OGH 8ObS235/01v

OGH8ObS235/01v29.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Dr. Martha Seböck und Mag. Christa Marischka in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bo S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei Bundessozialamt Steiermark, Außenstelle Leoben, 8700 Leoben, Erzherzog-Johann-Straße 8, nunmehr: IAF-Service GmbH, vertreten durch Finanzprokuratur in Wien, wegen S 63.409,72 netto sA Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse des Klägers S 52.477,-- netto sA; Revisionsinteresse der beklagten Partei 10.932,72 netto sA), infolge Revisionen beider Teile gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juni 2001, GZ 8 Rs 95/01d-20, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. September 2000, GZ 22 Cgs 64/99p-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der beklagten Partei Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahingehend abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision und Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Beschluss vom 29. 9. 1997 wurde über das Vermögen des ehemaligen Dienstgebers des Klägers, eines Eishockeyclubs, bei dem der Kläger vom 1. 8. 1996 bis 31. 3. 1997 und vom 1. 9. 1997 bis 17. 10. 1997 als Eishockeyspieler im Angestelltenverhältnis beschäftigt war, das Konkursverfahren eröffnet. Dem Kläger wurde ein Betrag von S 141.940,-- netto Insolvenz-Ausfallgeld zuerkannt und weiterer Betrag von S 771.002,20 abgelehnt.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger noch Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 63.409,72 netto, das sich wie folgt zusammensetzt:

1. Gehalt Jänner 1997 S 86.500,-- netto

vom Gemeinschuldner bezahlt S 47.500,--

ergibt Differenz von S 39.000,-- netto

2. Gehalt 29./30. 9. 1997 S 5.714,-- netto

Gehalt 1. bis 17. 10. 1997 S 48.763,-- netto

vom Masseverwalter

(ungewidmet) bezahl t S 41.000,-- netto

ergibt Differenz von S 13.477,-- netto

3. Urlaubsentschädigung

für vier Werktage S 22.191,20 netto

davon mit dem Grenzbetrag

gesichert S 10.932,72 netto

ergibt die Klagsforderung von S 63.409,72 netto

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der Kläger die Grenzbeträge vom Gemeinschuldner (zu 1) bzw vom Masseverwalter (zu 2 und 3) voll erhalten habe, sodass ihm kein Insolvenz-Ausfallgeld mehr zustehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es meinte, dass nach § 1 Abs 4 IESG der dort normierte Grenzbetrag, der für das Jahr 1997 S 46.682,10 monatlich betragen habe, um die vom Arbeitgeber oder vom Masseverwalter auf den Einzelanspruch geleisteten Zahlungen zu vermindern sei. Da die für Jänner 1997 geleistete Zahlung von S 47.500,-- höher als der Grenzbetrag sei, stehe dem Kläger für Jänner 1997 kein Insolvenz-Ausfallgeld zu. Die vom Masseverwalter geleistete Zahlung von S 41.000,-- netto sei ohne Widmung erfolgt. Angesichts dessen, dass vor der Konkurseröffnung entstandene Entgeltansprüche nur nach Festsetzung der Quote anteilsmäßig zu befriedigen seien, sei davon auszugehen, dass der Masseverwalter mit dieser Zahlung Masseforderungen habe begleichen wollen. Die geleistete Zahlung sei zunächst auf gesicherte Entgeltansprüche anzurechnen. Demzufolge bestehe auch für die restlichen vom Kläger geltend gemachten Beträge kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil die nach Konkurseröffnung entstandenen Entgeltsprüche des Klägers im gesicherten Anteil zusammen nur S 40.498,05 netto ergeben würden (S 3.112,14 netto für Gehalt 29. und 30. 9. 1997, S 26.453,16 netto für Gehalt 1. bis 17. 10. 1997 und S 10.932,72 netto Urlaubsentschädigung) und daher mit der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgten Zahlung von S 41.000,-- als abgedeckt anzusehen seien.

Über Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das Ersturteil teilweise ab; es bestätigte die Abweisung von S 52.477,-- netto sA und sprach dem Kläger S 10.932,72 netto sA als gesicherten Teil seiner Urlaubsentschädigung zu.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass durch die Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG eine Mindestsicherung hinsichtlich der Entgeltansprüche von Arbeitnehmern bei einer Insolvenz des Arbeitgebers in den Vertragsstaaten sichergestellt werden sollte. Art 4 dieser Richtlinie räume den Mitgliedsstaaten sowohl eine zeitliche Begrenzung der Ansprüche des Arbeitnehmers (3 Monate innerhalb der letzten 6 Monate vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) als auch eine betragsmäßige Begrenzung (Art 4 Abs 3) ein. Es stehe daher mit der erwähnten Richtlinie im Einklang, wenn § 1 Abs 3 Z 4 IESG für die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers einen Grenzbetrag vorsehe, der nach Abs 4 dieser Gesetzesstelle mit dem zweifachen Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 ASVG festgesetzt sei. Für das Jahr 1997 ergebe dies einen Grenzbetrag von S 81.600,-- brutto monatlich, welchem für Angestellte ein Grenzbetrag von S 46.682,10 netto monatlich entspreche. Mit der Bezahlung dieses Grenzbetrages sei eine Grundsicherung im Sinne der Insolvenzrichtlinie jedenfalls erreicht. Der Kläger habe auf seinem Entgeltanspruch für Jänner 1997 mehr als den Grenzbetrag erhalten, sodass damit sowohl die nach dem IESG und auch nach der Insolvenzrichtlinie zustehende Grundsicherung jedenfalls gewährleistet sei. Die Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 1998, C-125/97 , Regeling, ZIK 1998, 136, betreffe nicht die Frage der Anrechnung von Teilzahlungen auf den Grenzbetrag, sondern die Frage, ob im gesicherten Zeitraum geleistete Zahlungen nur auf diesen Zeitraum angerechnet werden sollen, wenn Forderungen des Arbeitnehmers sowohl aus dem gesicherten Zeitraum als auch ältere Forderungen aus dem davor gelegenen ungesicherten Zeitraum noch offen seien. Diese Frage sei vom EuGH dahin entschieden worden, dass solche Zahlungen mangels Widmung auf die ältesten offenen Arbeitnehmerforderungen, somit auch auf den ungesicherten Zeitraum anzurechnen seien. Die vom Masseverwalter nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geleistete Zahlung von S 41.000,-- netto sei daher zunächst auf die für den Zeitraum 29. 9. bis 17. 10. aufgelaufene Gehaltsforderung des Klägers im Betrag von S 54.477,-- anzurechnen und decke die Forderung des Klägers für diesen Zeitraum, soweit sie nach dem IESG gesichert sei, (S 29.565,33 netto) voll ab. Nicht gesichert sei damit aber der erst bei Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers entstandene Anspruch auf Urlaubsentschädigung in Höhe von vier Werktagen im Betrag von S 22.191,20 netto. Diese Urlaubsentschädigung stehe dem Kläger im gesicherten Ausmaß, also in Höhe von S 10.932,72 netto noch zu.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zu den hier aufgeworfenen Rechtsfragen gesicherte oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Teile wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, die Entscheidung im vollklagsstattgebenden bzw im vollklagsabweisenden Sinn abzuändern.

In den Revisionsbeantwortungen wird jeweils beantragt, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zwar zulässig, weil ausreichend gesicherte oberstgerichtliche Rechtsprechung erst nach Erhebung der Revisionen ergangen ist, bzw eine solche teilweise überhaupt fehlt, sie ist jedoch nur hinsichtlich der Revision der beklagten Partei berechtigt.

Zur Revision des Klägers

Der Kläger meint, § 1 Abs 4 letzter Satz IESG, der anordne, dass der Grenzbetrag bei Entgeltansprüchen um die vom Arbeitgeber bzw der Masse auf den Einzelanspruch geleisteten Zahlungen zu vermindern sei, sei richtlinienwidrig, weil allen Arbeitnehmern ein Mindestschutz nach Art 4 Abs 3 der Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG für die Erfüllung ihrer unbefriedigten Ansprüche zu gewähren sei, sodass Teilzahlungen grundsätzlich auf die ungesicherten Ansprüche anzurechnen sei.

Dieser Kritik an der gesetzlichen Regelung ist zu erwidern, dass der

Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung - in Übereinstimmung

mit den auch nach der Richtlinie zulässigen betraglichen Begrenzungen

(Art 4 Abs 3) - erkennt, dass Zweck des IESG ist, die Arbeitnehmer

vor dem Verlust ihrer Ansprüche zu bewahren, auf die sie zur

Bestreitung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind. Im Einklang mit

diesem Zweck hat der Gesetzgeber bestimmte Ansprüche oder Teile von

Ansprüchen aus der Sicherung durch das IESG ausgenommen und sie nur

bis zu einem bestimmten Grenzbetrag gesichert. Im Falle solcher

Ausnahmen ist es daher - ungeachtet abweichender Widmungen - geboten,

Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der

Ansprüche anzurechnen, weil es sonst zu einer nichtgerechtfertigten

Besserstellung der Arbeitnehmer käme, die ohnehin einen Teil ihrer

Ansprüche vom Arbeitgeber hereinbringen konnten, dennoch aber die

restlichen Ansprüche im Rahmen der Sicherungsmöglichkeiten des IESG

ersetzt erhielten. Diese Anrechnungsregel ist seit der IESG-Nov 1986

durch § 1 Abs 4 letzter Satz IESG positiv-rechtlich abgesichert und

bezieht sich sowohl auf die vom Arbeitgeber als auch die von der

Masse auf den Einzelanspruch geleistete Zahlungen. Diese Bestimmung

ist auch auf sonstige Fälle der Anspruchsbegrenzung analog anzuwenden

(9 ObS 16/91 = SZ 64/124 = DRdA 1992/23 [Geist]; 8 ObS 2321/96y = ZIK

1997, 191 ua; zuletzt 8 ObS 155/01d und 8 ObS 292/00z, die sich auch

mit den Gegenargumenten Webers in ZIK 1998, 118 auseinandersetzt).

Davon ist die Frage zu unterscheiden, auf welchen von mehreren unterschiedlichen Ansprüchen auf laufendes Entgelt Zahlungen anzurechnen sind. Nur diesbezüglich hat der EuGH (14. 7. 1998, Rs C-125/97 , Regeling Slg 1998 I 4493) entschieden, dass im Falle eines Arbeitnehmers, der gegenüber seinem Arbeitgeber Ansprüche für Beschäftigungszeiten hat, die sowohl vor als auch im Sicherungszeitraum liegen, die vom Arbeitgeber während des Bezugszeitraums geleisteten Arbeitsentgeltzahlungen vorrangig den vorher entstandenen Ansprüchen des Arbeitnehmers zuzurechnen sind. Teilzahlungen sind demnach auf die nichtgesicherten älteren Ansprüche anzurechnen. Dem folgt auch die oberstgerichtliche Rechtsprechung (8 ObS 237/01t); ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor.

Der klagsabweisende Teil des Berufungsurteils ist daher zu bestätigen.

Ein Grund zur Anrufung des EuGH besteht nicht. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, können nach Art 4 Abs 3 der Insolvenzrichtlinie Mitgliedstaaten für die Garantie der Erfüllung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer eine Höchstgrenze festsetzen, um die Zahlung von Beträgen zu vermeiden, die über die soziale Zweckbestimmung der Richtlinie hinausgehen. Sind die Ansprüche bis zu dieser Höchstgrenze, die - infolge der hohen Grenzbeträge nach österreichischem Recht - zweifellos auch nach der Richtlinie ausreichend ist, bereits vom Arbeitgeber oder vom Masseverwalter beglichen worden, gebührt dem Arbeitnehmer kein Insolvenz-Ausfallgeld mehr.

Zur Berufung der beklagten Partei

Die beklagte Partei begehrt die ungewidmete Teilzahlung des Masseverwalters von S 41.000,-- auf die gesicherten Teile der geltend gemachten Ansprüche (Gehalt und Urlaubsentschädigung), die beide Masseforderungen seien (Liebeg IESG2 280; Holzer/Reissner/Schwarz,

Die Rechte des Arbeitnehmers bei der Insolvenz4 478), und nicht nur - wie es das Berufungsgericht in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung getan hat - auf den ältesten Anspruch (Gehalt) und zwar auf diesen zur Gänze anzurechnen.

Unter Berücksichtigung der oben - bei der Behandlung der Revision der klagenden Partei - wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, die seit vielen Jahren durch die ausdrückliche Regelung des § 1 Abs 4 letzter Satz IESG voll gedeckt ist, sind Teilzahlungen des Arbeitgebers bei der Höhe nach begrenzten Ansprüchen zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen. Übersteigen die vom Masseverwalter erhaltenen Zahlungen jenen Betrag, der als Grenzbetrag gesichert ist, den der Kläger also zur Sicherung seines Lebensunterhaltes benötigt, ist es wegen der identen Wertungslage geboten, die vom Masseverwalter nach Beendigung des Arbeitsverhältnis widmungslos geleisteten Teilzahlungen vorerst auf alle gesicherten Teile der nach Konkurseröffnung entstandenen Ansprüche, also auf die Ansprüche auf laufendes Entgelt und auf die Urlaubsentschädigung anzurechnen, ohne hiebei vorerst nach dem zeitlichen Entstehen der Ansprüche zu differenzieren.

Abstrakt formuliert bedeutet dies: Bei Zusammentreffen mehrerer gesicherter Ansprüche, die aber der Höhe nach beschränkt sind, sind Teilzahlungen zuerst auf die gesicherten Teile der Ansprüche anzurechnen und erst hinsichtlich des den Grenzbetrag übersteigenden Teiles sind die Teilzahlungen auf die älteren, nicht gesicherten Ansprüche anzurechnen.

Da vorliegendenfalls die gesicherten Teile der Masseforderungen zur Gänze durch die Zahlung des Masseverwalters abgedeckt sind, besteht kein weiterer Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 77 ASGG iVm § 40, 50 ZPO.

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