OGH 4Ob162/00b

OGH4Ob162/00b4.7.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manuela K*****, vertreten durch Dr. Albin Wachshofer, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Dietmar F*****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Just, Rechtsanwalt in Eferding, wegen 280.800 S sA und Feststellung (Streitwert 15.000 S; Revisionsinteresse 12.857,15 S sA), infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. März 2000, GZ 11 R 38/00p-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 18. November 1999, GZ 28 Cg 46/99d-19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung - einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Die Klageforderung besteht mit 127.000 S zu Recht und mit 153.800 S nicht zu Recht.

Die Gegenforderung des Beklagten besteht mit 30.035,50 S zu Recht und mit 15.017,75 S nicht zu Recht.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen 96.964,50 S samt 4 % Zinsen seit 18. 11. 1996 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin für alle künftigen Schäden aus dem Vorfall vom 17. 11. 1993 in der Diskothek 'C*****' in H*****, zur Hälfte haftet.

Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 183.835,50 S samt 4 % Zinsen seit 18. 11. 1996 und auf Feststellung, dass der Beklagte für ein weiteres Viertel aller zukünftigen Schäden aus dem Vorfall vom 17. 11. 1993 hafte, wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 17.925,60 S bestimmten anteiligen Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 2.987,60 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Gemäß § 70 ZPO wird ausgesprochen, dass der Beklagte zum Ersatz von 30 % der Pauschalgebühr für das Verfahren erster Instanz verpflichtet ist."

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 9.753,04 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 2.650 S anteilige Pauschalgebühr und 1.183,84 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.248,64 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 541,44 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Gemäß § 70 ZPO wird ausgesprochen, dass der Beklagte zum Ersatz der Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren verpflichtet ist.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 17. 11. 1993 wurde die Klägerin im Lokal "C*****" in H***** bei einer Explosion schwer verletzt. Die Explosion hatte folgende Vorgeschichte:

Die Klägerin wusste, dass der Beklagte ein "Pulver" herstellte, mit dem sich spektakuläre "Experimente" durchführen ließen. Bei dem "Pulver" handelte es sich um Azetonperoxid (= Triazetonperoxid), einem wegen seiner großen Empfindlichkeit gegenüber Schlag, Stoß und erhöhter Temperatur nicht handhabungssicheren Sprengstoff. Bei Temperaturen zwischen 80 und 100 Grad explodiert Azetonperoxid, wozu es bei ungünstigen Lagerbedingungen auch ohne erkennbare äußere Einwirkung kommen kann. Azetonperoxid verhält sich wie ein Sprengmittel; es wird jedoch aus Sicherheitsgründen nicht als Sprengmittel eingesetzt.

Für die Herstellung von Azetonperoxid benötigt man Azeton, Salzsäure und Wasserstoffperoxid; alle diese Stoffe sind im Handel frei erhältlich. Über Herstellung und Funktionsweise von Azetonperoxid ist in der Literatur wenig zu finden. Ein Laie kann nicht erkennen, dass Azetonperoxid in Form von Pulver ein hoch explosives Material ist. Seine Sprengkraft hängt von verschiedenen Umständen, wie Konzentration, Dichte und Menge ab.

Der am ***** 1976 geborene Beklagte wurde von Mitschülern auf die Substanz Azetonperoxid aufmerksam gemacht. Er besuchte nach der Pflichtschule ein Jahr hindurch eine chemietechnische Fachschule; am 1. 9. 1992 begann er eine Ausbildung als Chemielaborant bei der A***** GmbH. Der Beklagte interessiert sich seit seiner Kindheit für Chemie; zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr begann er, einfache pyrotechnische Grundsubstanzen herzustellen. Bei einem Experiment mit einem von ihm selbst hergestellten Sprengkörper zog er sich an seiner rechten Hand schwere Verbrennungen zu.

1993 gelang es dem Beklagten zum ersten Mal, Azetonperoxid herzustellen; die Rezeptur hatte er von Mitschülern erhalte. Der Beklagte verwendete Azetonperoxid zu "Juxzwecken". So wickelte er etwa zündholzkopfgroße Mengen in Aluminiumfolie ein und schob die Kügelchen in Zigaretten. Beim Anzünden der Zigarette wurde die Zigarettenspitze zerfetzt. Ein weiteres - Freunden und Bekannten vorgeführtes - "Experiment" bestand darin, dass der Beklagte einen halben Kaffeelöffel des Pulvers auf seine Handfläche streute, mit der Zigarette oder mit dem Feuerzeug zum Verpuffen brachte, wodurch Flammen in Höhe von 20 bis 40 cm entstanden.

Der Beklagte verteilte die Aluminiumkügelchen auch an Freunde und Bekannte; zweimal gab er Azetonperoxid auch in zu drei Vierteln gefüllten, etwa 10 cm hohen Glasfläschchen mit einem Durchmesser von etwa 3 bis 4 cm weiter. Er wusste nicht, dass es sich bei Azetonperoxid um einen Sprengstoff handelte. Von Schulkollegen hatte er zwar gehört, dass sie damit kleine Baumstümpfe sprengten; er hatte jedoch keine Erfahrung, wie sich die Spreng- und Explosionswirkung zur verwendeten Menge verhielt. Von Lehrkräften wurde er als Schüler vor explosiven Mitteln gewarnt.

Im November 1993 ersuchte die Klägerin den Beklagten, ihr Azetonperoxid für die Herstellung von Aluminiumkügelchen zu überlassen. Der Beklagte gab ihr ein Plastikfläschchen, welches etwa 10 cm hoch war, einen Durchmesser von 2 cm hatte und zu etwa drei Vierteln mit Azetonperoxid gefüllt war. Bei der Übergabe wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie die Aluminiumkügelchen nicht zu groß machen, das Pulver nicht in die Nähe von Wärmequellen bringen und die Flasche nach Gebrauch wieder verschließen solle. Er machte sie darauf aufmerksam, dass bei größeren Mengen Explosionsgefahr bestehe.

Am 17. 11. 1993 war die Klägerin mit Freunden im Lokal "C*****" in H*****. Unter ihnen war Natascha K*****, die ursprünglich Erstbeklagte dieses Verfahrens; das Verfahren ruht insoweit.

Die Klägerin nahm das ihr vom Beklagten übergebene Fläschchen aus der Jackentasche, schüttete etwa einen halben Teelöffel Pulver auf ihre Handfläche und entzündete es mit einer Zigarette, wodurch es zu einer hellen Stichflamme kam. Natascha K***** hatte die Klägerin bei diesem "Experiment" beobachtet. Sie griff nach dem auf dem Tisch - ob verschlossen oder geöffnet, konnte nicht festgestellt werden - abgestellten Fläschchen, um das "Experiment" nachzumachen. Als die Klägerin versuchte, ihr das Fläschchen wegzunehmen, wurde Azetonperoxid verschüttet, fiel in einen auf dem Tisch stehenden Aschenbecher und explodierte.

Natascha K***** war das erste Mal etwa zwei Wochen vor der Explosion mit Azetonperoxid in Kontakt gekommen. Sie hatte im Lokal "C*****" eine Zigarette geraucht; beim Abstreifen hatte sich eine kleine Menge Azetonperoxid im Aschenbecher entzündet. Dabei war es zu einem kleinen "Knall", einer Stichflamme und einer Rauchwolke gekommen. Natascha K***** war erschrocken, hatte sich aber nicht weiter um den Vorfall gekümmert und hatte auch nicht gewusst, um welches Pulver mit welchen Eigenschaften es sich gehandelt hatte.

Bei der Explosion am 17. 11. 1993 wurden sowohl Natascha K***** als auch die Klägerin schwer verletzt. Die Klägerin erlitt eine komplexe Explosionsverletzung der rechten Hand, die mehrere Operationen und eine Physikotherapie notwendig machte. Sie leidet nach wie vor an Schmerzen, die Hand ist kraftlos, die Bewegung der dreigliedrigen Finger ist eingeschränkt, das Hautgefühl ist an der Hand und - wegen einer Entnahme von Nervenstücken für Transplantationszwecke - am rechten Unterschenkel gestört. Sowohl an der rechten Hand und am rechten Unterarm als auch am rechten Bein sind Narben sichtbar. Durch die Unfallfolgen ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin um etwa ein Drittel gemindert. Spätfolgen sind möglich; weitere Operationen sind geplant. Die Klägerin hatte während etwa zweieinhalb bis drei Wochen starke Schmerzen, vier bis fünf Wochen mittelstarke Schmerzen; an leichten Schmerzen litt sie etwa zweieinhalb bis drei Monate.

Bei der Explosion wurde die Kleidung der Klägerin so stark beschädigt, dass sie unverwendbar war. Der Neupreis der eine Woche bis ein Jahr alten Kleidung hatte 5.250 S betragen. Die Klägerin war bis Ende 1996 auf fremde Hilfe angewiesen, weil ihr rechter Arm schmerzte, immer wieder verbunden war und der Verband nicht nass werden durfte. Die Klägerin revanchierte sich mit Geschenken für die ihr erwiesene Hilfe; sie beschenkte auch den sie betreuenden Arzt und die Schwestern. Für Telefonkosten wendete die Klägerin im Krankenhaus 1.000 S auf. Für Salben, Verbandsmaterial und an Selbstbehalt für Heilbehelfe und Medikamente gab sie etwa 2.850 S aus.

Der Haftpflichtversicherer des Beklagten zahlte an den bei der Explosion ebenfalls verletzten Christian P***** 51.000 S an Schadenersatz und 9.071,01 S an Zinsen. Der Haftpflichtversicherer hat seine Regressforderung dem Beklagten zum Zweck der Aufrechnung in diesem Verfahren abgetreten.

Im Verfahren 28 Cg 45/97d des Landesgerichts Wels machte Natascha K***** eine Schadenersatzforderung von 352.393,13 S sA gegen Dietmar F***** als Erstbeklagten und gegen die Klägerin des vorliegenden Verfahrens als Zweitbeklagte geltend. Die Klägerin wandte eine Gegenforderung von 250.000 S ein, wovon an Schmerzengeld 200.000 S und an Verunstaltungsentschädigung 40.000 S als angemessen festgestellt wurden. Das Landesgericht Wels erkannte die Klageforderung als mit 313.768,11 S sA zu Recht und mit 38.625,02 S sA nicht zu Recht bestehend, die Gegenforderung als mit 60.000 S zu Recht und mit 190.000 S nicht zu Recht bestehend und erkannte Dietmar F***** und die Klägerin schuldig, Natascha K***** 253.768,11 S sA zu zahlen. In der rechtlichen Beurteilung führte das Landesgericht Wels aus, dass von einer Solidarhaftung der Beklagten für den Schaden der Klägerin (= Natascha K*****) von drei Viertel auszugehen sei, während das Mitverschulden von Natascha K***** mit einem Viertel als ausreichend berücksichtigt anzusehen sei. In ihrer Berufung machte die Klägerin geltend, dass das Erstgericht im Sinne einer Gesamtschau hätte vorgehen müssen. Das Berufungsgericht meinte, nicht darauf eingehen zu müssen, weil die beiden Beklagten - insoweit unbekämpft - nicht zur ungeteilten Hand verurteilt worden waren. Der Oberste Gerichtshof wies die Revisionen beider Beklagter zurück (1 Ob 313/98f); die Frage, ob das Erstgericht die Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung hätte verknüpfen müssen, war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Die Klägerin begehrt 280.800 S sA und die Feststellung, dass ihr der Beklagte für drei Viertel der Schäden aus dem Vorfall vom 17. 11. 1993 hafte. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von einem Viertel. Der Beklagte sei fachkundig gewesen, die Klägerin habe über keine Erfahrungen mit Azetonperoxid verfügt. Der Beklagte habe der Klägerin nur geraten, die Aluminiumkügelchen nicht zu dick zu machen, weil man sie dann nicht mehr so gut in Zigaretten stecken und darin verstecken könne. Die Verletzungen der Klägerin rechtfertigten ein Schmerzengeld von 250.000 S und eine Verunstaltungsentschädigung von 50.000 S. Kleidung der Klägerin im Wert von 4.400 S sei beschädigt worden. Bis Ende November 1996 habe die Klägerin Fremdhilfe im Umfang von 670 Stunden in Anspruch nehmen müssen. Bei einem Stundenlohn von 90 S ergebe sich ein Aufwand von 60.000 S. Für Fahrten, Telefonate, Trinkgelder und Medikamente habe sie 10.000 S ausgegeben.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin treffe das überwiegende Verschulden, weil sie gegen die Verhaltensanweisungen des Beklagten verstoßen habe. Das Pulver in eine öffentliches Lokal mitzunehmen und es dort auf einen Tisch zu stellen, berge jedenfalls die Gefahr eines Schadens in sich. In einem Teilbetrag von 60.000 S sei die Klageforderung getilgt. Mit diesem Betrag sei die Gegenforderung der Klägerin im Verfahren 28 Cg 45/97d des Landesgerichts Wels als berechtigt erkannt worden. Bei dem Vorfall vom 17. 11. 1993 sei auch Christian P***** verletzt worden. Der Beklagte sei im Verfahren 3 C 201/95 des Bezirksgerichts Eferding verurteilt worden. Sein Haftpflichtversicherer habe an Christian P***** 51.000 S sA gezahlt. Der Beklagte wende drei Viertel dieser Forderung compensando ein.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung als mit 157.000 S sA zu Recht und als mit 123.800 S sA nicht zu Recht bestehend, die Gegenforderung als mit 30.035,50 S zu Recht und mit 30.035,30 S nicht zu Recht bestehend, erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 126.964,50 S sA zu zahlen und stellte fest, dass der Beklagte der Klägerin für alle künftigen Schäden aus dem Vorfall vom 17. 11. 1993 zur Hälfte hafte. Das Mehrbegehren wies das Erstgericht ab. Wegen der Parteienidentität sei das im Verfahren 28 Cg 45/97d ergangene Urteil für das vorliegende Verfahren bindend. Da das Verfahren nur noch gegen den ursprünglich Zweitbeklagten fortgesetzt werde, sei von einer Einzelabwägung auszugehen. Der Beklagte habe der Klägerin daher das halbe Schmerzengeld zu zahlen und die halben Aufwendungen zu ersetzen.

Das Berufungsgericht erkannte die Forderung der Klägerin als mit 114.142,85 S sA zu Recht und mit 166.657,15 S sA nicht zu Recht bestehend, die Gegenforderung als mit 30.035,50 S zu Recht und mit 15.017,75 S nicht zu Recht bestehend, erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 84.107,35 S sA zu zahlen, bestätigte die Entscheidung über das Feststellungsbegehren, wies das Mehrbegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Das Verschulden der Klägerin und des Beklagten sei gleich zu bewerten. Bei der Schadensteilung sei die Methode der Gesamtschau anzuwenden und die Verantwortung beider Parteien gegenüber Natascha K***** zu berücksichtigen, deren Verschulden im Vorverfahren mit einem Viertel rechtskräftig bestimmt worden sei. Eine Gesamtschau sei allerdings nur insoweit anzuwenden, als der Schaden von 240.000 S betroffen sei, der bereits der Entscheidung im Vorprozess zugrundegelegen sei. Der nunmehr erstmalig geltend gemachte Schaden von 74.000 S sei im Verhältnis 1 : 1 aufzuteilen. Vom Schaden von 240.000 S könne die Klägerin vom Beklagten höchstens die Hälfte ersetzt verlangen. Dem sei jedoch eine Gesamtabwägung anzuschließen, bei der das Verhältnis der Einzelabwägung aus dem Vorprozess von 3 : 1 beizubehalten und um das Ergebnis der Einzelabwägung im vorliegenden Verfahren von 1 : 1 zu ergänzen. Es sei eine Proportion zu bilden, bei der der Anteil der Klägerin gleich hoch sei wie der des Beklagten, jedoch dreimal so hoch wie jener von Natascha K*****, also 3 (Klägerin) : 3 (Beklagter) : 1 (Natascha K*****). Nach dieser Gesamtschau habe die Klägerin drei Siebentel des Schadens selbst zu tragen; der Beklagte und Natascha K***** hätten ihr zusammen vier Siebentel zu ersetzen, wobei der Beklagte höchstens 120.000 S zu tragen habe. Durch die Aufrechnung im Vorprozess habe die Klägerin bereits 60.000 S erhalten. Die Aufrechnung habe zwar auch die Verbindlichkeit des Beklagten gegenüber Natascha K***** verringert; die Klägerin habe im vorliegenden Verfahren jedoch keinen Regressanspruch geltend gemacht. Die Gegenforderung sei daher im vorliegenden Verfahren zur Gänze abzuziehen. Die Klägerin könne vom Beklagten demnach nur die Differenz von 77.142,85 S fordern, die im Höchstbetrag von 120.000 S ihre Deckung finde. Dies ergebe, nach Berücksichtigung des vom Beklagten zur Hälfte zu ersetzenden Betrags, einen vom Beklagten der Klägerin noch zu ersetzenden Schaden von 114.142,85 S, von dem die im Berufungsverfahren unbestritten gebliebene Gegenforderung von 30.035,50 S abzuziehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Klägerin ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage besteht, ob eine Gesamtschau auch dann anzuwenden ist, wenn der Geschädigte seinen Ersatzanspruch in einem Vorprozess nicht aktiv geltend gemacht, sondern aufrechnungsweise eingewandt hat; die Revision ist auch berechtigt.

Die Klägerin wurde bei einer Explosion verletzt, bei der zwei unabhängig voneinander handelnde Nebentäter und auch sie selbst je eine Bedingung für den eingetretenen Schaden verwirklicht haben. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung eine Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung der von den einzelnen Schädigern zu tragenden Schadensteile mit einer Gesamtabwägung vorzunehmen, wenn der Geschädigte seinen Schaden gegen mehrere Schädiger gleichzeitig einklagt oder die Verurteilung eines Nebentäters erreicht, während ein anderer bereits verurteilt wurde. Wird der Schaden gegen mehrere Schädiger gleichzeitig eingeklagt, dann ist im Rahmen der Einzelabwägung der vom einzelnen Schädiger zu tragende Schadensteil festzusetzen und im Rahmen der Gesamtabwägung eine Proportion zu bilden, welche die Haftungsanteile aller Beteiligten entsprechend berücksichtigt und aus der sich ergibt, welchen Anteil am Schaden der Geschädigte letztlich selbst zu tragen hat (ZVR 1989/129; zuletzt 2 Ob 260/99w, jeweils mwN). Klagt der Geschädigte die Schädiger in aufeinanderfolgenden Verfahren, dann hat das im Vorprozess zwischen dem Kläger und dem verurteilten Schädiger festgesetzte Verhältnis aufrecht zu bleiben. Bei der Einzelabwägung im Folgeprozess ist das dieser Einzelabwägung entsprechende Verhältnis zum Schadensanteil des Klägers im Vorprozess in Relation zu bringen (JBl 1989, 111 mwN).

Im Vorprozess hat die Klägerin als Beklagte der dort klagenden Natascha K***** eine Gegenforderung von 240.000 S entgegengehalten. Diese Gegenforderung wurde - ausgehend von einem Mitverschulden von Natascha K***** von einem Viertel - mit einem Betrag von 60.000 S als zu Recht bestehend erkannt und gegen die Klageforderung aufgerechnet. Die Klägerin war demnach zwar nicht auch Klägerin des Vorprozesses; sie hat ihren Schaden aber als (Zweit-)Beklagte gegen Natascha K***** aufrechnungsweise eingewandt und damit geltend gemacht. Damit ist die in jenem Verfahren erfolgte Schadensaufteilung auch im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen.

Das Berufungsgericht hat die Aufteilung von 3 : 1 zu Lasten der Klägerin und des Beklagten im Vorprozess und das im vorliegende Verfahren festgestellte - von der Klägerin nicht mehr bekämpfte - gleichteilige Verschulden der Klägerin und des Beklagten dadurch miteinander in Beziehung gebracht, dass es die Proportion 3 : 3 : 1 gebildet hat. Dem hält die Klägerin entgegen, dass die Streitteile gegenüber Natascha K***** solidarisch hafteten. Sie hätten ihr zusammen 3/4 des Schadens zu ersetzen. Der Entscheidung sei daher nicht eine Gesamtabwägung im Verhältnis 3 : 3 : 1, sondern eine solche im Verhältnis 3 : 3 : 2 (= 3/2 : 3/2 : 1) zugrundezulegen.

Mit diesen Ausführungen macht die Klägerin zu Recht darauf aufmerksam, dass im Vorprozess eine Mitverschuldensquote von einem Viertel zu Lasten von Natascha K***** nicht im Verhältnis zur Klägerin als alleiniger Beklagter, sondern im Verhältnis zu beiden Beklagten festgesetzt wurde. Wird die Mitverschuldensquote im Verhältnis zu mehreren Nebentätern bestimmt und trifft auch den Geschädigten ein Mitverschulden, so ist - wie oben dargelegt - im Wege einer Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung vorzugehen. Im Vorprozess hätte daher - wäre bei einem gleichteiligen Verschulden beider Beklagter tatsächlich von einem Mitverschulden von Natascha K***** im Ausmaß von einem Viertel im Verhältnis zu jedem der beiden Beklagten ausgegangen worden - der von Natascha K***** geltend gemachte Schaden im Verhältnis 3 : 3 : 1 aufgeteilt werden müssen, so dass sie nicht drei Viertel ihres Schadens, sondern sechs Siebentel hätte ersetzt erhalten müssen. Ihr wurde aber nur ein Ersatz von drei Viertel zuerkannt, so dass ihr

Schaden im Verhältnis 3 : 3 : 2 aufgeteilt und ihre

Mitverschuldensquote in Wahrheit mit 3 : 2 (= 2/5) im Verhältnis zu jedem der beiden Beklagten festgelegt wurde.

Wird dieses Verhältnis in die im vorliegenden Verfahren vorzunehmende Gesamtabwägung einbezogen, so ergibt sich die Proportion 3 : 3 : 2. Sie spiegelt wider, dass der Beklagte und die Klägerin zu gleichen Teilen haften und gemeinsam drei Viertel des Schadens der Klägerin zu tragen haben, während Natascha K***** für ein Viertel des Schadens aufzukommen hat.

Durch diese Aufteilung wird erreicht, dass das im Vorprozess festgesetzte Verhältnis aufrecht bleibt. Würde der Schaden der Klägerin hingegen - wie durch das Berufungsgericht geschehen - im Verhältnis 3 : 3 : 1 aufgeteilt, so hätte die Klägerin von Natascha K***** nur ein Siebentel zu erhalten, während ihr durch die Aufrechnung bereits ein Viertel ihrer Forderung zugekommen ist. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Zweck, der mit der Bestimmung der Schadensteile im Wege einer Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung verfolgt wird; dieser Zweck besteht darin, das im Vorprozess zwischen dem Kläger und dem verurteilten Schädiger festgesetzte Verhältnis aufrechtzuerhalten (JBl 1989, 111).

Im vorliegenden Fall ist der Schade von 240.000 S im Wege einer Gesamtschau aufzuteilen. Die Einzelabwägung im Verhältnis 1 : 1 ergibt einen Betrag von 120.000 S, mit dem die Haftung des Beklagten begrenzt ist. Der Gesamtabwägung liegt das aus dem Vorprozess übernommene Verhältnis von 3 : 3 : 2 zugrunde. Danach hat die Klägerin 3/8 ihres Schadens selbst zu tragen; 5/8 kann sie vom Beklagten und von Natascha K***** ersetzt verlangen. 5/8 entsprechen 150.000 S; davon hat die Klägerin durch Aufrechnung im Vorprozess bereits 60.000 S erhalten. Es verbleibt eine Forderung von 90.000 S, die in der mit 120.000 S begrenzten Haftung des Beklagten ihre Deckung findet. Zum Betrag von 90.000 S kommen weitere 37.000 S als Teilbetrag der Forderung von 74.000 S, die der Beklagte zur Hälfte zu tragen hat. Von der Gesamtforderung der Klägerin von 127.000 S sind 30.035,50 S als Gegenforderung des Beklagten abzuziehen, so dass der Beklagte der Klägerin 96.964,50 S zu zahlen hat.

Der Revision war Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 43, 50 ZPO. Die Klägerin ist im ersten Verfahrensabschnitt (Klage bis einschließlich erste Stunde der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 3. 11. 1999) bei einer Bemessungsgrundlage von 334.000 S mit rund 30 % durchgedrungen, mit rund 70 % ist sie unterlegen. Im zweiten Verfahrensabschnitt (restliche zwei Stunden der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 3. 11. 1999) ist die Klägerin bei einer Bemessungsgrundlage von 250.800 S (jeweils einschließlich der - von der Ausmittlung durch Sachverständige abhängigen (§ 43 Abs 2 ZPO) - Beträge für Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung in der festgestellten Höhe) mit rund 45 % durchgedrungen und mit rund 55 % unterlegen. Der Beklagte hat daher Anspruch auf Ersatz von 40 % seiner Kosten des ersten Verfahrensabschnitts und von 10 % seiner Kosten des zweiten Verfahrensabschnitts; er ist verpflichtet, 30 % der Pauschalgebühr für das Verfahren erster Instanz zu ersetzen.

Im Berufungsverfahren ist die Klägerin mit ihrer Berufung erfolglos geblieben; der Beklagte hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Berufungsbeantwortung. Mit seiner Berufung ist der Beklagte zur Hälfte durchgedrungen; insoweit waren die Kosten gegeneinander aufzuheben und der Klägerin war der Ersatz der Hälfte der Pauschalgebühr für die Berufung aufzuerlegen.

Mit ihrer Revision ist die Klägerin zur Gänze durchgedrungen. Sie hat daher Anspruch auf Ersatz der Revisionskosten. Gemäß § 70 ZPO war auszusprechen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Pauschalgebühr für das Revisionsverfahren zu ersetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte