OGH 9Ob82/02b

OGH9Ob82/02b10.7.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hradil, Dr. Hopf, Dr. Schramm und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** Wohnbaugenossenschaft Gemeinnützige reg. GenmbH, ***** vertreten durch Dr. Nikolaus Kodolitsch ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Herbert L*****, vertreten durch Dr. Schlick und Dr. Wallner KEG, Rechtsanwälte in Graz, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2002, GZ 3 R 286/01b-34, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10. August 2001, GZ 7 C 432/00p-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei ist Vermieterin einer Wohnung in G*****, S*****gasse 126, die von der am 3. 12. 1998 verstorbenen Lebensgefährtin des Beklagten, der mit ihr in dieser Wohnung gelebt hatte, gemietet war. Der Beklagte ist seit 1985 Eigentümer einer Liegenschaft in G*****, M*****straße 23, auf der sich ein Einfamilienhaus befindet; dieses ist in einem äußerst schlechten Erhaltungszustand, sodass es zu Wohnzwecken nicht geeignet ist. Zum Zeitpunkt des Todes seiner Lebensgefährtin wäre es ihm angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht möglich gewesen, jene Investitionen in das Haus zu tätigen, die erforderlich gewesen wären, um es bewohnbar zu machen. Der Beklagte ist seit 1993 arbeitslos; er bezog zuletzt Notstandsunterstützung in der Höhe von S 277 täglich.

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten die Räumung der Wohnung wegen titelloser Benützung. Er habe im Hinblick auf ein eigenes Haus kein dringendes Wohnbedürfnis im Sinne des § 14 Abs 3 MRG. Eine allfällige Unbewohnbarkeit des Hauses habe er selbst verschuldet, weil er keine Investitionen getätigt habe.

Der Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass ihm ein Eintrittsrecht nach seiner Lebensgefährtin zustehe. Da sein Haus unbewohnbar sei und er die für eine Instandsetzung erforderlichen Mittel nicht aufbringen könne, habe er ein dringendes Wohnbedürfnis an der Mietwohnung seiner verstorbenen Lebensgefährtin. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass eine Räumungsklage des Vermieters wegen titelloser Benützung gegenüber einer Person, die ihr Eintrittsrecht geltend mache, rechtlich zulässig sei, da der Vermieter nur auf diese Weise die Frage des Bestehens eines Eintrittsrechts klären lassen könne. Der Beklagte sei als Lebensgefährte der Mieterin dann eintrittsberechtigt, wenn er ein dringendes Wohnbedürfnis am Mietobjekt habe. Wenn ein Eintrittsberechtigter über eine eigene Wohnung verfüge, sei das dringende Wohnbedürfnis sehr streng zu prüfen und nicht anders als beim Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 8 MRG (Eigenbedarfskündigung des Vermieters) zu beurteilen. Ein dringendes Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten sei zu verneinen, wenn ihm eine andere, ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe. Es müsse eine notstandsartige Situation, also die unabweisliche Notwendigkeit bestehen, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand weiter zu belassen. Dabei treffe den Eintrittswerber die Beweislast dafür, dass trotz Vorhandenseins einer eigenen Wohnung dennoch ein dringender Wohnbedarf an der aufgekündigten Wohnung gegeben sei. Dies könne der Fall sein, wenn die dem Eintrittswerber sonst zur Verfügung stehende Wohnung völlig unbrauchbar bzw unbewohnbar sei. Dabei sei aber darauf abzustellen, ob ihm die Sanierung zugemutet werden könne. Im vorliegenden Fall sei das Haus des Beklagten zum Zeitpunkt des Todes seiner Lebensgefährtin unbewohnbar und unbrauchbar gewesen. Auch wenn der Beklagte diesen Zustand durch sein Verhalten, nämlich durch das Unterlassen jeglicher Investitionen, herbeigeführt habe, so dürfe nicht übersehen werden, dass er auch zum Zeitpunkt des Todes seiner Lebensgefährtin die für die Bewohnbarmachung dieses Objekts notwendigen Mittel nicht gehabt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Ein dringendes Wohnbedürfnis sei zu verneinen, wenn einer eintrittsberechtigten Person eine andere ausreichende und angemessene Unterkunft zur Verfügung stehe, die entweder dem Eintrittsberechtigten selbst zusteht oder deren Beschaffung keine objektiven Schwierigkeiten entgegenstehen. Dabei sei immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es stehe fest, dass das Haus unbewohnbar sei und dass der Beklagte nicht über die erforderlichen Mittel verfüge, um eine Bewohnbarkeit herbeizuführen. Dass die Nichtbenützbarkeit der Liegenschaft darauf zurückzuführen sei, dass er sie nicht bewohnt und als Lagerplatz für Gerümpel verwendet habe, sei für die Beurteilung des dringenden Wohnbedarfs nicht von Bedeutung, auch wenn ihm die Tragung der laufenden Erhaltungskosten möglich gewesen wäre. Die zur Frage eines selbst verschuldeten Eigenbedarfs eines kündigenden Vermieters entwickelten Rechtssätze könnten nicht auf den ein Eintrittsrecht gemäß § 14 MRG geltend machenden Angehörigen des Mieters übertragen werden. Hier komme es grundsätzlich auf die objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Todes des Mieters an. Ein dringendes Wohnbedürfnis könne nur verneint werden, wenn der eintrittsberechtigten Person zu diesem Zeitpunkt eine andere zur sofortigen Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses geeignete Wohngelegenheit zur freien Verfügung stünde. Es sei daher nicht zu prüfen, ob oder inwieweit der Beklagte die derzeitige Nichtbenützbarkeit seines Hauses "verschuldet" hat. Sein Wohnbedürfnis könnte nur dann verneint werden, wenn die Vernachlässigung seines Eigentums gerade deshalb erfolgt wäre, um sich ein Eintrittsrecht zu sichern, wofür jedoch weder Behauptungen noch Beweisergebnisse vorlägen. Gerade der Umstand, dass seine Lebensgefährtin bereits mit 44 Jahren verstorben ist, habe nicht erwarten lassen, dass der Beklagte in absehbarer Zeit auf eine eigene Wohnmöglichkeit angewiesen sein würde. Da dem Beklagten eine Sanierung seiner Liegenschaft nicht zugemutet werden könne, bestehe für ihn die Notwendigkeit, den beim Tod der Mieterin gegebenen Zustand weiter zu belassen.

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig, weil zur Frage, ob ein "verschuldeter" Verlust einer eigenen Wohnmöglichkeit Einfluss auf das Eintrittsrecht eines Angehörigen nach § 14 MRG hat, noch keine Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliegt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Auffassung der Revisionswerberin, einem an sich eintrittsberechtigten Angehörigen wäre ein Eintrittsrecht bei schuldhaftem Verlust einer eigenen Wohnmöglichkeit ebenso zu versagen, wie dem Vermieter das Kündigungsrecht bei selbstverschuldetem Eigenbedarf, kann schon wegen der ganz unterschiedlichen Ausgangslage nicht gefolgt werden. Diese Konsequenz lässt sich auch keineswegs aus jener Judikatur ableiten, die ausspricht, dass das "dringende Wohnbedürfnis" des Angehörigen im Fall des § 14 Abs 3 MRG nicht anders zu beurteilen sei als jenes des Vermieters im Rahmen einer Eigenbedarfskündigung nach § 30 Abs 1 Z 8 MRG. Von dieser Judikatur sind auch die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen.

Etwas ganz anderes ist aber die Frage, unter welchen Voraussetzungen - trotz des Vorliegens eines dringenden Wohnbedürfnisses! - dennoch die an sich für diesen Fall vorgesehene Rechtsfolge zu verweigern ist. Dass dem Vermieter eine Berufung auf dringenden Eigenbedarf und eine daraus resultierende Kündigungsmöglichkeit nicht zustehen soll, wenn er diesen Eigenbedarf selbst verschuldet hat, liegt auf der Hand, weil es ihm sonst ohne weiteres möglich wäre, entgegen der gesetzgeberischen Interessenabwägung zu Lasten des Mieters einen Kündigungsgrund herbeizuführen. Von einer vergleichbaren Situation kann aber in den Fällen des dringenden Wohnbedürfnisses eines eintrittsberechtigten Angehörigen keine Rede sein. Dort läge eine Parallele zu dem von der Revisionswerberin aufgezeigten Versagungsgrund bei der Eigenbedarfskündigung in der schuldhaften Herbeiführung des Eintrittsfalles, also der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem bisherigen Mieter durch dessen Tod. Nur für diesen Fall könnte mit Recht gesagt werden, dass der Eintrittsberechtigte hier seine Eintrittsmöglichkeit in derselben Weise herbeigeführt hätte wie jener Vermieter seine Kündigungsmöglichkeit, der sich auf den Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfs beruft. Die auf einer vermeintlichen Parallele zum selbst verschuldeten Eigenbedarf des Vermieters aufbauende Argumentation der klagenden Partei geht somit ins Leere. Auch sonst ist die Revisionswerberin nicht in der Lage zu begründen, warum es in einem Fall wie dem vorliegenden sachgerecht sein sollte, dem Beklagten, der auf die Benützung der bisherigen Wohnung angewiesen ist, das vom Gesetz für diesen Fall vorgesehene Eintrittsrecht nur deshalb zu verwehren, weil er in den 14 Jahren vor dem Tod seiner Lebensgefährtin nicht sein (nahezu gesamtes) Vermögen in die Erhaltung seines Elternhauses investiert hat, das er seit dem Eigentumserwerb im Jahr 1985 nie bewohnt hat. Dass ein eintrittsberechtigter Angehöriger - im Interesse des Vermieters an einer Nichtausübung seines Eintrittsrechts - gehalten wäre, einmal erworbene eigene Wohnmöglichkeiten zu erhalten, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Eine (unvertretbare) Konsequenz der Argumentation der klagenden Partei wäre es etwa auch, dass ein Angehöriger, der mehrere Jahrzehnte gemeinsam mit dem Mieter in einer Wohnung lebt, während der gesamten Zeit gezwungen wäre, unter Umständen ganz erhebliche Teile seines Einkommens dafür zu verwenden, eine zum Zeitpunkt der Begründung der Wohngemeinschaft oder in deren Verlauf erworbene Wohnmöglichkeit (zB Mietwohnung, Eigentumswohnung, Einfamilienhaus) nicht nur zu erhalten, sondern auch auf deren Aufgabe zu verzichten. Es erscheint aber evident, dass etwa einem Angehörigen, der 10 Jahre vor dem Tod des Mieters seine frühere Mietwohnung aufgegeben hat, das gesetzliche Eintrittsrecht nicht mit der Begründung verweigert werden kann, dass er sein dringendes Wohnbedürfnis selbst verschuldet hätte. Nicht wesentlich anders liegt aber der hier zu beurteilende Fall, in dem das dringende Wohnbedürfnis des Beklagten zweifellos vorliegt und auch nicht zu erkennen ist, warum es für sein Eintrittsrecht von Bedeutung sein sollte, dass er nicht - durch erhebliche Vermögensaufwendungen - dafür gesorgt hat, dass ihm eine früher (seit 1985) zur Verfügung stehende Wohnmöglichkeit erhalten bleibt. Der vom Berufungsgericht erwogene Sonderfall, in dem ein Eintrittsberechtigter seine bisherige Wohnmöglichkeit gerade deshalb "aufgibt", um sich ein Eintrittsrecht zu sichern, ist mangels dazu in erster Instanz aufgestellter Prozessbehauptungen nicht zu beurteilen; das erstmals im Revisionsverfahren erstattete Vorbringen, der Beklagte habe "in sittenwidriger und offensichtlich vorsätzlicher Weise eine Wohnmöglichkeit ... verkommen lassen und somit für sich unbewohnbar gemacht", ist schon auf Grund des Neuerungsverbotes des § 482 ZPO unbeachtlich. Entsprechendes gilt für die Revisionsausführung, es wäre für den Beklagten ein Leichtes, zur Sanierung einen mit seiner Liegenschaft besicherten Kredit aufzunehmen, den er aus den für ihn dann wegfallenden monatlichen Mietzinszahlungen tilgen könnte. Diesem Argument ist - abgesehen vom Verstoß gegen das Neuerungsverbot - weiters entgegenzuhalten, dass das Eintrittsrecht nach § 14 Abs 3 MRG kaum einen Anwendungsbereich hätte, wenn jeder Eintrittsberechtigte darauf zu verweisen wäre, dass er sich doch eine andere, gleich teure Wohnmöglichkeit suchen könne. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 40 Abs 1 ZPO.

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