OGH 12Os50/01

OGH12Os50/0118.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Habl und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef L***** wegen des Vergehens der Schändung nach § 205 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 12. März 2001, GZ 10 Vr 703/00-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Hiller zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef L***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 6. Oktober 2000 in Handenberg Johanna B*****, die sich infolge Blindheit in einem Zustand befand, der sie zum Widerstand unfähig machte, dadurch, dass er sie am Geschlechtsteil betastete und ihre Hand zu seinem Glied führte, zur Unzucht missbraucht und hiedurch das Vergehen der Schändung nach § 205 Abs 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 7 und 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt - entgegen dem von der Generalprokuratur vertretenen Standpunkt - Berechtigung zu.

Das Erstgericht traf folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

"Der Angeklagte begann nach einer nicht exakt feststellbaren Zeit damit, Johanna B***** ""Avancen"" zu machen. Er brachte unmissverständlich zum Ausdruck, dass er mit ihr einen Geschlechtsverkehr auf dem Sofa in der Küche durchführen möchte. Dabei war ihm wohl bewusst, dass "(die 79-Jährige - US 2)" Johanna B***** blind ist (was sich schon aus dem Ausdruck ihrer hervorquellenden Augen eindeutig ergibt). Er hielt es aber nicht einmal ernstlich für möglich und fand sich auch nicht damit ab, dass es sich bei Johanna B***** um eine wehrlose Person handeln könnte. Es kann nicht festgestellt werden, dass er Johanna B***** vollkommen überraschend unter den Rock und eine lange Unterhose auf den Geschlechtsteil griff. Die alte Frau trug unter einem Kleid eine Unterhose, die etwa bis zu den Knien reichte. Er versuchte aber, Johanna B***** im Bereich der Schamlippen zu betasten, was ihm auch gelang. Außerdem betastete er sie im Bereich des Busens. Johanna B***** ist es aber gelungen, sich mit einer Hand an einer Türschnalle festzuhalten. Sie konnte den Angeklagten mit der anderen Hand abwehren, sodass dieser sein Vorhaben, sie zu einem Geschlechtsverkehr auf der Couch zu bewegen, nicht verwirklichen konnte. Er hatte aber niemals geplant, seine auf die Durchführung eines Geschlechtsverkehrs gerichtete Absicht gewaltsam durchzusetzen" (US 3).

"Abgesehen von der schon erwähnten Blindheit liegen also keine Anhaltspunkte für eine Wehr- oder Hilflosigkeit vor, und zwar weder in psychischer noch in physischer Hinsicht." (US 4). .... "Jedenfalls kann aus ihrer Aussage" (jener der Johanna B*****) "nicht abgeleitet werden, dass ihr der Angeklagte vollkommen überraschend auf den Geschlechtsteil griff, wobei sie wegen ihrer Blindheit von vornherein nicht in der Lage gewesen wäre, sich entsprechend zur Wehr zu setzen." (US 5).

Schon der geltendgemachte Begründungsmangel (Z 5) erfordert die Kassierung des Urteils. Denn im Sinne des Beschwerdevorbringens der Anklagebehörde sind die Urteilsannahme, wonach dem Angeklagten zwar bewusst war, dass Johanna B***** blind ist, und die - ohne Anführung gänzlich außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung liegender atypischer Umstände nicht plausibel begründbare - Feststellung, dass er es dennoch nicht einmal ernstlich für möglich hielt und sich auch nicht damit abfand, dass es sich bei ihr um eine wehrlose Person handeln könnte, (hier) tatsächlich - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - widersprüchlich, weil sie einander nach den Gesetzen logischen Denkens ausschließen:

Die Wehrlosigkeit setzt einen Zustand des Tatopfers voraus, in dem es durch einen ins Gewicht fallenden Zeitraum außerstande ist, dem Täter zumutbaren und nicht ganz aussichtslosen Widerstand zu leisten (Pallin in WK1 § 205 Rz 15; Mayerhofer StGB5 § 205 RN 2). Tatbestandsspezifisch im Sinn des § 205 StGB ist die Dauer des den geschlechtlichen Missbrauch verwirklichenden körperlichen Kontaktes zwischen Täter und Opfer an sich nicht von Bedeutung, sofern nur (wie hier) eine mehr als flüchtige, sexual sinnbezogene Berührung erfolgt (Steininger Komm3 RN 5, Mayerhofer aaO RN 7, jeweils zu § 207). Daraus folgt - unter Anwendung eines objektiv-individualisierenden Maßstabes - fallbezogen, dass sich das Opfer, bedingt durch seine völlige Blindheit, in einer extremen Lage der Hilflosigkeit befand, die es ihm unmöglich machte, (wie hier) bevorstehenden, objektiv vorerst bloß optisch erkennbaren Sexualattacken jenseits der Flüchtigkeitsschwelle wirksam zu begegnen und sohin vor Vollendung der inkriminierten Schändungshandlungen Widerstand entgegenzusetzen. Dass die insoweit widerstandsunfähige Person in weiterer Folge allenfalls in der Lage war, weitere körperliche Angriffe abzuwehren, vermag an ihrem zunächst aktuellen Zustand der Widerstandsunfähigkeit nichts zu ändern.

Nur der Vollständigkeit halber ist im gegebenen Kontext ferner klarzustellen, dass der von der Generalprokuratur zur vermeintlichen Untermauerung des gegenteiligen Standpunktes herangezogene, nicht unter § 205 StGB subsumierbare "sexuelle Überraschungsangriff" (Pallin aaO § 205 abermals Rz 15) auf den vorliegenden Fall schon begrifflich nicht anwendbar ist, weil bei Fassung des Tatentschlusses die bei Annahme völliger Blindheit grundsätzlich indizierte Widerstandsunfähigkeit des Tatopfers, (anders als beim Überraschungsangriff), bereits vorlag.

Zutreffend ist ferner der von der Generalprokuratur übergangene Beschwerdeeinwand (Z 9 lit a), dass das Erstgericht den Angeklagten vom (weiteren) Anklagevorwurf, die Hand der Johanna B***** zu seinem Glied geführt zu haben, freisprach, die Entscheidungsgründe des Urteils dazu aber jegliche Feststellungen vermissen lassen. Da sich sohin zeigt, dass die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Beschwerde spruchgemäß zu erkennen, ohne dass auf die weiters geltend gemachten Nichtigkeitsgründe eingegangen werden müsste.

Stichworte