OGH 9ObA69/02s

OGH9ObA69/02s27.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tzt Ulrike Zimmerl und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Siegfried S*****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei T*****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler ua, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen EUR 1.513,25 sA (Revisionsinteresse), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Dezember 2001, GZ 8 Ra 172/01b-19, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juni 2001, GZ 43 Cga 110/00v-14, in der Hauptsache bestätigt und im Zinsenzuspruch abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Abweisung von S 13.739,34 sA und des 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war unter anderem in der Zeit vom 5. 5. 1997 bis 10. 4. 1998 bei der beklagten Partei, die ein Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen betreibt, als Elektriker (Facharbeiter) beschäftigt. In diesem Zeitraum war er an die C***** GmbH, einen Industriebetrieb, "verliehen", wo er als Elektromonteur eingesetzt wurde. Eine ausschließliche Überlassung an einen bestimmten Beschäftiger oder an einen bestimmten Industrie- oder Gewerbezweig war im Dienstvertrag nicht vorgesehen. Während des maßgeblichen Zeitraums erhielt er ein Entgelt in Höhe des Mindestlohns nach dem Kollektivvertrag für die Metallindustrie. Erstmals im Oktober 2000 begehrte er schriftlich Nachzahlungen auf das ihm gesetzlich zustehende Entgelt.

Mit seiner am 29. 11. 2000 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt er - nach Klageeinschränkung - letztlich S 34.562,08 brutto. Dabei handle es sich um die Differenz zwischen dem ihm tatsächlich ausgezahlten Lohn und dem ihm gemäß § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG zustehenden "angemessenen ortsüblichen Lohn" am Sitz des Überlasserbetriebs. Nach der von der Wirtschaftskammer Österreich erstellten Statistik der Löhne für den gesamten Industriebereich habe das angemessene Entgelt für einen Facharbeiter am Sitz des beklagten Unternehmens im Jahr 1997 brutto S 24.100 und im Jahr 1998 brutto S 24.800 betragen. Eine Verjährung seiner Ansprüche sei nicht eingetreten.

Die beklagte Partei wandte dagegen im Wesentlichen ein, dass der Kläger das ortsübliche angemessene Entgelt im Sinne des § 10 Abs 1 AÜG erhalten habe. Es sei dies jenes Entgelt, das Leiharbeitsunternehmen üblicherweise einem Arbeitnehmer mit entsprechendem Ausbildungsstand unabhängig davon zahlen, ob und bei welchem Unternehmen er zum Einsatz komme. Er sei während seiner Beschäftigung ausschließlich bei Betrieben eingesetzt worden, auf die entweder der Kollektivvertrag für das Metallgewerbe oder für die Metallindustrie zur Anwendung gelange. Nach den Verjährungs- und Verfallsbestimmungen dieser Kollektivverträge sei ein Anspruch des Klägers jedenfalls verjährt bzw verfallen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 20.822,74 brutto samt 9 % Zinsen seit 11. 4. 1998 statt; die Abweisung des Mehrbegehrens (S 13.739,34 samt Zinsen) erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Aus der Lohnstatistik für die Metallindustrie der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie ergebe sich für einen Facharbeiter im Bezirk Linz-Land für 1997 ein ortsüblicher (durchschnittlicher) Monatslohn von S 24.500 und für 1998 von S

25.200. Aus der Lohnstatistik der Wirtschaftskammer Österreich für die gesamte Industrie sei für diesen Bezirk für das Jahr 1997 ein ortsübliches Entgelt für einen Facharbeiter von S 24.100 und für das Jahr 1998 von S 24.800 zu entnehmen. Für den Gewerbebereich ergebe sich eine durchschnittliche Höhe von ca 80 % der Industrielöhne. Nach § 10 Abs 1 AÜG habe die Arbeitskraft Anspruch auf ein angemessenes, auf den Standort des Überlasserbetriebes bezogenes, ortsübliches Entgelt, sofern - wie hier - für den Überlasser kein Kollektivvertrag bestehe. Dabei sei auch eine ortsübliche Überzahlung des Kollektivver- trags-Mindestentgelts zu berücksichtigen. Nur wenn von vornherein der Beschäftigerbetrieb feststehe und eine branchenspezifische Tätigkeit vereinbart werde, komme es auf das angemessene ortsübliche Entgelt im Industriezweig des Beschäftigerbetriebes an, sonst auf das übliche Lohnniveau für Facharbeiter jener Branche, in der die Arbeitskraft tätig wird. Da somit nicht auf den Kollektivvertragslohn des Beschäftigerbetriebes abzustellen sei, könnten auch allfällige Verjährungs- und Verfallsbestimmungen dieses Kollektivvertrages keine Wirkung entfalten, sodass die dreijährige Verjährungsfrist des ABGB anzuwenden sei. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger nach dem Dienstvertrag jederzeit mit einem Einsatz in einem Gewerbebetrieb oder einem Industriebetrieb habe rechnen müssen, könne für den ortsüblichen Lohn nicht ausschließlich von den Verhältnissen im Industriebereich ausgegangen werden. Da die durchschnittlichen Löhne in Gewerbebetrieben um 20 % unter den Industrielöhnen lägen, erscheine unter Anwendung des § 273 ZPO ein Abzug von 10 % vom Industrielohn gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der beklagten Partei nur im Zinsenpunkt Folge. Mangels Bestehens kollektivvertraglicher Regelungen für den Überlasserbetrieb sei der Grundlohnanspruch des Klägers nach § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG zu bestimmen, wobei nicht nur ein möglichst sacheinschlägiger Kollektivvertrag, sondern auch eine ortsübliche Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgelts zu berücksichtigen sei. Dabei sei der Begriff der "Ortsüblichkeit" auf den Standort des Betriebes des inländischen Überlassers zu beziehen. Auch wenn einzelne Betriebe im maßgeblichen Bereich ihre Arbeitnehmer nur nach dem jeweils in Betracht kommenden kollektivvertraglichen Mindestlohn entlohnen sollten, sei der Kläger nicht darauf beschränkt, da bei der Ermittlung seines Grundlohns auch ortsübliche Überzahlungen zu berücksichtigen seien. Dies erscheine aber nur unter Heranziehung eines Durchschnittslohnes für die im Arbeitsvertrag vorgesehene Beschäftigung im örtlichen Bereich des Überlassers möglich. Die Bedachtnahme des Erstgerichts auf die Durchschnittslöhne für Metall-Facharbeiter im Bereich Linz-Land - mit einem 10 %-igen Abschlag von den festgestellten (durchschnittlichen) Industrielöhnen - sei somit nicht zu beanstanden. Allfällige Verjährungs- oder Verfallsbestimmungen von Kollektivverträgen seien nur auf Ansprüche nach § 10 Abs 3 AÜG, soweit sie den Grundlohnanspruch übersteigen, anwendbar. Für den Grundlohnanspruch nach § 10 Abs 1 Z 1 (richtig Satz 1) AÜG gelte die dreijährige Verjährungsfrist des § 1486 ABGB. Das Berufungsgericht erachtete die Revision für zulässig, weil der Rechtsfrage der Anwendung von Verfallsfristen des Beschäftiger-Kollektivvertrages, wenn die überlassene Arbeitskraft ein höheres ortsübliches angemessenes Entgelt begehrt, eine erhebliche Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist schon deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht mit seiner Bedachtnahme auf den Durchschnittslohn eines Facharbeiters in der Metallindustrie (wenn auch mit einem Abschlag von 10 %) von der neuesten Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Es entspricht ganz herrschender Judikatur (SZ 64/161, Arb 10.979, 9 ObA 195/01v, 8 ObA 28/01b ua), dass mit den Sätzen 1 und 2 des § 10 Abs 1 AÜG das der Arbeitskraft unabhängig von der einzelnen Überlassung gebührende Entgelt (Grundentgelt) inhaltlich geregelt wird. In Ermangelung eines Kollektivvertrags für Arbeitskräfteüberlassungsbetriebe im Sinne von Satz 2 ist zur Ermittlung dieses Grundentgelts allein Satz 1 heranzuziehen. Der danach zu ermittelnde Grundentgeltsanspruch ist dem Arbeitnehmer jedenfalls gesichert, und zwar auch dann, wenn er in einem Beschäftigerbetrieb eingesetzt werden sollte, für den ein Kollektivvertrag ein niedrigeres Mindestentgelt vorsieht (DRdA 2001/4).

In seiner Entscheidung vom 13. 12. 2001 (8 ObA 226/01w) hat sich der Oberste Gerichtshof mit einem ganz ähnlichen Fall - auch dort ging es um einen Elektro-Facharbeiter - mit den auch hier maßgeblichen Rechtsfragen auseinandergesetzt und nach Eingehen auf die bisher in Rechtsprechung und Lehre vertretene Argumente bekräftigt, dass der Grundanspruch nach Satz 1 unter Heranziehung eines möglichst sacheinschlägigen Kollektivvertrages und einer ortsüblichen Überzahlung des kollektivvertraglichen Mindestentgeltes in der als einheitlicher Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Region zu ermitteln ist, wogegen es auf den in dieser Region von Überlasserbetrieben gewöhnlich bezahlten Lohn nicht ankommt. Den Bedenken, dass die Ermittlung dieses Grundentgelts schwierig sein könnte, sei entgegenzuhalten, dass dem Gesetzgeber durchaus unterstellt werden könne, durch die gesetzliche Regelung, insbesondere für die Arbeitgeber (Überlasser) einen Anreiz zum Abschluss von unmittelbar anzuwendenden Kollektivverträgen im Sinne des Satzes 2 gegeben haben zu wollen (so schon SZ 64/161). Auch die verwaltungsgerichtliche Judikatur (RdW 1996, 589 = ARD 4790/20/96) zeige, dass auch mit den Mitteln des Verwaltungsverfahrens die Ermittlung des angemessenen Entgelts auf Grundlage des § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG möglich sei. Bei der Ermittlung des angemessenen, ortsüblichen Entgelts sei vom wahren Willen der Parteien über die in Aussicht genommene Art der Arbeitsleistung, die der Leiharbeitnehmer zu erbringen hat, auszugehen. Dabei werde zu berücksichtigen sein, inwieweit entsprechende Berufsausbildungen, Berufserfahrungen und Vorkenntnisse Bedeutung haben und ob eine Einschränkung auf die Tätigkeit in bestimmten Branchen vorgesehen ist. Auf dieser Grundlage sei dann festzustellen, von welchen Kollektivverträgen - sei es im Bereich des Gewerbes oder der Industrie - diese "Art der Arbeitsleistung" (§ 11 Abs 1 Z 4 AÜG) so erfasst ist, dass die größtmögliche Übereinstimmung der aufgezählten Parameter festgestellt werden kann. Kämen danach mehrere Kollektivverträge in Betracht, so sei darauf abzustellen, ob einer dieser Kollektivverträge deutlich mehr Arbeitnehmer mit dieser "Art der Arbeitsleistung" erfasst als die anderen Kollektivverträge; dann sei dieser maßgeblich. Sollte dies nicht der Fall sein, so sei der Durchschnitt aus diesen kollektivvertraglichen Ansätzen zu bilden. In weiterer Folge sei das ortsübliche Entgelt, also die Frage der ortsüblichen Überzahlung, zu ermitteln. Dafür sei in der als einheitlicher Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Region festzustellen, wie jene Arbeitnehmer, die in diesen Kollektivverträgen Tätigkeiten der "Art der Arbeitsleistung" der Leiharbeitnehmer verrichten, über den Kollektivvertrag entlohnt werden. Dabei sei jedoch nicht nur ein Durchschnittswert festzustellen, sondern - unter Ausschaltung von extremen Abweichungen - die Bandbreite, in der diese Überzahlung erfolgt. Diese Bandbreite (exakter: deren unterer Wert) bilde dann die Untergrenze des angemessenen Entgelts im Sinne des § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG, die bei der gemeinsamen Festlegung des Entgelts entsprechend § 11 Abs 1 Z 1 AÜG zu beachten sei. Soweit das vereinbarte Entgelt gegen diese Untergrenze verstoße, stehe dem Arbeitnehmer die Möglichkeit offen, diese Vereinbarung gemäß § 879 ABGB anzufechten, indem er den Beweis dafür antritt, dass das festgelegte Entgelt außerhalb der Bandbreite im Sinne des § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG liegt. Zur Vermeidung der Schwierigkeiten bei dieser Entgeltermittlung könnten beide Vertragsparteien bei der Einschätzung dieser Bandbreite regelmäßig nicht nur auf die eigenen Erfahrungen, sondern auch auf die Erfahrungen der gesetzlichen und freiwilligen kollektivvertragsfähigen Interessenvertretungen zurückgreifen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher für die Ermittlung des angemessenen, ortsüblichen Entgelts nach § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG nicht ein Durchschnittswert der im betreffenden Arbeitsmarkt für vergleichbare Arbeitskräfte bezahlten Löhne heranzuziehen. Vielmehr ist - unter Ausschaltung von extremen Abweichungen bzw nicht repräsentativen Einzelfällen - die Bandbreite der bezahlten Löhne zu ermitteln. Da alle in dieser Bandbreite liegenden Entgelte sowohl als ortsüblich als auch als angemessen anzusehen sind, kann der überlassene Arbeitnehmer unter Berufung auf § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG jedenfalls keinen höheren Lohn verlangen, als es dem unteren Wert dieser Bandbreite entspricht, sofern nicht ein höheres Entgelt vereinbart wurde. Arbeitet eine nicht unmaßgebliche Anzahl vergleichbarer Arbeitnehmer zum Kollektivvertragslohn, kann - mangels günstigerer Vereinbarung - auch eine bei einem Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen beschäftigte Arbeitskraft als Grundentgelt nicht mehr verlangen; dann ist ja auch der Kollektivvertragslohn als ortsüblich und angemessen anzusehen. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings den Einwand der beklagten Partei verworfen, dass die in für vergleichbare Arbeitnehmer geltenden Kollektivverträgen enthaltenen Verfalls- bzw Verjährungsfristen auch auf den Grundlohn-Anspruch nach § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG anzuwenden wären. Diese Bestimmung stellt in keiner Weise auf kollektivvertragliche Regelungen ab, sondern verweist ausschließlich auf das (tatsächlich gezahlte) angemessene, ortsübliche Entgelt für vergleichbare Leistungen. Dass das Grundentgelt nicht niedriger sein kann als das Kollektivvertragsentgelt nach dem ungünstigsten in Betracht kommenden Kollektivvertrag, liegt in der Natur der Sache, ändert aber nichts daran, dass rechtlich die Bestimmungen der "sachnahen" Kollektivverträge keine Bedeutung für den Grundlohn-Anspruch der Arbeitskraft haben. Die Nichtanwendung kollektivvertraglicher Verfalls- und Verjährungsfristen beruht daher keineswegs auf einer "Rosinentheorie", sondern vielmehr auf der Entscheidung des Gesetzgebers, der der Arbeitskraft zumindest das für ihre Tätigkeit ortsübliche und angemessene Entgelt zukommen lassen will. Ob "Erhöhungsbeträge" nach § 10 Abs 1 Satz 3 AÜG im Hinblick auf die Verjährung allenfalls anders zu behandeln wären, ist hier nicht zu erörtern. Wenn in § 11 Abs 2 Z 5 AÜG allerdings ausdrücklich Vertragsbedingungen verboten werden, die die Verfalls- oder Verjährungsvorschriften verkürzen, so ist damit zwar primär die Verkürzung gesetzlicher oder für den Überlasserbetrieb allenfalls bestehender kollektivvertraglicher Fristen gemeint; diese zu Gunsten des Arbeitnehmers verfügte Beschränkung der Vertragsfreiheit spricht aber eher gegen eine Ergänzung des Einzelvertrags durch Hereinnahme von Bestimmungen allenfalls in Betracht kommender "sachnaher" Kollektivverträge als dafür. Abgesehen davon, dass die in Betracht kommenden Kollektivverträge dem Arbeitnehmer möglicherweise gar nicht bekannt sind - den Überlasser trifft auch keine gesetzliche Verpflichtung, die Arbeitskraft von deren Inhalt in Kenntnis zu setzen -, kann dem Arbeitnehmer auch nicht das Risiko aufgebürdet werden, den "richtigen" Kollektivvertrag zu ermitteln, was insbesondere dann von Bedeutung wäre, wenn mehrere in Betracht kommende Kollektivverträge unterschiedliche Verfalls- oder Verjährungsregelungen enthalten. Die für die potentiellen Beschäftigerbetriebe geltenden kollektivvertraglichen Bestimmungen sind daher auf den Grundentgeltsanspruch überlassener Arbeitskräfte auch in ihren Verfalls- und Verjährungsregeln nicht anzuwenden (so schon 8 ObA 1208/95). Auf eine Verjährung nach den allgemeinen Regeln des ABGB beruft sich die beklagte Partei in ihrer Revision nicht. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren - sofern der Kläger nach Erörterung entsprechende Prozessbehauptungen aufstellt - die Bandbreite der für die Arbeitsleistung eines Elektroinstallateurs (Facharbeiters) in den fraglichen Zeiträumen in der als einheitlicher Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Region, in der die beklagte Partei ihren Sitz hat, bezahlten Löhne zu ermitteln haben. Sollte sich danach ergeben, dass das dem Kläger bezahlte Entgelt nicht einmal die Untergrenze dieser Bandbreite erreicht hat, steht ihm die jeweilige Differenz zu, um das durch § 10 Abs 1 Satz 1 AÜG zwingend verfügte gesetzliche Mindestentgelt zu erreichen.

Zu den in der Revision ausgeführten verfassungs- und europarechtlichen Bedenken der beklagten Partei ist festzuhalten, dass sich diese auf die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes beziehen, das das angemessene, ortsübliche Entgelt durch Heranziehung eines Durchschnittslohns ermittelt hat. Da diese Rechtsauffassung vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt wird, erweisen sich die diesbezüglichen Ausführungen in der Revision als gegenstandslos. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit und die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit des § 10 Abs 1 erster Satz AÜG hat der erkennende Senat nicht.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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