Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Begründung
Rade St***** und Aleksandar I*****, jener teils als Bestimmungstäter nach § 12 (richtig:) zweiter Fall StGB (I/B/4), wurden (weil § 28 Abs 2 SMG in Hinsicht auf Ein- und Ausfuhr [zweiter und dritter Fall] einerseits sowie In-Verkehr-Setzen [vierter Fall] andererseits ein kumulatives Mischdelikt darstellt, richtig:) der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (I/A) sowie nach § 28 Abs 2 vierter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (I/B/1 bis 3 bzw I/C), St***** darüber hinaus des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall SMG (II) schuldig erkannt.
Danach haben den bestehenden Vorschriften zuwider
I. (jeweils) mit Beziehung auf ein Suchtgift, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmachte, Kokain in einer großen Menge
- aus- und eingeführt, Rade St***** auch dazu (B/4) bestimmt, und zwar
A. Rade St***** und Aleksandar I***** gemeinsam mit der abgesondert verfolgten Renate J***** am 8. September 1998 "rund 8 kg" aus Deutschland nach Österreich;
B/4. Rade St***** dadurch, dass er den Transport von 75 Gramm Reinsubstanz dieses Wirkstoffes aus Jugoslawien nach Österreich über einen nicht näher genannten "Maki" veranlasste;
- durch Weitergabe in Verkehr gesetzt, und zwar
B. Rade St***** in Wien
1. von 1992 bis Anfang Oktober 1999 insgesamt "mehrere Kilogramm" in Teilmengen an Renate J*****;
- 2. am 8. Oktober 1999 "1 Gramm" an Goran S*****;
- 3. "nach dem 8. September 1998" "mehrere, maximal aber 7, 5 Kilogramm" an Aleksandar I*****;
C. Aleksandar I***** nach dem 8. September 1998 in Wien mehrere Kilogramm, maximal 7,5 kg an unbekannte Abnehmer.
II. Rade St***** von Herbst 1997 bis 12. Oktober 1999 in Österreich "Suchtgift" (lt US 9 Kokain; s § 260 Abs 1 Z 1 StPO) erworben und besessen.
Die von beiden Angeklagten nominell aus Z 1, 3, 4 und 9 lit a - außerdem von I***** aus Z 5, von St***** aus "Z 5(a)" - des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Rade St*****:
Dass Mitglieder des erkennenden Gerichtes in einem Verfahren, welches gleichzeitig auch gegen den Beschwerdeführer geführt wurde (§ 56 StPO), als Untersuchungsrichter tätig gewesen wären, behauptet die Besetzungsrüge nicht (vgl im Übrigen US 17 f). Weil aber Ausgeschlossenheit nach § 68 Abs 2 StPO auf ein Tätigwerden "in derselben Sache" abstellt, wird Nichtigkeit aus Z 1 nicht prozessförmig geltend gemacht. Sogar der Beschwerdeführer selbst hält, was nicht verschwiegen werden soll, "eine ausdehnende Auslegung" der gesetzlichen "Ausschließungsfälle" - zutreffend, wenngleich im Widerspruch zum Anfechtungsziel - für verfehlt. Der unter Berufung auf die Verletzung einer Belehrungspflicht gegenüber Renate J***** infolge Selbstbezichtigungsgefahr (§ 248 Abs 1 erster Satz [§ 152 Abs 1 Z 1 und Abs 5 erster Satz] StPO) behauptete Verfahrensmangel (Z 3) wird nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§ 285 Abs 1 zweiter Satz, § 285a Z 2 StPO). Denn obwohl sich jene Gefahr, der der Entschlagungsgrund zur prozessualen Umsetzung des Verbots von Selbstbelastungszwang (vgl dazu Frowein/Peukert EMRK2 Art 6 160) entgegenwirken will, bei einem im eigenen Verfahren gerichtlich geständig gewesenen Zeugen bereits verwirklicht hat (EvBl 1994/138 = JBl 1995, 186; zum Ganzen eingehend Ratz, JBl 2000, 291 [insb 298 f, 302 f]), wird ein vor deren Abhörung am 17. Mai 2001 abgelegtes solches Geständnis J*****s gar nicht in Abrede gestellt. Wird ein dem Entschlagungsgrund zu subsumierendes Tatsachensubstrat demnach gar nicht behauptet, kann auch die - der Sache nach unter dem Gesichtspunkt des § 252 Abs 1 StPO - gerügte Verlesung (indes nicht deutlich und bestimmt bezeichneter) früherer Aussagen auf sich beruhen (dazu ders, ÖJZ 2000, 550 [553]). Bleibt anzumerken, dass nur das Vorkommen dieses Beweismittels als nichtig releviert werden kann, nicht aber die - nach § 258 Abs 2 StPO gebotene - Würdigung des vorgekommenen Beweismittels (vgl RZ 2001/4). Aus Z 3 gleichermaßen unbeachtlich ist das Vorbringen, die Zeugin sei trotz einer über ihr Geständnis hinausgehenden (einen nach Maßgabe des § 262 StPO identen Sachverhalt betreffenden) Selbstbelastungsgefahr auch insoweit nicht belehrt worden. Darauf nämlich hatte sich diese nicht berufen (JBl 2000, 301 f); zudem wird ein Selbstbezichtigungsgefahr indizierender Sachverhalt nicht dargelegt.
Schließlich bezieht sich der Entschlagungsgrund nach stRsp nicht auf Aussagedelinquenz bei Aufarbeitung des Straffalles (EvBl 2001/8, EvBl 2001/26, 11 Os 108, 109/00; - zur oben erwähnten Grundsatzentscheidung instruktiv: Lendl, RZ 1998, 246). Eine über das Geständnis des Goran S***** in dem gegen diesen Zeugen geführten Verfahren hinausgehenden Entschlagungssachverhalt legt die Beschwerde mit ihrem Hinweis auf dessen bejahende Antwort auf die Frage, ob das Geständnis der Wahrheit entsprochen habe, nicht dar. Für etwaige Aussagedelinquenz dieses Zeugen aber gilt das betreffs der Zeugin J***** Gesagte.
Dem Antrag auf Vernehmung des Josef M***** ist - soweit sprachlich nachvollziehbar (Seiten 71 bis 73 der ON 212; vgl aber § 271 Abs 1 letzter Satz und Abs 2 StPO, wonach dem Antragsteller eine Klarstellung im Protokoll über die Hauptverhandlung jederzeit freigestanden hätte) - kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass seine Durchführung geeignet gewesen wäre, die Angaben J*****s in Frage zu stellen (Z 4). Erst im Rechtsmittel nachgetragenes Vorbringen aber hat außer Betracht zu bleiben, weil die Frage einer dem Erstgericht unterlaufenen Fehlleistung nur mit Bezug auf das Antragsvorbringen beurteilt werden kann.
Gleichermaßen bloß Erkundungscharakter trug das Begehren auf Vernehmung eines "informierten Vertreters" jenes Hotels, in welchem sich I***** im Zeitraum der zu I/A genannten Tat aufgehalten haben will sowie eines Hotelangestellten namens Philippe G*****. Über welche Informationen jener "Vertreter" verfügt haben soll, war dem Antragsvorbringen nicht zu entnehmen. Der ausdrücklichen Aufforderung, über bloße Spekulation hinausgehende Hinweise für die Eignung zur Alibibeweisführung vorzubringen oder auch nur den "Vertreter" namentlich zu bezeichnen, ist der Antragsteller nicht nachgekommen (ON 212, Seiten 6 ff).
An der Befragung eines zu bloßer Erkundungsbeweisführung angebotenen Zeugen gehindert zu werden, verletzt weder Grundrechte des Angeklagten (weil auch Belastungszeugen zu diesem Zweck nicht abgehört werden müssen; vgl Art 6 Abs 3 lit d EMRK) noch sonstige, die Verteidigung sichernde Verfahrensgrundsätze. Zu allem hin ließ die Antragstellung offen, welche Fragen überhaupt hätten gestellt werden sollen.
Ist schließlich ein Antrag mangels tauglicher Hinweise auf die Erfolgsaussicht der Beweisführung, mithin aufgrund seines Erkundungscharakters, unzulässig, ändert daran auch der Umstand nichts, dass das Gericht - über die rechtlichen Grenzen seiner Pflicht zur Wahrheitsfindung hinausgehend (vgl § 232 Abs 2 StPO) - von sich aus vor seiner Wiederholung (erfolglos gebliebene) Erhebungen mit dem Ziel anstellt, durch Zufall auf (theoretisch stets mögliche) Anzeichen für die Erheblichkeit der beantragten Beweisführung zu stoßen (vgl ON 212, Seite 65).
Der Anschein von Befangenheit eines Richters liegt nur dann vor, wenn zu erkennen ist, dass dieser - ungeachtet einer vorläufigen, dem Verfahrensstand angepassten, zumeist unwillkürlich vonstatten gehenden und einer sachgerechten Stoffsammlung keineswegs hinderlichen Meinungsbildung - seine Einschätzung auch dann zu ändern nicht gewillt sein werde, wenn Verfahrensergebnisse deren Unrichtigkeit aufzeigen. Die gesetzeskonforme Wahrnehmung von Amtspflichten, wie die urteilsmäßige Erledigung eines gegen einen Tatbeteiligten anhängig gewesenen Strafverfahrens oder eine außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommene Überprüfung, ob alle Ergebnisse der polizeilichen Erhebungstätigkeit im Gerichtsakt vollständig dokumentiert sind, erweckt einen solchen Anschein ebensowenig wie die Tatsache, dass sich ein Mitglied des Gerichtes nicht im Sinn eines Antrages des Beschwerdeführers verhält.
Im Übrigen kann auch angebliche Befangenheit von Richtern nur insoweit mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden, als sie bereits in erster Instanz zum Gegenstand eines Antrages gemacht wurde, selbst wenn - wie vorliegend vorgetragen - ein vom Beschwerdeführer für tauglich erachtetes Vorbringen in der Hauptverhandlung nur an mangelnder Prozessvorbereitung auf Seiten des Verteidigers gescheitert ist. Denn diesem stand jederzeit volle Akteneinsicht offen (§ 45 Abs 2 StPO).
Weil als Hauptverhandlung nur diejenige gilt, die der Urteilsfällung unmittelbar vorangeht, mag auch an verschiedenen Tagen verhandelt worden sein, sind - was der Beschwerdeführer in seinem weitwendigen Rechtsmittelvorbringen ebenfalls verkennt - nur jene Anträge aus Z 4 beachtlich, die in einer neu durchgeführten (§ 276a StPO) gestellt (oder wiederholt) wurden.
Die angebliche Befangenheit eines Richters ist kein Tatbestandsmerkmal des § 28 SMG und solcherart keine entscheidende Tatsache nach dem SMG. Damit geht die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt einer Tatsachenrüge (Z 5a) fehl.
Letztlich bleibt, ganz abgesehen von dem seitens des Beschwerdeführers der Sache nach selbst eingeräumten Erkundungscharakter des Antrages auf Beischaffung von Akten der Sicherheitsbehörde (vgl dazu Seite 11 des Rechtsmittels, wonach sich "möglicherweise" durch dessen Inhalt "die Verantwortung des Erstangeklagten" [gemeint ersichtlich: als zutreffend] hätte "erweisen lassen") unerfindlich, weshalb dessen Ablehnung Gesetze oder Verfahrensgrundsätze zu Lasten des Angeklagten hintangesetzt haben soll, wo doch angeblich dem Antrag ohnehin "de facto entsprochen wurde" (zum Ganzen ON 164, Seiten 32 ff und US 26 ff). Indem die Beschwerde den Feststellungen zum Reinheitsgrad des zu I/A und C genannten Kokains Bedeutung nur für die Strafbemessung beilegt, gesteht sie zugleich ihre mangelnde Ausrichtung am Verfahrensrecht zur Geltendmachung einer Nichtigkeit ein. Zur Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage trägt auch die aus "Z 5(a)" relevierte Aussagetüchtigkeit der Zeugin J***** nichts bei. Dass ein Beweisantrag zu diesem Thema auch in der neu durchgeführten Hauptverhandlung gestellt wurde, behauptet das Rechtsmittel ebensowenig wie die Bereitschaft der Zeugin, sich für eine entsprechende Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Sie versagt daher auch unter diesem Aspekt.
Mit bloßen Zweifeln an der Überzeugungskraft von Beweisen wird Nichtigkeit aus Z 5 vierter Fall nicht dem Gesetz gemäß dargelegt. Indem die Mängelrüge gar nicht behauptet, dass nur die Weitergabe des "gesamten Restes von 7,5 kg" den zu I/B/3 ergangenen Schuldspruch tragen würde, spricht sie mit der Kritik daran, dass die Tatrichter nicht nur die Weitergabe einer die rechtliche Unterstellung begründenden Suchtgiftmenge als "zweifelsfrei" erwiesen ansahen (vgl US 42 zweiter Absatz), sondern - über den dazu ergangenen Schuldspruch hinaus und damit unangebracht (vgl Frowein/Peukert EMRK2 Art 6 Rz 162, 167) - "vermuteten", die gesamte Restmenge sei solcherart in Verkehr gesetzt worden, wiederum keine entscheidende Tatsache an.
Für das Vorbringen, die Tatrichter hätten an der Begehung der zu I/B/1 genannten Tat gezweifelt, bieten die Entscheidungsgründe keinerlei Anhaltspunkt (vgl US 9 ff, 18).
Warum die Begehung der zu I/B/1 genannten Tat mit derjenigen zu II im Widerspruch stehen soll (Z 5 dritter Fall), ist bei exaktem Vergleich dieser Schuldsprüche nicht zu erkennen.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) missachtet mit ihrer Behauptung, die Tatrichter hätten die zu I/B/1 entscheidenden Tatsachen "im Zweifel" - und damit nicht - festgestellt, aus den vorstehend angeführten Überlegungen die Entscheidungsgründe.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Aleksandar I*****:
Der pauschale Verweis auf die Ausführung der von St***** ergriffenen Beschwerde ist unbeachtlich, weil das Gesetz nur eine eigene Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde kennt (§ 285 Abs 1 erster Satz; 15 Os 203/96). Soweit sie mit jener inhaltlich übereinstimmt, gelten die dazu angestellten Erwägungen in der vorangehenden Erledigung. Aktenwidrig ist die Behauptung der Verfahrensrüge (Z 4), aus ON 164 (Seite 5) ergebe sich in der neu durchgeführten Hauptverhandlung (§ 276a StPO) die "sinngemäße Wiederholung" des Antrages auf "Ausforschung und Vernehmung" eines Charly Helal H***** zum Beweis dafür, dass der von J***** "angegebene Aufenthalt in St. Paulo nicht stattgefunden hat" (vgl US 12). Davon abgesehen, hätte es eines Hinweises auf die (solcherart nicht erkennbare) Tauglichkeit der begehrten Beweisaufnahme (ON 125, Seite 80), das Vorbringen des Beschwerdeführers zu untermauern, bedurft.
Was die Beschwerde daraus ableiten will, "dass es sich bei der Hauptbelastungszeugin J***** um eine Informantin des Sicherheitsbüros handelt" (ON 166, Seite 36), legt sie nicht mit Bestimmtheit dar (vgl im Übrigen § 86 Abs 1 StPO). Blieb solcherart im Dunkeln, weshalb angesichts im Antrag nicht näher genannter Mitteilungen an eine Strafverfolgungsbehörde (§ 151 Abs 3 StGB) die Glaubwürdigkeit J*****s in Zweifel gezogen werden müsste, kann die Einhaltung der Förmlichkeit des § 238 StPO dahinstehen.
Die Vernehmung des Josef Ma***** betreffend beruft sich die Rüge auf keinen in der wiederholten Hauptverhandlung gestellten Antrag und bedarf daher keiner inhaltlichen Erwiderung.
Mag auch das Schöffengericht aus den im Hauptverhandlungsprotokoll auf Seite 32 der ON 164 ersichtlichen Ausführungen des Verteidigers einen Antrag auf Beischaffung polizeilicher Aufzeichnungen zu erkennen vermeint haben (aaO, Seite 36; s erneut § 271 Abs 1 dritter Satz und Abs 3 StPO), obwohl sich dieser nur zur Begründung seines Ablehnungsantrages auf die prozessuale Behandlung eines derartigen - infolge Neudurchführung der Hauptverhandlung unbeachtlichen - Begehrens berufen hatte, enthielt jedenfalls das Vorbringen keinerlei Hinweis darauf, aus welcher nicht ohnehin in der Hauptverhandlung vorgekommenen Aufzeichnung welche dem Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers förderliche Schlussfolgerung zu erwarten gewesen wäre. Indem das auf den angeblichen Anschein von Befangenheit der Vorsitzenden hinweisende Vorbringen nicht auf die verfehlte Behandlung eines in der wiederholten Hauptverhandlung gestellten Antrages gegründet wird, bedarf es (aus Z 4 schon deshalb unbeachtlich) keiner Erörterung.
Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerden bereits in nichtöffentlicher Sitzung (§ 285d Abs 1 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufungen zur Folge (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten gründet auf § 390a StPO.
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