OGH 6Ob88/02p

OGH6Ob88/02p11.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*****-AG, *****, vertreten durch Prettenhofer & Jandl Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Wilfried-Matthias S*****, vertreten durch Hopmeier, Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 22. Jänner 2002, GZ 40 R 331/01z-11, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 17. Juli 2001, GZ 42 C 464/00y-7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 389,22 EUR (darin 64,87 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 425,68 EUR (darin 44,44 EUR Umsatzsteuer und 159 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stützt ihre am 3. 8. 2000 eingebrachte Räumungsklage auf die titellose Benützung der Wohnung durch den Beklagten. Zwischen den Parteien sei kein Mietvertrag abgeschlossen worden. Die Wohnung sei dem Beklagten offensichtlich von der Vormieterin ohne Zustimmung der Vermieterin zur Verfügung gestellt worden.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Er sei Hauptmieter. Die Vormieter hätten ein Weitergaberecht gehabt und ihm die Mietrechte am 5. 4. 1993 eingeräumt. Die vom Beklagten bezahlten Mietzinse seien von der Hausverwaltung regelmäßig angenommen worden. Die Vermieterin habe in Kenntnis des Bewohnens der Wohnung durch den Beklagten zumindest seit dem Jahr 1993 schlüssig auf die Geltendmachung eines Räumungsanspruches verzichtet. Die Klägerin replizierte, dass die Vormieter gekündigt worden seien und ein allenfalls bestandenes Weitergaberecht deswegen erloschen sei. Der Beklagte behauptete darauf hin, dass das Weitergaberecht bereits im Jahr 1988 ausgeübt worden sei.

Das Erstgericht wies die Räumungsklage ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Ein Rechtsvorgänger der Klägerin hatte die Wohnung an zwei Vormieter im Jahr 1978 vermietet. Nach dem schriftlichen Mietvertrag durfte die Wohnung ohne Zustimmung des Vermieters nicht an dritte Personen überlassen werden. Den Vormietern wurde aber mündlich ein Weitergaberecht zugestanden. Die Mutter des Beklagten bewohnte mit ihrer Familie die Nachbarwohnung top 17. Nach dem Auszug eines der beiden Vormieter verblieb nur die zweite Mieterin in der Wohnung und behauptete gegenüber der Mutter des Beklagten ein Weitergaberecht. Diese war an der Anmietung der Wohnung interessiert. Es wurde eine Vereinbarung über eine Investitionsablöse abgeschlossen. Die Vormieterin zog 1988 aus. Der Beklagte bezog mit seinem Zwillingsbruder die Wohnung. Im Jahr 1990 stellte der neubestellte Hausverwalter fest, dass der Beklagte und sein Bruder die Wohnung bewohnten. Gegen die beiden Vormieter wurde eine Kündigung eingebracht, die allerdings wegen eines Formmangels aufgehoben wurde. Die damalige Liegenschaftseigentümerin kündigte am 25. 1. 1993 die Vormieter neuerlich wegen gänzlicher Weitergabe der Wohnung gemäß § 30 Abs 2 Z 4 MRG. Die Vormieterin beantragte am 1. 4. 1993 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Einwendungen und erhob Einwendungen gegen die Aufkündigung. Es kam zu Vergleichsgesprächen zwischen der Vormieterin, dem Geschäftsführer der Vermieterin und dem Vater des Beklagten. Im anhängigen Prozess trat Ruhen des Verfahrens ein. Erst im März 1996 beantragte die Vermieterin die Fortsetzung des ruhenden Verfahrens. Am 25. 7. 1996 wurden der Antrag der Vormieterin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und ihre Einwendungen als verspätet zurückgewiesen. Ihr dagegen erhobener Rekurs blieb erfolglos. Die Rekursentscheidung wurde der Vermieterin am 20. 1. 1997 zugestellt. Sie unterließ rechtliche Schritte zur Durchsetzung des Räumungsanspruches. Der Beklagte und sein Bruder wurden nicht aufgefordert, die Wohnung zu räumen. Nach Zustellung der Aufkündigung hatte die Vormieterin schon am 5. 4. 1993 eine schriftliche Erklärung über die Ausübung des Weitergaberechtes verfasst, die von der Vormieterin, dem schon ausgezogenen zweiten Vormieter, dem Beklagen und seinem Bruder unterfertigt worden war. In dieser Erklärung wurde festgestellt, dass die Vormieter ein Weitergaberecht ohne Zustimmung des Vermieters hätten, dieses zu Gunsten des Beklagten und seines Bruders ausübten und dass letztere in das Mietverhältnis eintreten würden. Diese schriftliche Erklärung wurde der Vermieterin zu Handen der Hausverwalterin zugestellt. Die Mietzinse wurden weiter unter dem Namen der Vormieterin vorgeschrieben. Nach ihrem Auszug im Jahr 1988 hatte der Vater des Beklagten die Mietzinse für seine Söhne bis 1991 bezahlt. Danach kamen die Söhne für die Mietzinszahlung auf. Nach dem Auszug seines Bruders bezahlte der Beklagte die Mietzinse stets im eigenen Namen. Die Zahlungen wurden bis zum Jahr 1996 von der Vermieterin angenommen. In diesem Jahr erfolgte eine Rücküberweisung. Wegen des dadurch entstandenen Mietzinsrückstandes wurde eine Mietzins- und Räumungsklage gegen die Vormieterin eingebracht. Im Zuge dieses Verfahrens zahlte der Beklagte den rückständigen Betrag von 75.016,11 am 19. 12. 1996 im eigenen Namen an den Rechtsvertreter des Hauseigentümers. Nach der Zahlung trat im anhängigen Prozess Ruhen des Verfahrens ein. Danach erteilte der Beklagte seiner Bank einen Dauerauftrag zur Überweisung der Mietzinse an die Hausverwalterin. Diese nahm die Mietzinszahlungen an. Mitte 1997 wurde eine neue Hausverwalterin bestellt, die am 21. 8. 1997 dem Beklagten mitteilte, dass Mietzinse nur im Namen der Vormieterin angenommen werden. Der Beklagte zahlte aber weiterhin im eigenen Namen. Die Zahlungen wurden von der Vermieterin angenommen. Weitere Schritte zur Räumung der Wohnung wurden bis zur Einbringung der Räumungsklage nicht gesetzt. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass im schriftlichen Mietvertrag der Vormieter kein Recht zur Weitergabe der Wohnung an einen Nachmieter vereinbart worden sei, dass den Vormietern aber mündlich zugesagt worden sei, dass sie einen Nachmieter aussuchen könnten. Durch die Aufkündigung vom 25. 1. 1993 sei das Mietverhältnis mit den Vormietern aufgelöst worden. Bei der Beurteilung konkludenter Erklärungen müsse das gesamte Verhalten der Vertragsteile berücksichtigt werden. Die jahrelange widerspruchslose Entgegennahme eines regelmäßigen Entgelts könne grundsätzlich zur Bejahung eines konkludent zustandegekommenen Bestandsverhältnisses führen. Bei der Auslegung sei ein strenger Maßstab anzulegen. Nach rechtskräftiger Erledigung des Kündigungsverfahrens im Jänner 1997 hätte die Hausverwaltung zur Durchsetzung des Räumungsanspruchs eine Räumungsklage (gegen den Beklagten) einbringen können. Die vom Beklagten im eigenen Namen geleisteten Mietzinszahlungen seien angenommen worden. Auch der im Prozess gegen die Vormieterin geltend gemachte Mietzinsrückstand sei vom Beklagten im eigenen Namen bezahlt worden. Auch die auf Grund eines Dauerauftrages des Beklagten seit Anfang 1997 vorgenommenen Mietzinszahlungen seien angenommen worden. Der Beklagte habe davon ausgehen können, dass die Hausverwaltung auf eine Räumung der Wohnung nicht weiter bestehe und dass er die schon seit 1988 mit Wissen der jeweiligen Hausverwalter benützte Wohnung weiter benützen dürfe. Auch wenn die Hausverwaltung mitgeteilt habe, dass sie die Mietzinszahlungen nur im Namen der Vormieterin annehme, habe sie über einen weiteren Zeitraum von drei Jahren bis zur Einbringung der Räumungsklage keine Schritte gegen den Beklagten gesetzt. Dieses Verhalten könne nur dahin verstanden werden, dass der Beklagte als Mieter der Wohnung akzeptiert werde. Unabhängig von der Frage eines Weitergaberechts der Vormieter sei es zum konkludenten Abschluss eines Bestandvertrages gekommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und dem Räumungsbegehren statt. Es verneinte ein schlüssig zustandegekommenes Mietverhältnis und führte dazu die gegen die Vormieter eingebrachten Kündigungen, die Vergleichsgespräche und den Umstand ins Treffen, dass die Hausverwaltung am 21. 8. 1997 klargestellt habe, dass die Zinszahlungen nur als Zahlungen der Vormieterin angenommen würden und dass dem Beklagten durch die Annahme des Mietzinses keinerlei Mietrechtsansprüche entstünden.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zulässig und berechtigt.

Der Beklagte führt ins Treffen, dass die Klägerin gewusst habe, dass er die Wohnung seit 1988 benützte. Sie habe die im eigenen Namen bezahlten Mietzinse des Beklagten angenommen, insbesondere auch die Zahlung eines hohen Mietzinsrückstandes im Jahr 1996, und habe danach jahrelang Schritte zur Durchsetzung des Räumungsanspruchs unterlassen. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes lasse eine entgeltliche Wohnungsüberlassung über mehrere Jahre trotz der Erklärung des Hauseigentümers, keinen Mietvertrag abschließen zu wollen, ein Bestandverhältnis entstehen.

Die Klägerin steht demgegenüber auf dem Standpunkt, dass sowohl für den stillschweigenden Abschluss eines Mietvertrages als auch für den stillschweigenden Verzicht auf die Räumung kein vernünftiger Grund zu zweifeln vorliegen dürfe, dass ein Mietvertrag geschlossen werden sollte. Bei der Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen im Sinne des § 863 ABGB liege im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage vor. Der Oberste Gerichtshof habe bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein Mietvertrag nur dann konkludent zustandekomme, wenn eine langjährige Nutzung der Wohnung durch den Beklagten vorliege. "Jahrelang" sei dahin auszulegen, dass ein wesentlich längerer Zeitraum als drei Jahre vorliegen müsse.

Zum schlüssig zustandegekommenen Mietverhältnis ist folgendes auszuführen:

Auch der schlüssige Vertragsabschluss setzt einen übereinstimmenden Parteiwillen voraus. Wohl hatte die Vermieterin am 21. 8. 1997 ausdrücklich bekundet, Zinszahlungen des Beklagten nicht als dessen Zahlungen, sondern nur als solche der Vormieterin anerkennen zu wollen. Vom Parteiwillen der Klägerin offenkundig erfasst war aber auch, dass der Beklagte allein die Wohnung weiter benützt und dafür den bisherigen Mietzins zahlen sollte. Zur Auslegung des beiderseitigen Parteiwillens ist die gesamte Vorgeschichte bis zur Erklärung der Klägerin am 21. 8. 1997 miteinzubeziehen und auf dieser Grundlage die dreijährige Untätigkeit der Klägerin bis zur Einbringung der Räumungsklage zu beurteilen. Für ein schlüssig zustandegekommenes Mietverhältnis sprechen aus der Vorgeschichte folgende Umstände:

Die Rechtsvorgänger der Klägerin hatten Kenntnis, dass der Beklagte die Wohnung alleine benützt und die Hauptmieterin dort nicht mehr wohnte, wie dies klar aus der Kündigung wegen gänzlicher Weitergabe des Mietobjekts hervorgeht. Gegen die Vormieterin wurde keine ab 1997 mögliche Exekution geführt. Die Erklärung der Vormieterin vom 5. 4. 1993 über eine Weitergabe der Wohnung an den Beklagten und seinem Bruder wurde widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Auch gegen die Mietzinszahlungen des Beklagten, die im eigenen Namen erfolgten, wurde zunächst kein Widerspruch erhoben. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung der Klägerin vom 21. 8. 1997 dahin auszulegen, dass der rechtsgeschäftliche Parteiwille der Klägerin schon im Sommer 1997 auf Überlassung der Wohnung nur an den Beklagten zu den bisherigen mit den Vormietern vereinbarten Vertragsbedingungen und zu der seit Jahren tatsächlich erfolgten Ausübung des Wohnrechtes gerichtet war. Der Parteiwillie umfasste also die wesentlichen Bestandteile eines Mietvertrages. Die Klägerin bezweckte mit ihrer Erklärung, den Beklagten nicht als Mieter zu akzeptieren und an der Vormieterin als Vertragspartnerin nach außen hin festzuhalten, sich die jederzeitige Räumungsmöglichkeit gegen den Beklagten im Wege einer nur fiktiven Fortsetzung des Mietverhältnisses mit der schon gekündigten Vormieterin offenzuhalten, der sie einseitig das Mietverhältnis - das schon gekündigt und von der Vormieterin weitergegeben worden war - nicht aufdrängen konnte. Im eigenen Namen bezahlte Mietzinse des Beklagten wurden über drei Jahre widerspruchslos angenommen. Es trifft zwar zu, dass dem Schweigen grundsätzlich kein besonderer Erklärungswert beizumessen ist, es sei denn, dass auf Grund einer Sonderrechtsbeziehung eine Rechtspflicht zu einer Erklärung bejaht werden kann. Es ist also zu untersuchen, ob die Klägerin gegen die Zahlungswidmung des Beklagten protestieren oder schon früher Schritte zur Räumung der Wohnung setzen hätte müssen. Diese Frage ist zu bejahen:

Der Klägerin war der Rechtsstandpunkt des Beklagten über einen Vertragseintritt auf Grund des von der Vormieterin behaupteten Weitergaberechts bekannt. Mit seiner Zahlungswidmung hat er diesen Rechtsstandpunkt ständig aufrecht erhalten. Schon deswegen hätte die Klägerin nach Eintritt der Rechtskraft der Kündigung der Vormieterin sich nicht mit der einseitigen Erklärung begnügen dürfen, sie akzeptiere Zahlungen nur als solche der Vormieterin. Die Vermieterin behauptet nicht einmal, dass sie das Bestandverhältnis mit der Vormieterin - die rechtskräftig wegen gänzlicher Weitergabe der Wohnung gekündigt wurde, rechtswirksam fortgesetzt habe. Schon dies lässt klar die Umgehungsabsicht erkennen, sich die jederzeitige Räumungsmöglichkeit gegen den Beklagten offenzuhalten und die zwingenden Bestimmungen des MRG zu umgehen. Der Sachverhalt ist im Ergebnis nicht anders zu beurteilen als derjenige, bei dem ein Vermieter einen Mietinteressenten eine dem MRG unterliegende Wohnung mit der Erklärung offeriert, dass die Kündigungsgründe des MRG nicht gelten. Auch wenn der erklärte Wille des Vermieters dann nicht auf die Begründung eines auf unbestimmte Zeit und nur nach den Bestimmungen des MRG kündbaren Mietverhältnisses gerichtet war, wäre ein solches Mietverhältnis dennoch durch die Übergabe der Wohnung und die Entgegennahme des Mietzinses begründet worden. Bei richtiger rechtlicher Würdigung des gesamten Sachverhalts ist das konkludente Entstehen eines Mietverhältnisses mit dem Beklagten zu bejahen. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten zweiter und dritter Instanz beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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