OGH 11Os119/01

OGH11Os119/012.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Albel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Andreas K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 16. März 2001, GZ 15 E Vr 352/96-23, sowie die Vorgänge, dass das Landesgericht Innsbruck im Verfahren AZ 29 Vr 1986/96 von seinem Beschluss vom 3. Juli 1998 auf Widerruf bedingter Strafnachsicht das Landesgericht St. Pölten nicht unverzüglich verständigte, und dass es mit Schreiben vom 20. Juli 2000 mitteilte, dass die Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht mehr vollzogen werden könne, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Verteidigers Dr. Philipp, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen

1./ die Vorgänge, dass das Landesgericht Innsbruck

a./ von seinem gemeinsam mit dem Urteil vom 3. Juli 1998, GZ 29 Vr 1986/96-653, gefassten Beschluss auf Widerruf der Andreas K***** mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 26. April 1996, GZ 15 E Vr 352/96-12, gemäß § 43 Abs 1 StGB gewährten bedingten Strafnachsicht nicht unverzüglich dieses Landesgericht verständigte, § 494a Abs 7 StPO;

b./ dem Strafregisteramt und dem Verteidiger des Andreas K***** mit Schreiben vom 20. Juli 2000, GZ 29 NsV 12/00-10, mitteilte, dass die den Gegenstand der unter Punkt a./ bezeichneten Widerrufsentscheidung bildende Freiheitsstrafe von drei Monaten "nicht mehr vollzogen werden kann, weil die endgültige Strafnachsicht in Rechtskraft erwachsen ist und eine Wiederaufnahme dieser Entscheidung nicht mehr möglich ist", § 43 Abs 2 StGB sowie den sich aus den Anfechtungsvorschriften und dem XX. Hauptstück der Strafprozessordnung ergebenden Grundsatz der Bindungswirkung der betreffenden Widerrufsentscheidung;

2./ der Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 16. März 2000, GZ 15 E Vr 352/96-23, womit die über Andreas K***** mit Urteil dieses Gerichtes vom 26. April 1996 verhängte Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen wurde, obwohl deren bedingte Nachsicht mit dem unter Punkt 1./a./ angeführten Beschluss bereits widerrufen war, die unter Punkt 1./b./ bezeichneten Bestimmungen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. Juli 1998, GZ 29 Vr 1986/96-653, wurde Andreas K***** rechtskräftig des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 156, 147 Abs 3 und 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 26. April 1996, GZ 15 E Vr 352/96-12, zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich widerrief das Landesgericht Innsbruck mit einem gleichfalls in Rechtskraft erwachsenen Beschluss gemäß §§ 55 Abs 1 StGB, 494a Abs 1 Z 4 StPO die bedingte Nachsicht der mit dem genannten Urteil des Landesgerichtes St. Pölten über Andreas K***** verhängten Freiheitsstrafe von drei Monaten.

Eine dem § 494a Abs 7 StPO entsprechende unverzügliche Verständigung des Landesgerichtes St. Pölten vom erwähnten Widerruf der bedingten Strafnachsicht durch das Landesgericht Innsbruck unterblieb. Hiedurch konnte es geschehen, dass das Landesgericht St. Pölten in Unkenntnis der Widerrufsentscheidung am 16. März 2000 die endgültige Strafnachsicht beschloss.

Nachdem das Landesgericht St. Pölten von der Widerrufsentscheidung des Landesgerichtes Innsbruck Kenntnis erlangt hatte, hob es mit Beschluss vom 16. August 2000 seine Entscheidung auf endgültige Strafnachsicht wieder auf.

Beide Beschlüsse des Landesgerichtes St. Pölten sind in Rechtskraft erwachsen.

Das Landesgericht Innsbruck wiederum vertrat die Auffassung, dass die vom Landesgericht St. Pölten beschlossene endgültige Nachsicht der betreffenden dreimonatigen Freiheitsstrafe deren Vollstreckung ausschloss. Deshalb übersandte es sowohl an das Strafregisteramt (unter Berufung auf § 2 [gemeint Abs 1 Z 5] StrafregisterG) als auch an den Verteidiger des Andreas K***** die mit 20. Juli 2000 datierte Mitteilung des Inhalts, "dass diese Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht mehr vollzogen werden kann, weil die endgültige Strafnachsicht in Rechtskraft erwachsen ist und eine Wiederaufnahme dieser Entscheidung nicht mehr möglich ist".

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen diese Vorgänge mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Das Landesgericht Innsbruck hat durch Unterlassung der unverzüglichen Verständigung des Landesgerichtes St. Pölten von seinem Beschluss auf Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsicht gegen § 494a Abs 7 StPO verstoßen, wonach das erkennende Gericht alle jene Gerichte unverzüglich und ohne Rücksicht auf die Rechtskraft seiner Entscheidung zu verständigen hat, deren Vorentscheidungen hievon betroffen sind. Durch diese Verständigungspflicht soll sichergestellt werden, dass ein von der neuen Entscheidung betroffenes Gericht keine weitere Entscheidungskompetenz in Anspruch nimmt.

Der Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 16. März 2000 auf endgültige Strafnachsicht widerspricht § 43 Abs 2 StGB, nach dem ein Ausspruch auf endgültige Strafnachsicht voraussetzt, dass die Nachsicht nicht widerrufen wurde. Dieses Erfordernis war im Zeitpunkt der Beschlussfassung infolge des rechtswirksamen Widerrufsbeschlusses des Landesgerichts Innsbruck nicht gegeben. Der Widerrufsbeschluss entfaltete (unabhängig von der Rechtskraft) ab seiner Verkündung eine Bindungswirkung, der zufolge ohne seine vorangegangene Aufhebung kein Gericht über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte. Das Landesgericht St. Pölten hat daher durch seine Beschlussfassung vom 16. März 2000 auf endgültige Strafnachsicht seine Entscheidungskompetenz (ohne Verschulden) unzulässig in Anspruch genommen.

Dieser Beschluss auf endgültige Nachsicht konnte weder den schon zuvor wirksam beschlossenen Widerruf der betreffenden bedingten Strafnachsicht beseitigen, noch sonst irgendwelche Rechtsfolgen für Andreas K***** nach sich ziehen. Vielmehr blieb hiedurch die konstitutive Wirkung des Widerrufsbeschlusses unberührt. Eine formelle Aufhebung des Beschlusses auf endgültige Strafnachsicht gemäß § 292 letzter Satz StPO kann hier unterbleiben, weil das Landesgericht St. Pölten mit seinem - der Sache nach deklarativen - Beschluss vom 16. August 2000 ohnehin bereits ausgesprochen hat, dass die betreffende endgültige Strafnachsicht keine Rechtswirkung zu entfalten vermag.

Schließlich hat das Landesgericht Innsbruck auch durch seine beiden Mitteilungen vom 20. Juli 2000 an das Strafregisteramt und an den Verteidiger, wonach die beschlossene endgültige Strafnachsicht den Vollzug der betreffenden Strafe ausschließen würde, gegen die Bindungswirkung des Widerrufsbeschlusses vom 3. Juli 1998 verstoßen.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren mangels nachteiliger Wirkung für den Verurteilten lediglich festzustellen (§ 292 vorletzter Satz StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte