OGH 3Ob236/02f

OGH3Ob236/02f23.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Mag. Edmund L*****, vertreten durch Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in Linz, wider die verpflichtete Partei Friedrich H*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, wegen Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft (§ 352 EO), infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 18. Juli 2002, GZ 15 R 123/02t-24, womit der Rekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 17. Mai 2002, GZ 22 E 4563/01d-20, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Gegenstand des Verfahrens ist die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft (§ 352 EO).

Das Erstgericht gab mit Beschluss vom 13. Februar 2002 (ON 13) gemäß § 352 iVm § 144 EO idF EO-Nov 2000 den vom Sachverständigen ermittelten Schätzwert der zu versteigernden Liegenschaft a) unter der Annahme des aufrechten Bestandes des Mietverhältnisses laut Mietvertrag des Verpflichteten vom 1. Februar 1965 mit 369.900 EUR, b) ohne Berücksichtigung dieses Mietverhältnisses mit 375.400 EUR bekannt. Zur Geltendmachung von Einwendungen räumte das Erstgericht eine Frist von 14 Tagen ein (§ 144 zweiter Satz EO). Das Erstgericht kündigte an, da die Schätzwerte kaum voneinander abwichen, werde (sofern nicht Einwendungen dagegen erhoben werden) der Versteigerung der Mittelwert der beiden Schätzwerte, somit ein Betrag von 372.650 EUR zugrunde gelegt werden.

Dagegen erhob der Betreibende Einwendungen (ON 14). Ein Mietverhältnis mit dem Verpflichteten bestehe nicht; er benütze Räume nur prekaristisch. Der Mietvertrag, auf den er sich berufe, sei längst aufgelöst. Die Versteigerung könne daher nur mit 375.400 EUR erfolgen. Im Übrigen müsse die Versteigerung einem Ersteigerer Klarheit geben, ob ein Mietverhältnis bestehe. Ein Mietverhältnis würde die Verwertungsmöglichkeit der Liegenschaft (Renovierung, Neubau usw) erheblich einschränken und potentielle Erwerber abschrecken.

Der Verpflichtete gab hiezu die Stellungnahme (ON 16) ab, er sei mit der Festlegung eines Schätzwertes bzw Ausrufungspreises von 375.400 EUR unter der Voraussetzung einverstanden, dass das mit ihm bestehende Mietverhältnis aufrecht bleibe.

Das Erstgericht sprach mit dem angefochtenen Beschluss aus, dass 1. der Versteigerung ein Schätzwert von 375.400 EUR zugrunde gelegt werde und 2. eine Feststellung, ob mit dem Verpflichteten ein Mietverhältnis besteht, in diesem Versteigerungsverfahren nicht erfolge.

Zur Begründung führte das Erstgericht aus, immer dann, wenn Tatsachen strittig sind, verweise die EO auf den streitigen Rechtsweg. Dazu komme noch, dass eine allfällige Entscheidung in diesem Exekutionsverfahren über die Frage, ob der Verpflichtete Mieter eines Teils der zu versteigernden Liegenschaft ist, keine Bindungswirkung entfalten könnte, die über eine allfällige Bindung der betreibenden und der verpflichteten Partei hinaus wirken würde. Einen am Versteigerungsverfahren nicht beteiligten Dritten, der die Liegenschaft erwerbe, könnte ein Beschluss, in dem das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mietverhältnisses festgestellt sei, nicht binden. Vielmehr hätte sich in einem solchen Fall der Verpflichtete gegen eine vom Ersteher beantragte Räumung der Liegenschaft mit Exszindierungsklage zur Wehr zu setzen, wobei dann wiederum in einem streitigen Verfahren mit den Mitteln der ZPO zu klären wäre, ob der Verpflichtete tatsächlich Mieter ist. Umgekehrt könnte man auch dem Verpflichteten nicht verwehren, für den Fall, dass das Gericht im Exekutionsverfahren zur Ansicht gelangen würde, er sei nicht Mieter, gegen den Ersteher doch seine behaupteten Mietrechte im Klagsweg durchzusetzen. Eine "Entscheidung" im Exekutionsverfahren, ob ein Mietverhältnis mit dem Verpflichteten besteht, hätte ohnehin nur "vorläufigen" Charakter ohne jede Bindung dritter Interessenten, sodass die Entscheidung auch aus diesem Grund von vornherein nicht zu treffen sei.

Dass dennoch der höhere Schätzwert herangezogen werde, gründe sich auf die diesbezügliche Zustimmung des Verpflichteten.

Das Rekursgericht wies den Rekurs des Betreibenden gegen diesen Beschluss zurück und sprach aus, der Entscheidungsgegenstand übersteige den Betrag von 20.000 EUR, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Auslegung der §§ 144 f EO idF EO-Nov 2000 noch keine Rsp des Obersten Gerichtshofs vorliege.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, auf dieses Verfahren seien die Bestimmungen der EO idF EO-Nov 2000 anzuwenden, weil der Exekutionsantrag nach dem 31. Dezember 2000 bei Gericht eingelangt sei.

In § 352 EO werde grundsätzlich auf die Bestimmungen der EO zur Liegenschaftsversteigerung verwiesen, das Verfahren anlässlich der Bekanntgabe des Schätzwerts und dagegen erhobene Einwendungen richte sich daher nach den §§ 144 f EO. Die Bekanntgabe des Schätzwerts gemäß § 144 EO löse gemäß § 146 Abs 2 EO die Frist, bestimmte Änderungen der gesetzlichen Versteigerungsbedingungen zu beantragen, aus; die Parteien hätten die Möglichkeit, gegen den ihnen bekannt gegebenen Schätzwert Einwendungen zu erheben. Selbst wenn nun solche Einwendungen erhoben würden, sei aber die beschlussmäßige Festsetzung des Schätzwertes nicht vorgesehen; es sei über die Einwendungen auch dann nicht beschlussmäßig zu entscheiden, wenn sie der Richter als unzulässig oder unberechtigt ansehe. Dies gelte auch dann, wenn für den Schätzwert strittige Umstände, wie etwa das Bestehen von Bestandverträgen, maßgebend seien. Die Betroffenen hätten mangels einer anfechtbaren Entscheidung keine Möglichkeit, sich mit einem Rechtsmittel gegen die entsprechende Annahme des Exekutionsgerichts zur Wehr zu setzen; es sei Sache der Bietinteressenten, die wahre Sach- und Rechtslage abzuschätzen.

Das Erstgericht habe nun einen Beschluss gefasst, der vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Sei die tatsächlich gewählte Entscheidungsform anfechtbar, dagegen die vom Gesetz vorgesehene Entscheidungsform unanfechtbar, dann sei das Rechtsmittel unstatthaft, weil der Irrtum des Gerichts keinen durch das Gesetz nicht gedeckten Instanzenzug eröffnen könne. Die Zulässigkeit einer Anfechtung richte sich allein nach der vom Gesetz vorgeschriebenen Entscheidungsform. Das Vergreifen in der Entscheidungsform beeinflusse daher weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels. Da das Gesetz weder den vom Erstgericht gefassten Beschluss noch ein Rechtsmittel dagegen vorsehe, sei der Rekurs als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der Antrag auf Versteigerung der gemeinschaftlichen Liegenschaft (§ 352 EO) wurde am 20. Juli 2001 eingebracht. Auf dieses Exekutionsverfahren sind daher gemäß Art III Abs 1 der EO-Nov 2000 die Vorschriften der EO idF EO-Nov 2000 anzuwenden.

Gemäß § 352 EO sind auf die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft grundsätzlich - abgesehen von hier nicht in Frage kommenden Abweichungen - die Bestimmungen über die Zwangsversteigerung von Liegenschaften anzuwenden.

Gemäß § 144 EO ist dem Verpflichteten, dem betreibenden Gläubiger sowie allen Personen, für die nach dem Inhalt der dem Gericht darüber vorliegenden Urkunden auf der Liegenschaft dingliche Rechte und Lasten begründet sind, der Schätzwert bekanntzugeben. Sie sind gleichzeitig aufzufordern, ihre Einwendungen binnen einer festzusetzenden Frist geltend zu machen.

Nach den Gesetzesmaterialien zu § 144 EO idF EO-Nov 2000 (RV, 93 Blg NR 21. GP) wird zur Beschleunigung des Verfahrens vorgesehen, dass - wie im Fahrnisexekutionsverfahrens - der Schätzwert nicht mehr beschlussmäßig festgesetzt wird; er ist nach allfälliger Ergänzung, Richtigstellung und Verbesserung (vgl § 145) dem Zwangsversteigerungsverfahren zugrunde zu legen. Nach wie vor ist dem Verpflichteten, dem betreibenden Gläubiger sowie den dinglich Berechtigten der Schätzwert bekannt zu geben. Diese können binnen der zu setzenden Frist Einwendungen gegen das Gutachten erheben, auf Grund derer allenfalls nach § 145 EO vorzugehen ist.

Diese Bekanntgabe des Schätzwertes erfolgt zwar gemäß § 62 letzter Halbsatz EO in Form eines Beschlusses (so zutreffend Angst in Angst, EO, § 144 Rz 1), die Parteien des Exekutionsverfahrens und die in § 144 EO genannten Buchberechtigten haben jedoch kein Rekursrecht, sondern nur die Möglichkeit, gegen den ihnen bekannt gegebenen Schätzwert Einwendungen zu erheben (Angst aaO § 144 Rz 2; Neumayr in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 144 Rz 2 f).

Gemäß § 145 EO hat das Exekutionsgericht spätestens nach Ablauf der Frist zur Erstattung von Einwendungen gegen den Schätzwert alle nötigen Ergänzungen, Richtigstellungen und Verbesserungen des Schätzungsgutachtens von Amts wegen zu erlassen. Selbst wenn also Einwendungen gemäß § 144 EO erhoben wurden, ist die beschlussmäßige Festsetzung des Schätzwertes nicht vorgesehen; es ist über die Einwendungen auch dann nicht beschlussmäßig zu entscheiden, wenn sie der Richter als unzulässig oder unberechtigt ansieht. Dies ergibt sich daraus, dass das Gesetz solche Beschlüsse nicht erwähnt und dass dies offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers entspricht, weil sonst die von ihm angestrebte Beschleunigung des Verfahrens gefährdet wäre. Hält der Richter Einwendungen für unzulässig oder unberechtigt, hat er daher hierüber nicht zu entscheiden. Aber auch wenn der Richter Einwendungen als berechtigt ansieht, führt dies nicht zur Erlassung eines Beschlusses, sondern erforderlichenfalls zur Einvernahme des Sachverständigen; dem Verfahren ist dann ohne weiteres der letzte vom Sachverständigen allenfalls nach Ergänzung, Richtigstellung oder Verbesserung seines Gutachtens ermittelte Schätzwert zugrunde zu legen (Angst aaO § 145 Rz 1). Dies gilt auch, wenn für den Schätzwert strittige Umstände, wie (im vorliegenden Fall) das Bestehen von Bestandverträgen, maßgebend sind. Die Betroffenen haben daher mangels einer anfechtbaren Entscheidung keine Möglichkeit, sich mit einem Rechtsmittel gegen die entsprechende Annahme des Exekutionsgerichts zur Wehr zu setzen; es ist Sache der Bietinteressenten, die wahre Sach- und Rechtslage abzuschätzen. Diese Verminderung des Rechtsschutzes gegenüber der Rechtslage vor der EO-Nov 2000 hat der Gesetzgeber im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens und der darauf gegründeten Beseitigung des Beschlusses über die Festsetzung des Schätzwerts ganz offensichtlich in Kauf genommen (Angst aaO § 145 Rz 2). Die Sachverständigenhaftung nach § 1299 ABGB soll für den Entfall der Rekursmöglichkeit Ersatz bieten (vgl Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht3 Rz 275 f).

Mini (Die neue Zwangsversteigerung von Liegenschaften 80 ff [2000]), übt an dieser Regelung Kritik und meint, dass eine Richtigstellung des Schätzwerts dem Inhalt nach ein Beschluss sei. Dieser Ansicht kann, was die in § 145 EO geregelte Ergänzung der Schätzung betrifft, nicht gefolgt werden. In diesem Fall ist gerade keine Beschlussfassung im Gesetz vorgesehen; der vom Gericht als richtig angesehen Schätzwert ist vielmehr dem Verfahren nur einfach zugrunde zu legen.

Das Rekursgericht hat diese nun geltende Rechtslage in zutreffender rechtlicher Beurteilung erkannt. Da das Vergreifen in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels beeinflusst (RIS-Justiz RS0036324), ist das Rekursgericht zutreffend davon ausgegangen, dass tatsächlich keine anfechtbare Entscheidung erster Instanz vorliegt, weshalb es den Rekurs der betreibenden Partei zurückgewiesen hat.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der betreibenden Partei muss somit erfolglos bleiben.

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