OGH 10ObS310/01p

OGH10ObS310/01p30.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux und MR Dr. Robert Göstl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl F*****, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Franz Pruckner, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien, vertreten durch Dr. Christian Preschitz, Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Juli 2001, GZ 10 Rs 201/01d-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. März 2001, GZ 7 Cgs 353/94h-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters die mit S 4.583,04 (darin S 763,84 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 14. 5. 1954 geborene Kläger leidet an der von der beklagten Partei anerkannten Berufskrankheit Exogen allergische Alveolitis vom Typ der Farmerlunge. Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 40 vH ab 1. 11. 1993.

Neben der Führung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes hat der Kläger am 1. 4. 1980 das gebundene Gewerbe "Handelsgewerbe gemäß § 103 Abs 1 lit b Z 25 GewO 1973, eingeschränkt auf den Kleinhandel" am Standort Schönbach 23 angemeldet und gleichzeitig die Ausübung an der weiteren Betriebsstätte Schönbach, Hauptschulgebäude, hier eingeschränkt auf den Kleinhandel mit Wurstsemmeln, Gabelbissen und Semmeln angezeigt. Ab 31. 1. 1993 hat der Kläger bei der Handelskammer Niederösterreich den Nichtbetrieb seiner Gewerbeberechtigung gemeldet, diese aber nicht zurückgelegt.

Weiters war der Kläger vom 16. 9. 1980 bis 9. 3. 1993 berechtigt, das Gastgewerbe mit der Berechtigung gemäß § 189 Abs 1 Z 3 GewO 1973, eingeschränkt auf den Verkauf von gebrannten geistigen Getränken, am Standort Schönbach 23 auszuüben. Dieses Gewerbe wurde mit Wirkung vom 9. 3. 1993 zurückgelegt.

Für das Jahr 1993 betrug die Bemessungsgrundlage für die gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG Teilversicherten, die selbständig erwerbstätig waren, S 116.898,--. Der Beitrag zur Unfallversicherung wurde für das Jahr 1993 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eingehoben; es handelte sich dabei um einen Jahresbeitrag in einer Höhe von S 815,--.

Mit Bescheid vom 30. 8. 1994 hat die beklagte Partei dem Kläger unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von S 58.445,-- (Bemessungsgrundlage für die selbständige Erwerbstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft) ab dem 1. 11. 1993 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente zuerkannt.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 2. 12. 1994 berichtigte die beklagte Partei die Bemessungsgrundlage auf S 107.152,50. Dies wurde damit begründet, dass der Kläger im letzten Jahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls (1. 11. 1993) auch einen Gewerbebetrieb geführt habe und bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage auch die Einkünfte aus dieser Tätigkeit anteilsmäßig zu berücksichtigen seien.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Patei zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente ab 1. 1. 1993 unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von S 175.343,--. Gemäß § 178 Abs 1 ASVG seien bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 182 ASVG alle Dienstverhältnisse, Erwerbstätigkeiten und sonstigen Tätigkeiten, sofern sie in die Unfallversicherung nach dem ASVG oder nach dem BSVG einbezogen seien, zu berücksichtigen, auch wenn sie nebeneinander ausgeübt würden. Aus § 179 ASVG ergebe sich, dass bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage nicht punktuell auf die Einkommenssituation im Unfallszeitpunkt abzustellen sei. Vielmehr sei ein Bemessungszeitraum von einem Jahr zugrunde zu legen, selbst wenn eine zu berücksichtigende Tätigkeit im Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung nicht mehr ausgeübt worden sei. Dauere die Versicherung kürzere Zeit als ein Jahr, sei eine Hochrechnung auf ein Jahr vorzunehmen. Soweit in den Fällen des § 181 ASVG feste Pauschalbeträge als Bemessungsgrundlage vorgesehen seien, seien diese - bezogen auf den Zeitraum eines Jahres - maßgeblich.

Das Berufungsgericht bestätigte diese rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Aus § 179 Abs 1 ASVG ergebe sich die Absicht des Gesetzgebers, bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage nicht punktuell auf die Einkommenssituation im Unfallszeitpunkt bzw den Zeitpunkt des Eintritts der Berufskrankheit abzustellen, sondern einen Bemessungszeitraum von einem Jahr zugrunde zu legen. In den Fällen, in denen die Versicherung eine kürzere Zeit gedauert habe, sei eine entsprechende Hochrechnung vorzunehmen. Da auf diese Weise eine Bemessungsgrundlage ermittelt werden könne, fehle es an den Voraussetzunen für eine Festsetzung der Bemessungsgrundlage nach billigem Ermessen im Sinne des § 182 ASVG.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer vollinhaltlichen Abweisung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Ausführungen der Revisionswerberin sind nicht geeignet, Bedenken gegen die Richtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts hervorzurufen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

In der Revision wird der Standpunkt aufrecht erhalten, es liege eine Unbilligkeit im Sinne des § 182 2. Halbsatz ASVG vor, wenn die GSVG-Tätigkeit zur Gänze angerechnet (oder zur Gänze negiert) worden wäre, obwohl der Kläger die GSVG-relevante Tätigkeit in weniger als 50 % der für den Beobachtungszeitraum maßgeblichen Kalendermonate ausgeübt habe.

Dem kann nicht beigetreten werden. Grundsätzlich ist nach § 179 Abs 2 ASVG dann, wenn "die Versicherung noch nicht ein Jahr, aber mindestens sechs Wochen gedauert" hat, als Bemessungsgrundlage der Betrag anzusehen, der sich bei entsprechender Anwendung des § 179 Abs 1 ASVG ergeben würde, wenn die Versicherung durch ein volles Jahr bestanden hätte. Für die gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG Teilversicherten verweist § 179 Abs 1 ASVG wiederum auf die in § 181 Abs 1 ASVG vorgesehene Bemessungsgrundlage nach festen (kalender-)jahresbezogenen Beträgen.

Nun könnte die in § 179 Abs 2 ASVG verwendete Formulierung, wonach "die Versicherung noch nicht ein Jahr ... gedauert" hat, von ihrem Wortlaut her nahelegen, dass die Versicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles aufrecht gewesen sein muss, um für die Bemessungsgrundlage relevant zu werden. Allerdings ist zu bedenken, dass der Grund für das Abstellen auf einen Jahreszeitraum darin liegt, dass die Unfallversicherung nur eine Jahresbemessungsgrundlage kennt, weshalb es erforderlich war, eine Rechenregel aufzustellen, die zu einem fiktiven Jahreseinkommen führt (Tomandl in Tomandl, SV-System, 13. ErgLfg, 325), wobei auf die Verdienstverhältnisse vor dem Unfall abgestellt wird. In diesem Sinne ist für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Geldleistungen der Unfallversicherung nach dem ASVG der Bemessungszeitraum immer ein volles Jahr (SSV-NF 2/134, 6/83, 12/59), und zwar nicht nur dann, wenn die Versicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles noch nicht ein Jahr gedauert hat, sondern - wegen des Abstellens auf die Verdienstverhältnisse vor dem Unfall - auch im umgekehrten Fall, dass die Versicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles nicht mehr besteht. Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage soll nicht punktuell auf die Einkommensverhältnisse im Unfallszeitpunkt abgestellt werden, sondern auf einen längeren - einjährigen - Zeitraum (SSV-NF 6/83).

Nach billigem Ermessen (§ 182 ASVG) ist die Bemessungsgrundlage nicht nur dann festzustellen, wenn sie nach den §§ 179 bis 181b ASVG nicht errechnet werden kann (§ 182 Satz 1 Halbsatz 1 ASVG), sondern auch dann, wenn ihre Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten würde (SSV-NF 4/88). Stehen aber - wie hier - Grundlagen für die Errechnung der Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 181b ASVG zu Verfügung, kann die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach § 182 ASVG nur einen Ausnahmefall bilden (SSV-NF 12/71). Die objektive Beweislast für Umstände, die einen Ausnahmefall begründen, obliegt der beklagten Partei. Ein solcher Sachverhalt ist jedoch nicht erwiesen. Unter Bedachtnahme auf die aus § 179 ASVG hervorgehende Grundregel, dass die Bemessungsgrundlage - erforderlichenfalls durch eine Hochrechnung - jahresbezogen zu ermitteln ist, würde es im Gegenteil eine Unbilligkeit bedeuten, bei Ausübung einer Tätigkeit über fünf von zwölf Monaten die Bemessungsgrundlage nur anteilig mit 5/12 zu ermitteln. Immerhin sieht § 179 Abs 3 ASVG sogar bei einer noch nicht sechs Wochen dauernden Versicherung eine Umrechnung auf einen Jahreszeitraum vor.

Der Revision der beklagten Partei ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Stichworte