Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem freisprechenden Teil und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Verfahrens über seine Nichtigkeitsbeschwerde zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Adrian D***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB sowie des (richtig:) Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er am 1. November 1998 in Himberg-Velm Christina S*****
I) außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB in deren PKW mit Gewalt zur Duldung eines Beischlafs dadurch genötigt, dass er mit einer Hand ihre Hände festhielt, ihr Rock, Strumpf- und Unterhose bis zu den Knien herunterzog, sie zum gegenseitigen Oralverkehr aufforderte, in der Folge die Lehne des Autositzes umlegte, sie auf den umgelegten Sitz niederdrückte und mit seinem Körper fixierte, mit einer Hand und seinen Beinen ihre Schenkel auseinanderdrückte und den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß vollzog,
II) nach der oben beschriebenen Tat durch gefährliche Drohung mit dem Tode, nämlich die Äußerung, er werde sie umbringen bzw erschlagen, wenn sie irgend jemandem davon erzählen sollte, zur Unterlassung der Anzeigeerstattung bzw Mitteilung seiner Tat an andere genötigt.
Von den Anklagevorwürfen, er habe in Himberg-Velm Doris B*****
I) außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar
1. am 6. August 1998 dadurch, dass er mit einer Hand ihre Hände festhielt, sie entkleidete, auf ein Bett niederdrückte, sich auf sie legte, mit beiden Beinen und der anderen Hand ihre Schenkel auseinanderdrückte und einen Geschlechtsverkehr vollzog (Punkt I des Freispruchs);
2. am 6. September 1998, dadurch, dass er sie gegen einen PKW drückte, wieder mit einer Hand ihre Hände festhielt, ihr die Jacke, den Pullover sowie den BH auszog und ihre Hose und ihren Slip herunterzog, sie mit seinen Armen auf die Motorhaube niederdrückte, mit den Beinen ihre Schenkel auseinanderdrückte und den Geschlechtsverkehr vollzog (Punkt II des Freispruchs);
II) jeweils nach den unter Punkt I 1. und 2. beschriebenen Taten durch gefährliche Drohung mit dem Tode, nämlich durch die Äußerung, er werde sie umbringen bzw erschlagen, wenn sie irgend jemandem davon erzählen sollte, zur Unterlassung der Anzeigeerstattung bzw der Mitteilung über seine Taten an andere genötigt (Punkt III des Freispruchs),
wurde Adrian D***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Gründe der Z 3, 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; jene der Staatsanwaltschaft, in welcher die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht werden, richtet sich gegen den Freispruch.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Rechtliche Beurteilung
Der zutreffend unter Z 3 eine Undeutlichkeit des Urteilsspruchs behauptenden Beschwerde ist zunächst beizupflichten, dass der Schuldspruch zahlreiche sinnstörende Schreibfehler enthält. Da die Entscheidungsgründe mit dem Urteilsspruch aber eine Einheit bilden, können sie zur Auslegung eines bloß missverständlich gefassten Urteilsspruchs herangezogen werden (Mayerhofer StPO4 § 260 E 2a). Aus der Urteilsbegründung im Zusammenhalt mit dem Urteilstenor ergibt sich aber eindeutig und zweifelsfrei, dass dem Angeklagten zur Last gelegt wird, Christina S***** mit (nicht schwerer) Gewalt (also außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB) zur Duldung eines Beischlafs genötigt zu haben. Der Schuldspruch entspricht daher dem Beschwerdestandpunkt zuwider durchaus (noch) dem Tatkennzeichnungserfordernis des § 260 Abs 1 Z 1 StPO. Davon ausgehend liegt aber auch der behauptete Widerspruch zwischen Urteilsspruch und rechtlicher Bezeichnung der strafbaren Handlung (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) nicht vor. Das Erstgericht hat vielmehr den festgestellten Sachverhalt zutreffend dem § 201 Abs 2 StGB unterstellt, weshalb auch der (gar nicht zum Vorteil des Angeklagten geltend gemachte) Nichtigkeitsgrund der Z 10 nicht gegeben ist.
Zu Recht weist der Beschwerdeführer auch darauf hin, dass eine Verlesung der (in der Hauptverhandlung vom 4. März 1999 abgelegten) Aussagen der Zeugen Petra L***** und Gerhard Lu***** in der wegen geänderter Senatsbesetzung neu durchgeführten Hauptverhandlung vom 29. April 1999 nur unter der Voraussetzung des § 252 Abs 1 Z 4 StPO zulässig gewesen wäre. Es ist allerdings unzweifelhaft erkennbar, dass diese Formverletzung keine dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO); die Aussagen der genannten Zeugen entlasten nämlich den Angeklagten und betreffen ausschließlich das Freispruchsfaktum I, hinsichtlich dessen keine dem im Antrag auf neuerliche Einvernahme dieser Zeugen (S 387) genannten jeweiligen Beweisthema widerstreitende Urteilskonstatierungen vorliegen.
Der nach - ohne Widerspruch erfolgtem - Verlesen (S 354) der in der Hauptverhandlung vom 17. Dezember 1998 (im Beisein des frageberechtigten Angeklagten) abgelegten Aussagen der Zeuginnen Christina S***** und Doris B***** und Abspielen der betreffenden Videoaufzeichnungen (S 375, 385) gestellte Antrag auf deren ergänzende Einvernahme unterlässt es prozessordnungswidrig darzutun, auf Grund welcher konkreter neu hervorgekommener Beweisergebnisse angeblich keine Vorhaltungen an die Zeuginnen gemacht werden konnten und welche nichtigkeitsbegründenden Auswirkungen es haben sollte, dass an der früheren Hauptverhandlung der inzwischen (erfolgreich) abgelehnte beisitzende Richter Dr. Fiala teilgenommen hat.
Im Übrigen wird nicht behauptet, dass die sich in der Hauptverhandlung vom 29. April 1999 berechtigt der Aussage entschlagenhabenden Zeuginnen (§ 152 Abs 1 Z 2a StPO) nun aussagebereit wären.
Der Antrag auf Sicherstellung des PKW's der Marke VW Jetta der Zeugin Christina S***** und Durchführung einer Stellprobe zum Beweis dafür, dass sich die von der genannten Zeugin dargestellte Vergewaltigung sowohl aus fahrzeugtechnischen als auch aus anatomischen Gründen in keiner der von ihr geschilderten Sachverhaltsvarianten ereignet haben kann (AS 387; ON 23), verfiel zu Recht der Abweisung, hat doch der Angeklagte selbst nie bestritten, mit dem Mädchen in dessen Auto einen Geschlechtsverkehr durchgeführt zu haben, die - notorische - räumliche Möglichkeit für einen solchen mithin verifiziert (vgl auch Fotos bei ON 22). Ob sich der Fahrersitz des zudem bereits alten Kraftfahrzeuges mit Belastung schwerer umlegen lässt, kann angesichts der massiven Körperkraft des Angeklagten dahinstehen. Mit Blick auf die Dynamik des Vorgangs einer Vergewaltigung mit entsprechender Änderung der Positionen der Beteiligten trägt ein Lokalaugenschein nichts zur Aufdeckung allfälliger Widersprüche in den Aussagen des Tatopfers aus.
Auch dadurch, dass die Vorsitzende des Schöffengerichtes mehrere an Zeugen gestellte Fragen nicht zugelassen hat, wurde der Nichtigkeitsgrund der Z 4 nicht verwirklicht. Denn nur eine Entscheidung des Gerichtshofs, nicht aber eine prozessleitende Verfügung des Vorsitzenden, ist ein Zwischenerkenntnis im Sinne der §§ 238, 281 Abs 1 Z 4 StPO. Um ein solches herbeizuführen, muss dies die Partei ausdrücklich beantragen. Hat daher der Verteidiger, nachdem die Vorsitzende eine von ihm an einen Zeugen gestellte Frage nicht zugelassen hat, nicht beantragt, einen Senatsbeschluss über die Zulässigkeit dieser Frage einzuholen und ist es deshalb auch nicht zu einer Entscheidung des Gerichtshofes hierüber gekommen, so fehlt es der Beschwerde an einer formellen Voraussetzung (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 6).
Auch einen relevanten Begründungsmangel (Z 5) vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen.
Die unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit und der Aktenwidrigkeit aufgeworfenen Fragen, ob der Angeklagte den Drehknopf am Lenkersitz mit der linken oder mit der rechten Hand betätigte, ob der VW Jetta, in dem die dem Angeklagten angelastete Tat begangen wurde, das Baujahr 1980 oder 1983 aufweist, ob dieses Fahrzeug dem Beschwerdeführer oder der Zeugin S***** gehört, ob der Angeklagte seinem Opfer den Rock samt Strumpfhose bis zu den Knien oder bis zu den Waden hinuntergezogen hat, und ob der Angeklagte sein Opfer zunächst entkleidete und dann den Liegesitz umgelegt hat oder umgekehrt, betreffen fallbezogen (wie auch oben bereits ausgeführt) unbedeutende Details, die für die Lösung der Schuldfrage unmaßgeblich sind, und damit keine entscheidenden Tatsachen.
Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers hat das Erstgericht ausreichende und klare Feststellungen zum Tathergang getroffen (US 5 bis 7), wobei der Urteilsbegründung auch eindeutig zu entnehmen ist, dass die Tatrichter den belastenden Angaben der Zeugin Christina S***** Glauben geschenkt und den Aussagen jener Zeugen, die das Tatopfer unglaubwürdig machen sollten, keine Bedeutung beigemessen und daher die leugnende Verantwortung des Angeklagten als widerlegt angesehen haben (US 10, 11). Mit Blick auf die Einlassung des Angeklagten, der selbst einräumt, dass es - wenn auch unter erhöhtem Kraftaufwand - möglich ist, den Fahrersitz in belastetem Zustand umzulegen (S 161), war eine Erörterung der vom Verteidiger vorgelegten Bestätigung der Firma S***** vom 11. Jänner 1999 sowie des Auszuges aus der Betriebsanleitung, die im Ergebnis lediglich eine allgemein gehaltene Beschreibung für die vorschriftsmäßige Verstellung der Lehnenneigung bei einem PKW der Marke VW Jetta Baujahr 1982 darstellen (S 255, 257), entbehrlich.
Nach Inhalt und Zielrichtung des gesamten Vorbringens der Mängelrüge unternimmt der Beschwerdeführer bloß den im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Versuch, nach Art einer Schuldberufung die vom Erstgericht in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auf der Basis der Gesamtheit der wesentlichen Verfahrensergebnisse sowie unter Verwertung des persönlichen Eindrucks gewonnene, denkmöglich und auch lebensnah begründete Überzeugung einerseits von der Schuld des Angeklagten, andererseits von der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Christina S***** in Zweifel zu setzen. Dass aus den Verfahrensergebnissen grundsätzlich auch andere für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, macht den bekämpften Schuldspruch nicht nichtig; dafür wäre ein Widerspruch mit den Denkgesetzen oder der allgemeinen Lebenserfahrung erforderlich, wovon gegenständlich jedoch keine Rede sein kann.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Zu Punkt I und II des Freispruchs:
Zutreffend macht die Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer unvollständigen Begründung geltend, das Erstgericht hätte den Angeklagten belastende Verfahrensresultate völlig ungewürdigt und unerörtert gelassen.
Wenngleich das Gericht nach § 258 Abs 2 StPO in der Beweiswürdigung freie Hand hat und nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO nur verpflichtet ist, die entscheidenden Umstände in gedrängter Darstellung abzufassen, ohne sämtliche Verfahrensergebnisse detailliert und in extenso zu erörtern, muss es in jedem Fall das wesentliche Beweismaterial verwerten und - falls sich der Schöffensenat für die Glaubwürdigkeit der leugnenden Verantwortung des Angeklagten entscheidet - formell einwandfrei dartun, aus welchen Gründen es die in entgegengesetzte Richtung weisenden Beweisergebnisse für belanglos oder weniger überzeugend hält. Wegen Unvollständigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen ist demzufolge ein Urteil dann nichtig, wenn das Gericht bei der Feststellung einer solchen in der Hauptverhandlung erörterte Tatsachen oder aufgenommene Beweise oder sonst im Beweisverfahren hervorgekommene Umstände mit Stillschweigen übergeht oder ungewürdigt lässt. Dies gilt auch dann, wenn das Erstgericht eine seinen Annahmen entgegenstehende Tatsache zwar im Urteil erwähnt, nicht aber die Gründe anführt, wie es über sie hinweggekommen ist (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 57, 61, 62, 63 und 65).
Vorliegend hat sich das Gericht bei Lösung der Schuldfrage nahezu ausschließlich mit der Aussage der Zeugin Doris B***** auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass auf Grund ihrer Angaben die (vom Angeklagten vor Gericht geleugnete) subjektive Tatseite nicht mit der im Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar sei.
Den entscheidungswesentlichen Umstand, dass der Angeklagte bei seiner ersten niederschriftlichen Einvernahme am 7. November 1998 gegenüber den erhebenden Gendarmeriebeamten ein umfassendes und zahlreiche Details enthaltendes Geständnis abgelegt hat (S 23 ff), hat das Schöffengericht in seiner Urteilsbegründung zwar erwähnt (US 12), es jedoch - wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt - unterlassen, hiezu beweiswürdigend Stellung zu nehmen, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass es bei gebotener Erörterung dieses Beweisergebnisses zu einer anderen Beurteilung der späteren - leugnenden - Verantwortung des Angeklagten und zu anderen (gegenteiligen) Feststellungen gelangt wäre.
Eine Auseinandersetzung mit diesem Beweisergebnis war vorliegendenfalls umso mehr erforderlich, als das Erstgericht das vom Angeklagten im Zuge der gleichen Vernehmung vom 7. November 1998 abgelegte Geständnis bezüglich der Tathandlungen zum Nachteil der Christina S***** als wesentliche Grundlage für seine belastenden Feststellungen und damit für den Schuldspruch herangezogen hat, und nicht begründet, warum dem Geständnis zu den Doris B***** betreffenden Fakten keinerlei Bedeutung zukommen sollte.
Hinzu kommt - worauf die Anklagebehörde gleichfalls zutreffend hinweist -, dass die beweiswürdigenden Erwägungen zur Aussage der Zeugin Doris B***** in sich widersprüchlich sind, weil sie denklogisch nicht nebeneinander bestehen können. Während zunächst festgehalten wird, dass die genannte Zeugin keinesfalls einen unglaubwürdigen Eindruck machte, wird in der Folge damit argumentiert, dass sie einen teilweise unsicheren Eindruck machte und sich in Widersprüche verwickelte, weshalb ihre Behauptung, sie wäre vergewaltigt worden, als nicht sehr glaubwürdig abgetan wurde (US 14).
Zu Punkt III) des Freispruches:
Unter Anrufung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 rügt die Anklagebehörde zu Recht, dass das angefochtene Urteil zu seiner Nichtfeststellung der betreffenden schweren Nötigung keine Entscheidungsgründe enthält.
Die wegen der aufgezeigten Begründungsmängel erforderliche Kassierung eines Teils des Schuldspruchs zwingt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung), womit den erhobenen Berufungen die Basis entzogen ist.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a StPO.
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