OGH 13Os38/01

OGH13Os38/016.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Juni 2001 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Mann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jürgen P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 13. Dezember 2000, GZ 20e Vr 2798/99-120, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Philipp zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Jürgen P***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 2. April 2000 in Wien Nicole B***** durch Erwürgen vorsätzlich getötet hat.

Die Geschworenen bejahten die anklagekonforme Hauptfrage nach Mord und ließen demzufolge die in Richtung Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gestellte Eventualfrage unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Z 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch unbegründet ist.

Zu Unrecht vermisst die Rüge nach Z 6 die Stellung einer Zusatzfrage wegen Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt (§ 11 StGB) und einer Eventualfrage nach Totschlag gemäß § 76 StGB.

Eine Zusatzfrage iS des § 313 StPO ist nur dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht, dh in der Verantwortung des Angeklagten oder im Beweisverfahren konkretisiert worden sind (Mayerhofer StPO4 § 313 E 13), die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden.

Weil der Angeklagte vor dem erkennenden Gericht überhaupt jeden Zusammenhang mit der Tat in Abrede stellte und die Sachverständige Dr. R***** in ihrem (in der Hauptverhandlung vom 12. Dezember 2000 verlesenen) schriftlichen (ON 76) und mündlich ergänzten psychiatrischen Gutachten zum Ergebnis kam, dass es keine Hinweise für die Zurechnungsunfähigkeit des Beschwerdeführers (sondern nur solche für eine nicht unerhebliche affektbedingte Minderung der Hemmfähigkeit) zur Tatzeit gibt (S 121 ff; 575/III; vgl Mayerhofer aaO § 313 E 17), war die Stellung der vermissten Zusatzfrage nicht indiziert (Mayerhofer aaO § 313 E 15 f). Sonstiges Vorbringen gibt es dazu nicht im Rechtsmittel aber auch nicht in der Hauptverhandlung. Ebensowenig bestand Anlass, den Geschworenen eine (weitere) Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags vorzulegen, weil auch deren Stellung ein entsprechendes Vorbringen in der Hauptverhandlung vorausgesetzt hätte (Mayerhofer aaO § 314 E 16a), der Beschwerdeführer aber - im Gegensatz zu seinen mehrfachen Einlassungen vor der Polizei (S 35, 37, 39; 45/II) - vor dem erkennenden Gericht die Tötung der Nicole B***** leugnete (S 391 ff/III), und bei Richtigkeit dieser Verantwortung (auch) ein Schuldspruch nach § 76 StGB ausgeschlossen wäre (Mayerhofer aaO § 314 E 23, 29, 30). Vielfache Überlegungen im Rechtsmittel was ein Tritt in die Hoden alles bewirken kann, stellen kein Vorbringen in der Hauptverhandlung dar.

Darüber hinaus steht auch das materielle Recht fallbezogen einer Frage nach Totschlag entgegen: Allgemein begreiflich ist eine heftige Gemütsbewegung nämlich nur dann, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten. Dabei ist ein objektiv-normativer Maßstab anzulegen, wobei jedoch alle konkreten Tatumstände und psychologischen Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen. Außerdem muss die Ursache der Gemütsbewegung sittlich verständlich sein, sodass eine aus einer abnormen charakterlichen Beschaffenheit des Täters, wie Stimmungslabilität, leichte Erregbarkeit und mangelnde Beherrschung die heftige Gemütsbewegung nicht allgemein begreiflich machen. Unter diesen Aspekten ist der vorliegend erwähnte Tritt in die Hoden - selbst für den Fall des Zutreffens - für die Entstehung einer heftigen Gemütsbewegung im Sinne des § 76 StGB nicht geeignet.

Die von der Instruktionsrüge (Z 8) vorgebrachte Kritik an der Abstraktheit der Rechtsbelehrung und am Fehlen einer Entscheidungshilfe, "aufgrund welcher äußerer Umstände eine Beurteilung möglich ist, dass der Täter eine mit seinem Handeln möglicherweise verbundene Tatbestandsverwirklichung als naheliegend erkannte und trotzdem die von ihm ins Auge gefasste Handlung setzte", übergeht, dass sowohl die Rückführung der in den einzelnen Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung auf den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalt als auch die Belehrung über das Wesen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nicht Gegenstand der Rechtsbelehrung ist, sondern den Gegenstand der im Anschluss daran durchzuführenden Besprechung mit den Geschworenen bildet (§ 323 Abs 2 erster und zweiter Satz StPO).

Unter welchen Umständen das (vorgeblich) "in einem dem Täter zugefügten Schmerzzustand erkennbare Tatmotiv" den Tötungsvorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) ausschließen könnte, mithin den Inhalt der weiters vermissten Belehrung, lässt die Rüge nicht erkennen. Eine Zusatzfrage nach schuldausschließender Diskretionsunfähigkeit (§ 11 StGB) aber wurde (zu Recht: sh oben) nicht gestellt (vgl § 321 Abs 2 StPO).

Nichts anderes gilt für die nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage gestellte Eventualfrage nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB), weil die Hauptfrage nicht verneint, sondern bejaht wurde (§ 317 Abs 3 StPO) und die Beschwerde nicht darlegt, inwiefern sich die behauptete Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung zur Eventualfrage auf die Beantwortung der Hauptfrage ausgewirkt haben soll (EvBl 1999/142, 13 Os 19/99).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) behauptet unter Hinweis auf das von einer sehr gering ausgeprägten "Außenaggressivität" des Angeklagten ausgehende psychologische Gutachten der Sachverständigen Dr. K*****, zufolge des ihm durch den Tritt in die Hoden zugefügten Schmerzes hätte "es der Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung erfordert (...), die beim Angeklagten im Tatzeitpunkt fehlende Diskretions- und Dispositionsfähigkeit mit Hilfe der im Strafverfahren vernommenen Sachverständigen festzustellen".

Dieser Einwand ist jedoch nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten hervorzurufen. Es trifft zwar zu, dass obiges Gutachten erwähnt, dass der Angeklagte seine Aggression verdrängt (S 9/III) und seine nach außen gerichtete Aggressivität sich als "sehr gering ausgeprägt darstellt" bzw "keine erhöhten Werte bietet" (S 11, 13/III), doch sind das vor der Polizei abgelegte Geständnis des Angeklagten sowie die gutächtlichen Ausführungen der Sachverständigen Dr. R***** in der Hauptverhandlung (insbesonders S 577/III), sowohl taugliche als auch hinreichende, einer amtswegigen Ergänzung nicht bedürfenden Beurteilungsgrundlagen für das von den Geschworenen gefällte Verdikt.

Im Übrigen unterlässt die Beschwerde darzulegen, aus welchen Gründen der Angeklagte gehindert gewesen wäre, ihm notwendig erscheinende weitere Beweisaufnahmen zu beantragen.

Schließlich versucht die Rüge aus den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. D*****, wonach auch eine andere Möglichkeit der Übertragung von DNA-Material des Angeklagten auf den Halsbereich der Ermordeten als durch Würgen bestanden habe (S 603 f/III) sowie aus den (äußerst vagen) Angaben des Siegfried und des Gerhard B***** über eine andere (intime) Männerbekanntschaft der Nicole B***** (S 195/I) bzw der Zeugen Wolfgang P*****, Ernestine K***** und Renate G***** über das plötzliche Auftauchen eines verdächtigen unbekannten Mannes zur ungefähren Tatzeit in der Nähe des Tatortes (S 589 bis 593/III) ohne Berücksichtigung der Beweisergebnisse eine gegenüber der Annahme der Geschworenen günstigere Beurteilung der Schuldfrage herbeizuführen, ohne jedoch damit (schwerwiegende) Zweifel an der Plausibilität des Verdiktes darzutun. Des weiteren liegt auch der in diesem Zusammenhang behauptete Verstoß gegen die Pflicht des Gerichtes zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§§ 3, 232 Abs 2, 254, 302 StPO) nicht vor. Einmal mehr unterlässt die Beschwerde darzutun, aus welchen Gründen eine Antragstellung des Angeklagten hiezu unterblieb.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Jürgen P***** war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten eine Freiheitsstrafe in der Dauer von siebzehn Jahren.

Dabei wertete es als erschwerend die heimtückische Begehung des Mordes und als mildernd das im Vorverfahren abgelegten Geständnis.

Mit ihren Berufungen beantragen der Angeklagte eine wesentliche Herabsetzung, die Staatsanwaltschaft eine "tat- und schuldangemessene" Erhöhung des Strafausmaßes; beide Rechtsmittel sind nicht im Recht. Die vom Geschworenengericht genannten Strafzumessungsgründe führten auch bei unvollständiger Nennung in der Urteilsausfertigung (s auch S 25/IV) zu keiner unzutreffenden Strafe. Denn der ordentliche Lebenswandel bildet nur in Verbindung mit dem Umstand, dass die Tat des Angeklagten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, den Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 1 StGB, sodass letzterer (der ohnedies zu relativieren wäre) dem Angeklagten nicht gesondert zugute kommt und im Übrigen nur die tatsächliche Berücksichtigung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 1 StGB das gefundene zeitliche Strafmaß erklären (s nochmals S 25/IV) und begründen kann. Dass durch den behaupteten Tritt gegen die Hoden des Angeklagten dessen Dispositions- und Diskretionsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt worden wäre, und zwar in einem Ausmaß, welches einem Schuldausschließungsgrund zumindest nahekam, kann nach der Aktenlage keine Rede sein. Richtig ist der Vorwurf der Heimtücke, nämlich eines überraschenden, unter einem verwerflichen Vertrauensbruch erfolgten Angriffes auf das ahnungslose Tatopfer.

Die Berufung des Angeklagten musste daher ebenso erfolglos bleiben wie jene der Staatsanwaltschaft, da die Heranziehung des Milderungsgrundes des Geständnisses im Vorverfahren, mag dieses auch in der Folge widerrufen worden sein, rechtens war (Leukauf/Steininger Komm3 § 34 RN 17) und die Strafe insbesondere auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) dem Tatunwert und der personalen Täterschuld gerecht wird.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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