OGH 3Ob153/02z

OGH3Ob153/02z23.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei K***** GmbH, ***** Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Mondl & Partner OEG, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei I***** GmbH, ***** vertreten durch Binder Grösswang OEG, Rechtsanwälte in Wien, wegen Herausgabe, in eventu Unterlassung (Streitwert: 188.855,37 EUR), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Februar 2002, GZ 2 R 19/02g-9, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 3. Dezember 2001, GZ 13 Cg 162/01b-4, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Text

Begründung

Zur Sicherung ihres ursprünglichen Klagebegehrens auf Unterlassung, Geld aufgrund der Bankbürgschaft einer deutschen Bank mit einer bestimmten Nummer vom 9. Juni 2000 entgegenzunehmen bzw darüber zu verfügen, begehrte die klagende Partei die Erlassung einer einstweiligen Verfügung (EV), womit der beklagten Partei verboten werde, die Garantiesumme der Bankbürgschaft entgegenzunehmen und/oder darüber zu verfügen, und der Bank bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zu verbieten, Zahlungen aufgrund der genannten Garantie an die beklagte Partei zu leisten. Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag mit Beschluss vom 30. November 2001 mit der wesentlichen Begründung ab, die klagende Partei habe weder eine konkrete Gefahr der Vereitelung oder Erschwerung der Verfolgung ihrer Ansprüche noch einen konkreten unwiederbringlichen Schaden behauptet; weiters habe sie eine evidente missbräuchliche Inanspruchnahme der Bankgarantie nicht bescheinigt. Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2001 (offenbar noch am selben Tag beim Erstgericht eingebracht) "modifizierte" die klagende Partei ihr Urteilsbegehren dahin, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, dieselbe Bankbürgschaft herauszugeben, während das ursprüngliche Klagebegehren nur hilfsweise gestellt werde. Zugleich beantragte die klagende Partei erneut eine mit der abgewiesenen inhaltsgleiche EV und brachte dazu vor, es seien nunmehr neue Tatsachen hervorgetreten, welche die Abweisungsgründe fortfallen ließen. Zum einen seien bei einem sehr teuren Anlagenbau der beklagten Partei erhebliche Probleme aufgetreten. Zum anderen weise das Exekutionsregister bereits eine Exekution gegen die größte Gesellschafter-GmbH der beklagten Partei und zwei Exekutionen gegen die Alleingesellschafter GmbH dieser Gesellschaft aus. Offenbar stehe die gesamte Gruppe zumindest am Beginn von Zahlungsschwierigkeiten. Überdies habe die klagende Partei neben der Anzahlungsgarantie eine (nicht verfahrensgegenständliche) separate Gewährleistungsgarantie vom 4. Mai 2001 beizubringen gehabt. Daraus ergebe sich unzweifelhaft, dass der Abruf einer Anzahlungsgarantie aufgrund von Qualitätsmängeln rechtsmissbräuchlich erfolgt sei.

Mit Beschluss vom 3. Dezember 2001 ON 4 erließ das Erstgericht die beantragte EV. Es sah als bescheinigt an, dass die Bankgarantie nur der Besicherung der Anzahlung diene, weshalb ihre Abrufung für Gewährleistungsansprüche rechtsmissbräuchlich sei. Dass bei Abweisung des im Spruch ersichtlichen Antrags die Durchsetzung des (modifizierten) Urteilsbegehrens - falls es letztlich als zu Recht bestehend erkannt werde - vereitelt würde, bedürfe keiner weiteren Begründung.

Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Rekursgericht den angefochtenen Beschluss auf und wies den Sicherungsantrag zurück. Es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Zur Begründung führte die zweite Instanz aus, die beklagte Partei verweise zutreffend darauf, dass der 2. Sicherungsantrag infolge der rechtskräftigen Entscheidung über das mit der Klage verbundene Sicherungsbegehren zurückzuweisen sei. Nach der jüngeren höchstgerichtlichen Rsp sei unzweideutig auch im Provisorialverfahren das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache zu beachten. Nur nachträgliche Änderungen im Sachverhalt ermöglichten eine neue Antragstellung. Bei abweisenden Entscheidungen bestimme sich der Umfang der materiellen Rechtskraft durch den Abweisungsgrund. Da sich die im neuerlichen Antrag angeführten Exekutionsführungen gegen Gesellschafter- und Untergesellschaftergesellschaften der beklagten Partei nach den Behauptungen weder zeitlich noch in ihrer Bedrohlichkeit bestimmten, noch einen Bescheinigungsverfahren unterziehen ließen, könne er schon deshalb eine neu entstandene Gefährdung nicht darlegen. Die der klagenden Partei zwingend bekannte Gewährleistungsgarantie vom 4. Mai 2001 sei schon im Zeitpunkt der Klagseinbringung zur Verfügung gestanden. Die neuerliche Antragstellung verstoße daher gegen die Rechtskraft des abweisenden Beschlusses des Erstgerichts, weshalb der angefochtene Beschluss an einer Nichtigkeit leide. Auf die materielle Richtigkeit der Entscheidung könne daher nicht eingegangen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zulässig und auch iS einer (vom Abänderungsantrag umfassten) Aufhebung berechtigt.

Zu Recht führt die klagende Partei zur Zulässigkeit aus, dass Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob ein abermaliger gleichlautender Antrag auf Erlassung einer EV nach einer Änderung des Klagebegehrens zulässig sei.

Die Berechtigung des Revisionsrekurses ergibt sich aus nachstehenden Erwägungen:

Vorauszuschicken ist, dass entgegen der Ansicht des Rekursgerichts in dem für die Überprüfung maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz von einer materiellen Rechtskraft des den 1. Sicherungsantrag abweisenden Beschlusses ON 2 schon deshalb keine Rede sein kann, weil dieser dem Vertreter der klagenden Partei erst am 30. November 2001 zugestellt wurde und ein Rechtsmittelverzicht nicht aktenkundig ist. Damit war im Zeitpunkt der Entscheidung über den 2. Sicherungsantrag am 3. Dezember 2001 die Rechtsmittelfrist (in Ansehung der Abweisung des 1. Sicherungsantrags) für die klagende Partei noch offen. Es kann daher nur fraglich sein, ob einer Sachentscheidung über den 2. Sicherungsantrag das Hindernis der Streitanhängigkeit entgegensteht. Dabei handelt es sich allerdings um einen "Vorläufer" der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft (4 Ob 333/00z, 10/01a = JBl 2002, 54 = EvBl 2001/119; Rechberger/Frauenberger in Rechberger² § 233 ZPO Rz 7). Dass Beschlüsse über Sicherungsanträge im Provisorialverfahren nach der EO der materiellen Rechtskraft fähig sind, entspricht der neueren Rsp und der fast einhelligen jüngeren Lehre (Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, vor § 378 Rz 11; König, Einstweilige Verfügung² Rz 3/53; E. Kodek in Angst, EO, § 378 Rz 20; G. Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 390 Rz 61 je mwN). Daraus wurde auch abgeleitet, dass im Provisorialverfahren auch das "Prozesshindernis" der Streitanhängigkeit besteht (4 Ob 333/00z, 10/01a), wobei G. Kodek (aaO Rz 63) darauf hinweist, dass eine unmittelbare Anwendung des § 233 ZPO jedenfalls dann ausscheide, wenn - hier - der 1. Sicherungsantrag dem Gegner gar nicht zugestellt wurde. Eine nähere Befassung mit dieser Frage ist aber aus nachstehenden Gründen nicht erforderlich.

Hat sich gegenüber dem 1. Sicherungsantrag der maßgebende Anspruchs- oder Gefährdungssachverhalt geändert (G. Kodek aaO § 390 Rz 64 mN; nach Zechner aaO bereits, wenn die dafür maßgeblichen Aspekte neu sind), ist jedenfalls ein neuer Antrag zulässig. Daraus folgt, dass einem Sicherungsantrag, der, was die begehrten Sicherungsmittel betrifft, mit einem früheren identisch ist, jedoch zur Sicherung eines anderen Anspruchs gestellt wird, weder das Hindernis der materiellen Rechtskraft noch jenes der Streitanhängigkeit entgegensteht. Das wurde im Hinblick auf die materielle Rechtskraft bereits in der Entscheidung 7 Ob 604, 605/85 klargestellt. Wie sich aus dem auch in der Rekursentscheidung wiedergegebenen Verfahrensablauf ergibt, hat die gefährdete Partei mit jenem Schriftsatz, der auch den 2. Sicherungsantrag enthält, eine als "Modifikation" bezeichnete Klageänderung vorgenommen, sodass das ursprüngliche Klagebegehren nunmehr nur noch hilfsweise erhoben, dagegen in der Hauptsache erstmalig ein Herausgabeanspruch geltend gemacht wird. Diese Klageänderung war nach § 235 Abs 1 ZPO ohne weiteres zulässig, weil bei Einbringung des Schriftsatzes (spätestens am 3. Dezember 2001) der beklagten Partei die Klage noch gar nicht zugestellt, die Streitanhängigkeit im Hauptverfahren damit gemäß § 232 Abs 1 ZPO noch nicht eingetreten war. Wenn sich auch aus dem Antrag dazu nichts Eindeutiges ableiten lässt, kann doch auch nicht gesagt werden, die Sicherung sei nur für das Eventualbegehren (das mit dem ursprünglichen Klagebegehren identisch ist) begehrt worden (zur Sicherung von Eventualbegehren vgl jüngst Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner aaO § 378 Rz 11). Wie sich allerdings aus der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt, hat der Erstrichter den Sicherungsantrag auf das "modifizierte" Begehren bezogen, woraus abzuleiten ist, dass es sich dabei um die notwendige Bezeichnung des gesicherten Anspruchs in der EV (G. Kodek aaO § 391 Rz 1; Zechner aaO § 391 Rz 1) handelt.

Daraus folgt, dass das Rekursgericht zu Unrecht die Nichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung angenommen hat. Es wird daher erneut über den Rekurs der beklagten Partei zu entscheiden haben. Der beklagten Partei war die Revisionsbeantwortung freizustellen. Der Ausnahmefall des § 402 Abs 2 EO liegt nämlich deshalb nicht vor, weil ihr mittlerweile die EV vom 3. November 2001 zugestellt wurde, was ihrer Einvernahme zum Sicherungsantrag gleichwertig ist (7 Ob 607/90 = MR 1991, 18 = ÖBl 1991, 90).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 402 Abs 4, 78 EO iVm § 52 ZPO.

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