OGH 10ObS218/02k

OGH10ObS218/02k18.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef R*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1203 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. März 2002, GZ 10 Rs 13/02h-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. November 2001, GZ 15 Cgs 87/98f-29, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 24. 3. 1948 geborene Kläger erlitt am 10. 9. 1984 als Traktorführer auf einem Gutsbetrieb einen Arbeitsunfall, bei dem er sich einen offenen Bruch des linken Oberarmschaftes und eine Abscherung der Haut im Bereich der linken Achsel zuzog. Mit Bescheid vom 13. 8. 1986 gewährte die beklagte Partei dem Kläger zur Abgeltung der Unfallfolgen anstelle der vorläufigen Rente von 30 vH der Vollrente eine Dauerrente von 20 vH der Vollrente ab 10. 1986. Am 20. 3. 1997 erlitt der Kläger als Hilfsarbeiter in einer Tischlerei einen weiteren Arbeitsunfall, bei dem er sich einen Teilverlust des linken Zeigefingers im Bereich des Grundgliedes zuzog. Mit Bescheid vom 24. 2. 1998 gewährte die beklagte Partei dem Kläger zur Abgeltung der Unfallfolgen vorerst eine Gesamtvergütung, ausgehend von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH vom 1. 9. 1997 bis 31. 8. 1998.

Mit Bescheid vom 1. 12. 1998 hat die beklagte Partei dem Kläger für die Folgen der Unfälle vom 10. 9. 1984 und vom 20. 3. 1997 eine Gesamtdauerrente von 25 vH der Vollrente (monatlich S 3.140,-- = EUR 228,19) ab 1. 9. 1998 zuerkannt.

Das Erstgericht stellte fest, dass für sich allein gesehen aus den Folgen des Arbeitsunfalls vom 10. 9. 1984 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 vH resultiert und aus dem Arbeitsunfall vom 20. 3. 1997 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischen 5 und 8 vH. Die Folgen beider Arbeitsunfälle zusammengefasst ergibt sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 vH. Zwischen dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 1. 12. 1998 und dem Schluss der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz ist es zu keiner wesentlichen Verschlechterung im Zustandsbild des Klägers gekommen.

Ausgehend von diesen Feststellungen wies das Erstgericht das auf Gewährung einer Rente von mehr als 25 vH der Vollrente gerichtete Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine Gesamtdauerrente von 25 vH der Vollrente angemessen sei. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es den Inhalt des angefochtenen Bescheides wiederholte. Es sah die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht als gegeben an, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass bei mehreren Arbeitsunfällen nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition vorzunehmen sei, sondern dass der durch alle Unfälle verursachte Gesamtleidenszustand des Versicherten zu berücksichtigen sei. Maßgeblich sei allein, wie sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken. Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend. Nach § 203 Abs 1 ASVG hat ein Versicherter Anspruch auf Versehrtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist. Die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vH. Wird ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall (oder eine Berufskrankheit) geschädigt und erreicht die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH, so ist spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des letzten Versicherungsfalles an eine Gesamtrente festzustellen (§ 210 Abs 1 ASVG).

Bei der Einschätzung der Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit besteht keine Bindung an die Grundlagen der Berechnung der zuvor rechtskräftig zuerkannten Einzelrenten (vgl SSV-NF 2/114, 9/61, 11/154), zumal durch das Zusammentreffen von Folgen mehrerer Unfälle auf Dauer eine für die Bemessung maßgebliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Bei der Einschätzung ist selbst dann, wenn die Funktionseinschränkungen nicht dieselben Körperteile betreffen, nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition vorzunehmen; vielmehr muss berücksichtigt werden, in welchem Ausmaß sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken (RIS-Justiz RS0084384). Anders als im deutschen Recht, das in § 59 SGB VII gegebenenfalls eine verhältnismäßige Kürzung der Renten vorsieht (vgl Brackmann, SGB VII § 56 Rz 92a), können die MdE-Sätze infolge von zwei oder mehreren Versicherungsfällen in Summe nicht mehr als 100 betragen. Die Frage, inwieweit die Erwerbsfähigkeit des Versicherten aus medizinischer Sicht gemindert ist, gehört zum Tatsachenbereich (RIS-Justiz RS0086443, RS0043525) und ist im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar (SSV-NF 3/19, SSV-NF 11/130 uva). Diese medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit - im vorliegenden Fall 25 vH - bildet im Allgemeinen auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung, sofern nicht ein Abweichen unter besonderen Umständen geboten ist (SSV-NF 1/ 64 = SZ 60/262; SSV-NF 11/130; SSV-NF 11/154 ua). Ein Abweichen kommt aber nur bei Vorliegen eines Härtefalls in Frage (SSV-NF 1/64 = SZ 60/262; zuletzt 10 ObS 187/01z). Ein solcher wird allerdings in der Revision nicht aufgezeigt. Dem Berufungsgericht ist daher keine rechtliche Fehlbeurteilung vorzuwerfen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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