Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das neben einem Teilfreispruch auch andere Entscheidungen enthält, wurden Johannes S***** und Franz B*****, geborener K*****, des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie am 4. Februar 2000 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB Isabella M***** dadurch mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung des von den Angeklagten jeweils zweimal vollzogenen Beischlafs genötigt, dass Johannes S***** sie mehrfach von hinten im Bauchbereich umfasste, an sich riss, hochhob und festhielt, sie hinderte, mit dem Schlüssel die Wohnungstür aufzusperren, sie wieder vom Vorzimmer in die Wohnräume zurückzerrte und Franz B***** äußerte, sie solle aufhören zu schreien, sonst würde sie eine "Watsche" bekommen.
Die dagegen vom Angeklagten Franz B***** aus Z 4, 5, 8, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde (die vom Angeklagten S***** angemeldete wurde mit Beschluss des Vorsitzenden vom 5. Juni 2001 gemäß § 285b Abs 1 StPO zurückgewiesen - ON 77) ist nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
Als nichtig (Z 4) bekämpft der Beschwerdeführer zu Unrecht das im Ergebnis zutreffend begründete Zwischenerkenntnis des Gerichtshofs, mit dem der Antrag der Verteidigerin, den Erstangeklagten (S*****) während der Vernehmung des Zweitangeklagten (B*****) aus dem Saal zu verweisen, "weil der 2.-Angeklagte unter Druck des S***** steht und es zur Wahrheitsfindung erforderlich ist. Verwiesen wird auf das GA ON 57" (S 347/II), abgelehnt wurde (S 347 f/II).
Das Tatgericht hat bei Prüfung der Berechtigung (Relevanz) eines Antrages stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Entscheidung darüber auszugehen (Mayrhofer StPO4 § 281 Z 4 E 40 f mit zahlreichen Judikaturhinweisen). Da der Aktenlage keine Hinweise für die Behauptung der Verteidigung, B***** stehe im Fall der Anwesenheit des Mitangeklagten bei seiner gerichtlichen Vernehmung tatsächlich unter einem - der Wahrheitsfindung abträglichen - Druck, zu entnehmen sind, wäre es für eine erfolgreiche Verfahrensrüge notwendig gewesen, schon bei Antragstellung konkrete Anhaltspunkte dafür anzuführen. Der bloß pauschale Hinweis auf das Sachverständigengutachten ON 57 ist weder ausreichend noch zielführend, weil darin gerade zu der hier aktuellen Problematik nichts Substantielles ausgesagt wird. Die erst im Rechtsmittel, somit prozessual verspätet, nachgetragenen Erwägungen können daher nicht (mehr) berücksichtigt werden. Davon abgesehen stützt der (den leugnenden Mittäter S***** weiterhin belastende) Inhalt der Verantwortung B*****s die geäußerten Befürchtungen der gewählten Rechtsvertreterin in keiner Weise (vgl S 347 ff/II).
Demnach ist unzweifelhaft erkennbar, dass die gerügte Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Nichtigkeitswerber nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO), weshalb der Angeklagte durch die Abweisung des von seiner Verteidigerin (formell mangelhaft) gestellten Antrages in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt wurde.
In der Mängelrüge (Z 5) werden keine formalen Begründungsfehler prozessordnungsgemäß dargetan.
Die zunächst erhobenen Vorwürfe, zwei Urteilsfeststellungen seien in sich widersprüchlich und die erstgerichtlichen Schlussfolgerungen zum Tatentschluss seien unbegründet, versagen. Die kritisierten Urteilskonstatierungen werden in der Beschwerde verfahrensvorschriftswidrig nicht nur bruchstückhaft zitiert, sondern zudem lediglich isoliert, daher sinnentstellend, aus dem Gesamtzusammenhang gelöst; vor allem aber lässt die Beschwerde die Erörterungen tatsächlicher und rechtlicher Art zur Drohung außer Acht (vgl demgegenüber insbesondere einerseits US 7 unten: "Im Hinblick auf das bisher widerstrebende Verhalten der Zeugin M***** fassten beide den Entschluss, ... durch beide Angeklagten zu nötigen"; andererseits US 8 oben: "Der Zweitangeklagte [Franz B*****] äußerte ebenfalls seinem Tatentschluss folgend zur schreienden Zeugin, dass sie zu schreien aufhören solle, sonst würde sie eine 'Watsche' bekommen, der S***** wolle ja nur mit ihr schlafen" sowie US 11 oben und 12 oben). Indes muss der Nachweis eines formellen Begründungsmangels auf Basis der gesamten Entscheidungsgründe geführt werden. Das hat der Nichtigkeitswerber aber - wie dargelegt - verabsäumt.
Nicht stichhältig ist der Einwand mangelnder Verwertung und Erörterung bloß zweier, im Rechtsmittel angeführter Sätze aus der Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach er Angst hatte und "sich [vor S*****) zu Tode fürchtete" (eine solche Äußerung ist in dieser präzisen Form seinen Einlassungen keineswegs zu entnehmen), sowie weiters, das Opfer (was von diesem bestätigt worden wäre) sei einverstanden gewesen, mit ihm einen Geschlechtsverkehr durchzuführen, und es ihm gelungen wäre, S***** zunächst vor weiteren Zudringlichkeiten abzuhalten. Dazu genügt der Hinweis auf die zureichend darauf Bezug nehmenden Entscheidungsgründe (US 7 ab Zeile 8 und US 8 ab Zeile 15 iVm US 9 zweiter Absatz und 11 Zeile 3 und 4). Im Übrigen ist das Gericht seiner Pflicht, gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO das Urteil in gedrängter Darstellung zu begründen, nachgekommen. Es ist weder verpflichtet, jeden einzelnen von einem Angeklagten oder Zeugen vorgebrachten Satz einer besonderen Erörterung zu unterziehen, noch ist es gehalten, sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde allenfalls konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 7 f).
"Warum" das Tatgericht "gerade die Aussage der Zeugin M***** als glaubwürdig erachtet", hat es - der Beschwerde zuwider - nach kritischer Hinterfragung ausführlich und tragfähig begründet (vgl US 9 letzter Absatz), wobei eine "Bedrohung mit dem Messer" nicht Gegenstand des Schuldspruchs ist, sodass insoweit kein entscheidungswesentlicher Umstand releviert wird. Auf Basis der für wahr und überzeugend beurteilten Depositionen dieser (einzigen) Tatzeugin sowie unter Berücksichtigung aller erhobenen Beweise hat das Erkenntnisgericht in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) aber auch die Verantwortung des Angeklagten, er habe Angst um sein Leben gehabt ("sonst wären wir gestorben" - S 359 f, 371/II), hinreichend deutlich als widerlegt angesehen.
Entgegen der (verfehlten) Ansicht des Rechtsmittelwerbers berühren die Aussagen der Zeugin M*****, dass S***** Geschlechtsverkehr mit B***** durchführen wollte und sie diesen bereits am späteren Nachmittag gefragt habe, ob sie bei ihm nächtigen dürfe, keine für die Schuldfrage entscheidungswesentlichen Tatsachen (s hiezu Mayerhofer aaO E 26 und Foregger/Fabrizy StPO8 § 281 Abs 1 Z 5 Rz 41).
Im Kern erschöpft sich daher das gesamte Vorbringen bloß im unzulässigen Versuch, mit eigenen Beweiswerterwägungen und spekulativen Überlegungen die formal fehlerfreie Beweiswürdigung des Schöffengerichts in Frage zu stellen und im Sinne der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers seinen Freispruch zu fordern.
Das zuletzt Gesagte gilt im Wesentlichen auch für die aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Rüge mit der Behauptung, durch die Verurteilung des Angeklagten B***** wegen des Verbrechens der vollendeten Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB sei die Anklage überschritten worden, weil auch in der Hauptverhandlung keine neuen Beweisergebnisse die Tatvollendung indizierten.
Damit verkennt sie jedoch die Rechtsnatur dieses formellen Nichtigkeitsgrundes. Eine Anklageüberschreitung liegt nur dann vor, wenn das Gericht den Angeklagten eines Verhaltens schuldig erkannte, das nicht Gegenstand der Anklage war. Diesen bildet aber die Beteiligung des Angeklagten an einem bestimmten Vorfall, also an einem historischen Ereignis, das nach Ansicht des Anklägers irgendeinen strafbaren Erfolg herbeigeführt hat. Gegenstand von Anklage und Urteil ist demnach das gesamte Verhalten des Angeklagten, wie es sich aus Anklagespruch und Anklagebegründung ergibt (hier: ON 7/I wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2 und 15 StGB). Dabei ist das erkennende Gericht an die Auffassung des Anklägers über den konkreten Ablauf jeder einzelnen Phase eines von ihm verfolgten Vorganges genau so wenig gebunden wie an die rechtliche Beurteilung des Vorganges durch den Staatsanwalt. Solange kein Zweifel darüber besteht, dass der sich aus den Beweisergebnissen abgeleitete Vorgang vom Ankläger inkriminiert ist, mag er sich auch in Einzelheiten anders abgespielt haben, als ihn die Anklage schildert, ist das Gericht, falls sich der von ihm aufgrund der erhobenen Beweise festgestellte Sachverhalt als tatbestandsmäßig im Sinn einer gerichtlich strafbaren Handlung erweist, auch dann verpflichtet, eine Verurteilung auszusprechen, wenn der Ankläger seine Auffassung von den Einzelheiten des inkriminierten Vorganges nicht durch eine Modifzierung der Anklage den Beweisergebnissen angepasst hat (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 8 E 8, 10; § 262 E 1 ff, 154 = § 259 E 83; 15 Os 100, 103/92, 15 Os 73/00 uam).
Folglich liegt die gerügte Anklageüberschreitung nicht vor.
Die drei Rechtsrügen verfehlen eine gesetzmäßige Darstellung der angerufenen materiellen Nichtigkeitsgründe. Hiefür ist nicht nur ein striktes Festhalten am gesamten subjektiven und objektiven Tatsachensubstrat vorausgesetzt, sondern auch der ausschließlich auf dieser Grundlage zu erbringende Nachweis gefordert, dass dem Erstgericht bei Lösung der Rechtsfrage ein Irrtum oder ein einen solchen bewirkender Feststellungsfehler unterlaufen ist. Dabei darf die Nichtigkeitsbeschwerde weder eine im Urteil festgestellte Tatsache bestreiten oder verschweigen, noch sich auf einen nicht konstatierten Umstand stützen (Mayerhofer aaO § 281 E 26, 30 uam).
Diesen prozessualen Voraussetzungen zuwider macht die Rüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a (der Sache nach teilweise auch Z 5; vgl hiezu auch den letzten Absatz S 463/II der Rechtsmittelschrift) Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite geltend, weil (ihrer Meinung nach) im Urteil mit keinem Wort ausgeführt werde, worin der Vorsatz des Zweitangeklagten zum Ausdruck gekommen und worauf der Vorsatz gerichtet gewesen sein soll. Die Androhung einer "Watsche" könne nicht den inneren Tatbestand des § 201 Abs 2 StGB erfüllen und werde vom Erstgericht nicht in diese Richtung beurteilt, sondern mit Stillschweigen übergangen. Außerdem konzetriert sie sich - den Gesamtzusammenhang vernachlässigend - nur auf einen resümierenden Begründungsteil (US 11 oben), wonach sich der Tatentschluss aus dem nachfolgenden Verhalten der Angeklagte ergebe und die Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Vorgehen zwingend abzuleiten seien.
Solcherart übergeht der Nichtigkeitswerber jedoch schlichtweg alle mängelfreien, auch den Schuldspruch des Beschwerdeführers in subjektiver Hinsicht tragenden Konstatierungen (vgl US 7 f iVm 9 bis 12).
Das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b hinwieder reklamiert Feststellungen zum Schuldausschließungsgrund der "Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens" des Beschwerdeführers, weil er unter so starkem physischen Druck gestanden sei, sowie Erörterungen zur "Notstandssituation", zumal er selber Todesangst vor S***** gelitten habe und präsumtives Opfer gewesen sei.
Damit argumentiert der Nichtigkeitswerber aber verfahrensvorschriftswidrig ausschließlich auf dem Boden seiner vom Tatgericht - wie erwähnt - formal mängelfrei auch insoweit als nicht glaubhaft abgelehnten und als "zweifelsfrei widerlegt" beurteilten Verantwortung (US 9, 11 f). Auf diese Weise trachtet er in Wahrheit einmal mehr, die im kollegialgerichtlichen Verfahren unanfechtbare Beweiswürdigung der Erkenntnisrichter zu Fall zu bringen und dem Geschehensablauf aus seiner subjektiven Sicht zum Durchbruch zu verhelfen.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) schließlich moniert einerseits fehlende Konstatierungen zur "Tatbestandsmäßigkeit des § 201 Abs 2, ebenso die zu § 202 StGB" und zur "Abgrenzung zum Tatvorwurf des § 202 StGB", andererseits die mangelnde Erörterung, worin die gefährliche Drohung im Sinne des § 74 Z 5 StGB des Zweitangeklagten bestanden haben soll". Ihrer Ansicht nach hätte die Tat "allenfalls als Versuch" beurteilt werden müssen, "dem die Freiwilligkeit und Einwilligung folgte, allenfalls hätte nach § 105 StGB verurteilt werden dürfen".
Diesen unsubstantiierten Ausführungen ist zu erwidern, dass sie zum einen das gesamte wesentliche, den Schuldspruch tragende Tatsachensubstrat einschließlich der Drohung mit einer "Watsche" prozessordnungswidrig ignorieren (vgl hiezu abermals US 7 f und 10 ff), zum anderen bloß ein einziges der drei von den im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter handelnden Angeklagten gebrauchten Nötigungsmittel selektiv herausgreifen und auch nicht mit Bestimmtheit angeben, welches andere Gesetz anzuwenden gewesen wäre. Überdies lassen sie im Dunkeln, inwiefern Feststellungen zur Abgrenzung zum Tatvorwurf des § 202 StGB notwendig gewesen wären und diese zu einer anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren rechtlichen Beurteilung geführt hätten.
Somit war die Nichtigkeitsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - gemäß § 285d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285a Z 2 StPO teils als offenbar unbegründet, teils als nicht gesetzgemäß ausgeführt bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten und über die implizierte Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) des Angeklagten B***** das Oberlandesgericht Wien zuständig ist (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
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