Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem den Angeklagten Ismail A***** treffenden Schuld- und Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen (auch rechtskräftige Schuld- und Freisprüche anderer Angeklagter enthaltenden) Urteil wurde Isamil A***** - abweichend von der wegen Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB wider ihn erhobenen Anklage - des Vergehens der Unterlassung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er es am 8. August 1999 in Wien dadurch, dass er trotz Beobachtung, wie (der abgesondert verfolgte) Ismail C***** dem Philipp K***** eine silberne Halskette mit "Gewalt" wegnahm, mit dem Vorsatz, dass vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, nämlich das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB, begangen werde, unterlassen hat, ihre schon begonnene Ausführung zu verhindern, wobei die strafbare Handlung vollbracht worden ist.
Dagegen erhob der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde aus Z 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO, der (im Ergebnis) Berechtigung zukommt.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend reklamiert die Rechtsrüge (Z 9 lit a, gestützt auf Leukauf/Steininger Komm3 § 286 RN 2 b) unterbliebene Feststellungen darüber, ob für den Angeklagten in der konkreten Situation die physisch-reale Möglichkeit bestand, die von ihm als unmittelbar bevorstehend erkannte Begehung des Raubes durch Ismail C*****, der dem Philipp K***** mit "Gewalt" eine silberne Halskette wegnahm, zu verhindern, wenn er die nach den erstgerichtlichen Konstatierungen gebotene Handlung, nämlich sich vom Tatort zu entfernen und Hilfe zu holen (S 515, 523/I), vorgenommen hätte.
Der allgemeinen, jedermann treffenden Handlungspflicht wird primär durch die "unmittelbare" Verhinderung der bevorstehenden oder schon begonnenen fremden strafbaren Handlung Genüge getan. Daneben lässt das Gesetz aber auch die "mittelbare" Verhinderung entweder durch rechtzeitige Mitteilung der Behörde oder an den durch die strafbare Handlung Bedrohten zu. Auf welche Weise dies zu geschehen hat, hängt von den Umständen des konkreten Falles ab, wobei alle Aktivitäten in Frage kommen, die objektiv geeignet sind, das Unterbleiben der Tatausführung zu bewirken. Dass die objektiv geeignete Verhinderungshandlung ihr Ziel tatsächlich verfehlt, fällt dem Handlungspflichtigen in der Regel nicht zur Last. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist allerdings, dass dem Handlungspflichtigen die Vornahme der gebotenen Handlung im Einzelfall physisch-real möglich war (vgl RZ 1989/86; Steininger in WK RN 3, 5 ff und Leukauf/Steininger Komm3 RN 2, 2a, 2b, 7 jeweils zu § 286).
Nach der festgestellten Tatsituation wäre es im Bereich der Möglichkeit gelegen, wenn der Rechtsmittelwerber - so er die von ihm vorhergesehene Straftat des Ismail C***** hätte verhindern wollen - etwa Philipp K***** vom Mitgehen mit dem Täter abgeraten, den Versuch unternommen, C***** in geeigneter Weise von seinem Vorhaben abzubringen, oder seine Missbilligung der von diesem geplanten Tat ausgedrückt und den Tatort sofort verlassen hätte.
Im Urteil fehlen aber ausreichende und tragfähige Feststellungen nicht nur zur einwandfreien Lösung der aufgeworfenen Rechtsfrage, sondern auch für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes nach § 286 StGB und zudem - was die Beschwerde allerdings unbekämpft lässt - zur verlässlichen Beurteilung der Frage, ob Ismail C***** überhaupt eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung begangen hat.
Es ist dem Oberste Gerichtshof verwehrt, fehlende Tatsachenfeststellungen aus eigenem nachholen. Deshalb war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, ohne auf die weiteren Einwendungen der Rechtsrügen einzugehen, das bekämpfte Urteil im Schuld- und Strafausspruch des Angeklagten Ismail A***** aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO). Demnach war der Rechtsmittelwerber mit seiner Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht unter Berücksichtigung der dargelegten Erwägungen ausreichende und formal mängelfrei begründete Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite zu treffen und sich insbesondere damit auseinanderzusetzen haben, ob
die Wegnahme der silbernen Halskette durch Gewalt gegen eine Person (vgl S 497/I) oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 89 StGB erfolgte (worauf die Urteilsfeststellung S 513/I hindeutet);
sich die Aufforderung des C***** an K*****, mit ihm mitzugehen, sonst werde ihm etwas passieren, nur auf die geforderte Begleitung bezog, oder ob diese Drohung fortwirkte, sodass K***** unter ihrem Eindruck die Abnahme der Halskette zuließ;
diese Drohung eine solche mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) war.
Das Tatgericht vertritt weiters (beweiswürdigend) den Standpunkt, der Beschwerdeführer sei nicht als "Mittäter" am Raub aufgetreten. Zur Frage der zumindest psychischen (intellektuellen) Beihilfe des Angeklagten zur Tat des C***** nahm es nicht Stellung, obwohl nicht nur Verfahrensergebnisse, sondern auch Sachverhaltselemente im Urteil (vgl etwa S 513 f/I) darauf hinweisen.
Sollte das Jugendschöffengericht im zweiten Rechtsgang zur formal mängelfrei begründeten Rechtsansicht gelangen, Ismail A***** habe Beitragstäterschaft zum Raub des C***** nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1 StGB zu verantworten, käme das in § 290 Abs 2 StPO statuierte Verschlimmerungsverbot (lediglich) bei der Strafart und der Strafhöhe zum Tragen.
Schließlich wäre im Fall eines (abermaligen) Schuldspruchs nach § 286 Abs 1 StGB zu beachten, dass die Verhinderung der mit Strafe bedrohten Handlung nicht nur vorsätzlich erfolgen, sondern auch mit dem (überschießenden) Vorsatz unterlassen worden sein muss, dass vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung begangen werde.
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