OGH 2Ob255/00i

OGH2Ob255/00i28.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerit P*, vertreten durch Dr. Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wider die beklagten Parteien 1. Adolf W*, 2. Helga W* und 3. *Versicherung AG, * vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz‑Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 139.700,10 sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 8. Juni 2000, GZ 2 R 67/00s‑29, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 28. Jänner 2000, GZ 6 Cg 135/98v‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2000:E59554

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.328,80 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.554,80, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 18. 11. 1996 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin und der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Das Alleinverschulden trifft den Erstbeklagten. Die damals 24jährige Klägerin wurde durch den Unfall schwer verletzt.

Sie war vor dem Unfall zunächst als Anlehrling zur Ordinationshelferin, in weiterer Folge als geprüfte Ordinationshelferin in der Praxis eines Zahnarztes tätig. Sie erzielte dabei im Durchschnitt ein monatliches Einkommen von S 15.545. Diese Tätigkeit wurde durch die Unfallsfolgen beeinträchtigt. Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit stundenlangen Stehens bei ihrer Berufstätigkeit ergab sich eine Beeinträchtigung im Rahmen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 bis 25 %. Bei längerem Stehen kommt es im Bereich des rechten Fußes und des linken Kniegelenkes zu Reiz- und Überlastungserscheinungen. Die Klägerin ist auch nicht in der Lage, über längere Zeit sitzend zu arbeiten, weil sie dann ebenfalls Schmerzzustände nach Anlaufzeit zu erleiden hat; diese beim Sitzen auftretenden Schmerzen rühren allerdings nicht von dem Unfall her.

Die Klägerin löste ihr Arbeitsverhältnis im Hinblick auf ihre Schmerzzustände durch Kündigung zum 31. 8. 1998 auf. Um trotz der unfallskausalen Folgen einen vollwertigen Beruf ausüben und ein Einkommen erzielen zu können, absolvierte sie einen Lehrgang für Massage. Dabei konnte sie ihre bei der Ausbildung zur Ordinationshelferin erworbenen medizinischen Vorkenntnisse verwerten. Die Lehrgangsgebühren betrugen S 52.000 und wurden von der Klägerin bezahlt. Der Lehrgang endete mit der Prüfung zum Heilmasseur und Heilbademeister.

Da die Tätigkeit einer (Heil‑)Masseurin teilweise im Sitzen, teilweise kurzfristig im Stehen verrichtet wird, aber auch die Möglichkeit bietet, zwischendurch eine Ruhepause einzulegen und das Bein hochzulagern, ist die von der Klägerin getroffene Berufswahl geeignet und als ideal anzusehen, um trotz der unfallskausalen Folgen einen Beruf ausüben zu können.

Nach Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin zunächst Zahlungen durch das Arbeitsmarktservice, anschließend Notstandshilfe.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin letztlich die Zahlung von S 139.700,10, umfassend Verdienstentgang für die Zeit September 1998 bis Juni 1999, Rezeptgebühren, Kosten einer Salbe, Kosten einer Physiotherapie und Kosten des Massagekurses, abzüglich Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die Aufgabe des Berufes einer zahnärztlichen Assistentin sei durch die unfallskausalen Verletzungen nicht gerechtfertigt gewesen. Es wäre der Klägerin auch ohne die Umschulung eine zumutbare Berufsausübung mit der Erzielung eines angemessenen Einkommens möglich gewesen, weshalb der Verdienstentgang auf den eigenen Berufswunsch der Klägerin zurückzuführen sei. Schließlich führe der Berufswechsel auch zu einer Verbesserung der Einkommenssituation der Klägerin, weil sie voraussichtlich in Hinkunft als Heilmasseurin wesentlich mehr verdienen werde, als sie im erlernten Beruf als zahnärztliche Assistentin verdient hätte. Sie müsse sich daher einen Vorteil von mindestens 50 % der Kurskosten anrechnen lassen.

Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von S 139.399 und wies das Mehrbegehren ab.

Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, die von der Klägerin subjektiv als Grund für die Unmöglichkeit einer weiteren Ausübung des erlernten Berufes angegebenen Anlaufschmerzen und Belastungsschmerzen bei längeren Belastungen im rechten Fuss, seien tatsächlich im von der Klägerin angegebenen Ausmaß vorhanden gewesen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin sei deshalb erfolgt, weil sie im Rahmen der in der Praxis zu verrichtenden stehenden Tätigkeit regelmäßig erhebliche, nicht zumutbare Schmerzzustände erlitten habe.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die beklagten Parteien hätten der Klägerin den Verdienstentgang und auch die Umschulungskosten zu ersetzen. Eine Vorteilsausgleichung eines nach den Behauptungen der beklagten Parteien in Zukunft erzielbaren höheren Einkommens habe nicht stattzufinden, weil die Früchte der von der Klägerin in Erfüllung ihrer Schadensminderungspflicht initiativ und überlegt geschaffenen Ersatzlage ihr selbst zukommen sollten.

Das gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, es sei das Weiterverbleiben der Klägerin in ihrem erlernten Beruf wegen der damit verbundenen Schmerzen nicht zumutbar gewesen. Eine etwa gleichwertige andere Berufstätigkeit, auf die die Klägerin ohne Umschulung hätte vermittelt werden können, sei von den beklagten Parteien nicht genannt worden. Eine ungelernte Tätigkeit ließe die Klägerin aber auf Dauer ihren "Berufsschutz" verlieren. Die beklagten Parteien hätten daher der Klägerin den im Zeitraum der Umschulung eingetretenen Verdienstentgang zu ersetzen. Dies gelte aber auch für die Umschulungskosten. Eine Vorteilsausgleichung habe nicht stattzufinden. Die Klägerin sei durch die Unfallsfolgen zu einer Umschulung, die sie nun möglicherweise in die Lage versetze, als Heilmasseurin ein höheres Einkommen als zuvor zu erzielen, genötigt worden. Die bloße Möglichkeit, ein höheres Einkommen zu erzielen, biete aber keine Basis für eine Vorteilsausgleichung. Die Umschulung sei an die Stelle des frustrierten Teils ihrer ursprünglichen Berufsausbildung getreten und sei deshalb vom Schädiger zu finanzieren, zumal gar nicht behauptet worden sei, dass die gleiche oder eine andere Umschulung mit dem gleichen Ergebnis billiger möglich gewesen wäre.

Sollte die Klägerin in ihrem neuen Beruf mindestens so viel verdienen wie in ihrem früheren, so hätte sie mit der Umschulung ohnehin bereits zugunsten der Haftpflichtigen weitere Verdienstentgangsansprüche verhindert, die dann entstünden, wenn sie unfallsbedingt nur mehr weniger verdienen könnte als früher. Sollte sie mehr verdienen, stünde ihrem höheren Einkommen eine höher bewertete oder umfangreichere Arbeit gegenüber, also eine entsprechende Gegenleistung und kein davon unabhängiger Vorteil. Die bloße Chance eines Mehrverdienstes stelle aber keinen zugunsten des Schädigers auszugleichenden oder verrechenbaren Vorteil dar.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Frage einer Vorteilsausgleichung in dem Fall, dass ein Verletzter durch eine verletzungsbedingte Umschulung in den Stand gesetzt werde, mehr zu verdienen als vor der Umschulung, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung ersichtlich sei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Parteien zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, die Entscheidung des Berufungsgerichtes zur Frage des Vorteilsausgleiches sei unrichtig. Ein Vorteil, welcher daraus resultiere, dass die Klägerin in Hinkunft infolge ihrer nunmehr erfolgten Ausbildung als Heilmasseuse wesentlich mehr verdienen werde, müsse sowohl auf den Verdienstentgang als auch auf die Umschulungskosten angerechnet werden. Gerade die Belastung der beklagten Parteien mit den Umschulungskosten sei sachlich nicht gerechtfertigt, weil die Klägerin selbst ein erhebliches Eigeninteresse an der von ihr vorgenommenen Ausbildung zur Heilmasseuse gehabt habe.

 

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Grundsätzlich ergibt sich eine Anrechnung aller durch das Schadensereignis verursachten Vorteile beim Interessenersatz durch die Schadensberechnung mittels Differenzmethode. Denn wenn zwecks Ermittlung des Schadens der hypothetische Vermögensstand ohne schädigendes Ereignis mit dem tatsächlich nach dem schädigenden Ereignis gegebenen verglichen wird, ist die Höhe des tatsächlichen Vermögensstandes und damit die Differenz auch davon abhängig, ob vermögenswerte Vorteile durch das schädigende Ereignis verursacht wurden (Koziol, Haftpflichtrecht3, I Rz 10/33). Die Differenzmethode bedarf aber durch Wertungen bezüglich der Berücksichtigung mancher Schadensberechnungsposten einer Korrektur (Koziol, aaO, Rz 10/34). Die Berücksichtigung von Vorteilen kommt jedenfalls nur gegenüber sachlich und zeitlich kongruenten Schadenersatzansprüchen in Betracht (ZVR 1972/154; ZVR 1979/277; ZVR 1989/60; Harrer in Schwimanný, Rz 3 zu Anh nach §§ 1323 f; vgl auch Heinrichs in Palandt, BGB59, Rz 123 Vorbem § 249; Kuckuk in Erman, Handkommentar zum BGB9, Rz 98 Vor § 249). Ein - durch eine wegen der Unfallsfolgen notwendigen Umschulung - allenfalls künftig erzielbares höheres Einkommen ist aber mit einem früheren Verdienstentgang nicht zeitlich kongruent, hinsichtlich der Umschulungskosten fehlt es an der zeitlichen und sachlichen Kongruenz (vgl auch Rixecker in Geigel, Haftpflichtprozess22, Rz 5 zu Abschnitt 9).

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht eine Anrechnung eines allenfalls künftig erzielbaren Einkommens der Klägerin abgelehnt, weshalb der Berufung der beklagten Parteien keine Folge zu geben war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

 

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