OGH 15Os162/00 (15Os163/00)

OGH15Os162/00 (15Os163/00)14.12.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Janitsch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Robert N***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Robert N***** und Jovan N***** gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 3. Oktober 2000, AZ 6 Vr 309/00, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aus ihrem Anlass gemäß § 290 Abs 1 StPO auch hinsichtlich der Angeklagten Robert N***** und Manuela G***** ebenso wie der zugleich gemäß § 494a StPO gefasste Beschluss aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Die Berufung des Angeklagten Robert N***** wegen Schuld wird zurückgewiesen.

Im Übrigen werden die Angeklagten Robert N***** und Jovan N***** mit ihren Rechtsmitteln auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Robert N***** und Jovan N***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 (richtig: Abs 1 und) Abs 2 StGB, Manuela G***** hingegen jenes der Hehlerei nach § 164 (richtig: Abs 1 und) Abs 4 (zweiter Satz) StGB schuldig erkannt.

Danach haben am 29. April 2000 in Wien

A) Robert N***** und Jovan N***** im bewussten und gewollten

Zusammenwirken als Mittäter ohne Anwendung erheblicher Gewalt gegen eine Person und an einer Sache geringen Wertes, wobei die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich zog, Rene G***** 700,-- S Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem sie sich drohend vor dem Genannten aufbauten, von ihm und seinem Begleiter Günther P***** im drohenden Ton Geld forderten, letzterem gewaltsam einen Rucksack aus der Hand rissen, G***** mit den Händen am ganzen Körper nach Geld absuchten, mit einer brennenden Zigarette "herumfuchtelten", eine im Rucksack G***** verwahrte Geldbörse herausnahmen und sich hieraus 700 S Bargeld zueigneten;

B) Manuela G***** dadurch, dass sie sich einen Betrag von 500 S aus

der Beute des oben zu Punkt A) dargestellten Raubes zueignete, eine Sache verhehlt, die aus einer mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung stammte, wobei ihr die Umstände bekannt waren, die diese Strafdrohung begründeten.

Die Angeklagten Robert N***** und Jovan N***** bekämpfen den Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerden, die des Erstangeklagten gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO, die des Zweitangeklagten gestützt auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO, während die Angeklagte Manuela G***** das Urteil unbekämpft ließ.

Der Subsumtionsrüge (Z 10) des Jovan N***** kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Dem angefochtenen Urteil haften nämlich schon zum objektiven Tathergang, aber auch zur subjektiven Tatseite Feststellungsmängel an, welche die rechtliche Beurteilung, ob die Sachwegnahme mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen wurde, ob demgemäß also ein Raub (oder aber bloß Diebstahl) vorliegt, hindern.

Das Schöffengericht hat - abweichend vom Urteilsspruch - in den Entscheidungsgründen in dieser Hinsicht nur festgestellt, dass der Angeklagte N***** dem Günther P***** einen Rucksack aus der Hand riss und zu durchsuchen begann, während der Angeklagte N***** den Rene G***** abtastete und einer Art Leibesvisitation unterzog, um an sein Geld heranzukommen. Dabei fuchtelte er auch mit einer glühenden Zigarette vor dem Gesicht des Zeugen herum.

Sowohl zum Entreissen des Rucksacks wie auch zum Abtasten und Unterziehen einer Leibesvisitation wären weitergehende Feststellungen erforderlich gewesen.

Gewalt iSd § 142 StGB liegt nur bei Anwendung nicht unerheblicher körperlicher Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstands vor (Jerabek in WK2 § 74 Rz 35).

Im Fall des Entreissens von Gegenständen, wie hier eines Rucksackes, hängt die Beurteilung, ob Raub oder bloß Diebstahl vorliegt, davon ab, ob durch Gewalt ein Sachbehauptungswille des Angegriffenen ausgeschaltet oder überwunden werden sollte oder ob der Angriff so unversehens erfolgte, dass das Opfer einen Behauptungswillen und daher einen Widerstandsentschluss erst gar nicht fassen konnte. Daher liegt zB Raub vor, wenn der Täter gewaltsam an dem vom Opfer festgehaltenen Rucksack zerrt oder reißt, während Diebstahl anzunehmen ist, wenn dem Opfer der lose umgehängte Rucksack unvermutet ruckartig weggezogen wird (Leukauf/Steininger Komm3 § 142 RN 21, Eder-Rieder in WK2 § 142 Rz 63 f).

Bloßes Abtasten bedarf in aller Regel keines Kraftaufwands und entzieht sich daher einer Beurteilung als Gewalt. Die Beantwortung der Frage, ob "eine Art Leibesvisitation" im konkreten Fall eine gewaltsame Handlung war, hätte wiederum präziser erstgerichtlicher Feststellungen bedurft.

Ob das Herumfuchteln mit einer glühenden Zigarette vor dem Gesicht des Opfers hingegen eine (konkludente) Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben darstellte, hängt vom - im Urteil aber nicht festgestellten - Bedeutungsinhalt einer solchen Vorgangsweise ab. Um diesen beurteilen zu können, wäre es jedenfalls auch nötig gewesen, sich mit dem entsprechenden (Drohungs-)Vorsatz des Täters auseinanderzusetzen. Nur wenn das festgestellte Verhalten im konkreten Fall der (vom Tätervorsatz umfassten) Ankündigung einer unmittelbar folgenden Körperverletzung entspricht, wäre sie ein geeignetes Begehungsmittel des Raubes.

Dass sich der Erst- und der Zweitangeklagte "drohend" vor ihren Opfern "aufbauten" und "in drohendem Ton Geld forderten" (Punkt A des Urteilsspruch), kann aus den Tatsachenfeststellungen überhaupt nicht nachvollzogen werden.

Die Urteilskonstatierungen, dass die Opfer sehr eingeschüchtert waren und sich vor den Angeklagten fürchteten, vermögen die zur Beantwortung der Frage nach einer Gewaltanwendung und/oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben fehlenden Feststellungen zum objektiven Hergang und zum Vorsatz der Angeklagten nicht zu ersetzen.

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten N***** war daher Folge zu geben. Weil die Gründe hiefür gleichermaßen auch den Angeklagten Robert N***** und Manuela G***** (bei letzterer zur Beurteilung der Frage des Vorliegens der Qualifikation nach § 164 Abs 4 zweiter Satz StGB) zustatten kommen, war von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der relevierte Nichtigkeitsgrund auch für sie geltend gemacht worden (§ 290 Abs 1 StPO).

Das angefochtene Urteil war daher zur Gänze aufzuheben, ebenso wie der mit dem Strafausspruch in untrennbarem Zusammenhang stehende Beschluss gem § 494a StPO, dem dadurch die Grundlage entzogen ist, und es war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den Jugendgerichtshof Wien zu verweisen. Der Äußerung gem § 35 Abs 2 StPO des Jovan N***** zuwider konnte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst nicht eintreten, weil nach den bisherigen Verfahrensergebnissen keine Ergänzung der fehlenden Feststellungen in einem neuen Rechtsgang möglich ist.

Zudem liegt eine Berufung des Robert N***** wegen Schuld vor, die mangels gesetzlicher Grundlage für ein solches Rechtsmittel im schöffengerichtlichen Verfahren sofort als unzulässig zurückzuweisen war.

Mit ihren weiteren Rechtsmittelvorbringen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

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