OGH 15Os43/01 (15Os48/01)

OGH15Os43/01 (15Os48/01)28.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Srdjan P***** und einen weiteren Angeklagten wegen der Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Satz zweiter Fall und zweiter Satz sowie § 15 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider den Beschluss des Vorsitzenden des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2001, GZ 20c Vr 4232/00-110, ferner über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Hasan M***** sowie die Berufung des Angeklagten Srdjan P***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 9. November 2000, GZ 20c Vr 4232/00-99, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, der Angeklagten Srdjan P***** und Hasan M***** sowie der Verteidiger Mag. Dr. Weber, Mag. Lehner und Dr. Gansriegler, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Beschluss des Vorsitzenden des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2001, GZ 20c Vr 4232/00-110, verletzt §§ 285 Abs 1, 344 StPO.

Dieser Beschluss wird (ersatzlos) aufgehoben.

II. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hasan M***** wird verworfen.

III. Aus deren Anlass wird gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung des Angeklagten Srdjan P***** in der rechtlichen Unterstellung der (im Wahrspruch zur Hauptfrage III und) im Schuldspruch III festgestellten Tatsachen und demgemäß auch der ihn betreffende Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben.

Gemäß § 351 StPO wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Srdjan P***** hat durch die im Wahrspruch zur Hauptfrage III und im Schuldspruch III festgestellten Tatsachen das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB begangen und wird hiefür sowie für den aufrecht bleibenden Schuldspruch wegen der Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Satz zweiter Fall und zweiter Satz sowie 15 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem 1. Strafsatz des § 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Die Aussprüche über die Vorhaftanrechnung und der Verfahrenskostenersatz erster Instanz werden aus dem angefochtenen Urteil übernommen.

IV. Der Angeklagte Srdjan P***** wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

V. Der Berufung des Angeklagten Hasan M***** wird nicht Folge gegeben.

VI. Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die durch ihre Rechtsmittel verursachten Kosten des Verfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Srdjan P***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142, 143 erster Satz zweiter Fall und zweiter Satz sowie 15 StGB und Hasan M***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall sowie 15 StGB schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

zu I) Srdjan P***** am 9. Mai 2000 Gertrude O***** mit Gewalt unter Verwendung eines Messers, sohin einer Waffe 10.000 S Bargeld mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz weggenommen, indem er ihr das Messer anhielt und sagte: "Geld her, ich will nur das Geld", in der Folge ihr mit der Faust auf den Kopf schlug und auf sie mit dem Messer einstach, wodurch diese eine tiefe Schnittwunde am rechten Unterarm und eine Prellung der rechten Stirnregion verbunden mit einer Gesundheitsschädigung von mehr als 24 Tagen erlitt;

zu II und V) Srdjan P***** und Hasan M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den nicht ausgeforschten Mittätern "Ivo" und "Nesa" Ende April 2000 dem schwarzafrikanischen Drogenhändler "Mike" (zu ergänzen: mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe) sieben bis acht Kugeln Heroin und Kokain mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz weggenommen, indem P***** das Opfer von hinten festhielt und M***** dieses mit einem Messer bedrohte;

zu III. Srdjan P***** Ende April 2000 einem unbekannten schwarzafrikanischen Dealer mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, "Suchtgiftmengen und zwar Heroin und Kokain in einem nicht feststellbaren Wert" wegzunehmen versucht;

zu IV und VI. Srdjan P***** und Hasan M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den nicht ausgeforschten Mittätern "Ivo" und "Nesa" Ende April 2000 "Suchtgiftmengen und zwar Heroin und Kokain in einem nicht näher feststellbaren Wert durch Überfall auf den schwarzafrikanischen Drogendealer 'Charly' mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versucht".

Die Geschworenen hatten die an sie wie im zitierten Schuldspruch formulierten, allein gestellten Hauptfragen bejaht.

Da beide Angeklagte Rechtsmittel angemeldet hatten, ordnete der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes nach Ausfertigung des Urteiles am 20. November 2000 die Zustellung je einer Urteilsausfertigung an die Verteidiger der Angeklagten an (S 3t). Am 5. Jänner 2001 verfügte er neuerlich, dem Verteidiger des Zweitangeklagten eine Gleichschrift des Urteils und Kopien der Hauptverhandlungsprotokolle zuzustellen, weil dies bis dahin unterblieben war (S 3u).

Obwohl eine Zustellung der Ausfertigung des Urteils an den Rechtsvertreter des Hasan M***** wiederum nicht durchgeführt wurde, wies der Vorsitzende mit Beschluss vom 14. Februar 2001, ON 110, dessen Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285a Z 2 StPO zurück. Ob diese Entscheidung dem Verteidiger zugestellt wurde und in Rechtskraft erwachsen ist, kann den Akten nicht mit Sicherheit entnommen werden. Nach einem Kanzleivermerk vom 20. Februar 2001 gab der Verteidiger allerdings telefonisch bekannt, dass er das Urteil nicht erhalten habe. Die Geschäftsstelle veranlasste daraufhin die Zustellung einer Urteilsausfertigung und bezeichnete den Beschluss vom 14. Februar 2001 (ON 110) als "gegenstandslos" (S 3u).

Rechtzeitig nach der nunmehr tatsächlich erfolgten Urteilszustellung führte der Verteidiger die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Zweitangeklagten schriftlich aus.

Der Erstangeklagte hatte die von ihm angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde zurückgezogen und nur die Berufung zur schriftlichen Darstellung gebracht.

Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes vom 14. Februar 2001 mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 285 Abs 1 erster Satz StPO, der zufolge § 344 StPO auch im geschworenengerichtlichen Verfahren gilt, hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde, wenn ihm eine Urteilsabschrift aber erst nach der Anmeldung des Rechtsmittels zugestellt wurde, binnen vier Wochen nach der Zustellung eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht in zweifacher Ausfertigung zu überreichen.

Sieht man von dem in der Praxis unüblichen Fall ab, dass dem Angeklagten eine Urteilsabschrift bereits vor der (rechtzeitigen) Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde zugestellt wurde, so beginnt die Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde daher erst mit der Zustellung einer Urteilsabschrift zu laufen. Hat aber dieser Fristenlauf noch gar nicht begonnen, so kommt eine Zurückweisung einer rechtzeitig angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung der Nichtigkeitsgründe gemäß § 285a Z 2 StPO nicht in Betracht.

Diese Gesetzesverletzung war antragsgemäß festzustellen und der Beschluss ersatzlos aufzuheben, weil er dem Angeklagten zum Nachteil gereicht.

Demgemäß ist vom Obersten Gerichtshof über die rechtzeitig ausgeführte, auf Z 4, 5 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Hasan M***** zu entscheiden. Ihr kommt keine Berechtigung zu.

Gemäß § 271 Abs 1 StPO ist nur die gänzliche Unterlassung der Aufnahme eines Protokolls, nicht aber eine - wie hier behauptet (Z 4) - mangelhafte Protokollierung mit Nichtigkeit bedroht (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 3 E 51).

Im Übrigen wurde der Bericht über die versuchte Ausforschung von Zeugen in der Hauptverhandlung vom 9. November 2000 einverständlich verlesen. Dies wurde auch unter Zitierung der Ordnungsnummer und der Seitenzahl ordnungsgemäß protokolliert (S 287 II).

Die Verfahrensrüge (Z 5) ist unbegründet. Die Hauptverhandlung vom 3. Oktober 2000 wurde zur Ausforschung und Ladung der vom Verteidiger beantragten Zeugen "Charly", "Ivo" und "Nesa" vertagt und die Bundespolizeidirektion Wien mit den entsprechenden Erhebungen beauftragt. Diese verliefen jedoch ergebnislos (ON 96). Eine Vernehmung der Zeugen war daher tatsächlich unmöglich. Daraus kann kein Fehler des Gerichtes abgeleitet werden (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 104).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) behauptet, es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Zweitangeklagte Hasan M***** bei zwei Raubüberfällen auf Schwarzafrikaner beteiligt gewesen sei, zumal keine "gesicherten Daten" bzw "Bezugsanzeigen" vorliegen, Zeugen und Geschädigte nicht bekannt seien und es sich beim Erstangeklagten, welcher den Zweitangeklagten einen "Bosnier" belastet, um einen "Serben" handle.

Abgesehen von der abzulehnenden Tendenz dieser Argumentation zeigt der Nichtigkeitswerber damit keine Umstände aus den Akten auf, aus denen sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Tatsachen ergeben könnten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus Anlass dieses Rechtsmittels überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon, dass das Gesetz zum Nachteil des Srdjan P*****, der keine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat, unrichtig angewendet wurde.

Das Verbrechen des Raubes hat zur Voraussetzung, dass einem anderen mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz weggenommen oder abgenötigt wird.

Die nur den Erstangeklagten betreffende Hauptfrage III lautet: "Ist Srdjan P***** schuldig, er habe allein Ende April 2000 einem unbekannten schwarzafrikanischen Dealer mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, Suchtgiftmengen und zwar Heroin und Kokain in einem nicht mehr näher feststellbaren Wert, wegzunehmen versucht?" Die Frage enthält - entgegen der Anklageschrift - nicht den dort angeführten Vorwurf, die Sachwegnahme hätte mit Gewalt unter Verwendung einer Waffe (Messer) erfolgen sollen (vgl ON 66), und widerspricht damit der Vorschrift des § 312 StPO. Dies wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft nicht gerügt und hat daher auf sich zu beruhen. Der Wahrspruch der Geschworenen und der darauf gegründete Schuldspruch III enthalten demgegenüber alle objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen für das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB. Die rechtliche Qualifikation (auch) dieser Tat als Verbrechen des (versuchten) schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall (und 15) StGB ist daher verfehlt und das Urteil in diesem Punkt mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 12 des § 345 Abs 1 StPO behaftet. Da dieser vom Erstangeklagten nicht geltend gemacht wurde, ihm aber zum Nachteil gereicht, war er gemäß §§ 290 Abs 1, 344 StPO von Amts wegen wahrzunehmen, das Urteil teilweise aufzuheben und sogleich die im Schuldspruch III beschriebene Tat als Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu qualifizieren.

Demgemäß war auch der Strafausspruch bei diesem Angeklagten zu kassieren und mit einer Strafneubemessung vorzugehen. Dabei wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die Begehung strafbarer Handlungen derselben und verschiedenen Art, die Tatsache, dass der Angeklagte schon wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten verurteilt worden ist, und die zweifache Qualifikation des Verbrechens des schweren Raubes; als mildernd das reumütige Geständnis des Angeklagten, welches einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet hat, den Umstand, dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind, und die Selbststellung.

Entgegen der Berufung des Srdjan P***** kommt seiner Suchtgiftabhängigkeit und dem Milieu, in welchem die strafbaren Handlungen begangen wurden, keine mildernde Relevanz zu.

Zieht man in Betracht, dass der Angeklagte bis 2. Juni 1999 nicht unbeträchtliche Freiheitsstrafen wegen einschlägiger Delikte verbüßt hat, ein Jahr später massiv rückfällig geworden ist und dabei eine erhebliche Brutalität an den Tag gelegt hat, wiegt der Schuldgehalt der Tat relativ hoch. Es ist daher eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren angemessen.

Mit seiner Berufung war Srdjan P***** auf diese Strafneubemessung zu verweisen.

Über den Angeklagten Hasan M***** verhängte das Geschworenengericht eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend die Vorstrafen, die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen derselben Art und den raschen Rückfall, als mildernd, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist.

Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten M*****, mit welcher er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt. Diesem Begehren kommt jedoch keine Berechtigung zu.

In seinem Rechtsmittel versucht der Angeklagte nur seine Tat als relativ harmlos hinzustellen, zumal "die sogenannten Opfer Drogendealer waren", deren psychische Belastung gering einzuschätzen sei, niemand verletzt oder stark beeinträchtigt worden sei und die Tat auch sonst keinerlei Folgen nach sich gezogen habe.

Damit vermag der Berufungswerber aber keine weiteren Milderungsgründe aufzuzeigen. Geht man vielmehr von seinem mehrfach einschlägig getrübten Vorleben und dem unmittelbaren Rückfall nach Entlassung aus einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe aus, so entspricht die vom Erstgericht ausgesprochene Freiheitsstrafe dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat. Für eine Herabsetzung besteht kein Grund.

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