OGH 1Ob22/01v

OGH1Ob22/01v27.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****gesellschaft mbH i.L., ***** vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei O***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Werner Sporn, Dr. Michael Winischhofer, Dr. Martin Schuppich, Dr. Haig Asenbauer, Dr. Maria Hoffelner und Mag. Angela Hebling-Werner, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 2,033.127,-- sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 2000, GZ 2 R 98/00x-67, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31. März 2000, GZ 12 Cg 290/94f-63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag der beklagten Partei auf Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens und auf Klagszurückweisung abgewiesen wird; das Erstgericht hat das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 80.822,60 (darin S 13.463,10 Umsatzsteuer und S 44,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des über die Partei- und Prozessfähigkeit der klagenden Partei durchgeführten Zwischenstreits zu bezahlen.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrte mit ihrer bereits Ende 1994 beim Erstgericht eingebrachten Klage die Zahlung von letztlich S 2,033.127 sA für erbrachte Werkleistungen und Warenlieferungen.

Die beklagte Partei wendete ein, die klagende Partei habe die Erfüllung der ihr erteilten Aufträge vernachlässigt, weshalb sie vom Vertrag zurückgetreten sei. Im Hinblick auf die mangelhafte Leistungserbringung sei das Begehren lediglich im Ausmaß von S 1,694.273,75 berechtigt. Zur Aufrechnung wende die beklagte Partei die Klagsforderung übersteigende "Personalbeistellungskosten" ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil vom 2. 12. 1998 wegen Unschlüssigkeit ab. Das Rekursgericht (als Berufungsgericht) hob dieses Urteil mit Beschluss vom 19. 7. 1999 auf, verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück, und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Das Klagebegehren sei schlüssig, es mangle aber an wesentlichen Feststellungen. Im Aufhebungsbeschluss führte das Gericht zweiter Instanz unter anderem auch aus, die klagende Partei sei seit 5. 9. 1995 aufgelöst und die Firma seit 27. 2. 1999 gemäß § 2 Amtslöschungsgesetz amtswegig gelöscht. Nach der Rechtsprechung sei eine Gesellschaft mbH trotz ihrer Löschung noch immer parteifähig, wenn ihr eine Forderung zustehe, sie also Vermögen besitze. Infolge divergierender Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Parteifähigkeit einer voll beendeten Gesellschaft sei ein "Rechtskraftvorbehalt" auszusprechen.

Dieser Beschluss wurde nicht angefochten.

In der Verhandlungstagsatzung vom 3. 11. 1999 wurde das Verfahren "vorrangig" auf die Frage nach der Partei- und Prozessfähigkeit der klagenden Partei eingeschränkt.

Das Erstgericht erklärte das seit dem 27. 2. 1999 durchgeführte Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Das Gericht zweiter Instanz habe die Frage der Parteifähigkeit und somit auch die einer allfälligen Nichtigkeit des Verfahrens nicht abschließend beurteilt. Wenngleich die Löschung einer Gesellschaft mbH im Firmenbuch nur deklaratorischen Charakter habe, verliere eine voll beendete vermögenslose Gesellschaft ihre Prozess- und Parteifähigkeit unabhängig davon, ob sie als klagende oder als beklagte Partei auftrete. Ein geltend gemachter Klagsanspruch oder eine auf Seiten einer beklagten Partei bestehende Kostenforderung stelle kein hinreichendes Vermögen dar, das einer vollständigen Beendigung der Gesellschaft entgegenstünde.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof habe durch einen verstärkten Senat zu 8 ObA 2344/96f die Ansicht vertreten, eine voll beendete Gesellschaft des Handelsrechts sei grundsätzlich nicht mehr parteifähig. Er habe aber auch ausgesprochen, dass es mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK unvereinbar sei, wenn die beklagte Partei durch rechtliche Änderungen in ihrer Sphäre, auf die der Kläger keinen Einfluss nehmen könne, eine Entscheidung über den vom Kläger rite geltend gemachten, mit erheblichem Aufwand an Geld, Zeit und Mühe vor Gericht verfolgten zivilrechtlichen Anspruch vereiteln könnte. Da der Kläger bei Löschung der beklagten Gesellschaft mbH im Zuge des Prozesses dessen Fortsetzung weder durch Parteiwechsel auf die Gesellschafter noch durch Berufung auf einen möglichen Kostenersatzanspruch der beklagten Gesellschaft erreichen könne und ihm auch die Möglichkeit, im Zwischenverfahren Vermögen der beklagten Partei zu behaupten und zu beweisen oder die Löschung der Gesellschaft mbH im Firmenbuch mit Rekurs zu bekämpfen, keine ausreichende Abhilfe biete, andererseits aber ein Anspruch auf Entscheidung über einen rite eingeleiteten Rechtsstreit bestehe, sei auch ein Bedürfnis nach einer diesem Rechtsschutzgewährungsanspruch Rechnung tragenden Lösung gegeben. Im vorliegenden Fall sei die klagende Partei im Firmenbuch gelöscht worden. Die Behauptung vom Vermögen des Klägers bzw dessen Indizierung durch die Klagsführung könne der klagenden Partei nicht nützen, weil der Beweis tatsächlich vorliegenden Vermögens erst im Zeitpunkt des rechtskräftigen Prozessgewinns erbracht werden könnte. Die klagende Partei hätte die Möglichkeit gehabt, im Amtslöschungsverfahren ihrer Löschung entgegenzutreten. Da sie dies unterlassen habe, sei sie nicht schutzwürdig. Sie könne nicht die Löschung unangefochten lassen und andererseits Prozesse führen. Das Verfahren sei demnach nichtig und die Klage zurückzuweisen. Wenngleich das Gericht zweiter Instanz im Aufhebungsbeschluss vom 19. 7. 1999 eine bindende Rechtsansicht über die Parteifähigkeit geäußert und eine solche als gegeben erachtet habe, was an und für sich eine Bindung an diese Rechtsansicht bewirke, werde dennoch aus prozessökonomischen Gründen eine abweichende Entscheidung getroffen, zumal der Oberste Gerichtshof an die Rechtsansicht eines unbekämpft gebliebenen Aufhebungsbeschlusses ohnehin nicht gebunden sei und die Abweichung des Berufungsgerichts von der im Aufhebungsbeschluss ausgesprochenen Rechtsansicht niemals einen Revisionsgrund bilden könne, sofern die neue Entscheidung sachlich richtig sei.

Der Revisionsrekurs der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ob das Gericht zweiter Instanz die Frage der Partei- und der Prozessfähigkeit der klagenden Partei bereits im Aufhebungsbeschluss vom 19. 7. 1999 bejahend erledigte und ob der Oberste Gerichtshof an diese Entscheidung gebunden wäre, muss nicht beantwortet werden, weil der erkennende Senat ohnehin die Partei- und Prozessfähigkeit der klagenden Partei bejaht:

In einhelliger Rechtsprechung vertritt der Oberste Gerichtshof die Ansicht, dass eine Gesellschaft mbH, macht sie einen Leistungsanspruch geltend, nicht voll beendet sei (4 Ob 308/99v; RdW 1998, 463). Die Löschung einer Gesellschaft mbH im Firmenbuch hat nur deklarative Wirkung; erst mit der Vollbeendigung ist eine solche Gesellschaft erloschen: Die Partei- und die Prozessfähigkeit werden trotz Löschung so lange nicht beeinträchtigt, als verwertbares Gesellschaftsvermögen noch unverteilt vorhanden ist (4 Ob 308/99v; GesRZ 1999, 186; SZ 71/50; 9 ObA 87/97b). Solange eine Gesellschaft mbH einen Anspruch behauptet und hierüber einen Aktivprozess führt, ist sie als parteifähig anzusehen, weil vor Beendigung eines solchen Rechtsstreits nicht beurteilt werden kann, ob sie wirklich und endgültig vermögenslos ist (vgl EvBl 1996/101; GesRZ 1985, 194).

Diese Rechtsansicht widerspricht auch nicht der Entscheidung des verstärkten Senats (SZ 71/175). Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich von dem der genannten Entscheidung zu Grunde liegenden Fall vor allem insoweit, als dort die beklagte Partei im Firmenbuch gelöscht wurde. Unter Hinweis auf das Grundrecht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK bejahte der verstärkte Senat die Schutzwürdigkeit der klagenden Partei, der es gestattet sein müsse, ihren Anspruch trotz Löschung der beklagten Gesellschaft im Firmenbuch weiter zu verfolgen, ohne dass verwertbares Vermögen der beklagten Partei behauptet und bewiesen werden müsse. Die Interessen der gelöschten beklagten Partei erachtete der Oberste Gerichtshof als nicht schützenswert, weil diese im Löschungsverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, allfälliges Vermögen zu behaupten und zu bescheinigen und damit die Löschung zu verhindern (so auch ecolex 1999, 402; 7 Ob 126/98z).

Die Erhebung einer Klage bzw die Fortsetzung eines Aktivprozesses muss aber auch einer klagenden Partei, die im Firmenbuch gelöscht wurde, zugestanden werden. Die Löschung hat - wie zuvor ausgeführt - keinesfalls konstitutive Wirkung, und es ist davon auszugehen, dass der Kläger durch die Klagserhebung behauptet, er habe im Umfang der Klagsforderung verwertbares Vermögen. Würde man von ihm auch schon den Beweis eines solchen Vermögens fordern, so beraubte man ihn der Möglichkeit der Klagserhebung, kann doch der Beweis erst in dem über die Klage abgeführten Verfahren erbracht werden. Eine solche Vorgangsweise wäre mit Art 6 EMRK unvereinbar. Wird erst nachträglich, also nach der Löschung der Gesellschaft, Vermögen einer Partei bekannt, so versagt auch der Hinweis darauf, dass die Gesellschaft im Löschungsverfahren Gelegenheit gehabt hätte, allfälliges Vermögen zu behaupten und zu bescheinigen und damit die Löschung zu verhindern. In einem solchen Fall ist gemäß § 93 Abs 5 GmbHG eine Nachtragsliquidation durchzuführen (SZ 64/134), und die Vermutung der Vermögenslosigkeit der gelöschten Gesellschaft erweise sich keinesfalls als gerechtfertigt. Aber auch dann, wenn eine Gesellschaft mbH - wie hier - ein Klagebegehren bereits vor ihrer amtswegigen Löschung erhob, damit Vermögen behauptete und somit auch im Löschungsverfahren die Möglichkeit gehabt hätte, durch entsprechende Einwendungen die Löschung zu verhindern, erscheint es nicht gerechtfertigt, ihr die Fortsetzung des Prozesses unter Hinweis auf mangelnde Parteifähigkeit zu verweigern. Es muss ihr die Möglichkeit geboten werden, ein - allenfalls klagsstattgebendes - Urteil über die von ihr behauptete Forderung zu erwirken. An das Versäumnis, im Löschungsverfahren Vermögen zu behaupten und zu bescheinigen, kann - mangels entsprechender gesetzlicher Regelung - nicht als Verwirkungsfolge das Erlöschen einer solchen Forderung geknüpft werden.

Der Einwand der beklagten Partei, die ihr im Fall des Nichtbestehens der eingeklagten Forderung erwachsende Kostenbeschwer mache sie besonders schutzwürdig, ist nicht stichhältig. Es macht nämlich wirtschaftlich betrachtet keinerlei Unterschied, ob eine Partei, die Kostenersatz zu leisten außerstande ist, noch im Firmenbuch eingetragen oder dort bereits gelöscht ist; in beiden Fällen wird der Prozessgegner seinen Anspruch auf Ersatz der ihm gebührenden Prozesskosten nicht einbringlich machen können, sodass er das Prozesskostenrisiko hier wie dort trägt. Es kann aber nicht rechtens sein, einem Kläger die Geltendmachung seiner allenfalls zu Recht bestehenden Forderung zu verwehren, um die beklagte Partei eines - wenn auch erheblichen - Prozesskostenrisikos zu entheben.

Bejaht man die Partei- und die Prozessfähigkeit der klagenden Partei, weil sie aus den weiter oben angestellten Erwägungen noch nicht voll beendet ist, so gehen auch die Ausführungen der beklagten Partei, die klagende Partei sei mangels Bestellung der notwendigen Organe handlungsunfähig, ins Leere. Die klagende Partei wird mangels Vollbeendigung nach wie vor durch den für sie bestellten Verfahrenshelfer vertreten, mag dieser auch zu bestimmten Sachdispositionen (Anerkenntnis, Vergleich etc) nicht befugt sein. Infolge der am 14. 12. 2000 erfolgten neuerlichen Bestellung eines Liquidators wurde die klagende Partei darüber hinaus auch wieder in die Lage versetzt, die entsprechenden Sachdispositionen zu treffen.

Dem Revisionsrekurs ist demnach Folge zu geben; das Verfahren ist unter Abstandnahme vom gebrauchten Nichtigkeitsgrund fortzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Frage nach der Partei- und Prozessfähigkeit der klagenden Partei wurde in einem Zwischenstreit gelöst, für den der darin erfolgreichen Partei, unabhängig vom Ausgang des Hauptverfahrens, Kostenersatz gebührt. Demnach sind der klagenden Partei die Kosten dieses Zwischenstreits (Schriftsatz vom 16. 11. 1999, Verrichtung der Tagsatzung vom 17. 2. 2000 sowie Verfassung der Rechtsmittelschriften) zuzusprechen.

Stichworte