OGH 15Os66/00 (15Os69/00)

OGH15Os66/00 (15Os69/00)15.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juni 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lackner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann F***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 14. Dezember 1999, GZ 14 Vr 871/99-37, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss gemäß § 494a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Plöchl, des Angeklagten Johann F***** und des Verteidigers Dr. Doczekal zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinen Schuldsprüchen zu A.II.1. und 3. in dem darauf Bezug nehmenden Teil des Schuldspruchs zu A.III., demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung), sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht mit Verlängerung der Probezeit aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO):

Johann F***** wird von der Anklage, er habe auch dadurch außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an Unmündigen vorgenommen, indem er vermutlich zum Jahreswechsel 1995/96 sich auf die am 23. März 1984 geborene Melanie R***** legte und dem Kind einen Zungenkuss gab, und bereits ca 1994 der am 14. Dezember 1982 geborenen Stefanie D***** einen Zungenkuss gab, er habe auch durch diese Handlungen unter Ausnützung der Stellung gegenüber seiner Ausbildung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen die angeführten Mädchen zur Unzucht missbraucht, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Für die ihm unverändert zur Last liegenden Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (richtig:) der jeweils mehrfach verwirklichten vollendeten Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF StGB und versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 aF StGB sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (A.I., II 2. und 4.-6., sowie III. in Bezug auf I., II.2. und 4.-6.) wird der Angeklagte nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 1 StGB zu 3 (drei) Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Gemäß § 53 Abs 2 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO wird vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 7. April 1998 zu AZ 14 Vr 136/98, Hv 8/98 gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, jedoch die Probezeit auf 5 (fünf) Jahre verlängert.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a StPO fallen ihm die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann F***** der Verbrechen (zu A.I.) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (zu A.II.) der "teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF und § 15 StGB" (richtig:

der jeweils mehrfach verwirklichten vollendeten Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF StGB und versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 15, 207 Abs 1 aF StGB), sowie (zu A.III.) des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 1 StGB zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er in Sipbachzell (A)

I. im Winter 1996 oder 1997 mit der unmündigen Melanie R***** den Beischlaf unternommen,

II. unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht oder zu missbrauchen versucht, indem er

1. "circa 1994" der unmündigen Stefanie D***** einen (US 6: "sexuell motivierten") Zungenkuss gab,

2. "vor mehreren Jahren im Sommer" (US 7: "Mitte der 90er Jahre, wahrscheinlich 1996") die unmündigen Susanne S***** und Melanie R***** zu verleiten versucht, sich gegenseitig einen Finger oder eine Kerze in die Scheide einzuführen,

3. "vermutlich zum Jahreswechsel 1995/96" sich auf die unmündige Melanie R***** legte, sie auf den Mund küsste und ihr einen (US 6: "sexuell motivierten") Zungenkuss gab,

4. 1996 die unmündige Melanie R***** am Körper über der Kleidung (US 7: zwischen den Beinen im Intimbereich) betastete, versuchte ihr die Kleidung auszuziehen und ihr unter das T-Shirt griff, sowie der unmündigen Susanne S***** über der Kleidung zwischen die Beine auf den Geschlechtsteil griff und streichelte,

5. 1996 die unmündige Melanie R***** küsste, sie über und unter der Kleidung im Brust- und Geschlechtsbereich betastete, ihr Hose und Unterhose herunterzog, seinen Finger in ihre Scheide einführte, wobei es zur Defloration kam, und sie aufforderte, in seine Hose zu greifen und mit seinem erigierten Glied zu spielen,

6. von Juli bis Anfang September 1999 der unmündige Sophia S***** wiederholt auf die nackte Brust griff, einmal ihr Geschlechtsteil zu ergreifen versuchte und sie veranlasste, sein Geschlechtsteil anzufassen, indem er ihre Hand erfasste und zu seinem Glied führte, wobei es beim Versuch blieb, weil die Unmündige ihre Hand zurückzog,

III. durch die zu I. und II. beschriebenen Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Ausbildung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person die genannten Mädchen zur Unzucht missbraucht.

Gegen das Urteil richtet sich die (inhaltlich nur den Schuldspruch zu A.II.6. und den Strafausspruch bekämpfende) auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) argumentiert mit der Behauptung, das Erstgericht hätte zu A.II.6. nur "flüchtige Kontakte" bei der Berührung der Brust der Sophia S***** festgestellt, urteilsfremd und somit prozessordnungswidrig. Soweit die Beschwerde begründungslos vermeint, das Erfassen der Hand des Mädchens, um sie zum Glied des Angeklagten zu führen, sei keine für eine Subsumtion als versuchte Unzucht mit Unmündigen geeignete Handlung, mangelt es ihr an einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (vgl Mayerhofer StPO4 § 285a E 45).

Auch mit dem abschließenden Begehren nach Aufhebung des (gesamten) Urteils ist die (zum Schuldspruch zu A.I., II.1.-5. und III. jegliche Begründung entbehrende) Nichtigkeitsbeschwerde nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die Strafzumessungsrüge (Z 11) orientiert sich mit der Behauptung, es hätte - trotz Schuldspruchs u.a. auch wegen einer im Sommer 1999 begangenen Tat (A.II.6.) - nur eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das (Vor-)Urteil vom 7. April 1998 verhängt und dieses nicht als erschwerend gewertet werden dürfen, nicht am Gesetz. Danach ist § 31 StGB nur dann anzuwenden, wenn eine gemeinsame Aburteilung aller Taten bereits im früheren Verfahren zeitlich möglich gewesen wäre; dies ist jedoch hier im Hinblick auf den Schuldspruch zu A.II.6. eben nicht der Fall (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 31 RN 12).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Die lediglich den Standpunkt der Beschwerde wiederholende Äußerung der Verteidigung zur Stellungnahme des Generalprokurators vermag dem nichts entgegen zu setzen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugt, dass das Urteil in den zu A.II.1. und 3. sowie A.III. in Bezug auf II.1. und 3. ergangenen Schuldsprüchen zum Nachteil des Angeklagten mit dem von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet ist, weil die konstatierten Tathandlungen (jeweils ein sexuell motivierter Zungenkuss) nicht tatbildlich im Sinn des § 207 Abs 1 aF oder des § 212 Abs 1 StGB sind.

Missbrauch zur Unzucht im Sinn dieser Bestimmungen liegt vor, wenn zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene Berührung gebracht werden. Sexuell indifferente Handlungen - wie zB ein Zungenkuss - genügen für sich allein noch nicht, mögen sie auch aufgrund einer sexuellen Motivation gesetzt worden sein (vgl Leukauf/Steininger aaO RN 5 und 7, Mayerhofer StGB5 E 3, 4 und 4b, je zu § 207).

Das Urteil war daher in den genannten Schuldsprüchen aufzuheben. Weil nach der Aktenlage nicht zu erwarten ist (siehe S. 31, 43, 217, 221, 253), dass mit zureichender Begründung weitergehende Feststellungen (zum Tätervorsatz) getroffen werden könnten, die eine strafrechtliche Subsumierung der genannten Handlungen des Angeklagten in andere Richtung (§§ 15, 207 Abs 1 StGB oder § 105 Abs 1 StGB) zulassen würden, war sogleich mit einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO vorzugehen (Mayerhofer StPO4 § 288 E 28).

Bei der infolge Aufhebung auch des Strafausspruches erforderlichen Strafneubemessung wirkte das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art sowie die einschlägige Vorstrafe als erschwerend, das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, hingegen als mildernd. In Hinblick auf diese Strafzumessungsgründe, den Unrechtsgehalt der Taten und die Täterpersönlichkeit ist die im Spruch genannte Sanktion angemessen. Die Gewährung bedingter Nachsicht hinsichtlich eines Teils der Strafe (§ 43a Abs 4 StGB) kommt nicht in Betracht, weil schon aufgrund der einschlägigen Vorstrafe, der Wirkungslosigkeit dabei bereits gewährter bedingter Strafnachsicht und der Vielzahl der Angriffshandlungen keine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Angeklagte bei bloßer Androhung eines Strafteils in Hinkunft wohlverhalten werde.

Lediglich unter Rücksichtnahme auf das Verschlimmerungsverbot musste (mangels Beschwerde der Staatsanwaltschaft) vom Widerruf der dem Angeklagten bei der Vorverurteilung gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert werden.

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