OGH 1Ob56/01v

OGH1Ob56/01v29.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Irene W*****, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, wider den Gegner der gefährdeten Partei Ing. Konrad W*****, vertreten durch Dr. Thomas Herzka, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts gemäß § 382 Z 8 lit a EO infolge Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Jänner 2001, GZ 42 R 450/00p-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 1. August 2000, GZ 8 C 34/00a-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Zwischen den seit 1981 verheirateten Parteien behängt ein Scheidungsverfahren. Sie leben weitgehend getrennt. Der Ehe entstammen zwei minderjährige Kinder. Der Gegner der gefährdeten Partei erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von etwa S 60.000.

Die gefährdete Partei begehrte einen vorläufigen monatlichen Unterhalt von S 12.000 ab 1. 5. 2000. Ihr Ehemann leiste nur unzureichend Unterhalt. Sie selbst verdiene monatlich lediglich S 10.000.

Der Gegner der gefährdeten Partei wendete ein, dass der gefährdeten Partei auf Grund deren monatlichen Einkommens kein Unterhalt zustehe; er sei seinen Unterhaltsverpflichtungen ausreichend nachgekommen.

Das Erstgericht verpflichtete den Gegner der gefährdeten Partei zur Zahlung eines einstweiligen monatlichen Unterhalts von S 4.200 ab 1. 5. 2000 und wies das Mehrbegehren der gefährdeten Partei ab. Das Einkommen der gefährdeten Partei ab dem Jahre 1998 sei nicht feststellbar. Sie sei aber auf ihren in den Jahren 1993 bis 1998 erzielten Monatsverdienst von etwa S 16.000 netto anzuspannen. Weiters müsse sie sich Einkünfte aus der Vermietung einer Eigentumswohnung im Betrag von S 6.000 monatlich anrechnen lassen. Unter Berücksichtigung dieser erzielten bzw erzielbaren Einkünfte von insgesamt S 22.000 monatlich und unter Bedachtnahme auf die Sorgepflichten des Gegners der gefährdeten Partei für die beiden minderjährigen Töchter sei ein monatlicher Unterhalt von S 4.200 berechtigt.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die gefährdete Partei habe 1993 bis 1998 ungeachtet ihrer Sorgepflicht für die beiden minderjährigen Kinder monatlich netto etwa S 16.000 verdient. In der Folge habe sie sich auf eine "unsichere selbständige Tätigkeit mit unklarer Zukunft und beträchtlichen Einkommenseinbußen" eingelassen, weshalb für ihr Einkommen von ihrer "potentiellen Leistungsfähigkeit" auszugehen sei. Zu Recht sei daher das Erstgericht von einer "Anspannungsobliegenheit" ausgegangen.

Der Revisionsrekurs der gefährdeten Partei ist - entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist - zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gefährdete Partei zeigt zutreffend auf, dass nur die Aufgabe einer Erwerbstätigkeit gegen den Willen des Ehepartners zur Anwendung des Anspannungsgrundsatzes führen könnte. Zu der Frage, ob die gefährdete Partei ihre unselbständige Erwerbstätigkeit ohne Einvernehmen aufgegeben und somit die ehelichen Lebensverhältnisse nicht einvernehmlich gestaltet habe (vgl EFSlg 39.967; Stabentheiner in Rummel, ABGB2 § 94 Rz 2; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 264), fehlt es aber an jeglicher Behauptung und schon gar an jeder Tatsachengrundlage. Zutreffend ist auch die Rechtsmeinung der gefährdeten Partei, dass der Umstieg auf eine selbständige Tätigkeit grundsätzlich zulässig und dem Selbständigen nach Einstellung seiner Tätigkeit eine Zeitspanne zuzubilligen sei, um wieder im unselbständigen Bereich Fuß zu fassen, sowie dass sie nur auf ein auf dem Arbeitsmarkt real erzielbares Einkommen angespannt werden dürfe (JBl 2000, 725; ÖA 2000, 265; 6 Ob 228/00y; 8 Ob 133/00t; EFSlg 83.338; 83.340). Auf die von der Rechtsprechung zu diesem Thema entwickelten Kriterien haben die Vorinstanzen nicht Bedacht genommen; sie hätten aber die gefährdete Partei schon von vornherein nicht "anspannen" dürfen:

Es mangelt an jeder Behauptung des Gegners der gefährdeten Partei, dass diese die Annahme einer ihr zumutbaren unselbständigen Beschäftigung, die ein höheres Einkommen erwarten ließe, unterlassen habe. Die Behauptungs- und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen trifft aber die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei (Schwimann, Unterhaltsrecht2 145 mwN; Purtscheller/Salzmann aaO Rz 263). Das bedeutet, dass die Vorinstanzen rechtsirrtümlich den "Anspannungsgrundsatz" angewendet haben.

Ob, für welchen Zeitraum und in welchem Ausmaß der gefährdeten Partei einstweiliger Unterhalt zusteht, kann derzeit aber noch nicht verlässlich beurteilt werden. Zu beachten ist nämlich, dass in der Tagsatzung vom 26. 9. 2000 einerseits Tatsachenvorbringen erstattet wurde, das für die Bemessung des einstweiligen Unterhalts von Bedeutung ist, und andererseits das Unterhaltsbegehren eingeschränkt wurde, was dem Zuspruch einstweiligen Unterhalts in der von der gefährdeten Partei geforderten Höhe entgegenstünde (siehe S 2 und 3 des Protokolls vom 26. 9. 2000). Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist damit unumgänglich.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben, das Erstgericht wird über den Provisorialantrag neuerlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 402, 78 EO, § 52 ZPO.

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