OGH 2Ob295/01y

OGH2Ob295/01y6.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon.-Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriele A*****, vertreten durch Mag. Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Land *****, vertreten durch Dr. Erich Hermann und Dr. Markus Ludvik, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 2,029.666,80 sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 23. Mai 2001, GZ 17 R 100/01b-101, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Jänner 2001, GZ 3 Cg 207/96z-92, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes insgesamt wie folgt zu lauten hat:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 1,458.081,50 samt 4 % Zinsen aus S 420.000 vom 1. August 1996 bis 23. Oktober 1996, aus S 780.608 vom 24. Oktober 1996 bis 1. Februar 1998, aus S 1,135.953 vom 2. Februar 1998 bis 12. Oktober 1999, aus S 1,401.083 vom 13. Oktober 1999 bis 8. September 2000 und aus S 1,458.081,50 seit 9. September 2000 zu bezahlen sowie die mit S 461.954,77 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 60.466,56 und Barauslagen von S 99.595,63) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen, dies binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiter schuldig einen Betrag von S 571.585,30 samt Zinsen binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für alle künftigen Folgen aus der mangelhaften Behandlung des Bruches des rechten Unterschenkels haftet.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 78.028, 80 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 8.969,80 und Barauslagen von S 24.210) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 3. 3. 1959 geborene Klägerin erlitt am 2. 5. 1991 bei einem Sturz einen Bruch des rechten Unterschenkels. Nachdem sie am 2. 5. 1991 in einem Krankenhaus der beklagten Partei zunächst ambulant behandelt wurde, wurde sie am 4. 5. 1991 stationär aufgenommen und operiert. Bei dieser Operation wurde eine nicht mehr gängige Operationstechnik angewendet und die Klägerin über die damit verbundenen Risken nicht aufgeklärt. Bei der Operation traten Komplikationen auf und wurde durch eine an den Knochen zu legende Drahtschlinge ein Gefäß bzw eine Arterie miterfasst. In der Folge musste die Klägerin zahlreiche schmerzhafte Operationen über sich ergehen lassen. Sie befand sich wegen der erstmaligen Fehlbehandlung 13 x in stationärer Behandlung. Insgesamt hatte sie 29 Tage starke, 202 Tage mittelstarke und 645 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. In Zukunft ist mit 12 Tagen leichten Schmerzen jährlich zu rechnen, ab dem 55. Lebensjahr sind jährlich 14 bis 16 Tage leichte Schmerzen zu prognostizieren. Das untere hintere Sprunggelenk rechts weist eine völlige Versteifung auf. Auch das obere Sprunggelenk ist nahezu versteift, d.h. die Klägerin hat eine hochgradige Spitzfußstellung und eine beginnende Kranzehenstellung. Das rechte untere Bein ist um 1 cm schmächtiger als das linke. Es ist eine flächenhafte entartete Narbe vorhanden. Außerdem bestehen Durchblutungsstörungen im Narbenbereich. Die Klägerin erlitt auch starke psychische Beeinträchtigungen; sie betrieb vor der gegenständlichen Operation regelmäßig Sport und führte ein gesellschaftlich aktives Leben. Der sich daraus ergebende Freundes- und Bekanntenkreis ging verloren.

Die Klägerin begehrt nach mehrfacher Klagsausdehnung ua die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 1,400.000.

Das Erstgericht sprach ihr unter anderem ein Schmerzengeld von S 1,336.200 zu. Es vertrat die Ansicht, dieser Betrag umfasse auch die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin.

Die beklagte Partei focht dieses Urteil insoweit an, als der Klägerin ein den Betrag von S 836.200 übersteigendes Schmerzengeld zugesprochen wurde.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Zur Höhe des Schmerzengeldes führte das Berufungsgericht aus, es sei bei der Bemessung einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, anderseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung auch ein objektiver Maßstab anzulegen. Das Erstgericht habe offensichtlich das Schmerzengeld nach "Tagessätzen" berechnet. Demgegenüber sei es aber global zu bemessen, was allerdings im vorliegenden Fall am Ergebnis nichts ändere. Unter Berücksichtigung der festgestellten Dauer und Intensität der Schmerzen und der für die Zukunft zu erwartenden Schmerzen sowie der Tatsache, dass die Klägerin 13 x in stationärer Behandlung im Krankenhaus gewesen sei und seit nunmehr 10 Jahren Schmerzen erleiden müsse, sowie unter Berücksichtigung der psychischen Beeinträchtigung, die zweifellos auch durch die jahrelange Behandlung begründet sei, erscheine das vom Erstgericht zugesprochene Schmerzengeld angemessen.

Das Berufungsgericht erachtete die ordentliche Revision für zulässig, weil ein höherer Betrag an Schmerzengeld, als vom Obersten Gerichtshof bisher zuerkannt, zugesprochen worden sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Schmerzengeld mit S 836.200 bemessen und das Mehrbegehren von S 500.000 abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und überwiegend auch berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es könne nicht nachvollzogen werden, warum im vorliegenden Fall sowohl die globale Bemessung als auch die Berechnung nach "Tagessätzen" zum ziffernmäßig gleichen Schmerzengeldbetrag führe. Die Entscheidungen der Vorinstanzen seien insbesondere unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien unbillig. Auch der in der letzten Zeit im Schrifttum und Lehre laut gewordene Ruf nach einer Erhöhung der Schmerzengeldbeträge dürfe nicht davon ablenken, dass Quantität und Qualität des von der Klägerin erlittenen Unbills ein Schmerzengeld in der Höhe von S 1,336.200 keinesfalls rechtfertigten, es sei lediglich ein solches in der Höhe von S 836.200 angemessen.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, grundsätzlich global festzusetzen (Danzl in Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7, 88 und 166, jeweils mwN; RIS-Justiz RS0031307; ZVR 1999/50). Wenngleich bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist, ist doch zur Vermeidung von Ungleichheiten auch ein objektiver Maßstab anzulegen und darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen bei der Bemessung nicht gesprengt werden (ZVR 1992/99). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen. Berücksichtigt man allerdings die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in den Fällen, in denen ein Schmerzengeld von mehr als S 1,000.000 zugesprochen wurde (s hiezu Danzl, aaO, 274 f), dann scheint im vorliegenden Fall ein Schmerzengeld von S 850.000 angemessen, um all das Unbill, das die Klägerin zu erdulden hatte und in Hinkunft zu erdulden haben wird, abzugelten.

Es war daher der Revision teilweise Folge zu geben und waren die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin zu berichtigen, dass der Klägerin nur ein Schmerzengeld von S 850.000 zusteht.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 43, 50 ZPO. Obwohl die Klägerin im Verfahren erster Instanz teilweise unterlegen ist, waren ihr die gesamten Kosten zuzusprechen, weil der Betrag der von ihr erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen und der Ausmittlung durch Sachverständige abhängig war (§ 43 Abs 3 zweiter Fall ZPO). Dabei waren ihr allerdings die Kosten nur auf der Basis des obsiegten Betrages zuzusprechen (7 Ob 762/82). Würde man ihr die Kosten auf der Basis des eingeklagten Streitwertes zusprechen, wie dies von einem Teil der Lehre vertreten wird (M. Bydlinski, Der Kostenersatz im Zivilprozess, 254 ff; Klicka, Zum Kostenzuspruch nach § 43 Abs 2 ZPO, ÖJZ 1990, 721 ff; ders, Bestimmtheit des Begehrens bei Leistungsklagen, 54 ff; Bajons, Zivilverfahren, Rz 170), würde dies zu einer Besserstellung desjenigen, der objektiv überhöht einklagt, gegenüber demjenigen, der äußerste Sorgfalt anwendet, führen (s Fucik in Rechberger, ZPO², § 43 Rz 12). Es bedurfte daher auch einer Korrektur der Barauslagen der klagenden Partei, weil trotz mehrfacher Ausdehnung der Streitwert unter S 2,000.000 geblieben ist.

Stichworte