OGH 8ObS223/00b

OGH8ObS223/00b13.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Nagelreiter und Dr. Christoph Kainz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Konrad B*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Steiermark, nunmehr IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 579.216,-- netto sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Mai 2000, GZ 8 Rs 42/00h-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. November 1999, GZ 37 Cgs 281/99w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über den vom Obersten Gerichtshof am 26. 4. 2001 in der Sozialrechtssache 8 ObS 249/00a gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Revisionsverfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.

Text

Begründung

Der Kläger war zu 25 % Gesellschafter einer seinen Familiennamen als Firmenbestandteil tragenden GmbH, deren Geschäftsführer er gemeinsam mit seiner Gattin bis 3. 6. 1991 war. Ab 1991 übernahm der Sohn des Klägers die Funktion des Geschäftsführers, der Kläger selbst war nur mehr als Außendienstmitarbeiter tätig. Den Zahlungsverkehr und die Bankgeschäfte wickelte der Sohn des Klägers ab, der Kläger unterschrieb die Datenträger für Überweisungen.

1992 nahm das Unternehmen einen Kredit in der Höhe von über 1 Mio S auf, für den sich auf Grund des Wunsches des Bankinstituts alle Gesellschafter verbürgen mussten. Der Kredit wurde bis 1997 regelmäßig bedient. Der Kläger und ein weiterer Mitarbeiter erhielten seit Dezember 1997 keine Lohnzahlungen von der GmbH mehr; bei anderen Mitarbeitern war dies ab März bzw April 1998 der Fall. Seit 1997 erhielt der Kläger auch die von ihm verrechneten Diäten nicht mehr ausbezahlt. Im November oder Dezember 1997 wurde auf Grund der schwierigen finanziellen Lage mit Gesellschafterbeschluss vereinbart, dass die ausständigen Gehälter mit den nicht zur Gänze einbezahlten Stammeinlagen gegenverrechnet werden. Die Ehegattin des Klägers brachte wegen der finanziellen Schwierigkeiten am 29. 10. 1997 S 270.000 und am 5. 11. 1997 S 110.000 aus Privatmitteln als Darlehen in das Unternehmen ein. Dies war dem Kläger bekannt; die finanzielle Situation wurde im Familienkreis ständig besprochen.

Am 19. 6. 1998 trat der Kläger mit den anderen Arbeitnehmern des Betriebes wegen Entgeltvorenthaltung nach Setzen einer Nachfrist aus dem Dienstverhältnis aus. Am 14. 8. 1998 wurde über das Vermögen der GesmbH das Konkursverfahren eröffnet.

Nachdem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld mit Bescheid vom 6. 9. 1999 zur Gänze abgelehnt hatte, begehrte der Kläger mit seiner am 23. 9. 1999 beim Erstgericht eingebrachten Klage für beendigungsabhängige Ansprüche (Urlaubsentschädigung für 64 Werktage, Kündigungsentschädigung vom 20. 6. 1998 bis 31. 12. 1998, gesetzliche Abfertigung) zuletzt S 600.360,50 netto. Er sei Dienstnehmer gewesen und habe infolge seiner Dienstnehmereigenschaft keinen Einfluss auf die Unternehmensführung gehabt. Die Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens sei frühestens mit Beginn Mai 1998 eingetreten, sodass der Kläger rechtzeitig seinen Austritt erklärt habe. Ein Eigenkapitalersatz sei jedenfalls hinsichtlich der Beendigungsansprüche auszuschließen. Diese Ansprüche wären umfangmäßig gleich hoch gewesen, wenn der Kläger bereits im Jänner 1998 ausgetreten wäre. Die Höhe der begehrten Abfertigung ergebe sich aus den vertraglich angerechneten Vordienstzeiten von 10 Jahren zuzüglich der Zeiten reiner Angestelltentätigkeit im Betrieb des insolvent gewordenen Arbeitgebers.

Die Beklagte wendete dagegen ein, das "Stehenlassen" von sieben Gehältern eines Minderheitsgesellschafters über die ihm zustehende Überlegungsfrist von 60 Tagen (§ 69 KO) sei als Eigenkapital ersetzendes Gesellschafterdarlehen zu qualifizieren. Der Kläger habe durch das lange Zuwarten mit seinem Austritt nicht nur seine Gehaltsansprüche, sondern auch seine Beendigungsansprüche verwirkt. Die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers werde bestritten. Vordienstzeiten könnten schon deswegen nicht angerechnet werden, weil sie nicht unmittelbar vor Beginn des Arbeitsverhältnisses bei der GesmbH gelegen seien.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - bei rechtskräftiger Teilabweisung von S 21.144,50 - mit dem Betrag von S 579.216 netto sA statt. Nach Neufassung des Dienstvertrags vom 3. 6. 1991 sei der Kläger als Arbeitnehmer anzusehen. Da der Kläger lediglich beendigungsabhängige Ansprüche geltend mache, stelle sich die Frage nicht, ob das "Stehenlassen" der Gehälter und Diäten als Eigenkapital ersetzendes Darlehen anzusehen sei. Der Abfertigungsanspruch entstehe zwar erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die Anwartschaftsrechte würden aber schon im Laufe des Arbeitsverhältnisses erworben. Wäre der Kläger bereits im November oder Dezember 1997 ausgetreten, hätte sich die Höhe der begehrten Abfertigung nicht geändert. Gleiches gelte für Urlaubs- und Kündigungsentschädigung. Die Abfertigung gebühre allein auf der Basis der Dienstzeit beim insolventen Unternehmen ohne Organmitgliedschaft, somit ab 3. 6. 1991 zuzüglich der dienstvertraglich angerechneten 10 Jahre Vordienstzeiten. Dass nur unmittelbar vorangegangene Vordienstzeiten anrechenbar seien, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Der Kläger habe die ihm angerechneten Zeiten auch tatsächlich zurückgelegt, sodass von einer Dienstzeit von 17 Jahren auszugehen sei. Die Abfertigung stehe in der Höhe von sechs Monatsentgelten unter Beachtung der Begrenzung des § 1 Abs 4a IESG zu.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nicht nach § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei. Seit der Neufassung des Dienstvertrages zum 3. 6. 1991 sei auch unter Berücksichtigung eines sogenannten "Fremdvergleichs" kein Hinweis auf eine atypische Gestaltung des Arbeitsverhältnisses des Klägers erkennbar. Wie sich aus § 3a IESG entnehmen lasse, führe das Zuwarten durch mehr als sechs Monate grundsätzlich nur zum Verlust der Sicherung für das davor liegende laufende Entgelt, nicht aber zum grundsätzlichen Entfall aller nach dem IESG gesicherten Ansprüche.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, wonach die zum Eigenkapital ersetzenden Darlehen eines Gesellschafters entwickelten Grundsätze auch auf beendigungsabhängige Ansprüche anzuwenden sind und eine Trennung von Ansprüchen des Klägers aus einem einheitlichen Beschäftigungsverhältnis in einen Anteil, in dem er als Gesellschafter durch Stehenlassen von Entgeltforderungen ein Eigenkapital ersetzendes Gesellschafterdarlehen der insolventen Arbeitgeberin gewährte und in einen Teil, in dem er als Arbeitnehmer hinsichtlich eines einem "Fremdvergleich" standhaltenden Verhaltens seinen fingierten Austritt erklärt hätte, unzulässig ist (8 ObS 4/00x; 8 ObS 5/00v; DRdA 2000, 535 je mwH).

Der erkennende Senat hat in dem Verfahren 8 ObS 249/00a, in welchem ebenfalls ein 25 %-Gesellschafter der insolvent gewordenen Arbeitgeberin unter anderem auch beendigungsabhängige Ansprüche geltend machte, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Widerspricht es den Zielen der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, wenn ein Gesellschafter ohne beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft unter Berücksichtigung der auch von der österreichischen Rechtsprechung angewandten Grundsätze über das Eigenkapital ersetzende Darlehen seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld dann verliert, wenn er als Arbeitnehmer der Gesellschaft nach Eintritt deren ihm erkennbarer Kreditunwürdigkeit nicht mehr bezahltes laufendes Arbeitsentgelt durch mehr als 60 Tage nicht ernsthaft einfordert und/oder wegen Vorenthaltens des Entgelts nicht vorzeitig austritt?

2. Umfasst dieser Anspruchsverlust alle unberichtigten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder nur solche, die nach jenem fiktiven Zeitpunkt entstanden sind, zu welchem ein unbeteiligter Arbeitnehmer wegen Vorenthaltens des Lohnes den Austritt aus dem Arbeitsverhältnis erklärt hätte?".

Da dieselben Erwägungen betreffend Auslegungszweifel gemeinschaftsrelevanter Vorschriften auch für die vorliegende Sozialrechtssache gelten, ist es zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des Europäischen Gerichtshofs über das gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das behängende Revisionsverfahren zu unterbrechen. Dies ist sinnvoll, weil der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese daher auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden hat (RIS-Justiz RS0110583).

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