OGH 10ObS428/01s

OGH10ObS428/01s29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Zahrl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gustav S*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Oktober 2001, GZ 23 Rs 53/01t-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 18. April 2001, GZ 46 Cgs 231/99p-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger zog sich am 28. 4. 1954 bei einem Arbeitsunfall eine schwere Prellung des Beckens und der Lendenwirbelsäule zu. Wegen der Folgen dieses Unfalles bezog der Kläger zuletzt aufgrund des Bescheides der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 14. 2. 1956 eine Versehrtenrente von 30 vH der Vollrente als Dauerrente. Grundlage dieses Bescheides war ein Gutachten vom 25. 1. 1956, in welchem - zusammengefasst - von einer unfallbedingten schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule mit Beteiligung des rechten Ischiasnerven ausgegangen und dieser Zustand einer 30 %igen Ewerbsminderung des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die Dauer eines Jahres gleichgehalten wurde. Mit Bescheid vom 21. 12. 1998 anerkannte die beklagte Partei eine Asbeststaublungenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit, legte als Eintritt des Versicherungsfalles den 1. 10. 1997 fest und gewährte dem Kläger für die Folgen dieser Berufskrankheit eine vorläufige Versehrtenrente ab 2. 10. 1997 im Ausmaß von 20 vH der Vollrente.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 28. 9. 1999 wurde unter Berufung auf § 210 Abs 2 und 3 ASVG eine Gesamtdauerrente (für beide Versicherungsfälle) von 25 vH der Vollrente ab 1. 11. 1999 festgestellt.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stellte der Kläger zuletzt das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm für die Folgen seines Arbeitsunfalles vom 28. 4. 1954 und seiner Berufskrankheit eine Gesamtdauerrente im Ausmaß von 100 vH der Vollrente ab 1. 11. 1999 zu gewähren.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen seiner Berufskrankheit und seines Arbeitsunfalles eine Gesamtrente im Ausmaß von 25 vH der Vollrente als Dauerrente ab 1. 11. 1999 zu gewähren. Das Mehrbegehren (Gewährung einer 25 vH der Vollrente übersteigenden Gesamtrente) wurde abgewiesen. Es stellte die Verletzungsfolgen aufgrund des Arbeitsunfalles zum Zeitpunkt der Gewährung der Dauerrente und seit 1. 11. 1999 im Einzelnen fest und traf zusammenfassend die Feststellung, dass die Folgen des Arbeitsunfalles vom 28. 4. 1954 mittlerweile völlig abgeklungen sind und aus diesem Arbeitsunfall seit 1. 11. 1999 keine messbare Erwerbsminderung mehr resultiert. Demgegemüber besteht aufgrund der Berufskrankheit seit dem 1. 11. 1999 weiterhin unverändert eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Ausmaß von 20 vH. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers betrage somit insgesamt 20 vH, sodass dem Kläger eine Gesamtrente lediglich in diesem Ausmaß gebühren würde. Da die beklagte Partei im bekämpften Bescheid jedoch eine darüber hinausgehende Leistungsverpflichtung im Ausmaß von 25 vH unwiderruflich anerkannt habe, sei das Begehren des Klägers in diesem Umfang berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen die Abweisung seines Mehrbegehrens erhobenen Berufung keine Folge. Es verneinte das Vorliegen der geltend gemachten Mangelhaftigkeit des Verfahrens, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Auch das Berufungsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass nach den übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes von einer zwischenzeitigen wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes auszugehen sei, da nunmehr keine unfallsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr vorliege. Der Kläger habe nicht hinreichend unter Beweis gestellt, dass zur Zeit der Gewährung der Dauerrente für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 28. 4. 1954 die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Leistung nicht vorgelegen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wird ein Versehrter neuerlich durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit geschädigt, so ist nach § 210 Abs 1 ASVG die Entschädigung aus diesen mehreren Versicherungsfällen nach Maßgabe der Abs 2 bis 4 festzustellen, sofern die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH erreicht (was im vorliegenden Fall unbestritten ist). § 210 Abs 2 Satz 1 ASVG ordnet an, dass spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalles nach diesem Bundesgesetz an die Rente nach dem Grad der durch alle Versicherungsfälle nach diesem Bundesgesetz verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen ist. Gemäß § 210 Abs 4 ASVG gebührt dem Versehrten unter den Voraussetzungen des Abs 1, solange die Gesamtrente nach Abs 2 nicht festgestellt ist, eine Rente entsprechend dem Grade der durch die neuerliche Schädigung allein verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Der Bestimmung des § 210 Abs 4 ASVG liegt ein dem § 209 Abs 1 ASVG vergleichbarer Zweck zugrunde. Der Zeitraum von zwei Jahren, wähernd dessen nach § 209 Abs 1 ASVG eine vorläufige Rente gewährt werden kann bzw während dessen nach § 210 Abs 4 ASVG die Rente aufgrund des neuerlichen Unfalles gesondert zu gewähren ist, dient dazu, die Konsolidierung der Unfallfolgen abzuwarten. Die Entscheidung über die endgültige Rentenleistung soll erst erfolgen, wenn die Folgen des Unfalls in ihren dauernden Auswirkungen endgültig abschätzbar sind. Dann soll die Dauerrente (§ 209 Abs 1 ASVG) bzw Gesamtrente (§ 210 Abs 2 ASVG) festgesetzt werden. Daraus ergibt sich, dass innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren der Gewährung der gesonderten Renten für die einzelnen Unfälle insofern provisorischer Charakter zukommt, als durch die Bildung der Gesamtrente in diese Leistungsansprüche eingegriffen werden darf. Nach Ablauf von zwei Jahren soll hingegen die Rechtsposition des Versehrten gesichert sein (SSV-NF 7/117, 3/24).

Bei der Bildung der Gesamtrente, bei welcher somit eine Bindung an die Grundlagen der Berechnung der zuvor gewährten Einzelrenten nicht besteht, ist nach der bereits zitierten Bestimmung des § 210 Abs 2 Satz 1 ASVG die Gesamtminderung der Erwerbsunfähigkeit durch die mehreren Arbeitsunfälle (oder Berufskrankheiten) zu berücksichtigen, das heißt es ist nicht einfach der Grad der Versehrtheit durch die einzelnen Verletzungen zu beurteilen und dann eine Addition derselben vorzunehmen, sondern es muss vielmehr berücksichtigt werden, inwieweit sich die Unfallverletzungen in ihrer Gesamtheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken. Die medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit, die auch auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt Bedacht nimmt, ist im Allgemeinen sodann auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (SSV-NF 11/154 mwN ua).

Soweit der Revisionswerber damit argumentiert, dass ihm mit rechtskräftigem Bescheid der beklagten Partei vom 14. 2. 1956 für die Folgen seines Arbeitsunfalles vom 28. 4. 1954 eine Dauerrente von 30 vH gewährt wurde, obwohl die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Rente jedenfalls in dieser Höhe nie vorgelegen seien, ist ihm entgegenzuhalten, dass es zwar zutrifft, dass eine früher unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht im Wege des § 183 Abs 1 ASVG (zu Lasten des Versicherten) korrigiert werden kann, es jedoch hier nicht um einen Fall des § 183 ASVG (Neufeststellung einer Einzelrente), sondern einen solchen des § 210 ASVG (Entschädigung aus mehreren Versicherungsfällen im Wege einer Gesamtrente) geht und die erstmalige Bemessung einer Gesamtrente aus mehreren Versicherungsfällen nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senates ohne die Einschränkungen des § 183 ASVG vorzunehmen ist (SSV-NF 11/157, 11/154 mwN). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Rente gemäß § 210 Abs 2 Satz 1 ASVG spätestens vom Beginn des dritten Jahres nach dem Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalles an als Gesamtrente zu gewähren ist und der Gewährung der gesonderten Renten für die einzelnen Unfälle innerhalb des vorangegangenen Zeitraumes von 2 Jahren daher nur provisorischer Charakter zukommt, sodass bei einer Bildung der Gesamtrente innerhalb der Zweijahresfrist - wie im Falle des Klägers - ein Eingriff in Leistungsansprüche des Versicherten auch ohne Änderung der Verhältnisse möglich wäre. Erst nach Ablauf dieser Zweijahresfrist wäre die Bildung einer Gesamtrente nur mehr bei einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 183 ASVG zulässig (SSV-NF 7/117 ua). Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen haben die Vorinstanzen unter Bedachtnahme auf den aus der Bestimmung des § 71 Abs 2 ASGG abgeleiteten Grundsatz, wonach das Gericht dem Kläger zumindest die im Bescheid zuerkannte Leistung zusprechen muss (vgl SSV-NF 12/93 mwN), dem Kläger zutreffend eine Gesamtrente im Ausmaß von 25 vH als Dauerrente zuerkannt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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