OGH 15Os3/01

OGH15Os3/0125.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schmidt als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Marius K***** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 23. Oktober 2000, GZ 39 Vr 2749/99-69, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Marius K***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er zwischen Sommer 1997 und Sommer 1998 in St. Johann i.T. unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, die unmündigen Florian M***** (geboren am 3. März 1988), Patrick B***** (geboren am 8. Dezember 1989) und Roman Sch***** (geboren am 25. September 1984) in wiederholten Angriffen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht hat, indem er die Genannten in seiner Wohnung aufforderte, sich auszuziehen, er sich selbst auszog, die Geschlechtsteile der Buben betastete und seinen Geschlechtsteil durch die Buben betasten ließ sowie die Buben zum Oralverkehr aufforderte und diesen an sich vornehmen ließ, mithin eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen hat, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF zuzurechnen wäre, wobei nach seiner Person, seinem Zustand und nach Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Dagegen richtet sich die unbegründete, aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft zu Unrecht das in der Hauptverhandlung am 9. Oktober 2000 verkündete Zwischenerkenntnis des Gerichtshofs, mit dem die vom Verteidiger gestellten Anträge auf ergänzende kontradiktorische Vernehmung der Zeugen Florian M*****, Roman Sch***** und Patrick B***** sowie auf Einholung eines "weiteren" Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie abgewiesen wurden (S 483 ff/I iVm US 11 f).

Durch die ergänzende kontradiktorische Vernehmung der drei genannten Unmündigen sollte zunächst bewiesen werden, "dass der Betroffene sich mit den drei Buben niemals im Schlafzimmer, sondern in der Küche aufgehalten habe und sich die Buben niemals ausgezogen haben und es zu keinen sexuellen Handlungen gekommen ist, zumal sowohl der [inzwischen verstorbene] Zeuge H***** als auch der Zeuge [Patrick] B***** in diesen Punkten übereinstimmende Angaben gemacht haben und ein Vorhalt dieser Widersprüche durch den Untersuchungsrichter nicht vorgenommen wurde".

Dieser Antrag enthält in Wahrheit überhaupt kein überprüfbares Beweisthema, weil bloß global und unsubstantiiert der Anklagevorwurf bestritten wird (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19aa und 19b; 15 Os 91/98). Inwiefern die Beobachtungen des (inzwischen verstorbenen) Georg H*****, wonach er bei einem Besuch des Marius K***** an dessen Schlafzimmer vorbeigekommen sei und "im Bett drei nackerte Buben" gesehen und dem Betroffenen daraufhin zu verstehen gegeben habe, dies sei eine "Sauerei", er sei dagegen, dass er "kleine Buben verführt" (S 27 f = 81 f iVm ON 50), mit den Aussagen des Zeugen Patrick B***** (ON 40) übereinstimmen soll und welche "dieser Widersprüche" durch den Untersuchungsrichter nicht vorgehalten wurden, wird im Antrag weder nachvollziehbar noch konkret dargetan, weshalb es an einem für die Relevanzprüfung tauglichen Substrat ermangelt.

Soweit dieser Antrag darüber hinaus zum Beweis dafür gestellt wurde, Florian M***** hätte kein "Motiv" gehabt, vom Betroffenen Geld - und Wertgegenstände zu stehlen, und die Zeugen Roman Sch***** und Florian M***** hätten durch ihre Beschuldigungen gegenüber dem Betroffenen lediglich davon ablenken wollen, dass an "diesem Tag" von Florian M***** ein hoher Geldbetrag, Schmuck und sonstige Wertgegenstände entwendet wurden, berührt er keinen entscheidenden (also weder für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz noch für die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes maßgebenden) Umstand (vgl Mayerhofer aaO E 64).

Schließlich hätte der Antrag auch konkret darlegen müssen, weswegen die drei unmündigen Zeugen bei einer ergänzenden kontradiktorischen Vernehmung - ungeachtet ihrer über Beschluss des Erstgerichtes außerhalb der Hauptverhandlung eingeholten und vom Tatgericht für ausreichend befundenen Erklärung (14 Os 145/98, 14 Os 105/99), von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machen und nicht mehr aussagen zu wollen (S 479/I iVm ON 63 und 64) - dennoch zur Aussage bereit sein sollten. Da auch dies nicht geschehen ist, muss das verspätete Rechtsmittelvorbringen auf sich beruhen.

Der Antrag auf Einholung eines "weiteren" Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie zum Beweis dafür, dass beim Betroffenen "keine homosexuelle Pädophilie" vorliegt (2. S 485/I), beruht auf unrichtigen Prämissen. Zum einen übergeht er, dass bereits zwei erfahrene psychiatrische Gutachter, nämlich Univ. Prof. Dr. med. P*****, Facharzt für Psychiatrie, Neurologie, Psychotherapie (ON 17 und 23) sowie Dr. Regina P*****, Oberärztin an der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck (ON 60 iVm S 473 ff/I), jeweils auf Grund eigener Befundungen aus objektiven Kriterien und Erfahrungstatsachen übereinstimmend zum Ergebnis kamen, dass beim Betroffenen sehr wohl "eine homosexuelle Pädophilie" vorliegt (vgl insbesondere S 201 f, 181; 443 ff, 473 f und 479 f/I). Zum anderen wird der Inhalt des zweiten Absatzes des Gutachtens der Sachverständigen Dr. P***** auf BlZl 22 der ON 60 (= AS 439/I) missverstanden; denn im Zusammenhang betrachtet werden darin dem Betroffenen keineswegs (ohne Beachtung der Unschuldsvermutung) Unzuchtshandlungen an den Kindern "unterstellt", sondern lediglich der Anklagevorwurf wiedergegeben. Selbst auf die Frage, "warum ein Jahr lang nichts passiert ist", wusste die genannte Expertin eine durchaus plausible (für den Antragsteller allerdings nicht nachvollziehbare) Antwort (S 483/I). Die gleichen Argumentationsfehler wiederholen sich in der Beschwerdeausführung.

Von all dem abgesehen hätte es jedoch für die erfolgreiche Geltendmachung des relevierten Nichtigkeitsgrundes bei Antragsstellung der Anführung konkreter Gründe dafür bedurft, worin vorliegend eine besondere Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung gelegen sein sollte (§ 118 Abs 2 StPO), oder womit den in der Hauptverhandlung beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen eine nicht behebbare Mangelhaftigkeit ihres Befundes und Gutachtens unterlaufen sei (§§ 125, 126 StPO), welche die Beiziehung auch noch eines "dritten" Sachverständigen erforderlich machten.

Daher wurde der Betroffene durch die zutreffende Ablehnung der (formell mangelhaften) Beweisanträge in seinen Verteidigungsrechten nicht verkürzt (vgl dazu Mayerhofer aaO § 118 E 66, 68, 70a, 72; § 126 E 1; § 281 Z 4 E 132 ff; 15 Os 91/98 uam).

Das weitwendige Vorbringen der nominell auf Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Mängelrüge gründet sich teils auf isoliert, demnach sinnentstellend hervorgehobene Beweisausschnitte, teils auf eigene Erwägungen und folgert daraus, das Erstgericht habe in seiner Beweiswürdigung Verfahrensergebnisse übergangen, ungewürdigt gelassen oder unrichtig gewürdigt.

Gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO hat das Gericht in den Gründen in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit anzugeben, welche entscheidenden Tatsachen und aus welchen Gründen es diese als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat und von welchen Erwägungen es bei der Entscheidung der Rechtsfragen und bei Beseitigung der vorgebrachten Enwendungen geleitete wurde. Das bedeutet aber nicht, dass es schlechthin alle Verfahrensergebnisse erörtern und sich bei Würdigung der erhobenen Beweise von vorneherein mit allen möglichen, vom Beschwerdeführer nachträglich ins Treffen geführten Gesichtspunkten befassen muss (Mayerhofer aaO § 270 E 78, 104, 105, 105a; § 281 Z 5 E 7 f). Die Beweiswürdigung ist aber auch durch keine gesetzlichen Regeln beschränkt, wie sie der Beschwerde vorschweben (vgl Punkte I.2.a und f der Rechtsmittelschrift).

Soweit der Nichtigkeitswerber eine Auseinandersetzung mit den "erheblichen Widersprüchen der Angaben der Zeugen [M***** und Sch*****] zur Frage der vom Betroffenen erlangten Geldbeträge" vermisst (.I.2.d), die Feststellung, "dass es früher schon einschlägige Verdachtsmomente gegen den Betroffenen gegeben hat", (verfehlt) als aktenwidrig (.I.2.g) und die Konstatierung des Tatzeitraums als "überhaupt nicht begründet" rügt (.I.2.h), trifft er damit keinen entscheidenden Umstand. Im Übrigen findet der angenommene Tatzeitraum in der Anzeige (S 7, 67, 69/I) sowie in den Aussagen der Zeugen Sch***** (S 13, 315/I), H***** (S 27/I) und Patrick B***** (S 323/I) eine hinreichende beweismäßige Deckung.

Nach Inhalt und Zielrichtung stellt das gesamte Vorbringen der Mängelrüge vielmehr den Versuch dar, nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteil unzulässigen Schuldberufung die tatrichterliche Lösung der Schuldfrage zu bekämpfen und mit eigenen Beweiswerterwägungen der leugnenden Verantwortung doch noch zum Durchbruch zu verhelfen, ohne einen formalen Begründungsmangel aufzuzeigen. Der Beschwerde sowie der zur Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung zuwider haben die Erkenntnisrichter nach den Regeln der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) alle aufgenommenen Beweise sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenhang (einschließlich wechselnder Aussagen und vorhandener Widersprüche) ausführlich geprüft, kritisch hinterfragt und unter Verwertung des persönlich gewonnen Eindrucks zureichend und denkmöglich begründet, warum sie dem Betroffenen und den diesen entlastenden Aussagen des Zeugen Patrick B***** den Glauben versagten, hingegen den belastenden Bekundungen der Zeugen Florian M***** und Roman Sch***** glaubten (US 5 ff).

Gemäß dem Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a) "müssen nach der gesamten Aktenlage" erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Urteilsfeststellung bestehen, der Betroffene habe die ihm angelasteten sexuellen Handlungen an den drei Unmündigen tatsächlich begangen. Dazu wird neben den bereits bekannten Argumenten der Mängelrüge (erhebliche Widersprüche und Unsicherheiten in den Aussagen der Belastungszeugen über Geschehensdetails und Häufigkeit der sexuellen Angriffe, ob und wieviel Geld die Zeugen vom Betroffenen etwa als "Belohnung" erhalten haben oder ob ihm das Geld entwendet wurde; Glaubwürdigkeit des Entlastungszeugen Patrick B***** und fehlende Anhaltspunkte für den festgestellten Tatzeitraum) auch noch eine Anregung der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Eva-Maria St***** (dass zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der drei unmündigen Unzuchtsopfer eine gleichzeitige Vernehmung der Buben beitragen könnte - ON 41) ins Treffen geführt.

Nach Prüfung der gesamten Aktenlage durch den Obersten Gerichtshof werden damit jedoch weder schwerwiegende, unter außer Achtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt, noch auf aktenkundige Beweisergebnisse hingewiesen, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen (Mayerhofer aaO § 281 Z 5a E 1 ff).

Somit war die Nichtigkeitsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Äußerung - gemäß § 285d Abs 1 Z 2 StPO als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus folgt, dass zur Entscheidung über die zudem erhobene Berufung des Betroffenen das Oberlandesgericht Innsbruck zuständig ist (§ 285i StPO).

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