OGH 2Ob158/02b

OGH2Ob158/02b27.6.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried R*****, vertreten durch Dr. Hans Kaska und Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Juliet R*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 14. Februar 2002, GZ 36 R 54/02p-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Herzogenburg vom 29. November 2001, GZ 7 C 485/01i-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wie folgt zu lauten hat:

Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, das Haus***** H*****, V*****straße 27, bestehend aus Wohnzimmer, Esszimmer, Küche, Vorraum, Nebenräumen und Keller sowie Garten zu räumen und binnen 14 Tagen der klagenden Partei geräumt von ihren Fahrnissen zu übergeben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 769,07 (darin enthalten Umsatzsteuer von EUR 128,18, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 867,78 (darin enthalten Umsatzsteuer von EUR 109,30 und Barauslagen von EUR 212) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB ***** O***** mit dem darauf erbauten Haus H*****, V*****straße 27. Die Ehe der Streitteile wurde aus dem Verschulden des Mannes geschieden, ein Verfahren nach den §§ 81 ff EheG hat nicht stattgefunden. Der Ehe entstammen die minderjährigen Kinder Jasmin, geboren am 6. 6. 1986 und Tamara, geboren am 22. 2. 1989. Die Obsorge über die beiden Kinder kommt aufgrund des rechtskräftigen gerichtlichen Beschlusses vom 17. 11. 1989 der beklagten Mutter zu.

Der Kläger begehrt die Räumung der von der Beklagten in seinem Haus bewohnten Wohnung mit der Begründung, sie bewohne diese lediglich aufgrund ihrer vormaligen Stellung als Ehegattin. Eine Zuteilung der Wohnung an sie sei nicht erfolgt.

Die Beklagte erwiderte, sie habe sich mit dem Kläger darauf geeinigt, dass sie nach wie vor im bisherigen Hause wohnen könne. Weiters handle es sich bei der gegenständlichen Wohnung um die Familienwohnung, bei Klagsstattgebung wäre eine Trennung von den Kindern die Folge.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei folgende Feststellungen getroffen wurden:

Der Kläger ist 1988 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen, die Beklagte verblieb dort mit den beiden gemeinsamen Kindern. Noch während aufrechter Ehe bezahlte der Kläger sämtliche Betriebskosten für das Haus, die Beklagte kam lediglich für die Heizkosten auf. Im Rahmen des Scheidungsverfahren 1998 kam es zu keiner Regelung bezüglich der Wohnung. Der Kläger hat weiterhin geduldet, dass die Beklagte auch nach Auflösung der Ehe in der bisherigen Ehewohnung verblieb. Die Beklagte hat dafür nichts bezahlt. Auch nach der Scheidung hat der Kläger die Betriebskosten für das Haus mit Ausnahme der Heizung übernommen. Nach dem Scheidungsverfahren hat er die Beklagte aufgefordert, die Wohnung zu verlassen, die Beklagte hat dies zugesagt, ist aber in der bisherigen Wohnung verblieben. Sie wohnt in der Wohnung mit den beiden Kindern. Die Wohnung ist ca 88 m² groß.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, mit Auflösung der Ehe seien die aus dem Eheband beruhenden wechselseitigen Rechte und Verpflichtungen zwischen den Streitteilen erloschen. Die Beklagte habe kein auf § 97 ABGB gestütztes Recht an der Wohnung. Eine Vereinbarung dahingehend, dass sie auch nach Auflösung der Ehe weiterhin in der Ehewohnung bleiben könne, habe nicht festgestellt werden können. Der Kläger habe lediglich den bisherigen faktischen Zustand weiterhin geduldet. Daraus folge, dass er jederzeit die Bittleihe widerrufen könne und damit die Beklagte ihr Recht auf Benutzung der Wohnung verliere. Infolge titelloser Benutzung sei dem Klagebegehren stattzugeben.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht führte zur Rechtsfrage aus, die Beklagte habe keinen familienrechtlichen Anspruch auf Weiternutzung der vormaligen Ehewohnung ein solcher Anspruch sei auf die Dauer der Ehe beschränkt und erlösche mit deren Auflösung. Auch eine Vereinbarung der Streitteile, wonach der Kläger der Beklagten gestatte, die Wohnung weiter zu benutzen, sei nicht festgestellt worden. Die Beklagte könne auch von den gemeinsamen Kindern keinen Anspruch ableiten, in der ehemaligen Ehewohnung zu verbleiben. Wohl könne der Wohnungsinhaber denjenigen nicht auf Räumung klagen, der sein Benützungsrecht von der Ehegattin ableite, der die Wohnung überlassen worden sei. Auch der Ehegatte, der sein Recht zur Benützung einer Wohnung oder eines Hauses von einem dem anderen Ehegatten eingeräumten Benützungsrecht ableiten könne, könne nicht ohne Widerruf des dem anderen Ehegatten eingeräumten Prekariums vom Wohnungsinhaber auf Räumung belangt werden. In der Entscheidung EvBl 1992/108 sei ausgesprochen worden, dass sich der Anspruch des unterhaltsberechtigten Kindes auf Naturalunterhalt durch Wohnversorgung nicht schon dadurch in einen Geldunterhaltsanspruch verwandle, dass der Unterhaltspflichtige aus der Wohnung ausziehe. In einem solchen Fall habe das Kind das Recht, die Wohnung weiterzubenützen und dennoch darüberhinaus zur Befriedigung der übrigen Bedürfnisse Geldunterhalt zu verlangen. Es könne daher sein, dass im konkreten Fall die Töchter der Streitteile gegenüber dem Kläger im Sinne dieser Entscheidung nach wie vor einen familienrechtlichen Titel auf Weiterbenützung der Wohnung im Hause des Klägers hätten. Daraus sei aber für die Beklagte nichts zu gewinnen. Aufgrund ihres alleinigen Obsorgerechtes obliege ihr ua die Pflege und Erziehung (§ 146 ABGB) der Töchter. Dabei handle es sich um eine Pflicht der Mutter, zur Erfüllung dieser Pflicht seien ihr aber korrespondierende Rechte eingeräumt. Ein Recht der obsorgeberechtigten Mutter, im gleichen Ort aufhältig zu sein, wie die Kinder, könne daraus aber nicht abgeleitet werden. Es sei Sache der obsorgeberechtigten Mutter, über den Aufenthalt der Kinder zu bestimmen. Wenn sie selbst kein Recht darauf habe, in der vormaligen Ehewohnung weiter zu wohnen, könne sie ohne Einigung mit dem Verfügungsberechtigten über diese Wohnung - hier dem Kläger - die Obsorge in dieser Wohnung eben nicht weiter ausüben. Wollte man der Rechtsansicht der Beklagten folgen, würde dies dazu führen, dass in derart gelagerten Fällen dem Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG in Bezug auf die Ehewohnung für die Dauer der Obsorge der Anwendungsbereich entzogen wäre.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine derartige Sachverhaltskonstellation in Bezug auf ein familienrechtliches Wohnverhältnis vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt worden sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die Beklagte macht in ihrem Rechtsmittel ua geltend, durch den Auszug des unterhaltspflichtigen Vaters (Klägers) habe sich der Anspruch der unterhaltsberechtigten Kinder auf Gewährung von Naturalunterhalt durch Wohnversorgung nicht in einen solchen auf Geldunterhalt gewandelt. Den Kindern komme daher ein aus dem Familienrecht erfließendes Recht auf Wohnen zu, welches einem Räumungsbegehren entgegenstehe (EvBl 1992/108). Sie (die Beklagte) sei allein für die beiden Töchter obsorgeberechtigt. Sie müsse sich daher grundsätzlich bei den Kindern aufhalten können, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Würde man der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes folgen, müsste sie im Hinblick auf die sie treffende Obsorgepflicht die ehemals gemeinsame Familienwohnung mit den Kindern verlassen, da ihr sonst eine Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht mehr möglich wäre. Dies würde zwar allenfalls zu einer Neubemessung des vom Kläger zu leistenden Geldunterhaltes führen, würde aber die Kinder dennoch aus der gewohnten Umgebung reißen und deren eigenständiges Recht zerstören, wozu die Kindesmutter nicht verpflichtet sein könne. Das Wohl der Kinder würde mit Füßen getreten werden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Wie das Berufungsgericht an sich zutreffend dargelegt hat, wandelt sich der Anspruch des unterhaltspflichtigen Kindes auf Naturalunterhalt nicht schon dadurch in einen solchen auf Geldunterhalt, dass der Unterhaltspflichtige aus der Wohnung auszieht. Vielmehr hat in einem solchen Fall das Kind das Recht, die Wohnung weiter zu benützen und dennoch darüber hinaus zur Befriedigung seiner übrigen Bedürfnisse Geldunterhalt zu verlangen (RIS-Justiz RS0047463 EvBl 1992/108 Schwimann, Unterhaltsrecht², 91). Das hat zur Folge, dass der klagende Vater von seinen beiden Kindern die Räumung der von ihnen benützten Wohnung nicht verlangen könnte. Der Mutter steht nun im vorliegenden Fall die Obsorge über die beiden Töchter zu, diese umfasst die Pflege und Erziehung (§ 146 ABGB). Dabei handelt es sich um eine Pflicht der Mutter, der allerdings zur Erfüllung dieser Pflicht korrespondierende Rechte zustehen (Stabentheiner in Rummel³, ABGB, § 144 Rz 1 vgl auch Peter Huber in MünchenerKommzBGB4, § 1626 Rz 7). Den sich daraus ergebenden Rechten der Mutter kommt absoluter Schutz zu (SZ 70/163 mwN vgl auch Huber, aaO, § 1626 Rz 8). Es kann nun im vorliegenden Fall kein Zweifel daran bestehen, dass die Mutter die Pflege und Erziehung über die minderjährigen Töchter nur dann ausüben kann, wenn sie mit diesen in der gemeinsamen Wohnung wohnt. Daraus folgt, dass die beklagte Mutter, solange ihr die Obsorge über die beiden Töchter zusteht, im Hinblick auf das Recht der Töchter, in der Wohnung zu verbleiben, ein Recht darauf hat, ebenfalls in dieser Wohnung Pflege und Erziehung auszuüben. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Kinder müssten gemeinsam mit der Mutter die Wohnung verlassen, berücksichtigt nicht ausreichend, dass eben die Kinder ein familienrechtliches Wohnrecht haben. Würde man nicht der Mutter ein von den Kinder abgeleitetes Wohnrecht einräumen, hätte dies im Ergebnis zur Folge, dass auch die Kinder ihr Wohnrecht verlieren müssten. Dass dies dem Wohl der Pflegebefohlenen widerspräche, ist offenkundig.

Es ist auch nicht zutreffend, dass diese Rechtsansicht zur Folge hat, dass dem Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG in Bezug auf die Ehewohnung für die Dauer der Obsorge der Anwendungsbereich entzogen wäre. Vielmehr entspricht es auch der Billigkeit, die Ehewohnung ohnehin jenem Ehegatten zu überlassen, in dessen Haushalt die Kinder bleiben, wenn die Beiträge der Ehegatten gleichgewichtig sind und keiner der beiden auf die Zuteilung der Ehewohnung unbedingt angewiesen ist (Bernardt in Schwimann² § 83 EheG Rz 4 mwN RIS-Justiz RS0057261).

Es war deshalb der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Räumungsbegehren abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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