OGH 11Os121/00

OGH11Os121/0024.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Krüger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter L***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. April 2000, GZ 9 d Vr 1681/99-27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter L***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB in der Fassung vor dem StRÄG 1998 (I) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB nF (II) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

I. zwischen 1995 und 30. September 1998 den unmündigen Patrick P*****, geboren 11. September 1986, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sich von ihm mit der Hand befriedigen ließ;

II. zwischen 1. Oktober und Ende November 1998 außer dem Fall des § 206 StGB dadurch, dass er sich von Patrick P***** mit der Hand befriedigen ließ, von einer unmündigen Person eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, in welcher er eine unzureichende Begründung behauptet, weil das Erstgericht für ihn sprechende Beweisergebnisse übergangen oder nicht angeführt habe, warum es diese als nicht stichhältig betrachtet.

Diesem Einwand kommt tatsächlich Berechtigung zu.

Das Schöffengericht hat seinen Schuldspruch auf die ihm glaubwürdig erscheinende Aussage des Zeuge Patrick P***** gestützt; dessen Zeugenfähigkeit war durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. Werner L***** überprüft worden. "Trotz der Probleme und Streitigkeiten, die es in der Familie gibt, hätte Patrick keinen Grund gehabt, den Übergriff des Peter L***** zu erfinden, um diesen damit ungerechtfertigt zu beschuldigen" (US 6). Eine Begründung für diese Ansicht führten die Tatrichter nicht an, obwohl - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - mehrere im Beweisverfahren hervorgekommenen Indizien gegen diese sprechen könnten.

Der Angeklagte verantwortete sich damit, dass es sich bei dem Anklagevorwurf um eine unrichtige Anschuldigung des Patrick P***** handle. Als Gründe hiefür erwähnte er unter anderem, die Mutter des Kindes hätte viele Freunde und ginge oft aus (S 125). Auch auf deren Freundschaft mit ihm verwies er (S 127). Als weiteres mögliches Motiv für eine Falschbeschuldigung führte er an, dass Patrick P***** als pubertierender Junge im Haus der Großmutter, in welchem auch die dem Rechtsmittelwerber angelasteten Taten stattgefunden haben sollen, mit zwei Mädchen in einem Zimmer schlafen musste (S 139 f). Auch ein Computer stand dort nicht zur Verfügung, was dem Unmündigen missfiel (S 141). Andrea S*****, die Mutter des Patrick P*****, bestätigte in ihrer Aussage seine extremen schulischen Probleme (S 153), sein gelegentliches Lügen (S 155), ihre Freundschaft mit einem Mann, der von ihrem Kind abgelehnt wurde, und die neue Verehelichung des leiblichen Vaters (S 153).

Mit diesen, von der Beschwerde (inhaltlich) aufgezeigten Umständen hat sich das Erstgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt und insbesondere eine Erörterung der Angaben der Mutter des Unmündigen unterlassen.

Zwar ist das Gericht nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO nur zu einer gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe verpflichtet, es hat nach dieser Gesetzesstelle jedoch auch jene Erwägungen anzuführen, von welchen es bei Beseitigung der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde. Gerade das sensible Gebiet der Beurteilung von Aussagen im Sexualstrafrecht, bei dem zumeist noch Aussage (des Angeklagten) gegen Aussage (des Opfers) steht, erfordert eine Einbeziehung aller wesentlicher im Beweisverfahren hervorgekommener Umstände und deren sachliche Erörterung in den Entscheidungsgründen.

Da das Erstgericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, leidet das Urteil an einem formellen Begründungsmangel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO.

Daraus ergibt sich, dass die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, sodass das angefochtene Urteil gemäß § 285e StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben war.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass die rechtliche Beurteilung des Tatverhaltens zum Faktum I als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF gesetzwidrig ist, weil gemäß § 61 StGB das (neue, im Urteilszeitpunkt geltende) Strafgesetz auf früher begangene Taten dann anzuwenden ist, wenn das Gesetz, das zur Zeit der Tat gegolten hat, für den Täter in seiner Gesamtwirkung nicht günstiger war. Da § 207 Abs 1 StGB aF für den Angeklagten nicht günstiger, sondern in der Gesamtwirkung gleich wie das neue Strafgesetz war, wäre § 207 Abs 1 StGB in der Fassung des StRÄG 1998 auch für die Zeit zwischen 1995 und 30. September 1998 anzuwenden gewesen. Dies wird im zweiten Rechtsgang im Falle eines Schuldspruches ebenso zu beachten sein, wie der Umstand, dass eine echte Idealkonkurrenz zwischen den Verbrechen nach § 202 Abs 1 StGB und § 207 Abs 1 StGB möglich ist (vgl US 6).

Stichworte