OGH 2Ob340/00i

OGH2Ob340/00i21.12.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alice D*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Sylvia S***** und 2. *****Versicherungs AG, ***** beide vertreten durch Dr. Werner Hetsch und Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwaltspartnerschaft in Tulln, wegen Zahlung von S 217.518,50 sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13. September 2000, GZ 17 R 150/00d-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 24. März 2000, GZ 1 Cg 15/98d-27, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.256 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.376, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 22. 11. 1996 ereignete sich ein Verkehrsunfall an dem Maximilian S***** als Lenker des von der Erstbeklagten gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW und die 11jährige Klägerin als Lenkerin eines Fahrrades beteiligt waren.

Die Klägerin begehrt unter Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % die Zahlung von S 217.518,50 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle zukünftigen kausalen Schäden aus dem Unfall vom 22. 11. 1996, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei jedoch nur bis zur Höhe der Haftungssummen aufgrund des Versicherungsvertrages. Sie brachte dazu vor, der PKW-Lenker habe die nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 EKHG missachtet.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die Klägerin treffe das Alleinverschulden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es ua ausführte, es habe zur Frage der Wahrnehmbarkeit der Klägerin als radfahrendes Kind keine konkreten Feststellungen treffen können.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung mit Teilurteil dahin ab, dass es gegenüber den beklagten Parteien feststellte, dass diese der Klägerin für 50 % aller künftigen kausalen Schäden aus dem Unfall vom 22. 11. 1996 zur ungeteilten Hand haften, jedoch beschränkt auf die Haftungshöchstbeträge nach dem EKHG. Das Haftungsmehrbegehren wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach insoweit aus, der Entscheidungsgegenstand übersteige S 52.000, nicht aber S 260.000, die Revision sei vorbehaltlich des § 508 ZPO unzulässig.

Im Übrigen wurde das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an dieses zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht sprach in rechtlicher Hinsicht aus, es sei den beklagten Parteien im Hinblick auf die Negativfeststellung des Erstgerichtes der Freibeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen.

Gegen dieses Urteil erhoben die beklagten Parteien Revision und beantragten, diese in Abänderung des ursprünglichen Ausspruches für zulässig zu erklären.

Aufgrund dieses Antrages sprach das Berufungsgericht mit Beschluss vom 20. 11. 2000 aus, dass der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision gemäß § 508 ZPO dahingehend abgeändert werde, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Es begründete diesen Beschluss damit, dass es bei der Bewertung lediglich vom bestätigten (?) Feststellungsbegehren ausgegangen sei, ohne das Leistungsbegehren zu berücksichtigen. Mit Rücksicht darauf, dass der Oberste Gerichtshof zur Frage der Bewertung bei Teilurteilen nur im Zusammenhang mit anders gelagerten Problemen Stellung genommen habe und die Lehrmeinungen hinsichtlich der Bewertung divergierten (Fasching, LB**2 Rz 1424; Petrasch ÖJZ 1985, 295) und keine gesicherte Judikatur zur Frage der Bewertung vorzuliegen scheine, sei in Abänderung des Zulässigkeitsausspruches die Revision zuzulassen, weil eine Rechtsfrage des formellen Rechtes vorliege, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie ua die Unzulässigkeit der Revision geltend macht.

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.

Die Beklagten machen in ihrem Rechtsmittel geltend, dass das Erstgericht festgestellt habe, dass eine Erkennbarkeit für den PKW-Lenker im noch relevanten Zeitraum nicht gegeben gewesen und dass die am Gehsteig fahrende Klägerin für den PKW-Lenker nicht als Kind erkennbar gewesen sei. Es sei also konkret festgestellt worden, dass die Klägerin für den PKW-Lenker nicht als radfahrendes Kind erkennbar gewesen sei und dass eine schon bei einer ersten Erkennbarkeit sofort eingeleitete Vollbremsung den Unfall nicht verhindert hätte. Überdies hätte eine richtige Beurteilung der Rechtslage zum Ergebnis geführt, dass die Gefährdungshaftung nur subsidiär zur Anwendung gelange und gegenüber der Verschuldenshaftung der Klägerin so weit zurücktrete, dass diese für die Unfallsfolgen alleine einzustehen habe.

Hiezu wurde erwogen:

Grundsätzlich sind Feststellungs- und Leistungsbegehren aus einem Unfall gemäß § 55 Abs 1 JN - die Bestimmung ist auch für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend (§ 55 Abs 5 JN) - zusammenzurechnen (Gitschthaler in Fasching**2 Kommentar, Rz 20 zu § 55 JN mwN). Der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht insgesamt entschieden hat (§ 502 Abs 2 ZPO), übersteigt hier S 260.000. Dies ergibt sich daraus, dass das Leistungsbegehren S 217.518,50 beträgt und das Feststellungsbegehren vom Berufungsgericht mit einem S 52.000 übersteigenden Betrag bewertet wurde. Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes wäre daher gemäß § 505 Abs 4 ZPO das Rechtsmittel der ao Revision zulässig gewesen (Fasching, LB**2, Rz 1424). Gegenteiliges ergibt sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - auch nicht aus Petrasch, Die Zivilverfahrens-Novelle 1983 in der Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 1985, 295 f. Dessen Ausführungen beziehen sich auf die §§ 502 Abs 2 Z 2 und Abs 3 ZPO idF der WGN 1983, wobei er zur Bestimmung des § 502 Abs 4 Z 2 ZPO idF der WGN 1983 ebenfalls lehrt, dass bei Zusammentreffen eines Teilurteils mit einem Aufhebungsbeschluss auf den Gesamtstreitwert abzustellen sei, wenn dieser S 300.000 übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision wäre daher vom Erstgericht gemäß § 507b Abs 3 ZPO unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorzulegen gewesen. Nunmehr hat allerdings das Berufungsgericht - wenngleich verfehlt - seine Entscheidung über die Unzulässigkeit der Revision dahin abgeändert, dass diese doch zulässig sei. Aufgrund dieser rechtskräftigen Entscheidung liegt eine ordentliche Revision der beklagten Parteien vor.

In dieser werden aber keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan. Es ist nämlich nicht richtig, dass das Erstgericht festgestellt hätte, es sei eine Erkennbarkeit für den PKW-Lenker nicht gegeben gewesen und sei die am Gehsteig fahrende Klägerin für ihn nicht als Kind erkennbar gewesen. Vielmehr hat das Erstgericht im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich dargelegt, es seien, was die Wahrnehmbarkeit der Klägerin als radfahrendes Kind anlange, konkrete Feststellungen nicht möglich (S 17 f der Urteilsausfertigung); auch bei der rechtlichen Beurteilung führte es aus, es seien konkrete Feststellungen zu dieser Frage nicht möglich gewesen. Die entsprechenden Ausführungen in der Revision sind aktenwidrig, weil sie die Ausführungen des Erstgerichtes nur teilweise wiedergeben und ihnen damit ein anderer Sinn gegeben wird, als er ihnen ganz eindeutig zukommt.

Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass für die Voraussetzungen der Haftungsbefreiung der Haftpflichtschuldner beweispflichtig ist (Schauer in Schwimann**2, ABGB, Rz 52 zu § 9 EKHG mwN). Der Frage der Teilung des Verschuldens kommt im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Solange das Berufungsgericht aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles seine Ermessensentscheidung trifft, ohne von einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung extrem abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (Kodek in Rechberger**2, Rz 2 zu § 502 mwN). Ein derartiges extremes Abweichen von einer Ermessensübung liegt aber hier nicht vor, vielmehr bewegt sich die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl ZVR 1984/306).

Die Revision der beklagten Parteien war deshalb zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte