OGH 1Ob83/00p

OGH1Ob83/00p28.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian, Rechtsanwältepartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Josef G*****, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen 196.364,53 S sA infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2000, GZ 14 R 132/99f-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. April 1999, GZ 21 Cg 41/98y-11, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.900 S (darin 1.650 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Die klagende Partei beantragte am 4. Februar 1997 die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer GmbH. Am 2. April 1997 schloss sie mit der Gesellschaft eine "Zahlungsvereinbarung" und zog daraufhin den Konkurseröffnungsantrag zurück. Seit 15. September 1997 "lief wieder ein Konkursantrag", worauf der Konkurs über das Vermögen der Gesellschaft am 12. Jänner 1998 eröffnet wurde. Nach Abschluss und Bestätigung eines Zwangsausgleichs wurde der Konkurs mit Beschluss vom 27. November 1998 rechtskräftig aufgehoben.

Der Beklagte war Geschäftsführer jener GmbH. Er erklärte am 10. November 1997 schriftlich, deren Verbindlichkeit an Sozialversicherungsbeiträgen bis "einschließlich 10/97 auf den jeweiligen Beitragskonten in der Höhe von 270.964,32 S ... zuzüglich der Nachtragsvorschreibungen, Beitragszuschläge und der nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz zu berechnenden Verzugszinsen sowie sämtlichen Nebengebühren ..." und "den ab 11/97 auf den Beitragkonten neuauflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen, Nachtragsvorschreibungen, Beitragszuschlägen und den Verzugszinsen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz sowie sämtlichen Nebengebühren als Bürge und Zahler vorbehaltlos und unwiderruflich" beizutreten. Die Haftung des Beklagten sollte erlöschen, "wenn keine wie immer gearteten Rückstände an Kapital und Nebengebühren einschließlich Verzugszinsen auf sämtlichen Beitragskonten aushaften (d. h. wenn Saldo Null eintritt)".

Der Masseverwalter im Konkurs der GmbH hielt bestimmte Zahlungen an Sozialversicherungsbeiträgen für anfechtbar. Die klagende Partei unterwarf sich dieser Ansicht und zahlte am 10. Juni 1998 200.000 S an die Konkursmasse zurück. Sie erließ daraufhin einen Rückstandsausweis gegen die Gesellschaft, in dem die wegen der Rückzahlung wiederaufgelebten Beitragsschulden für den Zeitraum 1/97 bis 7/97 samt Zuschlägen, Nebengebühren und Verzugszinsen ausgewiesen wurden.

Die klagende Partei begehrte zuletzt noch 196.364,53 S sA und brachte vor, der Beklagte habe aufgrund seiner Haftung als "Bürge und Zahler" auch für jene Beitragsschulden der Gesellschaft einzustehen, deren Wiederaufleben durch die Rückzahlung an die Konkursmasse eingetreten sei. Er hätte sich, wären am 10. November 1997 Beitragsschulden für den Zeitraum 1/97 bis 7/97 noch ungetilgt gewesen, auch für deren Leistung verbürgt. Unter Anrechung der geleisteten Ausgleichsquote errechne sich eine Restforderung in Höhe des Klagebetrags.

Der Beklagte wendete ein, er habe sich nicht auch für jene Verbindlichkeiten der Gesellschaft verbürgt, die erst nach Rückzahlung an die Konkursmasse wegen erfolgreichen Anfechtung von Zahlungen für einen vor der Bürgschaftserklärung liegenden Beitragszeitraum wiederaufleben sollten. Insoweit handle es sich auch nicht um Nachtragsvorschreibungen im Sinne des Vertrags. Die Ansicht der klagenden Partei wären die nunmehr bedeutsamen Beiträge bei Unterfertigung der Bürschaftserklärung vom 10. November 1997 noch ungetilgt gewesen wären, so hätte der Beklagte auch die Schuldigkeiten übernommen, sei "eine Hypothese".

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Streitteile hätten als redliche und vernünftige Vertragspartner auch die nunmehr behauptete Haftung des Beklagten vereinbart, wenn sie den später aufgetretenen Konfliktfall bedacht hätten. Der Beklagte wäre in seiner "Position als Bittsteller" nicht in der Lage gewesen, gegenüber der klagenden Partei "irgendwelche Einschränkungen seiner Bürgschaft zu postulieren und durchzusetzen".

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, der Beklagte habe seine Verpflichtungserklärung als Bürge zwar gemäß § 1346 Abs 2 ABGB schriftlich abgegeben, sie beziehe sich jedoch nicht auf Beitragsschulden der Gesellschaft, die bereits im Zeitpunkt der Erklärung getilgt gewesen seien. Nachtragsvorschreibungen im Sinne des Vertrags seien nur bisher nicht vorgeschriebene Beiträge. Der Klageanspruch beruhe dagegen auf wiederaufgelebten Beitragsschulden, die bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags schon vorgeschrieben und - wenngleich in anfechtbarer Weise - bezahlt gewesen seien. Darauf erstrecke sich die Bürgschaftserklärung nicht. Die Haftung des Beklagten beziehe sich daher nur auf solche Beiträge, "die zunächst - aber nach der Bürgschaftserklärung - vom Hauptschuldner erfüllt, später aber erfolgreich angefochten werden und wieder aufleben", falls sie die Bürgschaftserklärung ursprünglich erfasst habe. Im Anlassfall komme es daher nicht mehr auf die "ohne jedes Beweisergebnis" getroffene Feststellung an, der Beklagte hätte eine der Sache nach ergänzte, auch den nunmehr geltend gemachten Betrag umfassende Bürgschaftserklärung abgegeben. Die ordentliche Revision sei zulässig, "weil eine höchstgerichtliche Entscheidung über einen gleichen Sachverhalt nicht vorgefunden" worden sei.

Die Revision der klagenden Partei ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Ansicht der klagenden Partei ist das "Wiederaufleben" ihrer Beitragsforderung Anlass für eine "nachträgliche 'Vorschreibung'" im Sinne des Vertrags gewesen. Zumindest handle es sich dabei aber um - von der Bürgschaftserklärung umfasste - "neuauflaufende Sozialversicherungsbeiträge". Die Vertragsauslegung habe sich nicht am buchstäblichen Wortsinn, sondern an der Absicht der Parteien zu orientieren. Der "Gesamttext" der Erklärung des Beklagten verdeutliche, dass er als Bürge "für alle in der Vergangenheit bis zum Beitragsmonat Oktober 1997 ('einschließlich 10/97') aufgelaufenen Beträge" habe einstehen wollen.

2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Vertragsauslegung beruht auf Grundsätzen, die sich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen. Das gilt nicht nur für die Frage nach der Haftung des Bürgen für eine durch den Hauptschuldner nach der Bürgschaftserklärung zunächst getilgte, dann aber erfolgreich angefochtene Leistung (ÖBA 1998, 641; SZ 58/114), sondern auch für die Frage nach der Reichweite des Schriftformgebots gemäß § 1346 Abs 2 ABGB im Lichte der "Andeutungstheorie" (zuletzt dazu RdW 2000, 145 = ecolex 2000, 103 [Rabl] mwN). Danach muss ein durch Auslegung ermittelter Parteiwille im Wortlaut der schriftlichen Bürgschaftserklärung irgendeine Grundlage haben.

Soweit das Gericht zweiter Instanz die im Anlassfall maßgebende Bürgschaftserklärung vor dem Hintergrund der referierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dahin auslegte, dass ihr Wortlaut eines Anhaltspunkts für eine Haftung des Beklagten für Verbindlichkeiten entbehrten, die zwar erst nach der Bürgschaftserklärung wiederauflebten, jedoch Beiträge für einen ihr vorangegangenen Zeitraum betreffen, die bei Unterfertigung der Erklärung bereits getilgt waren, ist darin ein zumindest vertretbares Ergebnis zu erblicken.

Somit verweist der Beklagte zutreffend darauf, dass die klagende Partei mit ihren Ausführungen zur Vertragsauslegung keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist doch die Revision nur im Falle eines unvertretbaren Auslegungsergebnisses infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage zulässig (Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO2 Rz 5 zu § 502 mN aus der Rsp). Von dieser - von der klagenden Partei im Übrigen gar nicht behaupteter - Voraussetzung für die Rechtsmittelzulässigkeit ist das angefochtene Urteil jedenfalls nicht betroffen.

3. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Würde dessen Begründung (Mangel einer "höchstgerichtlichen Entscheidung über einen gleichen Sachverhalt") für die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision genügen, so wäre der Oberste Gerichtshof in den meisten Vertragsauslegungsfällen anrufbar, weil den an ihn herangetragenen Streitfällen nur selten ein Sachverhalt zugrunde liegt, der mit dem eines bereits entschiedenen Einzelfalls vollständig übereinstimmt.

Die Revision der klagenden Partei ist daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Dabei kann sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte wies in seiner Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hin, weshalb dieser Schriftsatz einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung als Voraussetzung des Kostenersatzes diente.

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