OGH 12Os21/00

OGH12Os21/0013.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Graf als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard H***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 23. Juni 1999, GZ 12 Vr 436/98-79, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugemittelt.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerhard H***** (I.) des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (richtig: aF) sowie der Vergehen (II.) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB und (III.) der pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach § 207a Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in T*****

(zu I.) wiederholt außer dem Fall des § 206 StGB an einer unmündigen Person geschlechtliche Handlungen durch Einführen von "Gummischläuchen", "Spritzen", und - teilweise (2.) - eines Fieberthermometers in den After sowie Verabreichung von Einläufen vorgenommen, wobei er von diesen Vorgängen unter Betonung des Geschlechtsbereiches durch gezielte Abbildung verschiedener sexualbezogener Positionen (US 5, 6, 12) Lichtbilder und Videoaufnahmen anfertigte, und zwar

1. von Anfang Dezember 1991 bis Ende Jänner 1992 an einem damals fünf oder sechs Jahre alten Knaben mit dem Vornamen Andreas;

2. zwischen Herbst 1993 und Herbst 1994 an dem am 26. Mai 1987 geborenen Ljah K*****;

(zu II.) durch diese Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen diese zur Unzucht missbraucht;

(zu III.) sich vom 1. Oktober 1994 bis Oktober 1998 pornographische Darstellungen mit Unmündigen verschafft und solche besessen, indem er Fotomaterial (Dias und Negative), das (andere als die zu I genannten) unmündige Knaben in verschiedenen Positionen unter Betonung des Geschlechtsbereiches mit in den After eingeführten Gegenständen zeigt, erwarb und besaß.

Die dagegen aus Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da das Protokoll über die kontradiktorische Vernehmung des Zeugen Ljah K***** einverständlich (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) verlesen wurde (94/II), geht der Einwand (Z 3), die Verlesung sei mangels Ladung und Aussageverweigerung des Unmündigen in der Hauptverhandlung (§ 152 Abs 1 Z 3 StPO) zu Unrecht erfolgt, von vornherein fehl. Davon abgesehen kann die an keine bestimmte Form gebundene (Mayerhofer StPO4 § 152 E 10) Aussageverweigerung auch außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben werden (JUS 1999/6/2624 und 2748). Von diesem Recht hat der unmündige Zeuge im Rahmen seiner gemäß § 162a StPO durchgeführten Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter in unmissverständlicher Weise Gebrauch gemacht, indem er über ausdrückliche Befragung eine weitere Mitwirkung am Verfahren (durch Aussage in der Hauptverhandlung) dezidiert ablehnte (246/I). Damit lagen auch die Verlesungsvoraussetzungen nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO vor.

Auch die Mängelrüge (Z 5; zu I und II) versagt.

Soweit sie sich auf Umstände bezieht, die für die Lösung der Schuldfrage ohne Relevanz sind, erübrigt es sich, auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen näher einzugehen. Dies trifft auf die Einwände gegen den festgestellten - angesichts der einschlägigen Betätigung des Angeklagten im Sinne des § 207a Abs 3 StGB (bis Herbst 1998 - Fakten III) jedenfalls innerhalb der Verjährungsfrist gelegenen (§§ 57 Abs 3, 58 Abs 2 StGB) - Tatzeitraum (zu I./2.) in gleicher Weise zu wie auf die Begründungskritik an der allein für die Sanktionsfrage bedeutsamen Urteilsannahme, dass der Beschwerdeführer nach wie vor als sexuell pervers einzustufen ist (US 6).

Eine gesetzmäßige Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes wird aber auch insoweit verfehlt, als der Angeklagte unter konsequenter Missachtung der vom Erstgericht im Zusammenhang mit den konstatierten subjektiven Tatbestandskomponenten (zu I. und II.; US 5, 6, 13 und 14) in kritischer Gesamtschau verwerteten Komplex mehrerer Verfahrensresultate (US 7, 8, 11 bis 15) mit dem Hinweis auf jeweils punktuell herausgegriffene Aussagedetails (beispielsweise aus den Angaben des Zeugen Ljah K***** über aufgetretene Unpässlichkeiten) und einzelne Urteilspassagen (etwa in Bezug auf die isoliert betrachtete Konstatierung über die näheren Modalitäten der Kameraführung bei einem dieser Vorfälle) den Versuch unternimmt, seiner vom Erstgericht ausdrücklich abgelehnten Verantwortung (US 5 und 11), an den Kindern lediglich eine medizinisch erforderliche Heilbehandlung vorgenommen zu haben, zum Durchbruch zu verhelfen. Die von der Tatsacheninstanz im gegebenen Zusammenhang herangezogenen Fotos (Beilage 8 und 9) und die Verantwortung des Angeklagten im Vorverfahren (63 f/I) sind im Gegensatz zur Beschwerdeauffassung solche Beweisergebnisse, die nicht nur im Urteil ausreichend präzisiert und aktenkonform verwertet wurden (US 13 und 14), sondern sich auch als durchaus tragfähig erweisen, eine medizinische Indikation beim Verhalten des Angeklagten auszuschließen.

Einer näheren Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer angelegten "Krankenblättern" hinsichtlich Ljah K***** (69/II iVm ON 71/II) bedurfte es nicht, weil der vereinzelt gebliebenen Eintragung einer Fieberkurve angesichts der konstatierten Vielzahl von ausschließlich sexuell motivierten Angriffen keine Relevanz zukommt.

Die festgestellte pädophil-anal orientierte sexuelle Perversion des Angeklagten (US 3) ist eindeutiger Inhalt des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Dr. S***** (165/I, 73 f/II). Dass der Angeklagte diese Abartigkeit durch Phantasievorstellungen über eine passive Behandlung mittels Klistier auslebt - ein Umstand, von dem das Erstgericht im Übrigen ohnehin ausgeht (US 7) - ist nicht entscheidend, weil er seine analerotischen Phantasien nach dem mängelfrei begründeten Urteilssachverhalt durch die festgestellten aktiven geschlechtlichen Handlungen an den Kindern konkretisierte. Von dem insoweit behaupteten Begründungsfehler kann daher ebenfalls keine Rede sein.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ist mit ihren Einwänden (zu I. bis III.) gegen die rechtliche Beurteilung des festgestellten Verhaltens als Unzuchts- (= geschlechtliche)Handlung im Sinne der §§ 207 Abs 1, 207a StGB (Leukauf/Steininger Komm3 § 207 RN 5; Kienapfel/Schmoller BT3 Vorbem §§ 201 f RN 19 und RN 28) nur unvollständig am Urteilsinhalt orientiert und gelangt solcherart nicht zur prozessordnungsgemäßen Darstellung.

Die Sachverhaltsfeststellungen erschöpfen sich in objektiver Hinsicht nämlich nicht, wie in der Beschwerdeargumentation unterstellt, im Verabreichen eines Einlaufes und im Fotografieren dieser "neutralen Handlung" mit dabei zufälligem "Sichtbarwerden der Genitalien" der Knaben. Sie bestehen vielmehr darin, dass der Angeklagte den Kindern unter dem Vorwand einer Heilbehandlung darüber hinaus verschiedene Gegenstände in den After einführte und die unmündigen Buben zum Zwecke der Anfertigung von Fotos über diese Vorgänge zur Einnahme solcher Positionen, teils mit gespreizten Beinen, teils durch Auseinanderziehen des Gesäßes zum Zwecke des Sichtbarmachens des Afters, veranlasste, die gezielt und betont ihre Genitalregion in einer Art und Weise präsentierten, dass bei einem unbefangenen Betrachter der Eindruck eines stattgefundenen sexuellen Missbrauchs der Opfer erweckt wird. Dass bei diesen Vorgängen aber, wie die Beschwerde unter Missachtung wesentlicher Sachverhaltsdetails behauptet, von einem objektiven Sexualbezug durch gezielten Körpereinsatz zur Hervorhebung des (abartig) Sexuellen (Mayerhofer StGB4 § 207 E 14a und 14b; EvBl 1999/8) nicht gesprochen werden könnte, kann nicht ernsthaft behauptet werden.

Im Übrigen ist ein den allgemeinen Wertungsstandard grob beeinträchtigender Störwert derartiger Abbildungen angesichts der mit BGBl 1994/622 neu eingefügten, umfassenden Strafbarkeitskriterien nach § 207a StGB mit Rücksicht auf den Schutzzweck dieser Norm (ungestörte sexuelle und allgemein psychische Entwicklung von Unmündigen durch Verhinderung verfrühter sexueller Erlebnisse - EvBl 1999/8) bei der konstatierten Wirkung der Abbildungen auf den Betrachter (US 4) evident. Bei der gebotenen Orientierung am gesamten Urteilssachverhalt wurden sie demnach rechtsrichtig, soweit sie nicht vom Schuldspruch laut Punkt I. und II. erfasst sind (§ 207a Abs 4 StGB), dem § 207a StGB unterstellt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ebenso bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 285a Z 2 StPO), wie die angemeldete (96/II), gegen Urteile von Kollegialgerichten aber gesetzlich nicht vorgesehene Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe obliegt damit dem Oberlandesgericht Linz (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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