OGH 10ObS342/01v

OGH10ObS342/01v15.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingrid S*****, vertreten durch Dr. Gerlinde Dellhorn, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Juli 2001, GZ 8 Rs 203/01h-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. März 2001, GZ 26 Cgs 123/00v-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die Entscheidung ingesamt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, besteht dem Grunde nach für den Zeitraum vom 1. März 2000 bis zum 28. Februar 2002 zu Recht.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin vom 1. März 2000 bis zum 28. Februar 2002 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 5.000,-- monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils monatlich im Nachhinein am 1. des Folgemonats."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit ATS 8.127,36 = EUR 590,64 (darin enthalten ATS 1.354,56 = EUR 98,44 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit ATS 5.916,96 = EUR 430,-- (darin enthalten ATS 986,16 = EUR 71,67 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 333,06 = ATS 4.583,04 (darin enthalten EUR 55,51 = ATS 763,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 5. 11. 1961 geborene Klägerin leidet an plurivalenter alimentärer und inhalativer Allergie, V.a. Atopie, Herpes labialis, chronischer Darmentzündung (Morbus Crohn), chronischem Asthma mit mäßiger obstruktiver Ventilationsstörung, niedrigem Blutdruck, Neigung zu Herzjagen und chronischer Gastritis.

Die Klägerin ist in der Lage, leichte und halbzeitig mittelschwere körperliche Arbeiten auszuführen. Arbeiten unter überwiegendem besonderen Zeitdruck und an erhöht exponierten Stellen sind ebensowenig möglich wie Arbeiten, die mit der Exposition (Kontakt und inhalativ) gegen die Allergene Pfeffer, Brokkoli, Äpfel, Birnen, Weintrauben, Kiwi, Zitrusfrüchte und Kartoffeln einhergehen. Aus dermatologischer Sicht sind 3 Wochen, aus pulmologischer Sicht 2 Wochen und aus internistischer Sicht mindestens 4 Wochen Krankenstand (pro Jahr) zu erwarten. Diese prognostizierten Krankenstände überschneiden einander nicht.

Eine konsequente Therapie könnte die Krankenstandsprognose aus pulmologischer Sicht so weit verbessern, dass keine Krankenstände von pulmologischer Seite mehr zu erwarten sind. Der Morbus Crohn ist möglicherweise auch besserbar; der Zeitpunkt ist aber nicht abzusehen, weil die Krankheit in Schüben verläuft. Alle Krankheiten der Klägerin haben einen schubhaften Verlauf.

Die Klägerin litt bereits als Kind an Neurodermitis und begab sich deswegen immer vier bis fünf Wochen im Sommer wegen einer Schälkur in Spitalsbehandlung. Die Neurodermitis (Atopie) hat sich jedoch nicht gebessert. Nach Einsetzen der Menstruation im Alter von 11 Jahren ergab sich eine geringe Besserung; seit 13 Jahren wird die Krankheit langsam wieder schlechter. Die Klägerin musste bereits in der Schulzeit - abgesehen von der Schälkur - für Spitalsaufenthalte öfters von der Schule fernbleiben, weil sie nässende Ekzeme hatte, an denen die Kleider picken geblieben sind. Deswegen war die Klägerin bereits damals im Jahr insgesamt zwei bis drei Wochen nicht in der Schule.

Der Zustand der Klägerin hat sich auch hinsichtlich der Atropie und Neurodermitis während des Berufslebens verschlechtert. Die Klägerin hat als Filialleiterin (Verkäuferin) bei der Firma Anker Brot gearbeitet.

Mit Bescheid vom 6. 7. 2000 hat die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 15. 2. 2000 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt.

Das Erstgericht sprach der Klägerin eine (unbefristete) Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 3. 2000 zu, ohne allerdings eine vorläufige Zahlung anzuordnen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei insoweit Folge, als die Pensionsleistung befristet auf die Dauer von 24 Monaten zuerkannt wurde.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

1. Die beklagte Partei geht davon aus, dass zum Zeitpunkt des Eintritts der Klägerin ins Erwerbsleben aufgrund der Atopie Krankenstände von 6 - 8 Wochen pro Jahr indiziert gewesen seien. Seit dem Eintritt der Klägerin ins Erwerbsleben habe sich die Atopie eher verbessert. Die nunmehr dermatologischerseits für die Zukunft prognostizierten Krankenstände von 3 Wochen pro Jahr hätten daher bei der Berechnung der Gesamtkrankenstandsprognose außer Betracht zu bleiben.

Die Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit setzen voraus, dass sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn der Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat (SSV-NF 9/64 ua). Mit anderen Worten muss eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt worden sein (SSV-NF 2/87 = SZ 61/187). In diesem Sinn kann ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit eingetretener und damit in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im Wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand nicht zum Eintritt des Versicherungsfalls führen (SSV-NF 1/67, 4/60, 5/14 uva). Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass diejenigen einzelnen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, die die Arbeitsfähigkeit bei Eintritt in das Erwerbsleben zwar bereits herabsetzten, aber nicht ausschlossen, bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit außer Betracht zu lassen wären. Vielmehr ist entscheidend, ob der Versicherte bei Eintritt in das Erwerbsleben arbeitsfähig war und ob sich eine zu diesem Zeitpunkt vorhandene Arbeitsfähigkeit im Laufe des Erwerbslebens verschlechtert hat. Aus den Feststellungen ergeben sich aber keine Hinweise, dass die Klägerin bereits ab dem Eintritt in das Erwerbsleben vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gewesen wäre. Zwischenzeitig hat sich - jedenfalls auch durch zusätzliche Leiden - eine Verschlechterung ergeben, die Berufsunfähigkeit begründet.

2. Soweit die beklagte Partei Angaben über die Höhe der Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts von Krankenständen vermisst, ist sie auf die Feststellung zu verweisen, dass aus dermatologischer Sicht 3 Wochen, aus pulmologischer Sicht 2 Wochen und aus internistischer Sicht mindestens 4 Wochen Krankenstand (pro Jahr) zu erwarten sind, wobei sich diese prognostizierten Krankenstände nicht überschneiden. Diese Feststellung genügt, um das Erfordernis einer hohen Wahrscheinlichkeit von Krankenständen in diesem Ausmaß annehmen zu können. Eine Überprüfung der Feststellung ist dem Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, verwehrt.

3. Das angefochtene Urteil ist daher mit der Maßgabe zu bestätigen, dass der beklagten Partei unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO auch die Erbringung einer vorläufigen Zahlung für den Zeitraum 1. 3. 2000 - 28. 2. 2002 aufzutragen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Aufgrund ihres Obsiegens hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz ihrer Verfahrenskosten.

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