OGH 15Os167/00 (15Os168/00)

OGH15Os167/00 (15Os168/00)11.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schmidt als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Margit F***** und eine andere Verurteilte wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 12. Jänner 2000, GZ 5 U 434/99i-13, und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. Mai 2000, AZ 7 Bl 37/00, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, des Verteidigers Dr. Pollan sowie des Privatanklagevertreters Dr. Höfferer, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten, zu Recht erkannt.

 

Spruch:

Die Urteile des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 12. Jänner 2000, GZ 5 U 434/99i-13, und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. Mai 2000, AZ 7 Bl 37/00, verletzen § 114 Abs 1 StGB.

Gemäß §§ 292 letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO werden die bezeichneten Urteile - das bezirksgerichtliche Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, jedoch nur im Schuldspruch sowie im Strafausspruch und im Ausspruch gemäß § 389 Abs 2 StPO über den Verfahrenskostenersatz - aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Bezirksgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit (auch rechtskräftige Teilfreisprüche enthaltendem) Urteil des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 12. Jänner 2000, GZ 5 U 434/99i-13, wurden Margit F***** und (ihre Schwester) Sonja St***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil sie am 25. September 1999 gegenüber Beamten der Gendarmerieposten Spittal an der Drau und Seeboden behauptet hatten, (ihr Bruder) Arthur St*****, der Ehemann der Privatanklägerin Anna St*****, sei keines natürlichen Todes gestorben, die Privatanklägerin habe ihn erstickt, sie sei eine Mörderin.

Nach den für das Beschwerdeverfahren entscheidenden erstgerichtlichen Feststellungen erfuhren die Angeklagten am Abend des 25. September 1999, dass ihr querschnittgelähmter Bruder (Arthur St*****) nach Feststellung des herbeigerufenen Notarztes an einem verschluckten Kaugummiklumpen erstickt und verstorben sei, wobei Fremdverschulden auszuschließen sei. Daraufhin teilte Sonja St***** einem Beamten der Bezirksleitzentrale Spittal an der Drau telefonisch mit, sie glaube nicht, dass ihr Bruder Arthur St***** an einem Kaugummi erstickt sei, sondern vielmehr daran, dass er von seiner Frau umgebracht worden sei, weil sie zuvor schon öfters gedroht habe, ihren Mann zu ersticken. Noch bevor die Gendarmeriebeamten mit der Sachverhaltserhebung begonnen hatten (die letzlich keinen Hinweis auf Fremdverschulden erbrachten), äußerte auch Margit F***** ihnen gegenüber, der Tod ihres Bruders sei nicht normal, die Privatanklägerin habe damit zu tun. In der tags darauf am Gendermerieposten Seeboden mit Sonja St***** als Anzeigerin aufgenommenen Niederschrift, der sich Margit F***** vollinhaltlich anschloss, bezeichnete sie die Privatanklägerin ua als "durchtriebene Bestie", die ihren verstorbenen Mann mehrfach misshandelt, gedemütigt, ihn aus dem Rollstuhl herausgezogen und ihm einen Strick um den Hals gelegt habe. Die gerichtsmedizinische Obduktion der Leiche ergab als Todesursache einen Herzhinterwandinfarkt bei schwerst vorgeschädigtem Schwielenherz (US 5 ff).

Den Rechtfertigungsgrund des § 114 Abs 1 StGB verneinte das Tatgericht im wesentlichen deshalb, weil die Beschuldigten das ihnen gemäß § 86 Abs 1 (gemeint) StPO zustehende Anzeigerecht bzw im Rahmen ihrer Anzeigeerstattung die Grenzen der rechtlichen Befugnis überschritten hätten und ihr Motiv für die Anzeigeerstattung nicht die Aufklärung der wahrheitswidrig als aufklärungsbedürftig behaupteten Todesumstände gewesen sei. Beim gleichen Wissensstand wie die Privatangeklagten hätten die erhebenden Gendarmeriebeamten keine objektiven Hinweise auf Fremdverschulden gefunden. Zweck der Anzeige sei somit lediglich die emotionale Befriedigung ihrer feindseligen Ambitionen gegenüber der Privatanklägerin durch vorsätzlich wahrheitswidriges Deponieren von ehrenrührigen bzw strafbaren Verhaltensweisen der Genannten gegenüber Ämtern und Behörden gewesen. Dies sei zumindest mit bedingtem Vorsatz erfolgt, denn den Beschuldigten hätte bewusst gewesen sein müssen, dass der gesetzlich zur Anzeige bedenklicher Todesumstände verpflichtete Notarzt keine Bedenken in Richtung Fremdverschulden gehabt habe (US 11 f).

Die von den Beschuldigten im Verfahren erster Instanz zum Beweis des guten Glaubens beantragten Zeugen Franz St*****, Franz Markus St***** und Alexander St***** (S 78 iVm 111) wurden zunächst in der Hauptverhandlung am 12. Jänner 2000 "wegen Spruchreife" (S 111), später in den Entscheidungsgründen hingegen mit dem Hinweis darauf, dass sich dieser Gutglaubensbeweis auf Tatsachen des Privat- oder Familienlebens der Privatanklägerin im Sinn des § 112 zweiter Satz StGB beziehe, nicht zugelassen (US 12).

Der von den Beschuldigten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Landesgericht Klagenfurt mit Urteil vom 9. Mai 2000, AZ 7 Bl 37/00 (= ON 19 des U-Aktes), nicht Folge. Den Einwand der Berufungswerber, sie hätten in Ausübung eines Rechtes im Sinne des § 114 (Abs 1) StGB gehandelt, verwarf das Rechtsmittelgericht mit dem Hinweis, die Angeklagten hätten bei Anzeigeerstattung die Schranken notwendiger Rechtsverfolgung nicht eingehalten (168 f).

Die vorbezeichneten Urteile des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht stehen - wie der Generalprokurator in der dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 114 Abs 1 StGB ist eine nach § 111 StGB tatbildliche Handlung gerechtfertigt, wenn der Täter hiedurch eine Rechtspflicht erfüllt oder ein Recht ausübt. In Ausübung eines Rechts handelt unter anderem der Anzeiger eines Sachverhalts, der seiner Ansicht nach den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte oder der Verwaltungsbehörde fallenden strafbaren Handlung bildet (§ 86 Abs 1 StPO bzw § 13 Abs 1 AVG), sofern er nicht bewusst (also wider besseres Wissen) unwahre Angaben macht und die Schranken des Notwendigen einhält (EvBl 1981/56 = RZ 1980/67). Die Rechtfertigung nach § 114 Abs 1 StGB setzt weder die Wahrheit der ehrenrührigen Behauptung oder Anschuldigung noch den guten Glauben des Anzeigers an die Richtigkeit seiner Angaben voraus; allein eine Anzeige wider besseres Wissen ist nicht gerechtfertigt (Leukauf/Steininger Komm3 RN 4, Foregger/Fabrizy StGB7 Rz 1, Mayerhofer StGB5 E 2, Foregger in WK2 Rz 6, Kienapfel BT I4 RN 8 f und 13 jeweils zu § 114 StGB mit Judikaturhinweisen).

Den erstgerichtlichen Entscheidungsgründen (insbesondere US 11 zweiter Absatz und dritter Absatz Satz eins) ist (gerade noch) mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass Margit F***** und Sonja St***** bei Erstattung ihrer Gendarmerianzeige wegen des (ihrer Meinung nach gegebenen) Verdachts des Mordes objektiv nach § 114 Abs 1 StGB handelten und sie vom Vorliegen der objektiven Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes - wenigstens in Form des bedingten Vorsatzes - Kenntnis hatten, zumal eine dem Rechtfertigungsgrund entsprechende subjektive Zwecksetzung nicht erforderlich ist (vgl Leukauf/Steininger aaO § 3 RN 5). Da sie mit den inkriminierten Behauptungen (unter Hinweis auf frühere Morddrohungen der Anna St*****) objektiv (wegen der Bedeutungslosigkeit einer Motivation) zum Ausdruck brachten, im Zusammenhang mit dem Ableben ihres Bruders Arthur St***** nicht an eine natürliche Todesursache zu glauben, vielmehr ihre Schwägerin Anna St***** für dessen Mörderin zu halten (US 1 iVm 8), liegt nach den maßgebenden tatrichterlichen Feststellungen - entgegen der verfehlten Ansicht der befassten Vorinstanzen - eben keine Überschreitung des Rahmens des sachlichen (notwendigen) Vorbringens und somit kein Missbrauch des Anzeigerechts vor.

Hingegen ermangelt es dem Ersturteil an tragfähigen Konstatierungen zur verlässlichen Klärung der entscheidungswesentlichen Frage, ob die Angeklagten die Anzeige gegen die Privatanklägerin bewusst wahrheitswidrig dh wider besserer Wissen erstattet haben oder nicht. Die Urteilsbegründung (US 8, 9 und 11 f) bietet hiefür keine taugliche Grundlage. Wird doch in diesem Zusammenhang in der rechtlichen Beurteilung (US 11 f dritter Absatz) ausdrücklich ausgeführt, "Zweck" der Anzeige war somit "lediglich" die emotionale Befriedigung ihrer feindseligen Ambitionen gegenüber der Privatanklägerin durch "vorsätzlich wahrheitswidriges" Deponieren .....; dies erfolgte "zumindest" mit bedingtem Vorsatz, weil .....

Aus den dargelegten Gründen war daher die von der Beschwerde relevierte Gesetzesverletzung festzustellen und die Urteile erster und zweiter Instanz spruchgemäß zu kassieren, jedoch nicht sogleich mit Freispruchs vorzugehen, sondern zufolge der aufgezeigten Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), die der Oberste Gerichtshof wegen der strikten Bindung an den Urteilssachverhalt nicht sanieren darf, zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die auf § 112 zweiter Satz StGB gestützte Ablehnung des Beweises des guten Glaubens durch das Erstgericht mit dem Gesetz ebenso nicht im Einklang steht. Denn Tatsachen (hier: Äußerungen des späteren "Tatopfers", wonach es befürchte, einmal eines nicht natürlichen Todes zu sterben), die eine von Amts wegen zu verfolgende strafbare Handlung betreffen (hier: Verdacht des Mordes), fallen nicht unter den Schutz des Privat- und Familienlebens (Foregger aaO § 112 Rz 14 zweiter Absatz).

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