OGH 8Ob104/00b

OGH8Ob104/00b23.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter im Konkurs über das Vermögen der Margaretha H*****, infolge Revisionsrekurses der Masseverwalterin Dr. Beate Köll-Kirchmeyr, Rechtsanwältin in Schwaz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 26. Jänner 2000, GZ 1 R 85/99f-67, womit infolge Rekurses der Gemeinschuldnerin der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 26. Februar 1999, GZ 19 S 546/96-52, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde mit Beschluss vom 6. 12. 1996 das Konkursverfahren eröffnet und die nunmehrige Revisionsrekurswerberin zur Masseverwalterin bestellt. Die Gemeinschuldnerin war gemeinsam mit ihrem Ehegatten Mieterin einer Wohnung, die einerseits als Ehewohnung und andererseits als Sitz des von der Gemeinschuldnerin betriebenen Transportunternehmens diente. Mit Beschluss des Konkursgerichts vom 18. 12. 1996 (ON 10) wurde die Schließung des gemeinschuldnerischen Unternehmens gemäß § 114 Abs 3 KO bewilligt.

Schon in ihrem ersten Bericht (ON 8) verwies die Masseverwalterin darauf, dass mit dem Vermieter und dem Ehegatten der Gemeinschuldnerin abgeklärt worden sei, dass das bestehende Mietverhältnis einvernehmlich gekündigt und dass der Ehegatte der Gemeinschuldnerin mit dem Vermieter einen neuen Mietvertrag abschließen werde. Mit Schriftsatz vom 3. 6. 1997 (ON 34) meldete der Ehegatte der Gemeinschuldnerin eine Masseforderung in der Höhe von S

18.750 an, die daraus resultiere, dass die Masseverwalterin ein Zimmer der Mietwohnung als Büro zur Abwicklung der Insolvenz verwende. Nach Bestreitung dieser Forderung durch die Masseverwalterin (ON 36) brachte der Ehegatte der Gemeinschuldnerin gegen die Masseverwalterin die Klage unter anderem auf Bezahlung dieser Masseforderung ein, welches Begehren in zwei Instanzen rechtskräftig abgewiesen wurde. Das Gericht zweiter Instanz ging in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass die Gemeinschuldnerin mangels ordnungsgemäßer Aufkündigung nach wie vor gemeinsam mit ihrem Ehegatten Mieterin des Bestandobjekts sei. Zwischen den Ehegatten bestehe eine Benützungsregelung, wonach ein Raum der ehelichen Wohnung für den Betrieb der Gemeinschuldnerin unentgeltlich zur Verfügung gestellt werde. Dass diese Benützungsregelung nicht mehr in Kraft stehe, sei nicht behauptet worden (Urteile erliegend in ON 49).

Mit Antrag vom 25. 2. 1999 (ON 51) begehrte die Masseverwalterin die rückwirkende Genehmigung der Ausscheidung der Mietrechte gemäß § 5 Abs 4 KO ab 11. 12. 1996. Die Masseverwalterin habe bereits unmittelbar nach Konkurseröffnung mit dem Ehegatten der Gemeinschuldnerin sowie dem Vermieter vereinbart, dass die Wohnung ab Dezember 1996 vom Ehegatten der Gemeinschuldnerin gemietet werde und dieser auch sämtliche Kosten alleine trage. Es seien somit bereits zu Beginn des Konkursverfahrens die Mietrechte der Gemeinschuldnerin zur freien Verfügung überlassen worden.

Mit Beschluss vom 26. 2. 1999 (ON 52) überließ daraufhin das Erstgericht der Gemeinschuldnerin die Mietrechte an der Wohnung gemäß § 5 Abs 4 KO mit Wirkung vom 11. 12. 1996 zur freien Verfügung. Die vom Mietrecht umfassten Wohnräume seien für die Gemeinschuldnerin unentbehrlich, weshalb sie ihr zu überlassen gewesen seien.

Das Gericht zweiter Instanz wies den dagegen unter anderem von der Gemeinschuldnerin erhobenen Rekurs zurück, weil mit dem Beschluss dem im Gesetz normierten Rechtsanspruch der Gemeinschuldnerin auf Überlassung der Mietrechte an der Ehewohnung in vollem Umfang Rechnung getragen worden sei und insoweit ein Eingriff in mögliche Rechte der Gemeinschuldnerin nicht vorliege. Der Rechtsmittelwerberin mangle es daher an der Beschwer.

Der erkennende Senat gab mit seiner Entscheidung 8 Ob 163/99z dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Gemeinschuldnerin Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Rekursgericht insoweit die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Durch die rückwirkende Ausscheidung der Bestandrechte gemäß § 5 Abs 4 KO aus der Konkursmasse sei die Revisionsrekurswerberin jedenfalls insoweit beschwert, als dadurch feststehe, dass sie ab dem im erstinstanzlichen Beschluss genannten Datum (Mit-)Schuldnerin der Bestandzinsforderung gewesen sei. Erst mit der Ausscheidung würden die danach entstehenden Mietzinsforderungen zu Forderungen, die aus dem konkursfreien Vermögen des Gemeinschuldners zu befriedigen sind. Die bis dahin entstandenen Forderungen blieben trotz der Ausscheidung Konkurs- bzw Masseforderungen. Es könne auch nicht damit argumentiert werden, dass bereits knapp nach Konkurseröffnung eine von der Masseverwalterin in ihren Schriftsätzen behauptete Einigung über eine einverständliche Abänderung des Mietvertrages zustande gekommen sei und somit dem erstinstanzlichen Beschluss nur mehr deklarative Bedeutung zukomme, weil es nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 5 Abs 4 KO ausschließlich Sache des Konkursgerichts sei, über die Überlassung von Mietrechten zu entscheiden.

Das Rekursgericht gab nunmehr im zweiten Rechtsgang dem Rekurs der Gemeinschuldnerin teilweise Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass der Ausspruch "mit Wirkung vom 11. 12. 1996" ersatzlos zu entfallen habe. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Ausscheidung der Mietrechte werde erst mit Eintritt der Rechtskraft des Ausscheidungs- bzw Überlassungsbeschlusses wirksam. Daraus folge die Unzulässigkeit einer rückwirkenden Überlassung von Bestandrechten im Sinn des § 5 Abs 4 KO oder § 119 Abs 5 KO. In amtswegiger Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Abs 4 KO führte das Rekursgericht aus, dass es dahingestellt bleiben könne, ob tatsächlich sämtliche Räumlichkeiten der Wohnung für Wohnzwecke unentbehrlich seien, weil hinsichtlich eines allenfalls entbehrlichen Raumes der Ausscheidungstatbestand des § 119 Abs 5 KO vorliege. Soweit die Masseverwalterin in ihrer Stellungnahme auf ihre Übereinkunft mit dem Vermieter und dem Ehegatten der Gemeinschuldnerin hinweise, sei ihr zu entgegnen, dass eine tatsächliche Aufkündigung weder behauptet noch nachgewiesen sei und dass die Ausscheidung der Mitmietrechte eines schriftlichen rechtsgestaltenden Beschlusses des Konkursgerichts bedurft hätte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Masseverwalterin ist nicht berechtigt.

Gegenstand der Entscheidung 8 Ob 163/99z war die vom Gericht zweiter Instanz verneinte Rechtsmittellegitimation der Gemeinschuldnerin. Der erkennende Senat erachtete sie durch die rückwirkende Ausscheidung der Bestandrechte gemäß § 5 Abs 4 KO aus der Konkursmasse jedenfalls insofern beschwert, als die Gemeinschuldnerin ab dem im erstinstanzlichen Beschluss genannten Datum (Mit-)schuldnerin der Bestandzinsforderung werde. Die davon grundsätzlich zu trennende Frage, ob eine rückwirkende Ausscheidung von Bestandrechten möglich ist, wurde vom Rekursgericht nunmehr im zweiten Rechtsgang zutreffend verneint. Die Möglichkeit der rückwirkenden Überlassung von Mietrechten würde nämlich zu einer für das Konkursverfahren unerträglichen Rechtsunsicherheit führen. Der Masseverwalter tritt mit der Konkurseröffnung ipso iure in das Bestandverhältnis ein (Gamerith in Buchegger/Bartsch/Pollak4 § 23 Rz 10 mwH), es steht ihm jedoch das vorzeitige Kündigungsrecht des § 23 KO zu. Der Bestandgeber, der seine Leistung nicht bis zur Sicherung der periodischen Gegenleistung zurückhalten kann, kann jedenfalls damit rechnen, dass seine Mietzinsansprüche in der ersten Phase nach der Konkurseröffnung, also jedenfalls bis zum frühesten Kündigungstermin, als Masseforderungen voll befriedigt werden (vgl Nunner, Die Freigabe von Konkursvermögen, 48). Die zwingende Bestimmung des § 23 KO würde ihres Sinns beraubt, wollte man tolerieren, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt des Konkursverfahrens Mietrechte rückwirkend etwa mit dem Tag der Konkurseröffnung ausgeschieden würden und somit der Bestandgeber einerseits seinen - bereits entstandenen - Anspruch gegen die Masse verlöre und der Gemeinschuldner andererseits mit oft nicht unbeträchtlichen Mietzinsforderungen persönlich belastet würde. Wie bereits in der vorzitierten Entscheidung im Zusammenhang mit den Ausführungen zu § 42 Abs 4 MRG dargelegt, bedarf es einer gerichtlichen Beschlussfassung schon deshalb, um klarzustellen, welche unentbehrlichen Wohnräume aus der Konkursmasse ausgeschieden und in die Verfügungsgewalt des Gemeinschuldners übertragen werden. Dem Gedanken, Massezugehörigkeit und Verfügungsbefugnis für alle Beteiligten des Insolvenzverfahrens klarzulegen, kann aber eine auf einem bereits vergangenen Zeitpunkt rückwirkende Beschlussfassung nicht gerecht werden.

Zu dem weiteren Argument der Revisionsrekurswerberin, die Mietrechte seien der Gemeinschuldnerin ohnedies schon mit dem im erstinstanzlichen Beschluss genannten Datum mit mündlicher Genehmigung des Konkursgerichtes zur freien Verfügung überlassen worden, hat bereits das Gericht zweiter Instanz ausführlich dargestellt, dass nach den im Verfahren aufgestellten Behauptungen lediglich Absichtserklärungen der Parteien des Bestandvertrags vorlagen und zudem außerhalb von Tagsatzungen gefasste Beschlüsse des Konkursgerichts zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftlichkeit bedürfen (JBl 1987, 327).

Auch das Argument der Revisionsrekurswerberin, könne das Mietrecht nicht gemäß § 5 Abs 4 KO rückwirkend überlassen werden, so sei dies doch im Fall einer Ausscheidung desselben gemäß § 119 Abs 5 KO zulässig, vermag nicht durchzuschlagen. Das Freigaberecht gemäß § 119 Abs 5 KO ist von der seit der KO-Novelle 1993 im § 5 Abs 4 KO geregelten Befugnis, Miet- und sonstige Nutzungsrechte an Wohnungen dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung zu überlassen, scharf abzugrenzen. Die Ausrichtung des § 5 Abs 4 KO ist eine andere als die des § 119 Abs 5 KO. Während letztere Bestimmung auf die Befreiung der Masse von solchen Objekten abzielt, die für die Konkurszwecke untauglich sind, handelt es sich bei Ersterer um eine Sozialbestimmung, die dem Gemeinschuldner eine wesentliche Existenzgrundlage erhalten will. Deshalb besteht auch auf die Freigabe gemäß § 5 Abs 4 KO - im Gegensatz zu § 119 Abs 5 KO - ein Rechtsanspruch. § 5 Abs 4 KO ist daher lex specialis zu § 119 Abs 5 KO (Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 5 KO Rz 32; Nunner aaO 45). Auch zeitigt der Beschluss gemäß § 5 Abs 4 KO nicht die weitreichenden Wirkungen einer Entscheidung gemäß § 119 Abs 5 KO. Die Rechte werden nämlich insoweit nicht vollständig massefrei, als der Gemeinschuldner nicht berechtigt ist, die überlassenen Miet- und Nutzungsrechte anders als zur gesetzlich vorgesehenen Zweckbindung zu nutzen. Umgekehrt schützt die Zweckbindung der übrelassenen Rechte und die damit verbundene Massekontrolle vor exekutiven Schritten der Konkursgläubiger. Im Gegensatz dazu wird bei einer Überlassung nach § 119 Abs 5 KO der Gegenstand oder das Recht gänzlich konkursfrei. Eine Exekution in das konkursfreie Vermögen ist daher nach Maßgabe der Schranken der EO zulässig (Buchegger in Buchegger/Bartsch/Pollak4 aaO § 5 Rz 48). Folgerichtig hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung ZIK 1997, 141 hinsichtlich der vor Inkrafttreten des § 5 Abs 4 KO am 1. 1. 1995 bestehenden Gesetzeslücke in Ansehung nicht von § 5 Abs 3 KO oder § 42 Abs 4 MRG erfassten Wohnmöglichkeiten ausgesprochen, dass die analoge Anwendung der aus den beiden letztgenannten Gesetzesbestimmungen gewonnenen Grundsätze geboten sei und hat eine Ausscheidung der betroffenen Rechte gemäß § 119 Abs 5 KO nicht in Erwägung gezogen.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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