OGH 12Os144/00

OGH12Os144/0014.12.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler und Dr. Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schmidt als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter B***** und Hermann W***** wegen des Verbrechens des Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 10 Vr 147/00 des Landesgerichtes Wels, über die Grundrechtsbeschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz vom 25. September 2000, AZ 7 Bs 218,219/00 (= ON 56), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Walter B***** und Hermann W***** wurden im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Zu AZ 10 Vr 147/00 des Landesgerichtes Wels ist gegen Walter B***** und Hermann W***** eine Voruntersuchung wegen Verbrechens des Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB anhängig.

Inhaltlich der Haftbeschlüsse des Untersuchungsrichters, jeweils vom 31. August 2000, GZ 10 Vr 147/00-28 und 30, stehen beide schwerpunktmäßig im Verdacht, ab März 1994 als Vorstandsdirektoren der Sparkasse ***** und im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit dem Vorsatz, die genannte Sparkasse durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, ca 200 Kreditkonteninhaber durch die Zusicherung, keine Kreditprovisionen zu verrechnen, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zur Bezahlung von hiefür dennoch verdeckt in Rechnung gestellten, das Ausmaß von 500.000 S jedenfalls übersteigenden Beträgen, somit zu vermögensschädigenden Handlungen verleitet zu haben.

Die Beschuldigten wurden auf Grund der Haftbefehle des Untersuchungsrichters jeweils vom 24. August 2000 (ON 14 und 15) jeweils am 28. August 2000 verhaftet. Mit untersuchungsrichterlichen Beschlüssen jeweils vom 31. August 2000 wurde über sie gemäß § 180 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt; über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 11. September 2000 wurden sie am selben Tag unter Anwendung gelinderer Mittel enthaftet.

Den von den Beschuldigten gegen die angeführten Haftbeschlüsse des Untersuchungsrichters erhobenen Beschwerden gab das Oberlandesgericht Linz mit Entscheidung vom 25. September 2000, AZ 7 Bs 218, 219/00 (ON 56), nicht Folge. Gleichzeitig bestätigte der Gerichtshof zweiter Instanz die Gesetzmäßigkeit der bekämpften Beschlüsse (§ 179 Abs 6 StPO).

Gegen diese Beschwerdeentscheidung richtet sich die von beiden Beschuldigten gemeinsam ausgeführte Grundrechtsbeschwerde, die sich ausdrücklich nicht gegen die angenommene Haftprämisse qualifzierter Verdachtslage wendet, sondern lediglich die Voraussetzungen für die Annahme der vorliegend bejahten Haftgründe problematisiert.

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zum angenommenen Haftgrund der Verdunkelungsgefahr ist zunächst festzuhalten, dass der ehemalige Angestellte der Sparkasse *****, Herbert S*****, am 4. Februar 2000, nachdem er von ihnen fristlos entlassen worden war, beim Landesgendarmeriekommando für Oberösterreich Anzeige gegen die Beschuldigten wegen der in Rede stehenden Malversationen erstattete und sein Vorbringen mit Urkunden untermauerte (13 ff I).

Die Beendigung des Dienstverhältnisses mit sofortiger Wirkung wurde von S***** im Klageweg (AZ 18 Cga 20/00 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wels) angefochten. Mit Vertrag vom 28. Juni 2000, abgeschlossen zwischen dem Zeugen S***** und der - von den beiden Beschuldigten als Vorstandsmitgliedern repräsentierten - Sparkasse ***** wurde ewiges Ruhen dieses Verfahrens und die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages vereinbart. Gleichzeitig wurde unter Punkt IV. festgehalten:

"Pflichten des Herrn S*****

(1) Herrn S***** trifft eine umfassende Geheimhaltungsverpflichtung dahingehend, dass er rechtsverbindlich zusagt, keine wie immer gearteten Informationen betreffend die Sparkasse, deren geschäftliche Aktivitäten und jegliche sich auf die Sparkasse beziehende Angelegenheiten (insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse), die nicht jedermann zugänglich sind, an Dritte weiterzugeben, es sei denn, er wird von Behörden oder Gerichten trotz Ausschöpfung sämtlicher ihm rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel (insbesondere Rechtsmittel und Rechtsbehelfe - soweit diese nicht als mutwillig oder aussichtslos zu qualifizieren wären) zur Preisgabe solcher Informationen gezwungen. ....."

Der Punkt V. dieser Vereinbarung lautet wie folgt:

"Konventionalstrafe

(1) Herr S***** verpflichtet sich im Falle eines Verstoßes gegen die ihn nach dieser Vereinbarung treffenden Pflichten zur Leistung einer verschuldensunabhängigen Konventionalstrafe in Höhe eines Betrages von S 1,000.000 (Schilling eine Million).

Sollte im Fall eines Pflichtenverstoßes des Herrn S***** von der Sparkasse nicht die gesamte Konventionalstrafe geltend gemacht und durchgesetzt werden können, wird klargestellt, dass ein verbleibender Restbetrag im Falle sonstiger Verstöße geltend gemacht werden kann. Im Übrigen behält sich die Sparkasse die Geltendmachung über die Konventionalstrafe hinausgehender Schadenersatz- und Haftungsforderungen und sonstiger wie immer geartete Ansprüche im Falle eines Verstoßes des Herrn S***** gegen die ihm in dieser Vereinbarung auferlegten Pflichten ausdrücklich vor.

(2) Die Sparkasse verpflichtet sich gegenüber Herrn S***** bei vollständiger Einhaltung der ihn nach dieser Vereinbarung treffenden Pflichten keine Ansprüche aus allfälligen Schädigungshandlungen des Herrn S***** vor Abschluss dieser Vereinbarung geltend zu machen. Sollte Herr S***** - in welcher Form auch immer - gegen diese ihn nach dieser Vereinbarung treffenden Pflichten verstoßen, ist die Sparkasse berechtigt, ihr aus diesen allfälligen vor Abschluss dieser Vereinbarung gesetzten Schädigungshandlungen S*****s zustehende - wie immer geartete - Ansprüche, sei es gerichtlich oder außergerichtlich, durchzusetzen."

Laut Aktenvermerk des Untersuchungsrichters vom 23. August 2000 wurde an diesem Tag versucht, mit dem Anzeiger Herbert S***** Kontakt aufzunehmen. Etwa eine halbe Stunde nach diesem Versuch meldete sich S***** telefonisch und gab an, auf Grund einer schriftlichen Vereinbarung zwischen ihm und der Sparkasse ***** "keine Angaben machen zu dürfen. Es sei ihm nicht möglich, die Vereinbarung dem Gericht derzeit zur Kenntnis zu bringen, da ein Zuwiderhandeln mit einer Pönale-Zahlung verbunden wäre. Er habe sich jedenfalls jeder Aussage - auch den Gerichten gegenüber - zu enthalten und im Falle einer Zeugenladung jedmögliches Rechtsmittel zu ergreifen, um eine formelle Zeugenvernehmung zu verhindern, soweit nicht unmittelbar eine Beugehaft droht.

Er sei fristlos entlassen worden, somit vorerst ohne irgendwelche Rechte gewesen, sodass das nunmehrige Angebot seitens der Sparkasse finanziell so lukrativ gewesen ist, dass es für ihn annehmbar gewesen ist und er jetzt seinem Studium nachgehen könne.

Die Vereinbarung sei durch die beiden Vorstandsmitglieder B***** und W***** initiiert und in Gegenwart der Vertreter der Sparkasse ..... unterfertigt worden."

Schon der Beschwerdestandpunkt, wonach sich der dargelegte Vertrag - "wenn man auch über die Wortwahl ... diskutieren kann" - "innerhalb der durch die Rechtsordnung gebotenen Grenzen bewegt und schon aus diesem Grund nicht geeignet ist, eine Verdunkelungshandlung abzugeben", ist unzutreffend.

Denn die dem Anzeiger Herbert S***** ohne fassbaren sachlichen Bezug zur einvernehmlichen Lösung seines Dienstvertrages auferlegte Verpflichtung, "Behörden oder Gerichten" Informationen betreffend die Sparkasse ***** erst nach Ausschöpfung sämtlicher ihm rechtlich zur Verfügung stehender Mittel und auch dann nur, wenn er dazu gezwungen wird, preiszugeben, verstößt, soweit damit auf seine allfällige Verantwortung als Verdächtiger, Beschuldigter oder Angeklagter in einschränkendem Sinn lenkend Einfluss genommen werden soll, in sinnfälliger Weise gegen den elementaren prozessualen Grundsatz, dass jede Beeinflussung des freien Willens eines Beschuldigten nach §§ 198 ff StPO unzulässig ist (Lohsing/Serini, Österreichisches Strafprozessrecht4 S 319; Foregger/Fabrizy StPO8 § 199 RN 1). Zielt die dem Anzeiger überbundene Verpflichtung hingegen auf dessen allenfalls in Betracht kommende Zeugenaussage ab, dann verletzt sie die Dispositionsbefugnis über das der Ingerenz der Prozessparteien und verfahrensfremder Dritter entzogene, weil ausschließlich dem Zeugen eingeräumte - in der Beschwerde nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht näher substantiierte - Entschlagungsrecht (Mayerhofer StPO4 § 152 EGr 4 f, ENr 47).

Von einer durch die in ihren entscheidungsrelevanten Passagen wiedergegebene Vereinbarung vom 28. Juni 2000 getroffenen vertraglichen Disposition "innerhalb der von der Rechtsordnung gebotenen Grenzen" kann somit keine Rede sein.

Wie die in ON 13 festgehaltene bereits dargelegte Reaktion des Zeugen S***** mit unmissverständlicher Deutlichkeit zeigt, wurde als Konsequenz der zitierten Bestimmungen des Vertrages vom 28. Juni 2000 aber auch jener Fall einer Erschwerung der Ermittlung der Wahrheit herbeigeführt, den das Gesetz als Grundlage für die Annahme des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr ausdrücklich vorsieht.

Darüber hinaus entspricht die Bejahung des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr im Sinne der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes auch im Hinblick auf den Gegenstand der von den Beschuldigten am 31. Juli 2000 veranlassten, im Beisein ihres Verteidigers abgewickelten "Besprechung" - erneut der Beschwerde zuwider - dem Gesetz. Denn diese Zusammenkunft der (verfügbaren) Mitarbeiter der Sparkasse *****, in der die Beschuldigten die Ausführungen ihrer Verteidiger bekräftigten und wiederholten, diente keineswegs - so der Beschwerdestandpunkt - nur der "durch die Interessenlage der Beschuldigten gebotenen Information des fraglichen Personenkreises".

Gab doch der Bankangestellte Werner W***** an, der Beschuldigte W***** habe "vor allem gesagt, dass er in Zukunft davon informiert werden wolle, was wir vor der Kriminalabteilung aussagen, bzw was alles von diesen Beamten angeschaut werde und wofür sie sich interessieren würden". Beide "(zu ergänzen: Beschuldigte)" sagten, es gehe die Kripo die bankinternen Dienstanweisungen nichts an. In Zukunft müsse für jeden ""Zettel"" die Zustimmung von B***** oder W***** eingeholt werden. ............

Dr. M***** sagte dann, dass die Beamten der Kriminalabteilung einfach anrufen und Angestellte zur Einvernahme am Gendarmerieposten bestellen. Dies sei alles psychologisch gesteuert und soll nur den Vorstand bzw die Sparkasse allgemein belasten. Dr. M***** sagte auch, dass die Beamten ohne rechtliche Grundlage handeln und es werde gegen den Beamten Beschwerde bei Gericht eingebracht. Während der Besprechung bekam man eigentlich ein schlechtes Gewissen, wenn man bisher Auskünfte an die Kriminalbeamten gegeben hatte. Ich habe das als Einschüchterung der anwesenden Bankangestellten aufgefasst, weil wir bei dem Ganzen ""in der Mitte"" stehen. Einerseits sollen wir Loyalität gegenüber dem Vorstand zeigen, andererseits soll man der Kripo die Wahrheit sagen, richtige Antworten geben und kooperativ sein.

Zu dieser Sitzung kann man sagen, dass auf Grund der Aussagen Dr. M***** "und des Vorstandes" (entgegen dem aktenwidrigen Beschwerdezitat nicht "nichts" sondern) viel ""im Raum"" stehen blieb. Ich meine damit, dass der Sinn dieser Aktion aus meiner Sicht war, uns Mitarbeiter zu einem anderen Verhalten gegenüber der Kriminalabteilung aufzufordern. Die Kripo sei eigentlich Urheber der Ermittlungen und störe nur den Geschäftsablauf."

Im Zusammenhang mit einem konkreten, in die Erhebungen miteinbezogenen Geschäftsfall gab W***** ferner zu Protokoll: "Später wurde ich dann von W***** angerufen und gefragt, wieso ich ihm nicht gesagt habe, dass ich dabei von" (dem Gendarmeriebeamten) "W***** gesehen wurde und dem Beamten auf dessen Anfrage den Grund der Nachforschung und seinen Auftrag hiezu mitgeteilt habe. Er sagte mir, ich sei verpflichtet, ihm über Auskünfte meinerseits an die Kriminalabteilung Bescheid zu geben, da er (der Vorstand) mein Arbeitgeber sei." (165 ff I).

Der Leiter der Kreditabteilung der Sparkasse *****, Franz S***** machte im Wesentlichen gleichlautende Angaben und deponierte resümierend:

"Für mich ist subjektiv vorstellbar, dass die Besprechung auch dazu gedient hat, den Vorstand nicht bzw nicht weiter durch Aussagen von Bankangestellten zu belasten. Die Frage von mir, ob die anwaltliche Vertretung von Angestellten seitens der Sparkasse organisiert bzw finanziert wird, war für den Vorstand in diesem Gespräch nicht von Wichtigkeit, was mich in meiner persönlichen Auffassung über die Situation, dass es in dieser Sitzung primär nicht um das Wohl der Angestellten ging, bestärkt hat" (173 ff I).

Mit einer bloßen Informationstendenz der Beschuldigten und ihres Verteidigers ist ferner die Aussage des Referatsleiters der Sparkasse *****, Ernst K*****, nicht in Einklang zu bringen. Dieser führte aus, dass (der Verteidiger des Beschuldigten) Dr. M***** den versammelten Angestellten mitgeteilt habe, dass sie das Recht hätten, "Zeugenaussagen und andere Aussagen als Verdächtige gegenüber der Kriminalabteilung abzulehnen. Es wurden jene, die schon von der Kriminalabteilung vernommen wurden, über ihre Aussagen befragt". Nach dieser Befragung habe der Beschuldigte B***** erklärt, "es seien zu viel Mitarbeiter mit Arbeiten beschäftigt, die eigentlich Ermittlungsarbeit seien und man werde jetzt Gegenmaßnahmen ergreifen. Dr. M***** sagte dann zu uns, wir sollen den Vorstand über den Inhalt von Befragungen durch die Kriminalabteilung in Zukunft informieren".

Die dargelegten Verfahrensergebnisse lassen andere, als die vom Gerichtshof zweiter Instanz zum Haftgrund nach § 180 Abs 2 Z 2 StPO gezogene Schlussfolgerungen nicht zu:

Die beschriebene Vorgangsweise der Beschuldigten und ihres (zumindest mit ihrer Billigung einschreitenden und nach den vorliegenden Beweisergebnissen damit krass difform zur Bestimmung des § 8 RL-BA agierenden) Verteidigers sind als jene in der von der Beschwerde wiederholt zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, JBl 1989, 468, schwerpunktmäßig betonten konkreten Tatsachen zu beurteilen, aus denen auf die Besorgung der Verdunkelung nicht nur geschlossen werden kann, sondern - hier - geschlossen werden muss. Denn die dargelegten Aktivitäten zielten nach dem zur Vereinbarung vom 28. Juni 2000 bereits Gesagten zum einen (abermals) auf durch Verteidigungsrechte nicht gedeckte und daher unzulässige Beeinträchtigungen von Zeugen- und Beschuldigtenrechten ab, sollten zum andern einen - im Ergebnis unter Umgehung richterlich genehmigter Akteneinsicht - angestrebten, als Orientierungshilfe für Verteidigungsschritte tauglichen Informationsvorsprung eröffnen und waren - jede für sich - geeignet, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren.

Es erübrigt sich somit, auf die weiteren Beschwerdeausführungen zum Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, aber auch zum darüber hinaus herangezogenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (Hager/Holzweber GRBG § 2 EGr 24) einzugehen.

Da sich Walter B***** und Hermann W***** sohin zu Unrecht im Grundrecht auf persönliche Freiheit für beschwert erachten, war die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenersatzanspruch (§ 8 GRBG) als unbegründet abzuweisen.

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