OGH 10ObS286/02k

OGH10ObS286/02k22.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erika T*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2002, GZ 23 Rs 25/02a-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Jänner 2002, GZ 42 Cgs 254/01x-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Antrag auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft wird zurückgewiesen. Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 20. 5. 1941 geborene Klägerin ist eine deutsche Staatsbürgerin mit Wohnort in Österreich. Sie bezieht eine Rente von einem Sozialversicherungsträger ihres Heimatstaates; sie gehört aber unbestritten nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach § 3 BPGG.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 20. 9. 2001 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung des Pflegegeldes mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, dass seit der in der Rechtssache Jauch, C-215/99 , am 8. 3. 2001 ergangenen Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) das nach den Bestimmungen des BPGG zu gewährende Pflegegeld - abweichend vom bisherigen Verständnis - nicht weiter als eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 10a der VO 1408/71 zu beurteilen sei, womit auch die Eintragung des Pflegegeldes in die Liste der beitragsunabhängigen Sonderleistungen im Anhang IIa dieser Verordnung obsolet sei. Die beklagte Partei sei somit nicht verpflichtet, der Klägerin, die lediglich eine Rente eines Mitgliedstaates, aber keine im § 3 BPGG angeführte Leistung beziehe, Pflegegeld nach den Bestimmungen des BPGG zu gewähren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, der Klägerin ab 1. 7. 2001 das Pflegegeld der Stufe 5 in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. Mit dem erwähnten Urteil des EuGH sei lediglich klargestellt worden, dass die im § 3 BPGG festgesetzte Anspruchsvoraussetzung des gewöhnlichen Aufenthaltes in Österreich unbeachtlich und Pflegegeld daher auch in andere Mitgliedstaaten zu exportieren sei. Daraus folge aber nicht, dass die beklagte Partei nicht mehr verpflichtet sei, der Klägerin als Bezieherin einer sogenannten EU-Rente gemäß den Bestimmungen der VO 1408/71 unter Berücksichtigung der weiterbestehenden Eintragung des Pflegegeldes in die Liste der beitragsunabhängigen Sonderleistungen Pflegegeld zu bezahlen.

Die beklagte Partei beantragte die Zurück- bzw Abweisung des Klagebegehrens und hielt im Wesentlichen den im Bescheid vertretenen Standpunkt aufrecht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es verwies auf die in der Rechtssache Jauch, C-215/99 , ergangene Entscheidung des EuGH, wonach das von Österreich gewährte Pflegegeld als Leistung bei Krankheit im Sinne des Art 4 Abs 1 lit a der VO 1408/71 und nicht als beitragsunabhängige Sonderleistung zu qualifizieren sei, sodass die Klägerin das von ihr begehrte Pflegegeld nicht als derartige beitragsunabhängige Sonderleistung einfordern könne. § 3 BPGG knüpfe den Anspruch auf Pflegegeld an einen inländischen Rentenbezug oder an vergleichbare Bezüge nach inländischen Vorschriften an. Mangels Vorliegens eines derartigen Bezuges könne sich die Klägerin auch nicht auf § 3 BPGG stützen, weil sie nicht zum Kreis der darin genannten anspruchsberechtigten Personen gehöre. Aus diesem Grunde bestehe auch keine Leistungszuständigkeit der beklagten Partei für das von der Klägerin begehrte Pflegegeld.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Österreich habe bis zu der in der Rechtssache Jauch, C-215/99 , ergangenen Entscheidung des EuGH das nach den Bestimmungen des BPGG zu gewährende (Bundes-)Pflegegeld als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 4 Abs 2a der VO 1408/71 beurteilt und unter Bedachtnahme auf die Eintragung des Bundespflegegeldes im Anhang IIa dieser VO in Befolgung des Art 10a Abs 1 und Abs 3 der VO 1408/71 auch an Staatsangehörige anderer EWR-Staaten bezahlt, soferne diese Ausländer ihren Wohnort in Österreich gehabt und eine einer österreichischen Grundleistung (etwa einer ASVG-Pension) gleichgestellte Rente aus einem anderen EWR-Staat bezogen haben. Abweichend vom vorerwähnten Verständnis Österreichs sei der EuGH in seinem erwähnten Urteil vom 8. 3. 2001 jedoch zur Erkenntnis gelangt, dass es sich beim (österreichischen) Pflegegeld nicht um eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 4 Abs 2a der VO 1408/71 , sondern um eine - beitragsabhängige - Geldleistung bei Krankheit im Sinne des Art 4 Abs 1 lit a der VO 1408/71 handle. Das Pflegegeld bezwecke nämlich im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistung der Krankenversicherung, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern. Das Berufungsgericht erachte diese Rechtsansicht des EuGH als bindend, sodass auch für den vorliegenden Fall davon auszugehen sei, dass es sich bei dem von der Klägerin begehrten Pflegegeld nicht um eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Art 4 Abs 2a der VO 1408/71 handle, sondern die Klägerin von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt im Wesentlichen eine "Leistung bei Krankheit" im Sinne des Art 4 Abs 1 lit a der VO 1408/71 begehre. Eine Zuständigkeit der beklagten Partei für Leistungen bei Krankheit der Klägerin sei aber nicht erkennbar und insbesondere auch nicht aus dem Anhang 3 der VO 574/72 ableitbar, zumal darin zwar eine Sammelzuständigkeit der beklagten Pensionsversicherungsanstalt für den Bereich der Rentenversicherung, nicht aber auch für den Bereich der Krankenversicherung bestimmt worden sei. Aus dem bloßen Umstand, dass das Bundespflegegeld (vorerst) weiterhin im Anhang IIa der VO 1408/71 eingetragen sei, sei für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil dieser Eintrag, dem nur deklarative Wirkung beizumessen sei, durch das erwähnte Urteil des EuGH obsolet geworden sei. Der von der Klägerin gegen die beklagte Partei erhobene Anspruch sei auch aus den Bestimmungen des BPGG nicht ableitbar, weil die Klägerin nicht zu dem durch § 3 BPGG umschriebenen Kreis anspruchsberechtigter Personen gehöre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen; in eventu das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, wonach die Klägerin keinen Anspruch auf Bundespflegegeld hat, ist zutreffend.

Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass die Klägerin in den persönlichen Geltungsbereich der VO Nr 1408/71 fällt.

Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der geltenden Fassung lautet:

"Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

b) Leistungen bei Invalidität ..................,

c) Leistungen bei Alter,

..........................".

Gemäß Artikel 4 Absatz 2a gilt die Verordnung Nr 1408/71 für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern diese Leistungen in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 angeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden.

Artikel 10a Absatz 1 der Verordnung Nr 1408/71 bestimmt:

"Ungeachtet der Bestimmungen in Artikel 10 und Titel III erhalten die Personen, für die diese Verordnung gilt, die in Artikel 4 Absatz 2a aufgeführten beitragsunabhängigen Sonderleistungen in bar ausschließlich in dem Wohnmitgliedstaat gemäß dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Diese Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt."

Artikel 10a Absatz 3 der Verordnung Nr 1408/71 lautet:

"Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Anspruch auf eine Zusatzleistung nach Absatz 1 vom Bezug einer Leistung nach einem der Buchstaben a bis h des Artikels 4 Absatz 1 abhängig und wird keine Leistung dieser Art nach diesen Rechtsvorschriften geschuldet, wird jede nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährte entsprechende Leistung im Hinblick auf die Gewährung der Zusatzleistung als nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates gewährte Leistung betrachtet."

In Anhang IIa - beitragsunabhängige Sonderleistungen - der Verordnung Nr 1408/71 ist unter Punkt K ÖSTERREICH, Buchstabe b, aufgeführt:

Pflegegeld nach dem BPGG mit Ausnahme von Pflegegeld, das von einem Träger der Unfallversicherung (UV) in Fällen gewährt wird, in denen die Behinderung durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde.

Es wurde bereits von den Vorinstanzen zutreffend darauf hingewiesen, dass bis zu der in der Rechtssache Jauch, C-215/99 , am 8. März 2001 ergangenen Entscheidung des EuGH das nach den Bestimmungen des BPGG zu gewährende (Bundes-)Pflegegeld als beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne des Artikel 4 Absatz 2a der Verordnung 1408/71 qualifiziert wurde. Da diese Leistung im Anhang IIa zur Verordnung 1408/71 aufgeführt ist, entfiel nach der damals herrschenden Auffassung gemäß Artikel 10a Absatz 1 der Leistungsexport. Umgekehrt musste jedem EU-Bürger, der in Österreich seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllte, in Gleichbehandlung (Artikel 3 der Verordnung 1408/71 ) mit österreichischen Bürgern das Bundespflegegeld gewährt werden, wobei insbesondere die oben wiedergegebene Tatbestandsgleichstellung des Artikel 10a Absatz 3 der Verordnung 1408/71 (Berücksichtigung der von einem anderen Mitgliedstaat gewährten Grundleistung) zu beachten war. So konnte beispielsweise einem pflegebedürftigen Bezieher einer deutschen Rente, der seinen Wohnsitz nach Österreich verlegt hatte, ein Anspruch auf Bundespflegegeld nach § 3 Abs 1 BPGG zustehen (vgl Rabanser, Das neue Pflegegeld im Recht der Sozialen Sicherheit der Europäischen Union, SozSi 1994, 243 ff [250]; Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich 151 f; Gruber/Pallinger, Komm zum BPGG Rz 7 zu § 3 ua). Mit dem Thema "Pflegegeld" hatte sich der EuGH erstmals in der Rechtssache Molenaar, Rs C-160/96 , Slg 1998, I-0843, zu befassen. In seinem Urteil vom 5. März 1998 ging der EuGH auch auf den Zweck der Leistungen der (deutschen) Pflegeversicherung ein, der darin bestehe, die Selbständigkeit der Pflegebedürftigen, namentlich in finanzieller Hinsicht, zu fördern. Die Pflegeversicherung solle insbesondere Vorbeugung und Rehabilitation gegenüber der Pflege fördern und der häuslichen Pflege den Vorzug vor der Pflege im Heim geben. Zum Zweck des Pflegegeldes hielt der EuGH fest, dass der Versicherte durch die Zahlung die Pflege in der von ihm selbst gewählten Weise sicherstellen könne, beispielsweise Pflegepersonen zu entlohnen. Leistungen dieser Art bezweckten somit im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung, mit der sie auch organisatorisch verknüpft seien, um den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern. Sie seien daher ungeachtet gewisser Besonderheiten "Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr 1408/71 (RdNr 22 ff). Das Pflegegeld stelle sich somit als eine finanzielle Unterstützung dar, die es ermögliche, den Lebensstandard der Pflegebedürftigen insgesamt durch einen Ausgleich der durch ihren Zustand verursachten Mehrkosten zu verbessern. Daher zähle eine Leistung wie das Pflegegeld zu den in den Art 19 Abs 1 lit b, 25 Abs 1 lit b und 28 Abs 1 lit b der VO 1408/71 genannten Geldleistungen der Krankenversicherung (RdNr 35 f).

In der das österreichische Bundespflegegeld betreffenden Entscheidung vom 8. März 2001, Rs C 215/99 , Jauch Slg 2001, I-01901 (= RdW 2001/324 [Schattleitner] ua) stellte der EuGH zunächst klar, dass für die Anwendung der Ausnahmeregel des Art 10a der VO 1408/71 die betreffende Leistung eine Sonderleistung sein müsse; sie nicht durch Beiträge finanziert werden dürfe, also beitragsunabhängig sein müsse, und dass sie überdies in Anhang IIa der Verordnung aufgeführt sein müsse (RdNr 21).

Weiters führte der EuGH aus, dass die Umstände der Gewährung von (Bundes-)Pflegegeld und dessen Finanzierungsweise nichts am Wesen des Pflegegeldes änderten, wie es sich aus dem Urteil Molenaar ergebe. Nach diesem Urteil bezweckten Leistungen dieser Art im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung. Das (Bundes-)Pflegegeld sei somit unabhängig davon, ob es beitragsunabhängig sei oder nicht, als eine finanzielle Leistung bei Krankheit im Sinn des Art 4 Buchstabe a der Verordnung Nr 1408/71 anzusehen und falle daher nicht unter Art 4 Abs 2a (RdNr 28). Schließlich verneinte der EuGH auch die Beitragsunabhängigkeit des Bundespflegegeldes im Hinblick auf das österreichische Finanzierungssystem (RdNr 33). Das (Bundes-)Pflegegeld erfülle daher nicht den Tatbestand des Art 10a der Verordnung Nr 1408/71 sondern sei gemäß Art 19 Abs 1 Buchstabe b dieser Verordnung und den entsprechenden Bestimmungen der anderen Abschnitte des Kapitels 1 des Titels III dieser Verordnung als eine Geldleistung bei Krankheit unabhängig davon auszuzahlen, in welchem Mitgliedstaat ein Pflegebedürftiger wohne, der die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfülle (RdNr 34 f).

Eine Konsequenz dieser Entscheidung des EuGH besteht darin, dass damit das von Österreich verfügte und durch Notifizierung als beitragsunabhängige Sonderleistung (Art 4 Abs 2a iVm Art 10a der VO) zur Aufnahme in Anhang IIa der Verordnung zunächst legitimierte Exportverbot für das österreichische Bundespflegegeld hinfällig ist (Schrammel/Winkler, Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Gemeinschaft 183), weil das Bundespflegegeld im Anwendungsbereich der Verordnung als Leistung bei Krankheit betrachtet werden muss und als Geldleistung der Krankenversicherung nach den Art 13 ff der Verordnung bzw nach den speziellen Zuständigkeitsvorschriften für die Leistungen bei Krankheit (vgl Art 19 Abs 1 lit b, 25 Abs 1 lit b und 28 Abs 1 lit b der Verordnung) auch in das Ausland zu exportieren ist, wenn die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Ein solcher (Export-)Fall liegt hier aber nicht vor, weil die Klägerin ohnehin in Österreich wohnt, wo sie jedoch - unstrittig - keine Grundleistung bezieht, die einen Anspruch auf Bundespflegegeld als Annexleistung rechtfertigen könnte (vgl 10 ObS 321/00d). Aus Art 19 Abs 1 lit b der VO ergibt sich, dass der Arbeitnehmer die Zahlung von Geldleistungen wie dem Pflegegeld selbst dann in dem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, erhalten kann, wenn dessen Recht derartige Leistungen nicht vorsieht. Die betreffenden Leistungen werden vom zuständigen Träger des Beschäftigungsmitgliedstaats nach dessen Recht gezahlt. Das gleiche gilt gemäß den Art 25 Abs 1 lit b und 28 Abs 1 lit b der VO für Arbeitslose und Rentner, die unter die Rechtsvorschriften eines anderen als des Mitgliedstaats fallen, in dem sie wohnen. Da die Klägerin Rentnerin ist und eine Rentenleistung ausschließlich aus Deutschland bezieht, ist für sie nach der Zuständigkeitsregel des Art 28 der VO das deutsche Krankenversicherungsrecht maßgebend und es sind die Geldleistungen durch den "zuständigen Träger" (Art 28 Abs 1 lit b der VO), also jenen, bei dem die in Betracht kommende Person im Zeitpunkt des Antrags auf Leistung versichert ist (Art 1 lit o Z i der VO), nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu erbringen (Schrammel/Winkler aaO 184; Resch, Exportverpflichtung für österreichisches Pflegegeld, RdW 2001/322 [290]; 10 ObS 321/00d). Auf Grund dieser Zuständigkeitsregelung besteht keine Leistungszuständigkeit eines österreichischen Trägers, weshalb die Rentenbezüge der Klägerin aus Deutschland auch keinen (Geldleistungs-)Anspruch nach dem österreichischen BPGG begründen können (vgl auch 10 ObS 321/00d; Siedl-Spiegel, MGA, Zwischenstaatl. SV-Recht 34. Lfg EU-I Anm 3 zu Art 10a VO 1408/71 , 54/1). Eine von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang gerügte angebliche Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes liegt nicht vor. Durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Jauch wurde vielmehr die seit dem Urteil Molenaar bestehende Inkonsistenz zwischen deutschem und österreichischem Pflegegeld (teilweise) beseitigt (Schattleitner in RdW 2001/324, 295). So konnte nämlich die Entscheidung in der Rechtssache Molenaar deutschen Rentenbeziehern mit Aufenthalt in Österreich die Möglichkeit eines Doppelbezuges von Pflegegeld oder jedenfalls einen Anspruch auf die bestmögliche Leistung aus dem deutschen bzw österreichischen System eröffnen, während österreichisches Pflegegeld nach der damals herrschenden Auffassung nicht in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates exportiert wurde und daher Pflegebedürftige aus Österreich, die sich in Deutschland aufhielten, unter Umständen keine entsprechende Geldleistung mehr erhielten (vgl Pfeil in der Entscheidungsanmerkung in DRdA 1998/26, 254 ff [257]).

Soweit die Revisionswerberin geltend macht, der EuGH habe in der Rechtssache Jauch das Bundespflegegeld unrichtig als beitragsabhängig qualifiziert, ist ihr zu entgegnen, dass dieser Einwand schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung der Sache führen kann, da der EuGH in seiner Entscheidung ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass das Pflegegeld unabhängig davon, ob es beitragsunabhängig ist oder nicht, als eine finanzielle Leistung bei Krankheit im Sinn des Art 4 Abs 1 Buchstabe a der Verordnung anzusehen ist, und daher nicht unter Art 4 Abs 2a der Verordnung fällt (RdNr 28 des Urteils). Der Ausnahmetatbestand des Art 10a der Verordnung wäre daher entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch dann nicht erfüllt, wenn das Pflegegeld als beitragsunabhängige Leistung qualifiziert worden wäre (vgl RdNr 21 des Urteils). Dass es sich beim Pflegegeld nach der Intention des österreichischen Gesetzgebers nicht um eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung handeln sollte, ist nicht entscheidend, weil die gemeinschaftsrechtliche Zuordnung einer Leistung zu den in Art 4 Abs 1 lit a bis h der Verordnung genannten Leistungsarten unabhängig von der systematischen Qualifikation dieser Leistung in einem bestimmten Mitgliedstaat erfolgt (EuGH, Rs 69/79, Jordens-Vosters, Slg 1980/75; Rs 14/72, Heinze, Slg 1972, 1105 ua; Schrammel/Winkler aaO 182; Fuchs, Komm zum Europäischen Sozialrecht2 108 mwN ua). Schließlich hat nach der Rechtsprechung des EuGH auch die erfolgte Einordnung des Pflegegeldes nach dem BPGG durch Eintragung in den Anhang IIa der Verordnung keine konstitutive Wirkung und es kann daher der EuGH die Gültigkeit einer Aufnahme einer Leistung in diesen Anhang der Verordnung überprüfen (vgl auch EuGH, 31. 5. 2001, Rs C-43/99 , Slg 2001, I-4265, declare RdNr 36 f). Der Oberste Gerichtshof hat im Sinne der bindenden Rechtsansicht des EuGH davon auszugehen, dass der Anhang IIa der Verordnung insoweit ungültig ist, sodass sich die Klägerin nicht mehr mit Erfolg darauf berufen kann.

Es besteht somit kein Raum für einen vernünftigen Zweifel, dass der Rentenbezug der Klägerin aus Deutschland keinen Anspruch auf Bundespflegegeld in Österreich auslösen kann, weshalb sich eine Anrufung des EuGH im Hinblick auf die acte clair-Doktrin verbietet (10 ObS 321/00d; SZ 68/89 ua; RIS-Justiz RS0075861). Der entsprechende Antrag der Klägerin war daher zurückzuweisen (SSV-NF 12/145 mwN ua).

Die Revision musste somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Gründe, welche einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch bestehen dafür nach der Aktenlage Anhaltspunkte.

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