OGH 10ObS42/01a

OGH10ObS42/01a6.3.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Maria Sand und Leopold Smrcka (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zeno I*****, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Erwebsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. August 2000, GZ 7 Rs 99/00f-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26. Jänner 2000, GZ 14 Cgs 182/98a-39, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Strittig ist, ob bei dem am 1. 10. 1947 geborenen Kläger, der zum maßgeblichen Zeitpunkt das 50., nicht aber das 57. Lebensjahr vollendet hatte, Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Der aus Bosnien-Herzegowina stammende Kläger hat ab Jänner 1993 in Österreich eine kleine Gastwirtschaft mit maximal einem Vollzeitmitarbeiter betrieben.

Nach dem hier anzuwendenden § 133 Abs 2 GSVG gilt auch der Versicherte als erwerbsunfähig, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte (dauernd) außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeit wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat.

Im Rahmen des § 133 Abs 2 GSVG genießt der Kläger zwar einen Berufsschutz, jedoch keinen sogenannten "Tätigkeitsschutz" (SSV-NF 8/114, 10/56, 11/20, 11/25, 12/54; 10 ObS 316/98p; 10 ObS 36/99p). Auf die konkret im Beobachtungszeitraum ausgeübte Tätigkeit oder die bisherige Betriebsstruktur stellt § 133 Abs 2 GSVG bei der Verweisung nicht ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Tätigkeit erforderlich waren. Dem Versicherten soll nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nunmehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen (SSV-NF 9/22, 11/25; 10 ObS 316/98p, 10 ObS 36/99p).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des konkreten Betriebes im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung notwendig war (§ 133 Abs 2 lit b GSVG), ist für die Beurteilung der weiteren Frage, ob der Kläger außerstande ist, einer (nicht jener) selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübte Erwerbstätigkeit erfordert, zu bedenken, dass die Novellierung der Bestimmung des § 133 Abs 2 durch die 19. GSVG-Novelle die Absicht zugrundelag, dass ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein soll, so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Die Regelung lehnt sich daher an die Bestimmungen des ASVG über den Berufsschutz an. Im Hinblick auf diese inhaltliche Nähe der Regelung des § 133 Abs 2 GSVG zu den Bestimmungen über den Berufsschutz nach dem ASVG kann für die Prüfung der Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG auf die entsprechenden Bestimmungen des ASVG zurückgegriffen werden (SSV-NF 9/22).

Gemäß § 133 Abs 2 GSVG wird das Verweisungsfeld durch die selbständigen Erwerbstätigkeiten gebildet, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern, wie die vom Versicherten zuletzt durch mindestens 60 Monate ausgeübten. Die Verweisungstätigkeit muss keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen, und es ist wie im Fall des § 255 Abs 1 ASVG auch die Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfassen, zulässig, wenn nur für diesen Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die der Versicherte bisher benötigte.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hat der Kläger in Österreich ab Jänner 1993 eine kleine Gastwirtschaft betrieben, in der regelmäßig maximal ein Vollzeitmitarbeiter (neben dem Kläger selbst) als Arbeitskraft eingesetzt war. Dem Kläger sind nun Arbeiten unter besonderem Zeitdruck nur eingeschränkt möglich. Ein solcher besonderer Zeitdruck würde in einer Gastwirtschaft vorliegen, wenn über einen längeren Zeitraum Stoßzeit besteht, in dem Sinn, dass viele Kunden dringende Bestellungen aufgeben, dann diese Speisen serviert werden müssen und in rascher Abfolge, wenn dies von den Kunden gewünscht wird, die Rechnungen beglichen werden sollen. Diese Tätigkeit unter besonderem Zeitdruck ist dem Kläger maximal etwa eine Stunde pro Arbeitstag möglich. Bei einem erhöhten Zeitdruck über längere Zeiträume als eine Stunde pro Tag ist anzunehmen, dass Ermüdungserscheinungen auftreten und damit verbunden eine Fehlerhaftigkeit der Leistung.

Laut den erstgerichtlichen Feststellungen kommt es im Bereich der Kleingastronomie bei Alleinarbeitskraftbetrieb und auch bei Anstellung einer Halb- oder Teilzeitarbeitskraft zwingend zu phasenhaft besonderem Zeitdruck. Einen durchschnittlichen Gewerbebetrieb (gemeint offenbar Gastgewerbebetrieb) mit nur einem Vollzeitmitarbeiter zu führen würde über das Leistungskalkül des Klägers hinausgehen. Erst bei zwei hauptberuflich angestellten Mitarbeitern könnte der Kläger das ihm verbliebene Leistungskalkül einhalten.

Da der Kläger nach dem festgestellten medizinischen Leistungskalkül noch leichte und halbzeitig mittelschwere Arbeiten (Anheben von Gewichten bis maximal 25 kg, Tragen bis maximal 20 kg) im Gehen, Stehen und Sitzen mit der weiteren Einschränkung verrichten kann, dass Arbeiten in ständiger Nässe und Kälte sowie unter besonderem Zeitdruck - wie oben beschrieben - ausgeschlossen sind, ist er von Tätigkeiten in der Gastronomie nicht gänzlich ausgeschlossen. Insbesondere ist er unter Einhaltung seines Leistungskalküls in der Lage, einen gastronomischen Betrieb mit zwei hauptberuflich angestellten Mitarbeitern zu führen. Die zur Führung eines solches Betriebes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind den Anforderungen sehr ähnlich, die in einem Kleinbetrieb mit maximal einer angestellten Vollzeitarbeitskraft gestellt werden.

Der Revisionswerber lässt außer Acht, dass es bei der Beurteilung seiner Erwerbsunfähigkeit nicht auf die Organisation und die wirtschaftliche Situation des von ihm geführten konkreten Betriebs ankommt, sondern abstrakt auf den typischen Gastronomiebetrieb. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass es keine Gastronomiebetriebe mit zwei hauptberuflich angestellten Mitarbeitern gibt.

Daraus folgt, dass der Kläger unter zumutbaren gesundheitlichen Bedingungen noch eine artverwandte selbständige Erwerbstätigkeit ausüben kann, sodass Erwerbsunfähigkeit iSd § 133 Abs 2 GSVG nicht vorliegt. Ob der Kläger die Erwerbstätigkeit durch mindestens 60 Monate ausgeübt hat kann daher ebenso dahin gestellt bleiben wie die Frage, ob bereits bei Beschäftigung eines Vollzeitmitarbeiters die Kalkülseinhaltung für den Kläger möglich wäre, wie das Berufungsgericht meint.

Eine Prüfung in Richtung § 131c GSVG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der angefochtene Bescheid nur über die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 133 GSVG abgesprochen hat. Die Frage, ob Erwerbsunfähigkeit gemäß § 131c GSVG vorliegt, konnte daher gar nicht Verfahrensgegenstand sein (siehe RIS-Justiz RS0107802).

Somit ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Besondere Billigkeitsgründe, die trotz gänzlichem Unterlegens des Klägers einen Kostenzuspruch rechtfertigen würden, sind nicht hervorgekommen.

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