OGH 10Ob299/00v

OGH10Ob299/00v22.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Fritz B*****, vertreten durch Dr. Günther Retter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Ulrike R*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,000.000,- sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13. Juli 2000, GZ 15 R 208/99i-67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. August 1999, GZ 3 Cg 282/95b-59, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Teilurteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit dem (vom Beklagtenvertreter errichteten) Kaufvertrag vom 29. 4.

1993 verkaufte der Kläger seine Eigentumswohnung an die Beklagte. Der

Kaufpreis wurde zunächst mit 1,9 Mio S angegeben. 40 m2 der mehr als

100 m2 großen Wohnung waren jedoch nur als Abstellraum gewidmet,

überdies lag wegen behördlich nicht genehmigter Umbauten ein

Abbruchbescheid vor. Ein Teil des Kaufpreises - 200.000 S - sollte

erst fällig werden, wenn der Abbruchbescheid "durch nachträgliche

rechtskräftige Baubewilligung, Benützungsbewilligung und

Parifizierungsverfahren aufgehoben ist". Lediglich für einen ca 16 m2

großen und nur 2 m hohen Raum brauchte der Kläger keine Umwidmung zu

erwirken. Daran anknüpfend heißt es im Kaufvertrag weiter, es müssten

"die anderen Baulichkeiten ... sowie die Umwidmung von Abstellraum,

Gang etc. in Wohnräume(n) ... bewilligt werden (Das

Nutzwertfeststellungsverfahren muss nicht bis 1993 erledigt sein,

jedoch muss es ständig vom Verkäufer betrieben werden) ... Sollten

diese Bau-, Umwidmungs- und Benützungbewilligungen nicht bis Ende 1993 übergeben werden, so ist der Treuhanderlag zurückzustellen. Das heißt, dass dann der Kaufpreis nur S 1,7 Mio beträgt und der Vertrag gültig bleibt." Dem Kläger gelang die vereinbarte Umwidmung aber nicht bis Ende 1993, sondern erst im April 1994. Über den genannten Betrag hinaus vereinbarten die Parteien eine weitere Zahlung von 300.000 S, nach dem Standpunkt der Beklagten als Entgelt für die vom Kläger durchzuführenden Isolier- und Fenstereinbauarbeiten, die auch im Wesentlichen bei der Wohnungsübergabe am 31. 7. 1993 geleistet wurde.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 1 Mio S mit der Behauptung, sie schulde ihm diesen Betrag als weiteren mündlich vereinbarten Kaufpreisteil, der bei Beendigung des Parifizierungsverfahrens fällig geworden sei. Mit einem Eventualbegehren strebt der Kläger die Anpassung des im schriftlichen Kaufvertrag vereinbarten Kaufpreises von 1,9 Mio S auf 3,2 Mio S an.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein über 1,9 bzw 1,7 Mio S hinausgehender Kaufpreis sei nicht vereinbart worden. Der ursprünglich mit 3,2 Mio S fixierte Kaufpreis habe neu festgesetzt werden müssen, weil der Kläger verschwiegen habe, dass die Wohnung nur 60 m2 groß und die übrigen Flächen (mit zu geringer Raumhöhe) nur als Dachboden bzw Gang gewidmet waren.

Das Erstgericht wies Haupt- und Eventualbegehren ab. Es traf nach gründlicher Beweisaufnahme umfangreiche Feststellungen über die Vertragsverhandlungen und Absprachen der Parteien, auf die verwiesen wird. Als die Beklagte erfahren habe, dass 40,7 m2 der Wohnung nicht als Wohnfläche gewidmet waren und dass ein Abbruchbescheid vorlag, habe der Kläger sein Kaufpreisanbot um 100.000 S auf 3,2 Mio S herabgesetzt; er habe versprochen, für die Umwidmung und die Parifizierung zu sorgen. Es sei auch von einer "Schwarzgeldzahlung" die Rede gewesen. Am 29. 4. 1993 sei der Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 1,9 Mio S (Beilage A) unterfertigt worden. Mündlich sei zwischen den Parteien ein "Mischsystem zwischen unbedingten und bedingten Zahlungen im Gespräch gewesen. Für den Fall, dass der Kläger alle Bedingungen erfüllt hätte, hätte er 3,2 Mio S erhalten sollen." Als Frist für die Erledigung des Umwidmungsverfahrens hätten die Parteien einvernehmlich den 31. 12. 1993 festgesetzt: Für den Fall der (rechtzeitigen) Umwidmung des Abstellraumes, Ganges usw in Wohnräume habe der Kläger 200.000 S erhalten sollen, für den Fall, dass bis 31. 12. 1993 die Bau-, Umwidmungs- und Benützungsbewilligung sowie auch die Nutzwertfestsetzung Beendigung des Parifizierungsverfahrens) bis dahin erfolge, weitere 1 Mio S. Obwohl der Kläger das Bauverfahren betrieben habe, sei es entgegen seinen Erwartungen bis 31. 12. 1993 nicht abgeschlossen gewesen. Die Beklagte habe daher in der Folge keine weiteren Zahlungen geleistet. Die Wohnnutzfläche habe bis 22. 4. 1994 nur knapp 64 m2 und danach 90 m2 betragen.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht von der nach § 914 ABGB maßgeblichen festgestellten Parteienabsicht aus, wonach jede weitere (auch Schwarzgeld-)Zahlung der Beklagten von der Erreichung der entsprechenden rechtskräftigen Bescheide (Bau- und Benützungsbewilligung) bis längstens Ende 1993 abhängig sein sollte. Da diese Voraussetzung nicht erfüllt worden sei, betrage der Kaufpreis (wie im schriftlichen Kaufvertrag vereinbart) nur 1,7 Mio

S.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers in nichtöffentlicher Sitzung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne eines Zuspruches von 1 Mio S samt 4 % Zinsen seit 28. 11. 1995 mit Teilurteil ab. Im Umfang eines Zinsenmehrbegehrens hob es das angefochtene Urteil unter Zurückverweisung an das Erstgericht auf. Ohne die umfangreiche Beweis- und Tatsachenrüge des Klägers näher zu behandeln, meinte es, die Feststellungen, aus denen sich die Voraussetzung rechtskräftiger Bescheide bis Ende 1993 für die begehrte Zahlung ergebe, stellten "ihrerseits nichts anderes dar als eine Interpretation der Vertragsurkunde anhand der subjektiven Vorstellung der Beteiligten, welche wiederum im wesentlichen aus dem Vertragstext abgeleitet wird". Das Erstgericht habe das Klagebegehren "aufgrund der Auslegung der nach Inhalt und Form unbestrittenen Urkunde ... und somit allein aus rechtlichen Gründen" abgewiesen, was sich auch daraus ergebe, dass für diese Auslegung keine Beweisergebnisse vorhanden wären. Es erwecke allerdings keine Bedenken, wenn das Erstgericht die strittige Vereinbarung als Schwarzgeldzahlung in der Höhe von 1 Mio S als erwiesen angenommen habe. Das Berufungsgericht übernehme den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt "ausgenommen die darin enthaltenen rechtlichen Erwägungen" als Ergebnis einer schlüssigen Beweiswürdigung. Das Erstgericht übersehe aber, dass die Parteien den "zwischen ihnen vereinbarten Kaufpreis bewusst nicht zur Gänze in die Kaufvertragsurkunde aufgenommen", sondern zusätzlich zu dem dort aufscheinenden (variablen) Kaufpreis von 1,9 bzw 1,7 Mio S eine Schwarzgeldzahlung vereinbart hätten, die "ungeachtet des verpönten abgabenrechtlichen Charakters" wirksam sei. Hätten sich aber die Parteien "losgelöst von der Kaufvertragsurkunde" auf eine Schwarzgeldzahlung geeinigt, dann könne der Vertragspassus, dass unter den näher genannten Bedingungen der Kaufpreis nur 1,7 Mio S betrage, nicht auf die gesondert vereinbarte Schwarzgeldzahlung bezogen werden. Für eine Vereinbarung, dass die verspätete Erwirkung der baubehördlichen Bewilligungen um wenige Monate eine Herabsetzung des Kaufpreises um 1,2 Mio S zur Folge haben sollte, böten weder das Parteienvorbringen noch die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes einen Anhaltspunkt. Die Beklagte sei daher schuldig, den eingeklagten Kaufpreisrest von 1 Mio S zu zahlen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Urteil von Tatfragen und nicht von Rechtsfragen abhängig sei.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen, hilfsweise das angefochtene Teilurteil aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kläger beantragt in seiner ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Die Revisionswerberin wirft dem Berufungsgericht vor, es habe die

Beurteilung und Auslegung der zwischen den Streitteilen getroffenen

Vereinbarungen zu Unrecht als eine "reine" Rechtsfrage angesehen. Dem

ist beizustimmen. Die Parteien haben nach den insoweit unbekämpften

Feststellungen des Erstgerichtes einen Kaufvertrag über eine

Eigentumswohnung geschlossen, der nur zum Teil schriftlich

festgehalten wurde (Beilage A); der Inhalt der (naturgemäß) nicht

schriftlich festgehaltenen Vereinbarungen - insbesondere der hier

wesentlichen Schwarzgeldvereinbarung über 1 Mio S - kann daher nicht

allein durch Auslegung der Urkunde festgestellt werden. Aber auch

eine Vertragsauslegung in dem vom Berufungsgericht angesprochenen

Sinn könnte nicht allein vom Wortlaut her erfolgen, es sei denn,

dieser wäre nur einer einzigen Auslegung überhaupt zugänglich.

Jedenfalls ist, wie das Erstgericht an sich zutreffend dargelegt hat,

in allen anderen Fällen gemäß § 914 ABGB der wahre Parteiwille zu

erforschen. Dabei handelt es sich, wie die Revisionswerberin durchaus treffend aufzeigt, um eine gemischte Frage (Quaestio mixta), bei der zwischen der Sammlung von Indizien für den Parteiwillen als Tatsachenfeststellung und deren rechtliche Bewertung zu unterscheiden ist. Was die Parteien neben der Vertragsurkunde mündlich vereinbart haben, liegt demnach ausschließlich im Feststellungsbereich und ist nicht durch bloße Auslegung der Vertragsurkunde zu ermitteln. Das Berufungsgericht ist insoweit entgegen der ständigen Rechtsprechung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und ohne Beweiswiederholung von den Feststellungen des Erstgerichtes abgewichen und hat dadurch den Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt. Schließlich rügt die Revisionswerberin, das Berufungsgericht habe auch gegen § 473a ZPO verstoßen: Es habe erwogen, das Ersturteil abzuändern und diese Abänderung auf andere Feststellungen gegründet als das Erstgericht, ohne der Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, Mängel der Tatsachenfeststellungen des Ersturteils zu rügen. Es sei geradezu unvorstellbar, dass der Kläger das "Risiko einer Schwarzgeldzahlung" erst lange nach der Wohnungsübergabe übernommen hätte und die Beklagte zur Zahlung eines nur um S 100.000 oder S 300.000 geringeren Kaufpreises für eine um gut ein Drittel kleinere Wohnung bereit gewesen sei. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen.

Die Ausführungen, es sei vereinbart worden, dass der Kläger unter gewissen Voraussetzungen 1 Mio S "schwarz" erhalten sollte, finden sich in dem Teil des erstinstanzlichen Urteils, in dem die Feststellungen getroffen wurden; es handelt sich dabei auch richtigerweise um Tatsachenfeststellungen, weil für rechtliche Schlüsse gar kein Tatsachensubstrat vorläge: Der Vertragstext kommt hierfür nicht in Frage, weil die betreffende Angelegenheit dort gar nicht erwähnt ist. Bei den Ausführungen, es sei "unvorstellbar", dass die Zahlung von 1 Mio S tatsächlich davon abhängig sein sollte, dass die behördlichen Bewilligungen bis Ende 1993 erreicht werden sollten, handelt es sich jedenfalls nicht um rechtliche Beurteilung, sondern inhaltlich um Argumente gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, die vom Berufungsgericht dazu benützt werden, ohne Beweiswiederholung von dieser abzuweichen und gegenteilige Feststellungen zu treffen. Dieser Mangel des Berufungsverfahrens hindert die Beurteilung der Streitsache (§ 503 Z 2 ZPO).

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger mündlicher Berufungsverhandlung aufzutragen (§ 510 Abs 1 zweiter Satz ZPO).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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