OGH 15Os72/02

OGH15Os72/028.8.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kubina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter H***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 9. April 2002, AZ 11 Bs 83/02, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten und seiner Verteidigerin, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 9. April 2002, AZ 11 Bs 83/02, verletzt in seinem stattgebenden Teil §§ 489 Abs 1 und 474 StPO iVm §§ 468 Abs 1 Z 4, 281 Abs 1 Z 10 und 288 Abs 2 Z 3 StPO.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Leoben vom 12. September 2001, GZ 12 E Vr 6/01-29, wurde Walter H***** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (1) sowie des Vergehens nach § 114 Abs 1 und 2 ASVG (2) schuldig erkannt und zu einer Strafe verurteilt.

Nach der den schweren Betrug betreffenden Tatumschreibung des Urteilsspruches hat Walter H***** am 21. Dezember 1999 in Bruck an der Mur mit dem Vorsatz, die Firma H***** KEG durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Angestellte der Firma IPK-Computer-Handels-GmbH in Bruck an der Mur durch die Vorgabe der Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Firma H***** KEG und der Bezahlung des Kaufpreises innerhalb von acht Tagen, mithin durch Täuschung über Tatsachen zur Ausfolgung einer Computeranlage der Marke Intel Celeron samt Drucker Canon BJZ 6100 und Zubehör im Gesamtwert von 25.340 S, somit zu einer Handlung verleitet, die die Firma IPK-Computer-Handels-GmbH um einen unter 25.000 S liegenden Betrag an ihrem Vermögen schädigte.

In den Entscheidungsgründen traf der Einzelrichter über das Herauslocken der Computeranlage mit dem Schuldspruch korrespondierende Feststellungen und konstatierte ferner, dass diese "zwischenzeitig" der IPK-Computer-Handels-GmbH retourniert worden sei und wiederverkauft werden könne. "Somit" sei das Unternehmen in einem unter 25.000 S liegenden Betrag am Vermögen geschädigt. Ob diese Urteilserwägungen einem tatzeitbezogenen subsumtionsrelevanten Vermögensschaden im Sinne des § 146 StGB oder aber einem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Schadenersatzanspruch der als Privatbeteiligte eingeschrittenen geschädigten Gesellschaft betreffen, ist dem Urteil nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen.

Der Angeklagte bekämpfte die Entscheidung des Landesgerichtes Leoben mit einer Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe.

Mit Urteil vom 9. April 2002, AZ 11 Bs 83/02 (ON 41 des Vr-Aktes), gab das Oberlandesgericht Graz der Nichtigkeitsberufung teilweise Folge und korrigierte aufgrund der eine Tatbeurteilung lediglich als ("einfachen") Betrug nach § 146 StGB anstrebenden Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) das Ersturteil im begehrten Sinn sowie demgemäß auch im Strafausspruch. Der Schuldberufung gab der Gerichtshof zweiter Instanz nicht Folge, mit seiner Berufung wegen Strafe verwies er den Angeklagten auf die Strafneubemessung.

In der Begründung führte das Berufungsgericht an:

"Die entsprechend § 281 Abs 1 Z 10 StPO erhobene Sumtionsrüge ist berechtigt. Sowohl aus dem Urteilsspruch, als auch aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass durch die Tathandlung des Angeklagten die Firma IPK-Computer-Handels-GmbH um einen unter 25.000 S liegenden Betrag geschädigt wurde. Hingegen findet sich im Ersturteil keine Passage, welche auf eine Schädigung der genannten Firma - wie von der Staatsanwaltschaft inkriminiert - um den gesamten Warenwert von 25.340 S abstellt. Wenngleich dies angesichts des Herauslockens der Computeranlage im angeführten Wert ohne dass den relevanten Vermögensschaden (vgl hiezu Leukauf/Steininger Komm³ § 146 Rz 40 ff, insbesondere 44) mindernde Komponenten ersichtlich wären, nicht nachvollziehbar begründet ist, muss von der diesbezüglichen Konstatierung ausgegangen werden. Nur über ein - nicht vorliegendes - Rechtsmittel der Anklagebehörde hätte geprüft werden können, ob die Rückgabe des Gerätes nicht nur der teilweisen Schadensgutmachung diente. Bei dem somit unter 25.000 S anzunehmenden Vermögensschaden der Firma IPR-Computer-Handels-GmbH erweist sich die Qualifikation des Betrugsdeliktes nach der Bestimmung des § 147 Abs 2 StGB als rechtlich verfehlt. Folglich war sie aus dem Urteil auszuscheiden und festzustellen, dass durch das zu 1.) des erstgerichtlichen Urteilsspruches angeführte Faktum der Angeklagte lediglich das Vergehen des Betruges nach den §§ 146 StGB beging."

Rechtliche Beurteilung

Die reformatorische Berufungsentscheidung steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil sich das Oberlandesgericht dabei zu Unrecht an einen erstgerichtlichen Ausspruch gebunden erachtete, der in Wahrheit im Wesentlichen rechtliche Komponenten enthielt.

Wird gegen ein Einzelrichterurteil zulässigerweise (§§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 4 StPO) der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO eingewendet und die Anwendung einer anderen strafgesetzlichen Bestimmung gefordert, hat das Berufungsgericht dieses Vorbringen - dem Wesen materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe entsprechend - auf der Grundlage des urteilsmäßig festgestellten Sachverhaltes zu prüfen. Unbegründete Berufungseinwände sind zurückzuweisen, wogegen bei zutreffend gerügter Nichtigkeit eine Kassation oder Sachentscheidung entsprechend § 288 Abs 2 Z 3 StPO oder aber auch eine Entscheidung nach Verfahrensergänzung in Betracht kommt (Ratz in WK-StPO § 474 Rz 1 und 6). Für die auf Richtigkeit der Rechtsanwendung beschränkte Überprüfungstätigkeit des Berufungsgerichtes bleibt es im gegebenen Zusamenhang unerheblich, ob die mit dem Gesetz zu vergleichenden Urteilsfeststellungen einwandfrei zustande gekommen oder dargestellt sind oder erheblichen Bedenken begegnen. Allerdings darf beim anzustellenden Vergleich zwischen Sachverhalt und dem zur Anwendung gebrachten Gesetz nur von echten Tatsachenaussprüchen ausgegangen werden und nicht von verwendeten Rechtsbegriffen, mögen sie mit zutreffendem oder unzutreffendem Ergebnis gebraucht worden oder auch in Form einer faktischen Konstatierung gekleidet sein (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 E 35, 37 f, 67 ff). Rechtliche Aussagen der ersten Istanz hat das Berufungsgericht erforderlichenfalls zu überprüfen, aber keinesfalls bei der Erledigung von Rechtsrügen als vorgegebene und bindende Entscheidungsgrundlage heranzuziehen. Rechtsmeinungen des Erstgerichtes, die im Erkenntnis keinen Niederschlag gefunden haben, müssen von vornherein ohne jede Bedeutung für die Rechtsmittelerledigung bleiben.

Ein Vermögensschaden, der aufgrund der Verfügung des Getäuschten eingetreten ist, bildet das letzte Merkmal des äußeren Tatbestandes (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 146 Rz 57). Bei Beurteilung dieses Elements sind sowohl tatsächliche als auch rechtliche Umstände zu klären, es handelt sich also um eine gemischte Frage. Zunächst sind auf der Tatsachenebene die wirtschaftlichen Effekte einer täuschungsbedingten Handlung, Duldung oder Unterlassung (zB: Übergabe einer Ware mit einem bestimmten Verkaufspreis durch den Verkäufer ohne Gegenleistung) zu ermitteln, um danach die Frage zu lösen, ob und inwieweit hiedurch jemand am Vermögen geschädigt ist. Die Art der Schadensberechnung stellt eine Rechtsfrage dar, wobei das österreichische Vermögensstrafrecht von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ausgeht und beim Betrug nur den unmittelbar aus der Vermögensverschiebung des Getäuschten entstandenen Schaden im Sinne eines dabei aufgetretenen effektiven Verlustes an Vermögenssubstanz erfasst. Letzterer ist durch einen Vergleich der Vermögenslage vor und nach der durch die Täuschung bewirkten Vermögensverfügung zu ermitteln (Kirchbacher/Presslauer aaO Rz 62, 66 ff; Leukauf/Steininger Komm³ RN 39 ff jeweils zu § 146).

Demnach betraf im Anlassfall die erstgerichtliche Erwägung, wonach die Betrugshandlung des Beschuldigten einen unter 25.000 S liegenden Schaden herbeigeführt habe, eine Frage rechtlicher Natur, die im Rechtsmittelverfahren einer eigenständigen Lösung durch das Berufungsgericht zu unterziehen gewesen wäre. Da der Gerichtshof zweiter Instanz zudem diese Aussage für falsch erachtete ("nicht nachvollziehbar begründet"), hätte er ihr keinen Einfluss auf die Rechtsmittelentscheidung einräumen dürfen.

Das Oberlandesgericht Graz irrt auch in seiner Ansicht, das Gesetz (§§ 489 Abs 1, 464 Z 1 StPO iVm den einleitenden Worten des § 281 Abs 1 StPO) kenne eine Urteilsanfechtung bloß zu dem (überflüssigen) Zweck, für ein vom Rechtsmittelwerber als richtig erachtetes Subsumtionserkenntnis auch eine mängelfreie Tatumschreibung und Entscheidungsbegründung zu schaffen. Im vorliegenden Fall hätte angesichts des ohnehin ergangenen Schuldspruchs wegen schweren Betrugs dem Staatsanwalt für eine Urteilsanfechtung die Beschwer gefehlt (Ratz aaO § 282 Rz 3).

Der stattgebende Teil des Urteils des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 9. April 2002, AZ 11 Bs 83/02, verletzt daher das Gesetz. Diese Gesetzesverletzung gereicht allerdings dem Angeklagten zum Vorteil, sodass es mit der Feststellung sein Bewenden haben muss.

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