OGH 1Ob265/01d

OGH1Ob265/01d27.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Franz H*****, und 2. Isabell H*****, beide ***** vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher und Mag. Volker Leitner, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Ingeborg Z*****, vertreten durch Dr. Karl Haas, Dr. Georg Lugert, Mag. Andreas Friedl und Mag. Hannes Huber, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 100.000,-- sA, Änderung einer Garage (Streitwert S 60.000,- -) und Entfernung eines Grenzüberbaus (Streitwert S 40.000,- -) infolge Revision der klagenden Parteien (Revisionsstreitwert S 40.000,- -) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 5. Juni 2001, GZ 36 R 209/01f-37, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 28. Februar 2001, GZ 8 C 453/00t-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Übrigen als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird in der Abweisung des Begehrens auf Entfernung des Streifenfundaments (Punkt b im Berufungsurteil) und in der Kostenentscheidung aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, an die im Osten ein im Eigentum der Beklagten stehendes Grundstück angrenzt. In einem Erbteilungsübereinkommen vom Juni 1990 hatten die Streitteile einander wechselseitig die Zustimmung zur Verbauung der Liegenschaften bis jeweils unmittelbar an die Grenze erteilt. An der Grenze der Liegenschaften der Streitteile besteht ein Niveauunterschied von etwa 2 m; das der Beklagten gehörige Grundstück liegt niedriger als das der Kläger. 1990 planten die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehegatte, im Grenzbereich eine Garage zu errichten. Die Baubewilligung wurde im Oktober 1990 mit der Auflage erteilt, dass die Garage direkt an der Grundgrenze zu errichten sei. Am 25. und 26. 5. 1992 wurden das Fundament und die Seitenwände der Garage fertiggestellt. Zuvor war den Klägern zugesichert worden, dass alles plangemäß verlaufen und die Grundstücksgrenze nicht überschritten werde. Tatsächlich legte das mit der Ausführung des Baus beauftragte Unternehmen das Fundament aber derart an, dass dabei die Grenze zu Lasten der Kläger überschritten wurde. Der Überstand beträgt 9 cm und erstreckt sich vertikal auf eine Tiefe von 50 cm. Die westliche Seitenwand der Garage schließt exakt mit der Grundstücksgrenze ab.

Die Kläger begehrten von der Beklagten die Zahlung von S 100.000 sA und die Abänderung der von ihr errichteten Garage in Bezug auf deren Höhe. Dieses Begehren wurde von den Vorinstanzen rechtskräftig abgewiesen. Weiters begehrten sie - nur dieser Anspruch ist noch Streitgegenstand - die Entfernung jenes Teils des Streifenfundaments, das auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück errichtet wurde.

Die Beklagte wendete gegen das Begehren auf Entfernung eines Teils des Fundaments vor allem ein, sie habe gemäß § 418 letzter Satz ABGB gutgläubig Eigentum an diesem Grundstücksteil erworben; bei der Klagsführung handle es sich um schikanöse Rechtsausübung.

Das Erstgericht gab dem Begehren auf Entfernung jenes Teils des Streifenfundaments, mit dem es sich auf das Grundstück der Kläger erstreckt, statt.

Es stellte (noch) fest, keiner der Parteien sei aufgefallen, dass das Streifenfundament der Garage die Grenze überschreite. Erst nach einer ergänzenden Standberechnung vom 6. 11. 1998 sei den Klägern klar geworden, dass ein Grenzüberbau vorliege. Am 29. 9. 1999 habe sich der Erstkläger darüber beschwert, dass das Fundament die Grenze überrage.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, § 418 letzter Satz ABGB setze das Unterlassen einer Warnung des redlichen Bauführers während der Bauausführung voraus, die Kläger hätten auf Grund der Baupläne und der Zusagen der Beklagten aber davon ausgehen können, dass nicht über die Grenze gebaut werde. Die Kläger hätten die Errichtung der Garage nicht beobachtet und für sie habe keine Möglichkeit bestanden, die auflagen- und planwidrige Errichtung der Garage im Bereich des Fundaments rechtzeitig zu verhindern.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil insoweit ab, als es das Begehren auf Entfernung jenes Teils des Streifenfundaments, der sich auf dem Grundstück der Kläger befindet, abwies. Es sei irrelevant, ob den Klägern schon beim Bau des Fundaments aufgefallen sei, dass dieses die Grenze überschreite. Die Beklagte habe nicht gutgläubig Eigentum am überbauten Grundstücksteil erworben, zumal die Kläger von der Bauführung im Detail keine Kenntnis erlangt hätten; die Seitenwand der Garage überrage nämlich die Grenze nicht, und könne ihnen daher Unredlichkeit nicht unterstellt werden. Für das Begehren auf Beseitigung der die Grenze überragenden Baulichkeiten sei entscheidend, ob der Bauführer als redlich oder als unredlich anzusehen sei. Die Entfernung von auf seinem Grund befindlichen Baulichkeiten könne der Grundeigentümer nur vom unredlichen Bauführer begehren. Da die Beklagte als redliche Bauführerin anzusehen sei, stehe den Klägern kein Beseitigungsanspruch zu. Da das Streifenfundament weit unter dem Grundstücksniveau der Kläger liege, "lägen auch Schikaneüberlegungen im Sinne des § 1295 Abs 2 ABGB nahe".

Die Revision der Kläger ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist klarzustellen, dass der erkennende Senat keine Veranlassung sieht, von der in SZ 69/50 geäußerten Rechtsansicht, auch von einem redlichen Bauführer könne die Beseitigung eines Bauwerks verlangt werden, sofern der Grundeigentümer nicht selbst unredlich gewesen sei, abzugehen. Eine Erörterung der unterschiedlichen Auffassungen in der Lehre (einerseits Koziol/Welser I11 283, andererseits Mader, Der Grenzüberbau in der neueren Judikatur, in bbl 1998, 111; Klicka in Schwimann, ABGB2 Rz 13 zu § 418, die Analogie zu den §§ 415 f ABGB sowie den Umstand, die Rückführung sei "wirtschaftlich nicht sinnvoll", ins Treffen führen wollen) ist aber aus rechtlichen Erwägungen entbehrlich, weil die Beklagte - im Gegensatz zur Rechtsansicht der Vorinstanzen - als unredliche Bauführerin anzusehen ist:

Redlicher Bauführer im Sinne des § 418 ABGB ist nach ständiger Rechtsprechung auch derjenige, der im Zeitpunkt der Bauführung aus plausiblen Gründen über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Grund irren durfte und irrte. Redlichkeit wird bereits durch leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Der Bauführer hat die Pflicht, sich vor Durchführung des Baus zu vergewissern, ob er auf eigenem oder fremdem Grund baut. Diese Vorsichtsnahme wird insbesondere dann als geboten erachtet, wenn die Bauführung im engsten Grenzbereich zu einer Nachbarliegenschaft vorgenommen wird. Ist der Grenzverlauf - wie hier - eindeutig und unstrittig, so geht jede Überschreitung der Grundstücksgrenze im Zuge der Bauführung zu Lasten der Redlichkeit des Bauführers, musste ihm doch klar sein, dass eine Bauführung auf dem in Anspruch genommenen Grundstücksteil nicht zusteht (SZ 69/50; 7 Ob 2352/96z; vgl JBl 2000, 233 [237], NZ 1999, 111; Spielbüchler in Rummel, ABGB3, Rz 5 zu § 418). Wird in Rechnung gestellt, dass die derzeitige Grenze erst im Jahre 1990 festgelegt (S 3 des Berufungsurteils) und bald danach das Fundament der Garage errichtet wurde, erfolgte doch die Fertigstellung bereits im Mai 1992, und dass zuvor den Klägern ausdrücklich zugesichert worden war, es würde die Grundstücksgrenze nicht überschritten werden, so ist die dennoch erfolgte Überbauung der Grundstücksgrenze als fahrlässig zu beurteilen, so dass die Redlichkeit der Beklagten als Bauführerin ausgeschlossen ist, auch wenn sie sich - naturgemäß - einer Bauunternehmung bedient hat, um das Bauwerk zu errichten. Die Fehlleistung dieses Bauunternehmens hat sie zu verantworten, weil sie dessen Tätigkeit insoweit trotz der weitreichenden Rechtsfolgen eines Grenzüberbaus nicht ausreichend überwachte. Vom unredlichen Bauführer kann aber der benachteiligte Grundeigentümer die Beseitigung des auf seinem Grundstück errichteten Bauwerks - bzw eines Teils desselben - fordern (SZ 69/50, insoweit auch SZ 51/143; Klicka aaO). Die auf wirtschaftliche Erwägungen gegründete Ansicht Maders (aaO, 115 f), unter Umständen stehe auch bei Unredlichkeit des Bauführers kein Beseitigungsanspruch zu, wird nicht gebilligt, weil - wie Mader selbst erkennt - der unredliche Bauführer auf fremdem Grund wie ein Geschäftsführer ohne Auftrag zu behandeln ist und daher gegen ihn ein Wiederherstellungsanspruch besteht.

An diesem Beseitigungsanspruch könnte im Allgemeinen auch die von der Beklagten behauptete Tatsache nichts zu ändern, dass die Kläger als Eigentümer des betroffenen Grundstücks von der (unzulässigen) Bauführung gewusst und diese nicht sogleich der Beklagten untersagt hätten, denn dieses Wissen hätte nur zur Folge, dass sie im Fall der Redlichkeit des Bauführers auf den Ersatz des gemeinen Werts ihres Grundstücksteils beschränkt wären (§ 418 dritter Satz ABGB). Die Beklagte könnte das auf das Gesetz gegründete Beseitigungsbegehren der Kläger grundsätzlich nur dann mit Erfolg abwehren, wäre sie redliche Bauführerin gewesen (vgl SZ 69/50).

Die Lösung der Frage, ob die Kläger die Bauführung auf ihrem Grundstück kannten und diese dennoch nicht sogleich untersagten, ist aber aus einem anderen Grund wesentlich:

Die Beklagte wendete ein, das Begehren der Kläger sei schikanös, weil sie in Kenntnis des Überstandes die Bauführung geduldet und den Baufortschritt bis zur Fertigstellung der Garage beobachtet hätten, um erst dann das Entfernungsbegehren zu erheben; sie hätten Erdaufschüttungen in einer Höhe von etwa 2 m genau in diesem Bereich durchgeführt, um die Entfernung des Grenzüberbaus zu erschweren bzw zu verteuern (S 3 des Schriftsatzes vom 30. 11. 2000). Wäre die behauptete Verhaltensweise der Kläger erweislich, so müsste insoweit tatsächlich schikanöse Rechtsausübung angenommen werden, verfolgte sie doch dann zumindest weit überwiegend die Schädigung der Beklagten, selbst wenn ihre Vorgangsweise letztlich auf eine Wahrung und Verfolgung ihrer sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte abzielte (vgl dazu auch Klicka aaO).

Da das Gericht zweiter Instanz meinte, es müsse sich aus rechtlichen Gründen nicht mit der Kenntnis der Kläger von der unzulässigen Bauführung befassen, dies aber für die Erledigung des Schikaneeinwandes nötig ist, muss die Entscheidung des Berufungsgerichts im Umfang der Anfechtung aufgehoben werden.

Dem "aus Vorsichtsgründen" erhobenen Einwand der Beklagten, die Revision sei verspätet eingebracht worden, ist zu erwidern, dass die Zustellung des Berufungsurteils an die Klagevertreter am 9. 7. 2001 erfolgte und die Revision am 11. 9. 2001 zur Post gegeben und somit rechtzeitig überreicht wurde.

Dass die Kläger durch die unzulässige Bauführung nicht gestört worden wären, entbehrt jeder Grundlage, wurde doch in ihr Eigentum eingegriffen und haben sie durch die Klagsführung auch subjektiv zu erkennen gegeben, dass sie die Vorgangsweise der Beklagten als Störung betrachteten.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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