OGH 12Os58/01

OGH12Os58/0111.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juli 2001 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kristöfel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stefan L***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 11 Vr 408/01 des Landesgerichtes Wels, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 30. Mai 2001, AZ 7 Bs 144/01 (= ON 29), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Stefan L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Inhaltlich der von der Staatsanwaltschaft zu AZ 9 Vr 408/01 des Landesgerichtes Wels eingebrachten rechtswirksamen Anklageschrift (ON 4) liegt dem Beschwerdeführer zur Last, er habe

"1) von ca 1990/1991 bis 1993/1994 in Zipf Stefanie L***** in einer Vielzahl von Angriffen mit Gewalt, indem er sie festhielt, mit einer Hand niederdrückte und mit der anderen Hand im Genitalbereich ausgriff, zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt;

2) von ca 1990/1991 bis 1993/1994 in Zipf an der am 01. Jänner 1987 geborenen mithin unmündigen Stefanie L***** in einer Vielzahl von Angriffen durch Betasten ihres Geschlechtsteils eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

3) von ca 1993/1994 bis 1997 in Zipf Stefanie L***** in einer Vielzahl von Angriffen mit Gewalt, indem er sie niederdrückte zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zum Einführen seiner Finger in ihre Scheide, genötigt;

4) von ca 1993/1994 bis 1997 in Zipf mit der am 01. Jänner 1987 geborenen mithin unmündigen Stefanie L***** in einer Vielzahl von Angriffen eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung, nämlich das Einführen seiner Finger in ihre Scheide unternommen;

5) von ca 1997 bis 1999 in Zipf und im Sommer 2000 in Graz dadurch, dass er sich in einer Vielzahl von Angriffen in Gegenwart der am 01. Jänner 1987 geborenen, mithin noch nicht 16jährigen Stefanie L***** auszog und sich selbst geschlechtlich befriedigte, eine Handlung, die geeignet war, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer Person unter 16 Jahren vorgenommen, um dadurch sich geschlechtlich zu erregen;

6) von 1990/1991 bis 1997 in Zipf seine am 01. Jänner 1987 geborene minderjährige Tochter Stefanie L***** in einer Vielzahl von Angriffen durch Betasten am Geschlechtsteil sowie durch Einführen seiner Finger in ihre Scheide zur Unzucht missbraucht;

7) im Jahre 1997/1998 in Zipf an der am 25. Dezember 1984 geborenen, mithin unmündigen Beate L***** in mehreren Angriffen versucht, durch Betasten ihres Geschlechtsteiles eine geschlechtliche Handlung vorzunehmen, wobei die Taten nur infolge der Abwehr durch Beate L***** beim Versuch geblieben seien;

8) im Jahre 1997/1998 in Zipf sein am 25. Dezember 1984 geborenes minderjähriges Stiefkind Beate L***** durch den mehrmaligen Versuch, am Geschlechtsteil zu betasten, zur Unzucht missbraucht" und hiedurch das Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB, die Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB, das Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, das Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 StGB und die Vergehen des (teils vollendeten, teils versuchten) Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB begangen.

Mit untersuchungsrichterlichem Beschluss vom 16. Mai 2001 wurde die mit Beschluss vom 12. April 2001 über den Beschuldigten verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StPO mit Wirksamkeit bis längstens 12. Juni 2001 fortgesetzt. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Linz mit Entscheidung vom 30. Mai 2001, AZ 7 Bs 144/01, nicht Folge, ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 und "Abs 3 lit b" (gemeint: Abs 2 Z 3 lit b) StPO an und sprach aus, dass dieser Haftbeschluss bis längstens 30. Juli 2001 wirksam ist.

Den herangezogenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr leitete der Gerichtshof zweiter Instanz - zusammengefasst wiedergegeben - aus dem mehrjährigen Tatzeitraum (1990 bis Sommer 2000), der zunehmenden Intensität der gegen zwei Unmündige gerichteten Tathandlungen sowie aus einer Vorverurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung einer nicht seinem Familienverband angehörigen Person nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB im Jahr 1992 und seiner solcherart bereits manifesten sexuellen Devianz ab.

Der dagegen erhobenen, allein den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr, nicht aber den dringenden Tatverdacht problematisierenden Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu:

Rechtliche Beurteilung

Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) liegt nicht vor, weil in Haftfragen das Bestehen qualifizierten Tatverdachtes (§ 5 Abs 1 lit c EMRK) ausreicht (Hager/Holzweber GRBG § 2 E 34, 34a).

Soweit die Beschwerde darüber hinaus die Verneinung des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr darauf stützt, dass der Beschuldigte durch das gegen ihn anhängige Strafverfahren und die bereits verbüßte Untersuchungshaft in einem künftige Delinquenz hindernden Maß beeindruckt ist, im Hinblick auf die vorgeworfene Tatbegehung im Familienkreis die Zwecke der Untersuchungshaft auch durch das Gelöbnis, den Kontakt mit den Tatopfern zu meiden, erreicht werden könnten und während der derzeit bestehenden Lebensgemeinschaft "keine Vorkommnisse außerhalb der Familie betreffend die Tochter und Stieftochter vorgefallen sind", erweist sie sich ebenfalls nicht als zielführend.

Denn die angeführten Beurteilungsaspekte sind - wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführte - durchwegs im Kontext (auch) mit der jeweils ingerierten Täterpersönlichkeit zu prüfen. Verdeutlichen die fallspezifischen Tatdetails im Einzelfall (wie hier) eine krass persönlichkeitsinhärente kriminelle Täteranfälligkeit und eine entsprechend manifeste Neigung zu strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit, dann tritt die Bedeutung der die Deliktsverwirklichung konkret begünstigenden Rahmenbedingungen in den Hintergrund, weil insoweit evident zutage tritt, dass der beharrlich aktive Täter (Stefanie L***** auf die Frage, wie oft es zu sexuellen Übergriffen des Beschuldigten gekommen sei: "Ca fast jeden Tag" - S 190) bei der Realisierung seiner kriminellen Zielsetzung gar nicht auf bestimmte singuläre tatfördernde Bedingungen angewiesen ist.

Der vorliegendenfalls - auch bei Abwägung seiner Konsquenzen für den Beschuldigten und ohne (fallbezogen nicht indizierte) Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen - zu Recht herangezogene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO ist daher bei realitätsbezogener Betrachtung durch gelindere Mittel nicht substituierbar.

Das auf strafbare Handlungen mit schweren Folgen (§ 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO) abstellende Beschwerdevorbringen verfehlt mangels Orientierung am Inhalt des angefochtenen Beschlusses die prozessordnungsgemäße Darstellung.

Da Stefan L***** durch den bezeichneten Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war die Grundrechtsbeschwerde abzuweisen.

Demzufolge hatte ein Ausspruch über die Beschwerdekosten zu entfallen (§ 8 GRBG).

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