OGH 10ObS237/00a

OGH10ObS237/00a5.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Lang (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ernst Boran (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter K*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 2000, GZ 8 Rs 116/00p-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1. Februar 2000, GZ 8 Cgs 89/99g-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger für die Zeit vom 1. 2. 1999 bis 31. 1. 2001 Pflegegeld der Stufe 1 in Höhe von S 2.000 monatlich zu gewähren und die mit S 5.916,96 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 986,96 Umsatzsteuer) und die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Das Mehrbegehren des Klägers, ihm ab 1. 2. 1999 ein höheres Pflegegeld, nämlich ein solches der Stufe 2 weiter zu gewähren, wird abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 12. 2. 1998 wurde der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension für die Zeit vom 1. 11. 1997 bis 31. 1. 1999 anerkannt und ausgesprochen, dass der Leistungsanspruch nach Ablauf dieses Zeitraumes erlösche. Mit Bescheid vom 17. 2. 1998 wurde der Anspruch des Klägers auf Pflegegeld ab 1. 11. 1997 in Höhe der Stufe 2 (monatlich S 3.688) anerkannt.

Am 5. 3. 1999 stellte der Kläger bei der beklagten Partei den Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension und des Pflegegeldes.

Daraufhin wurde mit Bescheid vom 19. 5. 1999 die dem Kläger bis 31. 1. 1999 befristet zuerkannte Invaliditätspension bis 31. 1. 2001 weitergewährt. Mit folgendem Bescheid vom 26. 5. 1999 wurde auch das Pflegegeld ab 1. 2. 1999 weitergewährt, allerdings nur mehr in Höhe der Stufe 1 (monatlich S 2.000).

Gegen diesen zuletzt genannten Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, dem Kläger das Pflegegeld in der bisherigen Höhe der Stufe 2 weiterzugewähren. Eine Herabsetzung sei nicht gerechtfertigt, weil in seinem Gesundheitszustand keine wesentliche Besserung eingetreten sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Da der Pflegeaufwand des Klägers nicht durchschnittlich mehr als 75 Stunden betrage, habe er nur Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht wesentlich gebessert habe, sondern gegenüber dem Zeitpunkt der Gewährung gleich geblieben sei. Die Herabsetzung des Pflegegeldes wäre gemäß § 9 BPGG nur bei einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustandes möglich; ohne wesentliche Änderung der Entscheidungsgrundlage könne das einmal - wenn auch zu Unrecht - gewährte Pflegegeld nicht nachträglich korrigiert werden. Dem Kläger gebühre daher weiterhin Pflegegeld der Stufe 2.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Ein Hinweis darauf, dass das mit Bescheid vom 17. 2. 1998 zuerkannte Pflegegeld nur befristet gewährt worden sei, könne diesem Bescheid nicht entnommen werden. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass das Pflegegeld als bloße "Annexleistung zur Pension" anzusehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei vertritt in ihrer Revision im Wesentlichen den Standpunkt, der Bescheid vom 17. 2. 1998 über die Zuerkennung des Pflegegeldes habe sich im Sinne des § 3 Abs 1 Z 1 BPGG unter Berücksichtigung des Charakters des Pflegegeldes als bloße Annexleistung zur Pension ebenfalls nur auf den Zeitraum bis 31. 1. 1999 (Befristung der Invaliditätspension) erstrecken können. Der jetzt angefochtene Bescheid habe daher das Pflegegeld nicht herabgesetzt, sondern - ebenso wie die befristete Pension - weitergewährt, wie dies der Kläger auch am 5. 3. 1999 ausdrücklich beantragt habe. Es handle sich dabei um einen Fall der Weitergewährung, d. h. der neuerlichen Gewährung eines durch Zeitablauf erloschenen Leistungsanspruchs und nicht um eine Neubemessung (Herabsetzung) des Pflegegeldes im Sinne des § 9 BPGG. Ein Vergleich der gesundheitlichen Situation zwischen den Zeitpunkten der Gewährung und der Weitergewährung sei nicht anzustellen.

Diesen Ausführungen ist beizutreten. Eine zeitlich begrenzte (befristete) Invaliditätspension im Sinne des § 256 ASVG fällt nach Ablauf der Frist weg, ohne dass es eines weiteren behördlichen Aktes bedarf. Die Zuerkennung der zeitlich begrenzten Pension wirkt daher zumindest für die Frage der Invalidität nicht über die Frist hinaus, weil gerade die Tatsache, dass es sich um eine bloß vorübergehende Invalidität handelt, der Grund und die Voraussetzung für die zeitliche Begrenzung der Pension war. Dem steht nicht entgegen, dass das in § 256 ASVG verwendete Wort "Weitergewährung" auf einen gewissen Zusammenhang mit der zuerkannten Leistung hindeutet, weil eine andere Auslegung mit dem Zweck der Zuerkennung einer zeitlichen Invaliditätspension nicht vereinbar ist. Der Anspruch auf Weitergewährung der befristeten Pension hängt davon ab, ob der Versicherte nach Ablauf der Frist (noch, erstmals oder wieder) als invalid im Sinne des § 255 ASVG gilt. Ein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung, wie er bei der Entziehung einer (unbefristeten) Leistung notwendig ist, ist nicht anzustellen (stRspr seit SSV-NF 2/77; ebenso SSV-NF 6/17, 8/46 ua; RIS-Justiz RS0085129; RS0085134).

Die befristete Gewährung von Pflegegeld war zunächst weder im BPGG noch in einschlägigen Landesgesetzen ausdrücklich vorgesehen oder geregelt. Nach § 9 Abs 2 (jetzt Abs 4) BPGG ist das Pflegegeld zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für seine Gewährung wegfällt, oder neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe wesentliche Veränderung eintritt. Der Wegfall der Voraussetzung oder eine wesentliche Veränderung wird im Allgemeinen erst nach dem Zeitpunkt der Zuerkennung eintreten; auf diese Regelfälle nimmt der Gesetzestext Bedacht. Wenn aber im Zeitpunkt der Entscheidung bzw bei Schluss der Verhandlung erster Instanz das Ende des Pflegebedarfes zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, wie etwa schon bisher bei Zuerkennung einer zeitlich begrenzten Pension nach §§ 256 aF, 271 Abs 3 ASVG (nunmehr allerdings § 256 Abs 1 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 201), dann kann - wie der Senat

bereits in seiner E vom 12. 3. 1996, 10 ObS 27/96 (SZ 69/66 = SSV-NF

10/26 = ZAS 1997, 88 [Gruber]) dargelegt hat - eine zeitliche

Begrenzung des Pflegegeldes vorgenommen werden und zwar schon als verwaltungsvereinfachende Maßnahme, da ein späteres Entziehungsverfahren erspart wird. Der Senat hat also bereits ausgesprochen, dass die befristete Zuerkennung eines Pflegegeldes (etwa in dem Fall, dass eine zumutbare ärztliche Behandlung die Pflegebedürftigkeit in einer bestimmt absehbaren Zeit beseitigen wird) mit den Bestimmungen des BPGG nicht in Widerspruch steht (ebenso auch SSV-NF 10/76).

Diese Judikatur wurde im Wesentlichen vom Gesetzgeber festgeschrieben. § 9 Abs 2 BPGG idF BGBl I 1998/111 lautet jetzt (in Kraft seit 1. 1. 1999): "Das Pflegegeld ist nur dann befristet zuzuerkennen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung des Pflegegeldes mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Liegen im Falle einer befristeten Zuerkennung die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes auch nach Ablauf der Frist vor, so ist das Pflegegeld mit Beginn des auf den Ablauf der Frist folgenden Monat zuzuerkennen, sofern die Gewährung des Pflegegeldes innerhalb von drei Monaten nach dessen Wegfall beantragt wurde."

Anspruch auf Pflegegeld haben nach § 3 Abs 1 Z 1 BPGG ua Bezieher einer Pension nach dem ASVG: Das Pflegegeld stellt hier eine Annexleistung zur Pension dar und teilt deren rechtliches Schicksal, lediglich in hier nicht vorliegenden Ausnahmsfällen wird (Bundes-)Pflegegeld auch ohne Grundleistung gewährt (Gruber/Pallinger BPGG Rz 3 zu § 3; Gruber, ZAS 1997, 90; SSV-NF 9/28). Aus dem verwendeten Begriff "Bezieher" folgt insbesondere, dass es für den Anspruch auf Pflegegeld nicht ausreicht, dass ein grundsätzlicher - aber vielleicht momentan ruhend gestellter - Grundleistungsanspruch vorliegt (zutreffend Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge in Österreich 157 und 225). Ist etwa die Pension nach § 253d Abs 2 ASVG weggefallen, weil der Versicherte eine Erwerbstätigkeit ausübt, dann ist er kein "Bezieher" einer Pension iS des § 3 Abs 1 Z 1 BPGG, weshalb er keinen Anspruch auf Pflegegeld gegen den Träger der Pensionsversicherung geltend machen kann (SSV-NF 9/28).

Eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld fällt nicht nur dann weg, wenn kein Pflegebedarf mehr besteht, sondern etwa auch dann, wenn der (an sich weiterhin) Pflegebedürftige keine Grundleistung iSd § 3 Abs 1 BPGG mehr bezieht (Pfeil, BPGG 128 Erl 3.1.1 zu § 9). Der Wegfall der Grundleistung ist daher ein Entziehungsgrund nach § 9 Abs 4 BPGG idgF. Im Fall einer befristeten Grundleistung kann nun nach jetzt eindeutiger Rechtslage (§ 9 Abs 2 BPGG idF BGBl I 1998/111) auch das Pflegegeld - als Annex - befristet zuerkannt werden (so schon Gruber aaO); die befristete Zuerkennung des Pflegegeldes dient in einem solchen Fall zweifellos der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und erübrigt bei gleichzeitigem Wegfall der Grundleistung eine Entziehung durch Bescheid. Eine derartige Entziehung des Pflegegeldes kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn - wie hier - die Invaliditätspension als Grundleistung weitergewährt wird; in einem solchen Fall kann auch das Pflegegeld weitergewährt werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen (wie etwa die Pflegebedürftigkeit) weiterhin vorliegen. Auch diese Weitergewährung ist aber - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - keine Auswirkung der Rechtskraft des ursprünglichen Bescheides, sondern eine Folge der Weitergewährung der Grundleistung.

Ob dem Kläger nach Ablauf der Befristung der Grundleistung, also ab dem 1. 2. 1999 weiterhin Pflegegeld gebührt, ist also nicht durch Vergleich mit dem seinerzeitigen Zustand, sondern unabhängig von der früheren Einschätzung neu zu prüfen. Der schon durch die Grundleistung materiell zeitlich begrenzte Anspruch auf Pflegegeld ist zwar mangels einer ausdrücklichen Befristung im Bescheid nach Ablauf der Frist nicht weggefallen, ohne dass es eines behördlichen Aktens bedurfte, doch ist der erforderliche behördliche Akt hier in den nunmehr angefochtenen Bescheid zu erblicken, der als Entziehung des bisherigen und gleichzeitige Neugewährung des Pflegegeldes aufgefasst werden muss. Der Anspruch auf "Weitergewährung" des Pflegegeldes hängt daher auch hier davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen noch, erstmals oder wieder vorliegen (vgl SSV-NF 10/76). Im Fall des Klägers ist unbestritten, dass ab 1. 2. 1999 nur die Voraussetzungen für ein Pflegegeld der Stufe 1 vorliegen, weil sein Pflegebedarf nicht durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich beträgt.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Sinne einer Abweisung des auf ein höheres Pflegegeld gerichteten Klagebegehrens abzuändern. Da jedoch der angefochtene auf Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 lautende Bescheid durch die vorliegende Klage zur Gänze außer Kraft getreten ist (§ 71 Abs 1 ASGG), bedurfte es der Zuerkennung dieser Leistung mit Urteil (SSV-NF 12/73 ua), weshalb der Revision nur teilweise stattzugeben war. Zur Klarstellung im Sinne der obigen Darlegungen war dabei das Pflegegeld ebenso wie die Pensionsleistung zu befristen.

Insoweit ist der Kläger als obsiegend anzusehen: Seine Beteiligung am Berufungs- und am Revisionsverfahren war zur teilweisen Abwehr der eine volle Abweisung des Klagebegehrens anstrebenden Rechtsmittel der beklagten Partei notwendig. Er hat daher nach § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG Anspruch auf Kostenersatz. Für die Revisionsbeantwortung gebührt nicht der verzeichnete dreifache, sondern nur der einfache Einheitssatz.

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