Spruch:
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, an Kosten des Revisionsverfahrens
a) den klagenden Parteien EUR 2.755,88 (darin EUR 459,31 Umsatzsteuer),
b) der auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin Mag. Andrea E***** EUR 2.090,69 (darin EUR 348,45 Umsatzsteuer) und
c) dem auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenienten Dr. Alfons A***** EUR 2.185,70 (darin EUR 364,28 Umsatzsteuer)
binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger waren beim Betreiber einer großen Tabaktrafik (ca. 2000 Kunden täglich) beschäftigt. Dieser Betreiber führte die Trafik seit 1986 auf Grund eines mit der Rechtsvorgängerin der Monopolverwaltungsgesellschaft mbH (MVG) geschlossenen Bestellungsvertrages, nach dessen Beendigung durch die MVG ein "vorläufiger Bestellungsvertrag" mit dem bisherigen Betreiber (vertreten durch einen Sachwalter) bis zur endgültigen Bestellung eines Bewerbers, längstens jedoch für zwei Jahre, abgeschlossen wurde.
Die Trafik wurde in der Folge von der Beklagten übernommen, deren Gatte am 30. 11. 1998 mit dem Eigentümer der Räumlichkeiten einen Bestandvertrag abschloss, der mit der Räumung des Lokals durch den bisherigen Betreiber am Folgetag wirksam werden sollte. Die Beklagte plante, die Trafik am 7. 12. 1998 "aufzusperren". Dazu kam es aber nicht, weil die Beklagte mit der Betriebsübergangsproblematik und mit der damit verbundenen Möglichkeit, Personal übernehmen zu müssen, konfrontiert wurde. Sie war nicht bereit, die Trafik samt den Beschäftigten zu übernehmen. Der Geschäftsführer der MVG erklärte ihr aber, man könne einen "Betriebsübergang" durch Verweigerung der Übernahme von Waren des Vorgängers und dadurch verhindern, dass man zwischen der Beendigung des alten Bestellungsvertrages und der Bestellung des Nachfolgers eine gewisse Zeit verstreichen lasse. Die Beklagte nahm daher von ihrer ursprünglichen Absicht Abstand, auch Waren des bisherigen Betreibers - und zwar die sogenannten "Nebenartikel" - nach Maßgabe ihrer finanziellen Möglichkeiten unter Zwischenschaltung des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes zu übernehmen. Zudem unterfertigte sie den "vorläufigen Bestellungsvertrag" erst am 16. 12. 1998 und "eröffnete" die Trafik - mit unveränderter Einrichtung, in den bisherigen Räumlichkeiten und mit (im Wesentlichen) unverändertem Angebot - am 2. 1. 1999. Am Kundenstock hat sich ebenfalls nichts Wesentliches geändert. Zwischen den Parteien ist nur mehr strittig, ob der wiedergegebene Sachverhalt als Betriebsübergang iS des § 3 AVRAG zu qualifizieren ist und daher die Arbeitsverhältnisse der Kläger auf den neuen Betreiber der Trafik übergegangen sind.
Das Berufungsgericht hat diese Frage bejaht. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der umfangreichen Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen.
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:
In der in der Revision der Beklagten zitierten Entscheidung 8 ObA 7/01i hat der Oberste Gerichtshof die für die Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs iSd § 3 AVRAG maßgebende Rechtslage unter Hinweis auf eigene Vorentscheidungen und die einschlägige Vorjudikatur des EuGH (siehe die in der Entscheidung zitierten Nachweise) wie folgt zusammengefasst:
"§ 3 AVRAG ordnet an, dass ua dann, wenn ein Betrieb auf einen anderen Inhaber übergeht, dieser als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Diese Bestimmung ist im Sinne einer richtlinienkonformen Interpretation unter Berücksichtigung der Entscheidungen des EuGH zur Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. 2. 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auszulegen. Dabei wird im Rahmen der Interpretation auch bereits auf die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. 6. 1998, womit die Richtlinie 77/187/EWG geändert wurde, Bedacht genommen.
Nach Art 1 Abs 1 der Richtlinie 77/187 ist diese auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar. Nach Art 2 lit b dieser Richtlinie ist "Erwerber" jede natürliche oder juristische Person, die auf Grund eines Überganges im Sinne des Art 1 Abs 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil eintritt. Entsprechend Art 3 Abs 1 Unterabs 1 der Richtlinie 77/187 gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Dazu sieht Art 4 der Richtlinie vor, dass der Übergang keinen Grund für eine Kündigung darstellen darf.
Die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. 6. 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG (ABl. L 201, 88), deren Umsetzungsfrist am 17. 7. 2001 abgelaufen ist, hat den Art 1 Abs 1 der Richtlinie durch folgenden Text ersetzt:
"a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne der Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht ...."
Zweck der Richtlinie 77/187/EWG ist es, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel zu gewährleisten, indem sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu den gleichen Bedingungen, wie mit den früheren Inhabern fortzusetzen. Für das Vorliegen eines Überganges im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG , die als Rechtsfolge dann den Übergang der Arbeitsverhältnisse vorsieht, ist die Wahrung der Identität der Einheit entscheidend. Nicht entscheidend ist, ob eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber besteht, wenngleich diese als Indiz für den Übergang im Sinne der Richtlinie angesehen wird. Letztlich maßgeblich ist aber nur, ob die für den Betrieb verantwortliche Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen von vertraglichen Beziehungen, allenfalls auch unter Einschaltung von Dritten, wechselt. Dies kann in mehreren Schritten etwa im Verhältnis zwischen Verpächter und Altpächter sowie Neupächter oder auch im Zuge von Auftragsneuvergaben erfolgen, wenn nur diese Einheit bestehen bleibt.
Im ersten Schritt ist also vorweg zu prüfen, ob eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit, deren Tätigkeit nicht nur auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist, also ein Betriebsteil, betroffen ist. Dabei muss es sich um eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung handeln. Im zweiten Schritt ist dann die Frage zu entscheiden, ob diese wirtschaftliche Einheit auf den neuen Betreiber übergegangen ist. Die Beurteilung dieser Frage hat unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien zu erfolgen, und zwar
- 1) der Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes,
- 2) des Übergangs der materiellen Betriebsmittel, wie etwa der Gebäude und beweglichen Güter, sowie der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Überganges
3) des Übergang von wesentlichen Teilen der Belegschaft auf den neuen Inhaber
- 4) des etwaigen Übergangs von Kunden und Kundenbeziehungen
- 5) des Grades der Ähnlichkeit der vor und nach Übergang verrichteten Tätigkeiten und
6) der Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Entscheidung über das Vorliegen eines Überganges hat dann unter gemeinsamer Bewertung all dieser Teilaspekte zu erfolgen. Dem ersten Kriterium kommt deshalb erhebliches Gewicht zu, weil sich daraus ergibt, welche Bedeutung dem Übergang der materiellen und immateriellen Betriebsmittel sowie der Belegschaft jeweils zuzumessen ist. So sind bei bestimmten Arten von Betrieben, etwa im Reinigungsgewerbe, typischerweise nur die Belegschaft und deren Organisation wesentlich, nicht aber die materiellen Betriebsmittel" (8 ObA 7/01i mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des OGH und des EuGH).
Dass es sich bei der hier zu beurteilenden Trafik um eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen handelt, kann nicht zweifelhaft sein. Dem Berufungsgericht ist aber auch dahin beizupflichten, dass diese wirtschaftliche Einheit auf den neuen Inhaber übergegangen ist.
Die Revisionswerber halten diesem Ergebnis primär entgegen, dass der neue Inhaber der Trafik kein Personal übernommen habe. Dazu verweist die Beklagte in ihrer Revision auf den Umstand, dass der Oberste Gerichtshof mit der oben wiedergegebenen Entscheidung 8 ObA 7/01i gerade auch die Frage, ob der Verweigerung der Übernahme des gesamten Personals bei der Beurteilung des Vorliegens eines Betriebsübergangs entscheidende Bedeutung zukommt, dem EuGH gemäß Art 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt habe. Über dieses Vorabentscheidungsersuchen sei noch nicht entschieden. Damit verkennt die Revisionswerberin allerdings, dass der dem zitierten Ersuchen zugrunde liegende Sachverhalt mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar ist. Die zitierte Entscheidung betraf eine Betriebskantine, deren Produkte im Wesentlichen nur von einem Auftraggeber abgenommen wurden und damit einen Fall, in dem es im Wesentlichen um die Neuvergabe eines Auftrages handelte. In dieser Konstellation kommt dem im Betrieb tätigen Personal eine ganz entscheidende Bedeutung zu, zumal sowohl die Zufriedenheit mit der Zubereitung der Speisen als auch mit deren Verabreichung ganz entscheidend vom dafür eingesetzten Personal abhängt. Davon kann im hier zu beurteilenden Fall keine Rede sein. Die MVG selbst verweist in ihrer Revision darauf - wenn auch in anderem Zusammenhang - dass gerade in einer Trafik die Erwerbsmöglichkeit in erster Linie vom Standort und vom damit vorgegebenen Kundenstock abhängt, während die Leistung und das Zusammenwirken von Trafikant und Belegschaft nur eine geringere Bedeutung hat, zumal die persönliche Beratung und Betreuung bei einer Trafik nur eine untergeordnete Rolle spielt. Damit bringt es aber die Art des hier zu beurteilenden Betriebs mit sich, dass bei der Abwägung der für die Annahme eines Betriebsübergangs maßgeblichen Kriterien die Übernahme der Belegschaft in ihrer Bedeutung in den Hintergrund tritt und auch ohne eine solche Übernahme ein Betriebsübergang zu bejahen ist, sofern die anderen aufgezählten Kriterien stark ausgeprägt sind und daher insgesamt davon auszugehen ist, dass im Wesentlichen die bisherige wirtschaftliche Einheit fortgeführt wird (vgl dazu etwa die Entscheidung DRdA 1999,149, in der unter Hinweis auf die dort zitierte Rechtsprechung des EuGH gezeigt wird, dass die oben wiedergegebenen Tatbestandsmerkmale im Rahmen eines beweglichen Systems angewendet werden, sodass das Fehlen eines Merkmales durch die starke Ausprägung anderer aufgewogen werden kann). Dass die anderen Tatbestandsmerkmale für einen Betriebsübergang in starker Ausprägung vorliegen, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt: Es hat zu Recht darauf verwiesen, dass in den unveränderten Räumlichkeiten bei im Wesentlichen unveränderter Einrichtung mit im Wesentlichen unverändertem und von den bisherigen Lieferanten bezogenen Angebot an den bisherigen Kundenstock verkauft wird. Dass der Kundenstock im Wesentlichen mit dem von der MVG vergebenen Standort verbunden ist und Räumlichkeiten sowie Einrichtung nicht vom bisherigen Betreiber, sondern (wie bisher) von einem Dritten beigestellt wurden, ist nicht entscheidend, weil es - wie oben dargelegt - lediglich darauf ankommt, ob im Ergebnis nur der Inhaber der im Wesentlichen unverändert bleibenden wirtschaftlichen Einheit wechselte. Auch darauf, ob der Übergang unter Einbeziehung Dritter erfolgt bzw. ob vertragliche Beziehungen zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber bestehen, kommt es - wie schon oben dargestellt - nicht an. Ebenso wenig schließt eine kurzfristige Schließung des Betriebes, dessen Fortführung immer beabsichtigt war, die Annahme eines Betriebsübergangs aus (DRdA 1999, 149). Auf die umfangreichen Ausführungen der MVG zu Wesen, Zweck und Ausgestaltung des Tabakmonopols braucht nicht näher eingegangen zu werden, weil daraus nicht abgeleitet werden kann, dass die zitierten nationalen und europarechtlichen Normen auf Trafiken keine oder nur abgeschwächte Anwendung zu finden hätten. Es ist auch in keiner Weise erkennbar, wieso die Anwendung der Bestimmungen über den Betriebsübergang der MVG die Erfüllung ihrer Aufgaben erschweren oder gar unmöglich machen sollen. Betreiber einer Trafik im Hinblick auf die Wahrung von Arbeitnehmerrechten anderes zu behandeln als andere Betriebsinhaber ist mangels einer rechtfertigenden Rechtsgrundlage nicht möglich und auch gar nicht angebracht. Auch dazu kann auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Dass - wie die Revisionswerber unterstellen - das Berufungsgericht im Rahmen einer hypothetischen Betrachtung unter Hinweis auf die Umgehungsabsicht der Beklagten die Übernahme von Personal und Waren gleichsam als gegeben unterstellt habe, trifft in dieser Form nicht zu. Vielmehr hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass unter den gegebenen Umständen der Nichtübernahme von Personal und Waren nur untergeordnete Bedeutung zu kommt. Gegen diese Auffassung bestehen keine Bedenken.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründen sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Kostenersatzpflicht trifft die beklagte Partei; der Nebenintervenient kann in der Hauptsache nicht Kostenschuldner sein (SZ 63/116). Bei der Berechnung der den Klägern und den auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten zustehenden Streitgenossenzuschläge war zu berücksichtigen, dass ein solcher Zuschlag nur zusteht, wenn der betroffene Rechtsanwalt mehrere Personen vertritt oder ihm mehrere Personen gegenüberstehen. Daher stehen den Klägern nur ein Streitgenossenzuschlag von 45 % zu, dem Nebenintervenienten Dr. A***** nur ein solcher von 15 %.
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