OGH 6Ob269/00b

OGH6Ob269/00b23.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerda D*****, vertreten durch Dr. Norbert, Bergmüller Rechtsanwalt in Schladming, gegen die beklagte Partei Dipl. Ing. Günter F*****, vertreten durch Dr. Franz Hitzenberger, Dr. Otto Urban und Mag. Andreas Meissner, Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen 118.333,33 S und Feststellung (Gesamtstreitwert 126.666,66), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 12. Juli 2000, GZ 1 R 123/00f-46, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Schladming vom 23. März 2000, GZ 1 C 599/99f-33, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.112,-- S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.352,-- S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 28. 3. 1999 ereignete sich auf der Mitterhausalmabfahrt im Schigebiet Planei ein Schiunfall, an dem die Streitteile beteiligt waren. Die zwischen 60 und 80 m breite und präparierte Abfahrt führt, parallel zu den Liften verlaufend, geradlinig und nur mäßig steil talwärts. Im Bereich einer auf Höhe der Stütze 4 im rechten Winkel zur Piste gedachten Bezugslinie beträgt das Gefälle 12 Grad, bergwärts davon ist es stärker, talwärts gesehen verflacht es. Die Kollisionsstelle befindet sich unterhalb dieser gedachten Linie. Am Unfalltag war die Piste hart, aber griffig. Die 1945 geborene Klägerin ist eine gute Schiläuferin. Sie fuhr in kurzen Schwüngen in Pistenmitte talwärts und ging etwa fünf Meter oberhalb des späteren Kollisionspunktes in die Schussfahrt über. Der 1966 geborene Beklagte, ein ebenfalls sehr guter Schifahrer, fuhr zur selben Zeit mit mittleren Schwüngen auf der linken Seite der Piste talwärts. Ein Freund von ihm stand etwa 120 Meter unterhalb der beschriebenen Bezugslinie und wartete auf den Beklagten. Um zu ihm zu gelangen vollzog der Beklagte - nachdem er die Klägerin überholt hatte - einen langgezogenen Rechtsschwung. Dabei fuhr er drei Meter unterhalb seines Freundes an diesem vorbei und danach infolge seines Schwunges bergauf in die Abfahrtsrichtung der Klägerin, wodurch sich beide Schifahrer nahezu frontal aufeinander zu bewegten. Fünf bis sechs Meter oberhalb des wartenden Freundes kam es zur Kollision, wobei sich die Streitteile mit den jeweils rechten Schiern verhakten. Die Klägerin hatte im Anstoßzeitpunkt noch eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h, der Beklagte eine solche von maximal 10 km/h. Die Klägerin erlitt Prellungen der linken Hüfte, der Brust- und Lendenwirbelsäule und der linken Brustkorbhälfte. Sie war zwei Tage stationär in Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin begehrt Schmerzengeld, Kosten für eine Haushaltshilfe und Ersatz diverser Spesen, wie auch Feststellung der Haftung des Beklagten für Folgeschäden im Ausmaß von fünf Sechsteln. Der Beklagte als der von oben kommende schnellere Schifahrer sei an ihr vorbeigefahren und habe sie im Verlauf des Schwunges niedergestoßen. Während die Klägerin eigenes Mitverschulden von einem Sechstel zugestand, machte der Beklagte Alleinverschulden der Klägerin geltend. Sie hätte auf sein Abschwingen als des vor ihr fahrenden Schiläufers reagieren müssen. Dies wäre ihr durch eine leichte Korrektur der Fahrlinie auch möglich gewesen. Sie habe gegen das Gebot kontrollierten Fahrens verstoßen, während er bereits gestanden sei und keine Abwehrmaßnahmen mehr habe ergreifen können. Die Klägerin habe seinen Vorrang verletzt. Sie wäre jedenfalls zur Vornahme eines Notsturzes verpflichtet gewesen.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zum Ersatz von zwei Dritteln des der Klägerin entstandenen Schadens und stellte seine Haftung für künftige Folgeschäden in diesem Umfang fest. Die Mehrbegehren wies es ab. Es stellte noch fest, der Beklagte habe die Klägerin in einer Entfernung von 25 Metern bemerkt, als er am Scheitelpunkt seines Rechtsschwunges unterhalb seines Freundes vorbeigefahren sei. Zu diesem Zeitpunkt habe er eine Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h eingehalten und sei schneller als die Klägerin gewesen. Diese habe den Beklagten zumindest vier bis fünf Sekunden lang im Blickfeld gehabt. Beide Schifahrer hätten durch eine sofortige Reaktion (und zwar Ausweichen) den Unfall vermeiden können. Hätte die Beklagte im Scheitelpunkt seines Rechtsschwunges nach oben in seine Fahrtrichtung geblickt, hätte er die Klägerin sehen und die Kollision vermeiden können.

Das Erstgericht beurteilte die im Zuge des Halteschwunges entgegen der allgemeinen Fahrtrichtung ausgeführte Richtungsänderung des Beklagten als besonders gefahrenträchtig. Eine derartige Richtungsänderung erfordere besondere Aufmerksamkeit. Der Beklagte hätte in seine nunmehr geänderte Fahrtrichtung blicken müssen und hätte so die Kollision unschwer verhindern können. Insgesamt überwiege sein Verschulden jenes der Klägerin, die ihrerseits den Schiverkehr vor ihr hätte besser beobachten müssen. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier zu beurteilenden Unfallkonstellation eines (zunächst) bevorrangten, in einem Auslaufbogen wider bergan fahrenden Schiläufers fehle. Der Klägerin falle Verschulden zur Last, weil sie ihre Fahrspur nicht so gewählt habe, dass sie den vor ihr fahrenden Beklagten nicht gefährde, sie hätte mit einem langgezogenen Halteschwung des vor ihr fahrenden Schiläufers rechnen und ihr Fahrverhalten entsprechend einstellen müssen. Nicht aber habe sie mit einem entgegenkommenden Schifahrer rechnen müssen. Der Beklagte habe nicht bloß einen langgezogenen Halteschwung vorgenommen, sondern sei - seinen Bekannten bogenförmig umfahrend - wieder bergauf in Fahrtrichtung auf die Klägerin zugefahren, wodurch es zum Frontalzusammenstoß gekommen sei. Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, seine Aufmerksamkeit nach vorne auf jenen Pistenbereich zu richten, den er habe befahren wollen. Demzufolge hätte er seine Aufmerksamkeit nach dem geplanten und ausgeführten Schwung bergwärts nach vorne richten müssen, wodurch es auch ihm möglich gewesen wäre, die Kollision zu verhindern. Eine Verschuldensteilung 2 : 1 zu Lasten des Beklagten sei sachgerecht, weil sich dieser entgegen der allgemeinen Fahrordnung bewegt und nicht in die geplante Fahrtrichtung geblickt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt. Die Höhe des der Klageforderung zugrunde liegenden Anspruchs auf Schmerzengeld, Kosten einer Haushaltshilfe und Ersatz diverser Spesen ist nicht mehr strittig. Die Klägerin bekämpft auch das ihr von den Vorinstanzen zugerechnete Mitverschulden von einem Drittel nicht mehr. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, das Alleinverschulden, jedenfalls aber ein überwiegendes Verschulden treffe die Klägerin, die seinen Vorrang verletzt habe.

Das Berufungsgericht hat in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den Vorrang des Beklagten als des vorderen, unten fahrenden Schifahrers gegenüber der von oben (nach)kommenden Klägerin bejaht (6 Ob 149/97y = ZVR 1998/49 mwN; vgl RIS-Justiz RS0023404). Sie musste schon nach den FIS-Regeln (die eine Zusammenfassung der bei Ausübung des Schisportes zu beachtenden Sorgfaltsregeln darstellen, vgl JBl 1989, 725) Fahrspur und Geschwindigkeit so wählen, dass sie den vor ihr fahrenden Beklagten nicht gefährdet (FIS-Regel 3, § 8 POE) und hätte auch einkalkulieren müssen, dass der vor ihr fahrende Schiläufer ihre Fahrlinie durch eine Abfahrt in weiten Bögen kreuzen könnte. Allerdings hat der Beklagte die Piste nicht etwa nur in großen Bögen befahren oder einen langgezogenen Halteschwung vorgenommen. Er hat vielmehr seinen auf der Piste stehenden Bekannten bogenförmig in einer Weise umfahren, dass er sich schließlich entgegen der zu erwartenden Fahrtrichtung bergauf geradewegs auf die abfahrende Klägerin zu bewegte. Diese Fahrlinie begünstigt Frontalkollisionen mit abfahrenden Schifahrern, die mit einer derartigen Bewegungsrichtung des vor ihnen fahrenden (auf der Piste gesehen unteren) Schiläufers nicht rechnen müssen. Diese Fahrweise erfordert daher - dem Grundsatz der Rücksichtnahme auf andere Schifahrer entsprechend - die besondere Beobachtung jener Pistenteile, die im Zuge des berg(aufwärts) angelegten Schwungs befahren werden.

Bewegt sich daher ein Schifahrer bei Ausführung eines langgezogenen Schwunges nicht bergab, sondern - entgegen der zu erwartenden Fahrtrichtung - bergauf in Richtung auf andere abfahrende Schifahrer zu, hat er dem Grundsatz der Rücksichtnahme auf andere Schifahrer entsprechend besondere Aufmerksamkeit aufzuwenden, um eine Kollision mit entgegenkommenden, abwärts fahrenden Schiläufern zu verhindern. Er ist in einem solchen Fall verpflichtet, auch nachkommende, noch oberhalb befindliche und deshalb benachrangte Schifahrer zu beobachten.

Nach den Feststellungen hat es der Beklagte unterlassen, jenen Pistenbereich vorausschauend zu beobachten, den er im Zuge seines bergwärts angelegten Schwunges befahren wollte. Er hat dadurch die Annäherung der Klägerin übersehen, die zwar als nachfolgende zunächst benachrangt war, mit dem bergwärts direkt auf sie zukommenden Schiläufer aber nicht rechnen musste. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensaufteilung ist angesichts des jedem der Streitteile anzulastenden Fehlverhaltens sachgerecht. Der Klägerin fällt zwar eine Vorrangverletzung und eine Unaufmerksamkeit zur Last, der Beklagte hat jedoch eine überaus kollisionsträchtige, für andere Pistenbenützer gänzlich unerwartete Fahrlinie gewählt und die unter diesen besonders gefährlichen Umständen erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Eine Verschuldensteilung 1 : 2 zu Lasten des Beklagten erscheint somit sachgerecht. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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