OGH 11Os154/01

OGH11Os154/015.3.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lauermann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Walter P***** wegen § 21 Abs 1 (§§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 30. Juli 2001, GZ 12 Vr 140/01-31, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher und der Verteidigerin Mag. Scheed, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Walter P***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er am 3. Februar 2001 in Fohnsdorf unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich im Zustand einer schizophrenen Psychose im Defektzustand, seine Mutter Christina P***** durch die Äußerung:

"Bring mir sofort das Essen, sonst stech ich euch alle (gemeint: Christina P*****, Josef P*****, Brigitte P***** und Gerhard P*****) ab, ihr Säue!", somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu einer Handlung, nämlich zum unverzüglichen Servieren seiner Mittagsmahlzeit, genötigt, somit eine Tat begangen hat, die ihm außerhalb dieses Zustandes als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zuzurechnen wäre und die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (Delikte gegen Leib und Leben unter Verwendung von Waffen) begehen werde.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen leidet der Betroffene seit vielen Jahren an einer schizophrenen Psychose im Defektzustand und damit einhergehend an chronischem Alkoholismus. Nach bedingter Entlassung aus einer im Jahr 1992 angeordneten vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB lebte er im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern. Bei diesen hielten sich am 3. Februar 2001 zu Mittag sein Bruder sowie dessen Frau und Kind auf. Der Betroffene kam alkoholisiert nach Hause. Da die Mutter wegen befürchteter Eskalationen nicht wollte, dass Walter P***** das Mittagessen gemeinsam mit der Familie einnimmt, teilte sie ihm mit, sie würde ihm das Essen auf sein Zimmer im ersten Stock bringen. Er verließ darauf wortlos die Küche, kehrte jedoch unmittelbar darauf wieder zurück und fragte seine Mutter, die gerade im Begriff war, für ihn das Essen herzurichten, was mit dem Essen sei. Als sie antwortete, sie würde ihm das Essen gleich bringen, gab er die im Urteilstenor genannte Äußerung von sich. Den Urteilsannahmen zufolge wollte er durch die Drohung mit dem Tod erreichen, dass ihm seine Mutter unverzüglich das Essen auf sein Zimmer bringt. Auf Grund dieser Drohung hat Christina P***** ihrem Sohn das Mittagessen auch unmittelbar danach auf sein Zimmer gebracht (US 3 bis 5).

Rechtliche Beurteilung

Der Betroffene bekämpft das Urteil mit einer auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a, 9 lit b und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Die Rechtsrüge aus Z 9 lit a ist nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil die Beschwerdeauffassung, dass - ersichtlich gemeint: auch abgesehen von den Voraussetzungen des § 11 StGB - keine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, nicht aus den Urteilsfeststellungen, sondern aus den (vermeintlichen) Ergebnissen der Hauptverhandlung abgeleitet wird. Die gesetzmäßige Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert jedoch das Festhalten am Urteilssachverhalt und dessen Vergleich mit dem angewendeten Gesetz (Mayerhofer, StPO4 § 281 E 26, 30). Zudem wird der festgestellten Äußerung prozessordnungswidrig (unter Z 11) "jeglicher Ernst" und fallbezogen rechtlich unzutreffend Besorgniseignung abgesprochen.

Der erstgenannte Einwand negiert die festgestellte Absicht des Beschwerdeführers, durch Drohung mit dem Tod seine Mutter zur Erfüllung seiner Forderung zu veranlassen (US 5). Die Rechtsfrage der Eignung aber, die Realisierung des angedrohten Übels mit Grund besorgen zu müssen, ist unter Anlegung eies objektiv-individuellen Maßstabes zu beurteilen (vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 33 f) und vorliegend im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen zu bejahen.

Das abgenötigte Verhalten war entgegen der teils auf urteilsfremde Annahmen über hypothetische Geschehensabläufe gestützten Beschwerdemeinung auch keineswegs für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 105 Abs 1 StGB unerheblich, weil eine besondere rechtliche oder faktische Relevanz nicht erforderlich ist (Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 69).

Die aus Z 9 lit b reklamierte Anwendung des § 42 StGB auf die Anlasstat war nicht nur wegen der drei Jahre übersteigenden Strafdrohung des § 106 StGB ausgeschlossen, sondern kam von vornherein nicht in Betracht, weil diese Norm nur für schuldhaftes Handeln (iS des § 4 StGB) gilt.

Soweit unter Z 10 (iVm Z 11) eine Beurteilung der Anlasstat als - für die Unterbringung nicht hinreichende - gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1 StGB angestrebt wird, ist die Beschwerdeargumentation teils prozessordnungswidrig nicht auf die Urteilsannahmen zu den äußeren und inneren Merkmalen der Anlasstat bezogen (US 3 bis 5), teils - nämlich was die abermalige Bestreitung einer Besorgniseignung anlangt - rechtlich unzutreffend, aber auch unschlüssig.

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach Z 11 lässt nicht nur in Ansehung der bereits erwähnten Bestreitung der Ernsthaftigkeit der inkriminierten Äußerung, sondern auch insoweit eine gesetzmäßige Ausführung vermissen, als ohne deutliche und bestimmte Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) bloß behauptet wird, dass die Beurteilung der Prognosetat als solche mit schweren Folgen unrichtig erfolgt sei.

Auch der verfehlt im Rahmen der Berufung vorgebrachte Einwand, dem bekämpften Urteil mangle es an jeglicher Feststellung, welcher Zusammenhang zwischen der Störung des Betroffenen und der Anlasstat besteht (Z 11 erster Fall, vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21-25 Rz 9), beruht auf prozessordnungswidriger Missachtung der Urteilsannahmen (US 7 unten; Ratz in WK2 § 21 Rz 11).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

Aber auch die Berufung ist unbegründet.

Die hier noch zu erörternde Bekämpfung der Gefährlichkeitsprognose hält einer Überprüfung nicht stand. Zutreffend hat das Erstgericht im Hinblick auf das Krankheitsbild iVm dem aggressionsfördernden Alkoholmissbrauch, also unter Bedachtnahme auf Person und Zustand des Berufungswerbers unter Einbeziehung der (schweren) Anlasstat eine hohe Wahrscheinlichkeit der durch die Abartigkeit beeinflussten Begehung einer mit Strafe bedrohten, insbesondere gegen Leib und Leben unter Verwendung eines Messers gerichteten Handlung mit schweren Folgen angenommen. Diese Prognose vermag der Berufungswerber mit seinem Vorbringen, das in erster Linie - insoweit prozessordnungswidrig - einen Zusammenhang zwischen Anlasstat und Begehungsgefahr bestreitet, nicht in Zweifel zu ziehen.

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