OGH 14Os22/02 (14Os31/02)

OGH14Os22/02 (14Os31/02)9.4.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. April 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtanwärters Mag. Reiter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Sholam W***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 22 cVr 7.808/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 1. Feber 2002, AZ 22 Bs 379/01 (= ON 128), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Sholam W***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Sholam W***** wurde am 24. Oktober 2000 auf Grund des Haftbefehls des Bezirksgerichtes der Vereinigten Staaten, Bezirk Florida-Mitte, Abteilung Orlando vom 18. Oktober 1999, Fall-Nr 98-99 Cr-Orl-19A, in Wien verhaftet; am 27. Oktober 2000 wurde über ihn die Auslieferungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr verhängt. Der nach Erlegung einer Kaution von 500.000 US-Dollar auf freien Fuß gesetzte Sholam W***** hatte sich vor einem Geschworenengericht in Florida wegen einer unter anderem Vermögensdelikte zum Nachteil von Versicherungsunternehmen mit einer Schadenssumme von über 250 Mio US-Dollar umfassenden Anklage zu verantworten. Nach durchwegs in seiner Anwesenheit durchgeführtem aufwändigen Verfahren erschien er nicht mehr beim für 18. Oktober 1999 terminisierten Beginn der Beratung der Geschworenen, weshalb gegen ihn am selben Tag der Haftbefehl erlassen wurde. Nach weitgehend anklagekonformem Schuldspruch durch die Jury setzte das Gericht in einem weiterhin in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Verfahren die Strafe mit 845 Jahren fest. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Verteidigers wurde zurückgewiesen.

Mit Entscheidung vom 11. September 2001, AZ 22 Ns 2/01, erklärte das Oberlandesgericht Wien die Auslieferung des Sholam W***** wegen der genannten Delikte an die Vereinigten Staaten von Amerika (unter Hinweis auf Art 2 7. ZPEMRK) für unzulässig.

Am selben Tag leitete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien über Antrag der Staatsanwaltschaft das Auslandsverfahren in ein Inlandsverfahren gemäß § 65 Abs 1 Z 2 StGB über sowie die Voruntersuchung gegen Sholam W***** wegen "§§ 146 ff, 156, 164, 165, 278a StGB" ein (S 3a19 verso) und verhängte über ihn aus den Gründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft (ON 94). Am 9. Oktober 2001 wurde Sholam W***** gegen Anwendung der gelinderen Mittel nach § 180 Abs 5 Z 1 bis 6 StPO sowie Leistung einer Sicherheit in der Höhe von 20 Mio S (§ 180 Abs 5 Z 7, § 190 Abs 1 StPO) enthaftet (ON 93a).

Der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde mit der angefochtenen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien Folge gegeben, der zitierte Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die Erlassung eines Haftbefehls gegen Sholam W***** aus den Gründen des § 175 Abs 1 Z 2 und Z 4 StPO, (nach Einlieferung) die Fortsetzung der Untersuchungshaft über den Genannten aus den Gründen des § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO sowie - nach Inhaftnahme - die Erklärung, dass eine gestellte Bankgarantie derzeit nicht in Anspruch genommen werde, aufgetragen (ON 128).

Auf Grund des folgenden Haftbefehls der Untersuchungsrichterin vom 1. Feber 2002 (ON 129) wurde Sholam W***** am selben Tag festgenommen und über ihn aus den genannten Haftgründen am 3. Feber 2002 die Untersuchungshaft verhängt (ON 132).

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 1. Feber 2002 gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist zulässig, weil durch den (kassatorischen) Beschluss des Gerichtshofs zweiter Instanz nach ursprünglich "einverständlicher" Enthaftung die Fortsetzung der Untersuchungshaft - abschließend - effektuiert wurde (Mayrhofer/Steininger GRBG § 1 Rz 47, vgl 14 Os 161/96 = EvBl 1997, 89 = RZ 1997/75). Dass gegen den (folgenden) erstgerichtlichen Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft ein weiterer Rechtszug offensteht, ist hier ohne Belang.

Der Umstand, dass der öffentliche Ankläger einer Enthaftung des Beschuldigten gegen gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 Z 1 bis 5 und 7 StPO unter der Voraussetzung einer Kaution von nicht weniger als 20 Mio S nicht entgegentrat (S 3a23), nimmt ihm - der Beschwerde zuwider - nicht die Rechtsmittellegitimation. Konnte er bei seiner Äußerung doch davon ausgehen, dass die Untersuchungsrichterin vor der Annahme der Kaution Erhebungen über die Redlichkeit der Herkunft vornehmen werde (§ 191 Abs 1 letzter Satz StPO), zumal die Antragsbehauptung (ON 101), die Kaution werde von dritter Seite, insbesondere von zahlreichen Familienmitgliedern, gestellt und die Authentizität bezüglicher Erklärungen (ON 105) nicht überprüft wurde. Insofern der Beschuldigte auf von ihm im Dezember 2001 vorgelegte Urkunden zur angeblichen Redlichkeit der Kautionsherkunft verweist, übergeht er die Erklärung des Masseverwalters der N***** (ON 127a), nach der der Beschuldigte unter Mitwirkung (teils aktenkundiger) Angehöriger und Vertrauenspersonen aus den in Rede stehenden Straftaten stammende Geldbeträge in der Höhe von vielen Millionen US-Dollar ins Ausland, auch nach Österreich transferiert habe.

Dem Beschwerdegericht ist beizupflichten, dass nach Lage des - komplexen - Falls mit (vom Beschwerdeführer nicht zustande gebrachter) Schadenssumme von über 250 Mio US-Dollar der Umstand, dass der einkommens- und vermögenslose, wegen eines (erheblichen) Vermögensdelikts vorbestrafte Beschuldigte eine - beträchtliche - Kaution von 20 Mio S anbietet, den Verdacht nahelegt, dass die angebotene Kautionssumme aus einer gerichtlich strafbaren Handlung des Beschuldigten herrühre (Mayerhofer StPO4 § 191 E 5a). Insofern die Beschwerde weiters den angenommenen Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO bestreitet, genügt ihr entgegenzuhalten, dass jener sich schon darin manifestiert, dass sich der Beschuldigte bereits einmal nach Stellung einer namhaften Kaution dem Strafverfahren durch Flucht entzogen hat, ihm im Inland eine Strafe bis zu zehn Jahren droht und er zudem - wie nach der ersten Flucht gezeigt - über zahlreiche Auslandsbeziehungen verfügt, die ihm einen Aufenthalt unter Vermeidung drohender Auslieferung nach den Vereinigten Staaten von Amerika ermöglichen könnten. Letztlich kommt aber der Frage nach der Herkunft der Kaution deshalb keine entscheidende Bedeutung zu, weil das Oberlandesgericht mit Blick auf die führende Rolle des einschlägig vorbestraften Beschuldigten im Rahmen organisierter Vermögensdelinquenz mit äußerst massivem Schaden zulässig (EvBl 2001/25 = JBl 2001, 672) und zutreffend (auch) von dem oben näher bezeichneten Haftgrund der Tatbegehungsgefahr ausgegangen ist, der aber schon allein die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (Mayrhofer/Steininger aaO § 2 Rz 57, Hager/Holzweber GRBG § 2 E 24). Sholam W***** wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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