiches Besuchsrecht festsetzen müssen. Für den persönlichen Verkehr zwischen nicht obsorgeberechtigten Eltern und deren Kind müsse ein Zeitausmaß und eine Häufigkeit von Besuchen zur Verfügung stehen, die die Kontinuität einer guten innerlichen Beziehung gewährleisten und dem Kind die Möglichkeit ließen, vom nicht betreuenden Elternteil wirklich zu profitieren. Vor allem bei Kleinkindern seien die Abstände zwischen den einzelnen Besuchen mit zwei Wochen tendenziell zu lang. Vom Standpunkt der Kindesentwicklung aus, seien eher kurze und häufigere Besuchsrechte zu befürworten. Erst recht unter Berücksichtigung der KindRÄG 2001 sei ein Besuchsrecht dergestalt festzusetzen, dass eine Aufrechterhaltung des Kontaktes zwischen dem Kind und den leiblichen Eltern gewährleistet werde, ohne dass es zu einer Entfremdung komme. Die Grenze eines solchen Besuchsrechtes sei erst dort zu ziehen, wo es zu Störungen des persönlichen Bezugssystems des Kleinkindes komme. Die Antragsteller hätten aber ohnedies angeboten, das Kind unter Aufsicht der Pflegeeltern als geeignete Personen im Sinn des § 185c AußStrG zu besuchen.

Der Jugendwohlfahrtsträger hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, zum Revisionsrekurs Stellung zu beziehen, Gebrauch gemacht und beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

Nach den obigen Ausführungen steht fest, dass die mj. Manuela seit nunmehr nahezu einem Jahr aus dem Familienverband ihrer leiblichen Eltern wegen Erziehungsnotstandes entfernt wurde und seither bei einer Pflegefamilie untergebracht ist. Damit liegt die Voraussetzung des § 148 ABGB vor, wonach dann, wenn Eltern mit dem mj. Kind nicht im gemeinsamen Haushalt leben, sowohl das Kind als auch die Eltern das Recht haben, miteinander persönlich zu verkehren und, sofern ein Einvernehmen darüber nicht erzielt wird, das Gericht über Antrag die Ausübung dieses Rechtes unter Bedachtnahme auf die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes in einer dem Wohl des Kindes gemäßen Weise zu regeln hat.

Eine solche Regelung wurde bisher nicht getroffen. Ein Einvernehmen wurde ganz offensichtlich nicht erzielt. Es steht fest, dass den Eltern derzeit ein Besuchsrecht bloß "gewährt" wird, wobei nicht einmal die Form der Besuchsrechtsausübung ihren Interessen und jenen der Pflegeeltern entspricht. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung Pflegeeltern, wenn nichts anderes vertraglich vereinbart wurde, nicht ohne weiteres verpflichtet sind, den besuchsberechtigten leiblichen Eltern das Kind zur Ausübung des Besuchsrechtes zuzuführen (3 Ob 529/89 = EFSlg 59.652). Die Pflegeeltern haben sich zwar bisher bereit gefunden, das Kind zweimal monatlich nach W***** zu bringen, um den Eltern ein Besuchsrecht zu ermöglichen, haben jedoch diese Bereitschaft, wie aus dem Akteninhalt ersichtlich, für die Zukunft nicht aufrechterhalten. Die Antragsteller sind mit der bisherigen Übung nicht mehr einverstanden und begehren eine häufigere Frequenz eines Besuchsrechtes.

Bei diesem Sachverhalt durften die Vorinstanzen den Antrag auf Besuchsrechtsregelung - selbst wenn er inhaltlich überzogen war - nicht abweisen, sondern hätten eine sachgerechte Besuchsrechtsregelung zu treffen gehabt. Der Verweis auf eine tatsächliche - in dieser Form nicht weiter aufrechtzuerhaltende - bloße Übung des Besuchsrechtes ersetzt nicht das den Antragstellern aus § 148 ABGB zustehende Recht einer gerichtlichen Besuchsrechtsregelung. Schon dieser Umstand bewirkte die Zulässigkeit des außerordentlichen Rechtsmittels, weil mit der bekämpften Entscheidung die klare Anordnung des § 148 Abs 1 ABGB verlassen wurde.

Zur Frage des Besuchsrechtes nicht obsorgeberechtigter Eltern, deren Kleinkind bei einer Pflegefamilie untergebracht ist, wobei die endgültige Entscheidung über die Zuweisung von Pflege und Erziehung an den Jugendwohlfahrtsträger noch aussteht, liegt keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.

Voranzustellen ist, dass es nicht um die "Gewährung" von Besuchsrechten leiblicher Eltern geht, sondern nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung das Besuchsrecht von Eltern ein anerkanntes Menschenrecht ist (EFSlg 53.875; 68.627 u.a.). Zweck des Besuchsrechtes ist es, die auf Blutsverwandtschaft beruhende Bindung zwischen Eltern und Kindern aufrechtzuerhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und den nicht erziehungsberechtigten Eltern die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes laufend zu überzeugen. Dass dieses Recht am Wohl des Kindes zu orientieren ist, ergibt sich aus §§ 148, 178a ABGB. Auch der bereits oben angeführte Umstand, dass Pflegeeltern nicht ohne weiteres verpflichtet sind, den besuchsberechtigten leiblichen Eltern das Kind zur Ausübung ihres Besuchsrechtes zuzuführen, hat grundsätzlich keine ausschlaggebende Auswirkung auf die Frage der Häufigkeit der Besuchsrechtsausübung (vgl 3 Ob 529/89). Dass das Besuchsrecht nicht die Beziehungen der Pflegeeltern zu dem Kind stören darf, haben die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt (7 Ob 713/87).

Zutreffend heben die Revisionsrekurswerber noch hervor, dass im Allgemeinen bei Kleinkindern häufigere, jedoch kürzere Kontakte zu bevorzugen sind, weil einerseits schon oftmals Abstände von zwei Wochen zwischen den Besuchen zu einer Entfremdung führen (Schwimann2 Rz 14 zu § 148 ABGB; EFSlg 40.767), welchem Umstand besondere Bedeutung zuerkannt werden muss, wenn beide leibliche Eltern das Kind nicht in Pflege und Erziehung haben. Im fortgesetzten Verfahren wird unter Einbeziehung der Stellungnahme der MAG 11 vom 21. 11. 2002 daher zu prüfen sein, welche Art und Frequenz eines Besuchsrechts der Eltern zu ihrem Kleinkind sinnvoll und allen Beteiligten auch zumutbar ist. In dieser Frage kommt dem Standpunkt der Pflegeeltern ohne deren Mitwirkung eine Besuchsrechtsregelung undenkbar ist (vgl 7 Ob 134/02k) entscheidende Bedeutung zu. Ein tägliches Besuchsrecht haben die Vorinstanzen allerdings aus völlig zutreffend dargelegten Gründen abgelehnt. Sollte sich in der abzuführenden Regelungsstreitigkeit ergeben, dass das derzeit geübte Besuchsrecht den gesetzlichen Anforderungen entspricht, wird dieses in einem Beschluss festzuschreiben sein.

Der Einwand der Antragsteller, das KindRÄG 2001 gebiete in Anbetracht der Behinderung beider Elternteile eine andere Betrachtungsweise, ist hingegen nicht angebracht. Es ist zwar richtig, dass es dem Gesetzgeber darum gegangen ist, das Besuchsrecht als Recht des Kindes zu verankern, doch machen die Antragsteller hier nicht Rechte des Kindes, sondern ausschließlich eigene Recht geltend (vgl 7 Ob 134/02k).

Das Erstgericht wird daher - unbeschadet des Umstandes, dass bisher nicht über die anstehenden Fragen der Pflege und Erziehung des Kindes entschieden wurde - eine Besuchsrechtsregelung nach § 148 ABGB zu treffen haben, die den aufgezeigten Umständen Rechnung trägt. Es war daher spruchgemäß mit einer Aufhebung vorzugehen.

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